FC Bayern München - Flicks Wackel-Abwehr im Check: Nibelungentreue vor Leistungsprinzip?

Kerry Hau
11. Januar 202112:46
SPOXSPOX-Grafik/getty
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Die Abwehr des FC Bayern gleicht in dieser Saison einer Baustelle. Viele Spieler sind außer Form, andere fristen ihr Dasein auf der Bank oder stellen erst gar keine Unterstützung dar. Ein Überblick.

Als "schon auffällig" bezeichnete Hansi Flick nach der 2:3-Niederlage bei Borussia Mönchengladbach die derzeitigen Probleme des FC Bayern. Ob nun Ballverluste in der Vorwärtsbewegung, unzureichende Tiefenabsicherung oder sowohl von den Außen- als auch den Innenverteidigern schwach verteidigte Hereingaben in den Strafraum - hinten hapert es.

Bei 31 Gegentoren nach 23 Pflichtspielen lässt sich auch nicht mehr nur von der einen oder anderen Unkonzentriertheit sprechen, zumal die Bilanz ohne den stets zuverlässig parierenden Manuel Neuer noch schlechter aussähe. Eine Form- oder (in manchen Fällen) sogar eine Qualitätsfrage?

SPOX und Goal blicken mithilfe der Datenspezialisten von Opta auf jeden Verteidiger im FCB-Kader und ziehen ein Fazit. Nicht berücksichtigt: Tanguy Nianzou, der verletzungsbedingt lediglich auf 21 Einsatzminuten kommt, sowie Joshua Kimmich und Javi Martinez, die als nominelle Mittelfeldspieler nur gelegentlich in der Vierkette ausgeholfen haben.

David Alaba

  • Eingesetzt als: IV, LV
  • Spiele (davon in der Startelf): 20 (19)
  • Minuten: 1743

Flicks Abwehrchef, der derzeit aber kein solcher ist. Liegt's an den vielen Gerüchten um einen Wechsel zu Real Madrid? Hat Alaba mit den Bayern schon abgeschlossen? Klar ist: Der Mann mit der Nummer 27 leistet sich zwar keine gravierenden Böcke, wie auch die untere Tabelle belegt, lässt aber gerade in Sachen Stellungsspiel häufig die letzte Konzentration und Souveränität aus der Triple-Saison vermissen - auch wenn er selbst das anders sieht. Das erste Gegentor gegen Gladbach ging etwa mit auf seine Kappe, weil er zu früh rausrückte und Jonas Hofmann in seinem Rücken entwischte.

"Da muss David eher absinken und die Tiefe sichern", sagte Flick nach dem Spiel, nahm den Österreicher aber auch in Schutz: "Diese Entscheidungen muss man im Bruchteil einer Sekunde treffen." Es ist nicht davon auszugehen, dass Alaba aufgrund seiner derzeitigen Formschwäche aus der ersten Elf rutscht. Dafür schätzt ihn Flick viel zu sehr - nicht nur spielerisch, sondern auch wegen seiner Qualitäten als Leader. Der 28-Jährige gibt von hinten, gemeinsam mit Neuer, die meisten und lautstärksten Anweisungen.

Gegentore, wenn er auf dem Platz stand30
Ballverluste, die zu gegnerischen Schüssen führten1
Ballverluste, die zu gegnerischen Toren führten0
Passquote85,8 %
Zweikampfquote51,2 %
Tacklingquote55 %

Jerome Boateng

  • Eingesetzt als: IV
  • Spiele (davon in der Startelf): 18 (17)
  • Minuten: 1407

Der älteste Abwehrspieler im Kader kommt ebenso wenig wie Alaba an seine Triple-Verfassung heran. Womöglich zollt Boateng der hohen Belastung in den vergangenen Monaten Tribut. Das Vertrauen von Flick in ihn ist aber weiterhin da, auch weil sich wenige Alternativen zu ihm aufdrängen. Für seine 32 Jahre bringt der gebürtige Berliner eine hohe Arbeitsbereitschaft mit, legt gerne Extra-Schichten im Kraftraum ein.

Ob Boateng nächste Saison noch in München spielt, ist jedoch völlig offen. Sein Vertrag läuft aus. Im Gegensatz zu Alaba steht er einer Verlängerung zwar alles andere als abgeneigt gegenüber, die Gerüchte um Dayout Upamecano (RB Leipzig) kommen aber nicht von ungefähr: Die Bayern scheinen zu merken, dass sie ihre Abwehrzentrale allmählich verjüngen müssen.

Gegentore, wenn er auf dem Platz stand22
Ballverluste, die zu gegnerischen Schüssen führten1
Ballverluste, die zu gegnerischen Toren führten1
Passquote87,5 %
Zweikampfquote59 %
Tacklingquote57,9 %

Niklas Süle

  • Eingesetzt als: IV/RV
  • Spiele (davon in der Startelf): 17 (14)
  • Minuten: 1323

Mit seinen 25 Jahren und seiner stetig höheren internationalen Erfahrung eigentlich prädestiniert dafür, die Rolle des Abwehrchefs zu übernehmen. Süle ist in dieser Saison jedoch (zu) sehr mit sich selbst beschäftigt. Zwischen November und Dezember verzichtete Flick wegen Trainingsrückstands und leichten Übergewichts auf ihn.

Danach zeigte er immerhin ordentliche Leistungen, davon teilweise sogar als rechter Verteidiger. Und ein Blick auf die Zahlen verrät: Er weist die beste Zweikampfquote aller Innenverteidiger im Kader auf. Der frühere Hoffenheimer wird sich dennoch weiter steigern müssen, um (wieder) zu einer unverzichtbaren Stütze zu werden. Bei der jüngsten Pleite in Mönchengladbach wackelte auch Süle ein ums andere Mal. Gerade in puncto Spieleröffnung und Kommunikation gibt es Nachholbedarf.

Gegentore, wenn er auf dem Platz stand15
Ballverluste, die zu gegnerischen Schüssen führten0
Ballverluste, die zu gegnerischen Toren führten0
Passquote91,5 %
Zweikampfquote67,1 %
Tacklingquote71,4 %

Lucas Hernandez

  • Eingesetzt als: LV/IV
  • Spiele (davon in der Startelf): 17 (14)
  • Minuten: 1275

Wurde ursprünglich mal als Innenverteidiger geholt, konkurriert unter Flick allerdings überwiegend auf der Linksverteidiger-Position mit Alphonso Davies. Von seinen 42 Einsätzen für den FCB bestritt der 80-Millionen-Rekordkauf nur ein knappes Drittel (15 Partien) in der Innenverteidigung - in dieser Spielzeit sogar nur drei.

Dabei bringt der französische Weltmeister durchaus Qualitäten für eine führende Rolle im Abwehrzentrum mit. Er ist robust und taktisch hervorragend geschult. Ein Manko ist jedoch (noch) die Kommunikation, da Hernandez nur ein paar Fetzen Deutsch spricht. Nichtsdestotrotz kann man den 24-Jährigen derzeit wohl als formstärksten Spieler der Viererkette bezeichnen, zumindest scheint er nicht derart fehleranfällig wie seine Kollegen. In den letzten beiden Spielen (Mainz, Gladbach) schmorte er aber auf der Bank.

Gegentore, wenn er auf dem Platz stand15
Ballverluste, die zu gegnerischen Schüssen führten0
Ballverluste, die zu gegnerischen Toren führten0
Passquote82,1 %
Zweikampfquote63,4 %
Tacklingquote66,7 %

Alphonso Davies

  • Eingesetzt als: LV
  • Spiele (davon in der Startelf): 13 (10)
  • Minuten: 820

Die offensivere Variante zu Hernandez, ausgestattet mit viel Dynamik und Kreativität. Davies ist aber auch nicht der Davies der vergangenen Spielzeit (nur eine Torbeteiligung), was ihm aufgrund seiner 20 Jahre aber zugestanden werden muss. Abgesehen davon fiel der Kanadier zwischen Ende Oktober und Anfang Dezember 42 Tage mit einem Bänderriss im Sprunggelenk aus. Ihm kann man (noch) keinen großen Vorwurf für die defensive Anfälligkeit des FCB machen - auch wenn sich taktische Mängel bei ihm nach wie vor nicht wegdiskutieren lassen.

Gegentore, wenn er auf dem Platz stand16
Ballverluste, die zu gegnerischen Schüssen führten0
Ballverluste, die zu gegnerischen Toren führten0
Passquote88,5 %
Zweikampfquote58,1 %
Tacklingquote78,6 %

Benjamin Pavard

  • Eingesetzt als: RV
  • Spiele (davon in der Startelf): 17 (6)
  • Minuten: 1343

Ähnlich wie Hernandez als Innenverteidiger verpflichtet. Anders als sein französischer Landsmann kommt Pavard aber ausschließlich außen (rechts) zum Einsatz, wo er mittlerweile kaum noch so souverän zu agieren weiß wie 2019/20. Derzeit hinkt wohl kein Spieler im Team so seiner Form hinterher wie der Ex-Stuttgarter.

"Ihm fehlt aktuell etwas die Bereitschaft, die Linie rauf und runter zu marschieren", erkennt auch Flick und sieht in Pavards Sprunggelenksverletzung kurz vor dem Champions-League-Finalturnier im Sommer den Ursprung für dessen Formschwäche: "Er ist vielleicht nicht bei 100 Prozent. Das macht schon einiges aus. Es fehlen Trainingseinheiten." Mangels Alternativen wird Flick jedoch an dem 24-Jährigen festhalten.

Gegentore, wenn er auf dem Platz stand23
Ballverluste, die zu gegnerischen Schüssen führten1
Ballverluste, die zu gegnerischen Toren führten0
Passquote85,5 %
Zweikampfquote56,1 %
Tacklingquote64,3 %

Bouna Sarr

  • Eingesetzt als: RV, LV
  • Spiele (davon in der Startelf): 8 (6)
  • Minuten: 545

Sollte Pavard eigentlich entlasten, konnte in seinen wenigen Einsätzen jedoch nicht überzeugen und wird seit ein paar Wochen regelmäßig aus dem Kader gestrichen. Flick sieht auch bei Sarr zu wenige Trainingseinheiten, der 28-Jährige benötige schlichtweg noch Zeit.

Nicht wenige Beobachter sind aber der Meinung, dass der Last-Minute-Neuzugang aus Marseille schlichtweg nicht die Qualität mitbringt, um dem FCB weiterzuhelfen. Klar ist: Sarr war nur eine von mehreren Alternativen zu Wunsch-Rechtsverteidiger Sergino Dest, der sich im Spätherbst bekanntermaßen gegen die Bayern entschied und beim FC Barcelona unterschrieb.

Gegentore, wenn er auf dem Platz stand4
Ballverluste, die zu gegnerischen Schüssen führten1
Ballverluste, die zu gegnerischen Toren führten0
Passquote89 %
Zweikampfquote45,8 %
Tacklingquote85,7 %

Chris Richards

  • Eingesetzt als: LV, IV, RV
  • Spiele (davon in der Startelf): 7 (2)
  • Minuten: 230

Neben Nianzou und Davies der jüngste Abwehrspieler im Kader. Eigentlich der bessere Innen- statt Außenverteidiger, weil ihm der Zug und die Kreativität nach vorne fehlen. Durfte in dieser Saison jedoch meist außen ran - und machte seine Sache dabei meist okay. Ob es für einen dauerhaften Platz in der Mannschaft reicht, ist noch nicht abzusehen. Verpflichtungen anderer Verteidiger im Sommer würden ihm in seiner Entwicklung sicherlich nicht helfen.

Gegentore, wenn er auf dem Platz stand2
Ballverluste, die zu gegnerischen Schüssen führten0
Ballverluste, die zu gegnerischen Toren führten0
Passquote87,1 %
Zweikampfquote46,4 %
Tacklingquote55,6 %

Nicht nur wegen der Formschwäche einiger Spieler ist davon auszugehen, dass sich der Rekordmeister im Sommer um mindestens einen Innenverteidiger sowie mindestens einen Außenverteidiger bemühen wird.

In der Theorie bieten sich Flick derzeit zwar genügend Möglichkeiten, zu rotieren. In der Praxis zeigt sich aber vor allem auf der rechten Abwehrseite, dass die zurückliegende Transferperiode vonseiten der Kaderplaner nicht optimal genutzt wurde, um sinnvolle Verstärkungen an Land zu ziehen.

Man sollte einem "Dauerbrenner" wie Pavard zwar ein Formtief zugestehen und Sarr nach etwas mehr als drei Monaten keineswegs komplett abschreiben, doch es ist offensichtlich, dass diese Position die größte Baustelle in der Abwehr darstellt.

Zudem fehlt weit und breit ein Chef in der Innenverteidigung, der mit Leistung vorangeht. Boateng befindet sich im Herbst seiner Karriere, Süle ist noch nicht so weit und Alaba steht neben sich. Gerade der Österreicher, offensichtlich beeinflusst von den Dauerspekulationen um seine Zukunft, profitiert derzeit mehr von der Nibelungentreue Flicks als von seinen Darbietungen auf dem Platz.

Warum nicht mal den in der Regel verlässlichen Hernandez häufiger in der Innenverteidigung probieren? Und dafür Alaba, der im Sommer Stand jetzt sowieso weg ist, auf eine andere Position ziehen - oder vielleicht einfach mal zwei, drei Spiele Luft holen lassen? Wenn Flick ein bisschen experimentieren kann, dann in den kommenden Partien. Mit Kiel (A), Freiburg (H), Augsburg (A), Schalke (A) und Hoffenheim (H) warten gewiss keine Herkulesaufgaben.

Erst danach stehen die "Wochen der Wahrheit" mit der K.o.-Phase der Champions League an - und in denen braucht Flick eine bessere Abwehr als jetzt.

FC Bayern München: Die nächsten Spiele

TerminWettbewerbGegner
13.01.2021DFB-Pokal, 2. RundeHolstein Kiel (A)
17.01.2021BundesligaSC Freiburg (H)
20.01.2021BundesligaFC Augsburg (A)
24.01.2021BundesligaSchalke 04 (A)
30.01.2021BundesligaTSG Hoffenheim (H)