Wer den FC Bayern München beim 1:0 gegen Bayer Leverkusen beobachtete, entdeckte neue Elemente im Spiel des Rekordmeisters. Josep Guardiola zeigte zum einen, dass er immer noch großen Gefallen an Experimenten hat, und zum anderen gewann er die Erkenntnis, dass seine Mannschaft nicht immer die gleichen Helden produzieren muss.
Jetzt mal ehrlich. Wäre das Bundesliga-Spiel zwischen dem FC Bayern München und Bayer Leverkusen nach 45 Minuten beendet worden, zum Beispiel wegen eiserner Kälte im Norden Münchens oder weil Knut Kircher einfach danach war, dann hätte man im direkten Anschluss einige andere Geschichten erzählt, als die, die es nach den regulären 90 Minuten zu besprechen gab.
Franck Ribery wäre nicht dafür bejubelt worden, dass er in seinem 287. Pflichtspiel für den FC Bayern sein 100. Tor erzielt hat, und Pep Guardiola hätte sicher auch nicht die interessante These aufgestellt, dass Ribery "der beste ausländische Spieler" sei, der je für den Klub gespielt habe. Ganz nebenbei: Was halten eigentlich Arjen Robben oder Giovane Elber davon?
Lewandowski, der Flügelstürmer
Wie dem auch sei... Man hätte vielmehr darüber gesprochen, dass Ribery auf seiner Position im linken Halbfeld nicht das spielte, was er kann, und dass der Franzose den Ball mehrmals an den forschen Tin Jedvaj verloren hatte und Robert Lewandowski ein paar Mal auf den Füßen stand.
Man hätte wohl auch thematisiert, dass nicht nur Ribery auf einer ungewohnten Position spielte. Robert Lewandowski, gebürtiger Mittelstürmer, klebte in den ersten 45 Minuten regelrecht auf der linken Außenbahn, während Mario Götze vorne mittig den Polen pantomimte. Thomas Müller, gebürtiger Allrounder, tat es rechts Lewandowski gleich und das Spiel des FC Bayern war so breit wie nie in dieser Saison.
Alles ein bisschen anders
Dass Xabi Alonso in einer Bundesliga-Halbzeit nur 44 Ballaktionen zählt, ist fast genauso anormal wie beispielsweise Riberys Position. Auch weil Alonso nicht ganz so seine zentrale Rolle ausfüllen konnte wie gewohnt, schlenderte er doch zwischen den Linien.
Falsche Neun war gestern, Pep Guardiola bot gegen Leverkusen die "falsche" Elf auf - und wurde dafür belohnt. Mit dem fünften Sieg in Folge - erstmals in dieser Saison.
"Das war eine Strategie, die er sich überlegt hat, die einen Wiedererkennungswert über mehrere Tage hat", sagte Matthias Sammer über die Idee des Trainers. Warum aber diese doch ungewohnte Spielweise? Sammer: "Der Sinn ist schnell erklärt: Wenn sie gesehen haben, was die Außenverteidiger normalerweise tun oder nicht tun, dann versucht man eine Situation herzustellen, um Anspielstationen sowohl in der Tiefe als auch in der Breite und in der Staffelung herzustellen."
Rekord und Rekord
Der Fachjargon mag für den normalen Fußball-Fan vielleicht zu viel Detail sein, für Peps Schützlinge war die Vorgehensweise einleuchtend und auch nicht unvorhergesehen. Lewandowski sagte jedenfalls zu seiner Rolle als Mann für die Linie recht nüchtern: "Wir haben das am Wochenende ein bisschen trainiert." Und eben umgesetzt. Wenn auch mit Problemen: Laut Opta schossen die Bayern in Durchgang eins nicht ein einziges Mal innerhalb des Strafraums aufs Tor. Negativrekord.
Auf der anderen Seite ließ man nach ein paar Umstellungen nach der Pause auch keinen Torschuss Leverkusens zu. Erstmals seit 1992 blieb Bayer in einer Halbzeit ohne Abschluss. "Wir müssen sie vom Tor fernhalten", sagte Guardiola ein Tag zuvor über Hakan Calhanoglu und Co. Geschafft hat es seine Truppe, auch weil seine Experimente, die er nach wie vor gerne vornimmt, funktionieren.
"Natürlich macht sich der Trainer vor dem Spiel Gedanken, vor allem jetzt vor dem Leverkusen-Spiel. Leverkusen hat eine besondere Art und Weise, Fußball zu spielen. Da waren wir schon sehr gut vorbereitet", lobte Thomas Müller den eigenen Chef.
Die neuen Helden
Lob verteilte aber auch der Trainer. Für Sebastian Rode zum Beispiel, der nach seiner Einwechslung Bayerns personifizierte Aggression auf dem Platz darstellte und die Wende brachte. Nicht nur, weil er die Ecke herausholte, die zum 1:0 führte. Das erste Bayern-Tor in Folge einer Ecke seit Mai 2014.
Sebastian Rode im Interview: "Man fühlt sich mehr wert"
Rodes Entwicklung ist beachtlich, sein Status verbessert sich mit jedem Spiel und nach Sammer hat er nun auch mit Guardiola den nächsten großen Fan auf seiner Seite.
Lob durfte es aber auch für andere Spieler geben, die sonst nicht so im Fokus stehen. Juan Bernat beispielsweise, der die aufgrund der Umstrukturierung auf dem Platz die bietenden Räume gegen Leverkusen exzellent nutze und vehement marschierte. Oder Medhi Benatia, der taktisch ein sehr ansprechendes Fußballspiel absolvierte und zu den besten Münchenern gehörte.
Sicherlich mag das auch an den vielen Verletzten liegen, aber scheint es kein Zufall zu sein, dass Guardiola erstmals seit Februar nur auf einer Position eine Änderung vornahm, Benatia für Dante brachte, und sonst seiner Formation vertraute. Eine Stammelf wird der Spanier nie haben, temporär scheint die Siegerelf gegen Leverkusen die Einheit zu sein, die derzeit die Nase vorne hat und Bayern in der kommenden Woche beim FC Augsburg zur Herbstmeisterschaft führen könnte.
Bis dann das nächste Experiment folgt und neue Geschichten erzählt werden.
Bayern - Leverkusen: Daten zum Spiel