Der FC Bayern München ist im Champions-League-Viertelfinale am nominell schwächeren FC Villarreal gescheitert. Eine Überraschung, die sich aber etwas angedeutet hatte - und bei Trainer Julian Nagelsmann zum Verdacht der Schönrednerei führte. Eine kommentierende Analyse.
Julian Nagelsmann hatte am späten Dienstagabend zwischen dem Abpfiff und dem Beginn der Pressekonferenz immerhin ein bisschen Zeit, um über das vorangegangene Spiel und das damit einhergehende Ausscheiden im Champions-League-Viertelfinale nachzudenken und sich seine Erklärungen zurechtzulegen.
So viel Zeit, dass sich die siegreichen Villarreal-Spieler währenddessen gleich zweimal von ihren gelben Fans im Oberrang feiern lassen konnten - unterbrochen von einem kurzen Kabinenbesuch. So viel Zeit auch, dass Raul Albiol noch einmal alleine mit seiner Spieler-des-Spiels-Trophäe zu den Fans laufen und außerdem selbst eine kleine Pressekonferenz abhalten konnte.
Dann, rund eine Stunde nach Abpfiff, erschien schließlich Nagelsmann. Er schaute ausgesprochen grimmig, wirkte aber gefasst. "Ich glaube, dass wir im Hinspiel das Duell verloren haben", erklärte er. "Wenn man unser Auftreten heute sieht - taktisch gut by the way, defensiv wie offensiv - dann rückt das das Hinspiel nochmal in ein schlechteres Licht." Wenig später sagte er noch, dass er die Leistung seiner Mannschaft "sehr gut" fand.
Diese Aussage rückte - by the way - wahlweise das aktuelle Anspruchsdenken oder den Realitätssinn Nagelsmanns in ein schlechtes Licht, man durfte durchaus den Verdacht der Schönrednerei äußern. Tatsächlich war der FC Bayern anders als bei der zu niedrigen Hinspiel-Niederlage diesmal sehr überlegen. Sehr gut war er aber nicht.
gettyFC Bayern erneut mit schwachem xG-Wert
Das bestätigen schon die sogenannten Expected Goals, also die statistisch zu erwartenden Treffer aus den Torchancen einer Mannschaft. Der xG-Wert des FC Bayern lag bei 1,58, schlechter war er seit der Winterpause nur beim verkorksten Hinspiel (1,23) sowie beim 1:0-Sieg gegen den FC Augsburg am Samstag (1,29).
Der FC Bayern dominierte das Spiel gegen Villarreal von Beginn an, fand aber kaum spielerische Mittel gegen den extrem tief stehenden Gegner - seineszeichens übrigens keine Übermannschaft: Villarreal ist aktuell Siebter der Primera Divison und qualifizierte sich überhaupt nur über die Europa League für die Champions League.
In Ermangelung anderer Ideen schlugen die Münchner zahlreiche Hereingaben in den gegnerischen Strafraum. 39:2 lautete das Flanken-Verhältnis am Ende, Gefahr resultierte aus den zahlreichen Versuchen nur selten. Für vereinzelte Überraschungsmomente im Spiel des FC Bayern sorgte der quirlige Kingsley Coman mit seinen Dribblings. Zielstrebige Kombinationen vor dem gegnerischen Tor waren unterdessen Mangelware, eine Ausnahme bildete Robert Lewandowskis zwischenzeitliches 1:0.
Danach gab es noch eine Topchance von Müller, wirklich Zwingendes war ansonsten nicht dabei. Der FC Bayern schloss zwar 23-mal ab, oft aber aus der Distanz und ungefährlich. Aufs Tor kamen nur vier Schüsse. Trotz aller Überlegenheit war von der aus der Hinrunde bekannten spielerischen Leichtigkeit und Struktur erneut wenig zu sehen.
FC Bayern: Nagelsmann-Peak in der Hinrunde
Der Leistungsabfall des FC Bayern seit der Winterpause hat bei Nagelsmann zuletzt zu einer inflationären Verwendung des Wortes "Peak" geführt. Regelmäßig ging es ihm bei seinen Ausführungen darum, dass etliche seiner Spieler aktuell nicht auf ihrem "Peak" seien. Also weg von ihrer Bestform, wie man vor der Einführung englischer Begriffe in die Fußball-Fachsprache gesagt hätte. Ihren bisherigen Nagelsmann-Peak erreichte die Mannschaft irgendwann in der Hinrunde.
Testete der Trainer beim bisher wichtigsten Saisonspiel gegen Villarreal ein neues 3-2-3-2-System, sah man damals ein funktionierendes Gebilde mit einer klaren taktischen Handschrift. Das Erfolgsrezept: Aus einer asymmetrischen Abwehr-Dreieinhalberkette stieß Alphonso Davies auf seiner linken Seite nach vorne und drängte Leroy Sane in den Halbraum, wo er wochenlang fantastisch spielte.
Zur Winterpause fiel Davies mit einer Herzmuskelentzündung aus, Sane verlor gleichzeitig wie aus dem Nichts seine Form. Womöglich hatte zweiteres auch mit ersterem zu tun.
FC Bayern: Ausscheiden hat sich etwas angedeutet
Sane kommt mittlerweile über rechts, von wo aus er gegen Villarreal kaum für Gefahr sorgte. Er war deutlich inaktiver als sein Pendant auf Links Coman. Der erst kürzlich genesene Davies kam wenige Minuten vor Schluss in Spiel, hatte aber noch genug Zeit, um beim entscheidenden 1:1 das Abseits aufzuheben. Dass sich die Mannschaft bei diesem Spielstand und dieser Spielzeit dermaßen offen präsentierte, war zumindest fahrlässig.
In der Hinrunde stand Davies sinnbildlich für den zu diesem frühen Zeitpunkt durchaus überraschenden Nagelsmann-Peak, nun für das Ausscheiden. Es enttäuschten aber auch andere arrivierte Kräfte: Joshua Kimmich ließ im Zentrum seine gewohnte Präsenz vermissen und lieferte darüber hinaus schwache Standards. Thomas Müller und Robert Lewandowski fanden wie zuletzt so oft wenig Bindung zum Spiel.
Die erste Alternative für die Offensive Serge Gnabry sucht unterdessen ebenfalls schon seit Wochen seine Form. Dass ihn Nagelsmann erst in der 82. Minute einwechselte, lässt tief blicken. Dass dies überhaupt des Trainers erster Wechsel des Spiel war, ebenfalls. Dieser Umstand spricht nämlich nicht wirklich für Nagelsmanns Zufriedenheit mit der qualitativen Kadertiefe und auch nicht für einen ernstzunehmenden Konkurrenzkampf.
In der Meisterschaft ist der FC Bayern zwar noch auf Titelkurs, in beiden Cup-Wettbewerben ist er nun aber ausgeschieden. Kam das 0:5-Debakel in der 2. Runde des DFB-Pokals bei Borussia Mönchengladbach im Herbst noch halbwegs überraschend, hatte sich das Aus gegen das ebenfalls nominell deutliche schwächere Villarreal zumindest etwas angedeutet.