FC Bayern München steht vorzeitig im CL-Achtelfinale: Wild wie nie

Nino Duit
03. November 202108:44
Trainer Julian Nagelsmann gratuliert dem Dreirpacker Robert Lewandowski.getty
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Beim 5:2-Sieg gegen Benfica Lissabon hat der FC Bayern München die Entwicklungen der letzten Zeit unterstrichen. Die Offensive bleibt furchteinflößend, die Defensive löchrig.

Es war durchaus stimmig, dass der entscheidende Mann des Spiels danach auch noch den entscheidenden Satz sagte. "Gegentore motivieren uns, noch mehr Tore zu schießen", verkündete Dreierpacker Robert Lewandowski am späten Dienstagabend nach dem 5:2-Sieg gegen Benfica Lissabon. Besser kann man das Spiel, ja eigentlich die aktuelle Situation beim FC Bayern kaum zusammenfassen.

Egal ob vorne oder hinten: Alles muss rein! 5:1, 4:0, 4:0, 0:5, 5:2, 5:2. So lauten die sechs Ergebnisse seit der letzten Länderspielpause. Der FC Bayern ist wild wie nie zuvor. Den DFB-Pokal verließen die Münchner im Zuge dessen durchaus blamabel gegen Borussia Mönchengladbach. In der Champions League gelang dagegen bereits nach vier von sechs Spielen der vorzeitige Einzug ins Achtelfinale, auch der Gruppensieg ist mit sechs Punkten Vorsprung auf den ersten "Verfolger" FC Barcelona so gut wie sicher.

Den entscheidenden Schritt dahin ging die Mannschaft beim 5:2-Sieg gegen Benfica, der die Entwicklungen der letzten Zeit ganz hervorragend unterstrich. Die Offensive bleibt furchteinflößend, die Defensive löchrig. Wer in den jeweiligen Mannschaftsteilen zum Einsatz kommt, ist dabei relativ unerheblich.

FC Bayern: Die Offensivspieler überbieten sich gegenseitig

Gegen Benfica verzichtete Nagelsmann etwas überraschend auf den Fixposten Thomas Müller, der zum 5:2-Sieg gegen Union Berlin am Samstag vier Scorerpunkten beigetragen hatte. Die gleiche Anzahl sammelte diesmal Lewandowski, der seine Torausbeute mit seinem Dreierpack in seinem 100. Champions-League-Spiel auf 81 schraubte.

"Man reduziert ihn jetzt auf die drei Tore", sagte Nagelsmann nach dem Spiel und fragte sich direkt selbst, ob "reduzieren" dafür tatsächlich das richtige Wort sei. Dann schwärmte er von Lewandowskis "Spielfreude in den letzten 30 Minuten. Da wollte er jeden Ball haben und hat viele Situationen eingeleitet." Es ist diese immense Gier nach immer mehr und mehr Toren trotz deutlicher Führung, die nicht nur Lewandowski, sondern alle Spieler des FC Bayern auszeichnet.

Sei es Serge Gnabry, der gegen Benfica in einer eher ungewohnten zentralen Rolle glänzte. Sei es Kingsley Coman, der nur wenige Wochen nach seiner Operation am Herzen auf rechts mit etlichen starken Dribblings und Flanken auffiel. Sei es Leroy Sane, der sich seit den Pfiffen gegen ihn im August in absoluter Topform befindet und von seiner linken Seite als Freigeist immer wieder ins Zentrum zog.

Nagelsmann: "Die letzten Wochen waren zu wild"

Die Gier nach Toren und nach Offensivaktionen zeichnet aber auch einige weiter hinten positionierte Spieler aus. Die beiden zentralen Mittelfeldspieler Joshua Kimmich und Leon Goretzka etwa, oder auch Alphonso Davies, diesen sogenannten Linksverteidiger, der eigentlich kein Verteidiger ist. "Wir haben sechs Offensivspieler auf dem Feld, teilweise sogar sieben", sagte Nagelsmann. "Viel mehr Offensivspieler kann ich nicht auf den Acker packen, dass es noch einigermaßen eine Balance hat und vernünftig ist."

Aber auch so wankt die Balance gerne bedenklich. Bei dem ganzen Drang nach vorne vergessen die zahlreichen offensivorientierten Spieler gerne mal die Lücken, die bei ihren Vorstößen entstehen, vor allem bei den kollektiven Vorstößen. Jeder weitere Schritt nach vorne bedeutet im Umkehrschluss einen mehr zurück. In der Theorie.

"Die letzten Wochen waren zu wild, wir hatten nicht so die Kontrolle", sagte Nagelsmann vor dem Spiel bei Amazon. Bei der Pressekonferenz tags zuvor hatte er bereits moniert: "Wir lassen in zu vielen Spielen zu viele Torchancen zu. Es ist zu leicht. Es geht darum, wieder die letzten Schritte zu machen. Wir dürfen nicht darauf hoffen, dass unsere Abwehr wie bis vor dem Gladbach-Spiel alles wegverteidigt."

FC Bayern: Die Innenverteidiger haben ihre Topform verloren

In der ersten Saisonphase kaschierten tatsächlich vor allem die Innenverteidiger Dayot Upamecano, Lucas Hernandez und Niklas Süle mit überragenden Leistungen die schon damals vor sich hin köchelnden Absicherungs-Probleme. Sie begleiten die Mannschaft seit der Amtszeit von Nagelsmanns Vorgänger Hansi Flick.

"Wir haben zu viele Gegentore in den vergangenen beiden Jahren bekommen", erklärte zuletzt Vorstandschef Oliver Kahn. Nun könne die Mannschaft hingegen "wieder zu Null spielen, was die Basis für erfolgreichen Fußball ist". Das sagte er selbstredend vor dem Gladbach-Spiel, bei dem die Topformen der Innenverteidiger abrupt endeten. Seitdem hagelt es nur so Gegentore: fünf gegen Gladbach, je zwei gegen Union und Benfica.

Nagelsmann erkennt eine Verbesserung der Kontrolle

Weil Hernandez (Prellung) und Süle (muskuläre Probleme) gegen Benfica angeschlagen fehlten, kam in der Innenverteidigung Tanguy Nianzou zu seinem ersten Einsatz seit Mitte September. Nagelsmanns anschließende Note "herausragend" war zwar etwas gewagt, ein ordentliches Spiel machte der erst 19-jährige Franzose aber zweifelsohne.

An den generellen Problemen änderte auch Nianzou nichts. Anfällig war der FC Bayern gegen Benfica erneut vor allem bei schnellen gegnerischen Kontern, wie bei einer gerade noch so vereitelten Chance von Pizzi Mitte der ersten Hälfte. Bei Flanken, wie bei Lucas Verissimos wegen einer knappen Abseitsstellung nicht gegebenem Treffer oder Moratos 1:2. Und bei groben individuellen Fehlern wie bei Marcel Sabitzers Fehlpass vor Darwin Nunez' 2:4.

Nach seinen harten Worten in Sachen defensive Stabilität vor dem Spiel erkannte Nagelsmann gegen Benfica immerhin eine Steigerung. Er sprach gar von einer "sehr guten Kontrolle", was ähnlich wie Nianzous "herausragende" Leistung eher etwas übertrieben war. Immerhin ließ seine Mannschaft aber keine so energische gegnerische Druckphase wie beim Union-Spiel um die Pause herum zu.

Womöglich war Nagelsmann auch einfach nur berauscht davon, endlich wieder Live-Fußball im Stadion gesehen zu haben. Die vergangenen vier Spiele hatte er wegen einer Corona-Infektion bekanntlich verpasst. "Es hat Spaß gemacht, zuzuschauen", sagte er und lächelte. Trotz aller Sorgen um das Defensivverhalten sind die Freuden über die Offensivwucht aktuell absolut bestimmend.