Der neue Coach des FC Barcelona Gerardo "Tata" Martino ist im internationalen Vergleich ein unbeschriebenes Trainerblatt. Dennoch haben die Katalanen den Argentinier schon lange auf der Liste und zogen ihn prominenten Alternativen vor. Das hat gute Gründe.
Auf den ersten Blick ist es nicht wirklich schön, mit einem Verrückten verglichen zu werden. Verrückte, das sind die Besessenen und in gewisser Weise Auffälligen, die anders sind als die anderen. Gerardo "Tata" Martino wird seit vielen Jahren mit "dem Verrückten" verglichen. Ihm macht diese Analogie nichts aus. Vielmehr ehrt es ihn, mit Marcelo "El Loco" Bielsa in einem Satz genannt zu werden.
Einerseits scheint es in der Tat für einen eher unbekannten Trainer Schlimmeres zu geben, als Ähnlichkeiten mit der Institution des Landes zu haben. Andererseits sind sich die beiden Coaches von ihrer Herkunft sowie vom Aussehen her zu ähnlich, um einem Vergleich komplett aus dem Weg gehen zu können.
Obwohl Martino zumindest international ein unbeschriebenes Blatt ist, tritt er nun aus dem Schatten von Bielsa und wird Trainer des Weltklubs FC Barcelona. Diese könnten mit ihrer enormen Strahlkraft gefühlt jeden Trainer der Welt haben, wählten aber den 50-jährigen Argentinier. Ein Trainer, der zuletzt die Newell's Old Boys in der ersten argentinischen Liga coachte.
"Wenngleich er in Europa noch nicht bekannt ist, hat er eine unglaubliche Erfahrung als Trainer. Das weiß der Vorstand und auch die Spieler von Barcelona. Denn Barca verpflichtet sicherlich nicht jeden Trainer. Sie sind überzeugt von ihm", sagte Argentinien-Experte Rodolfo Esteban Cardoso gegenüber SPOX.
Martino schon lange auf dem Zettel
Dass Lionel Messi, der wie Martino und Bielsa aus der Stadt Rosario kommt, bei der Entscheidung ein gutes Wort für seinen Landsmann eingelegt hat, ist anzunehmen. Mehr aber auch nicht. Denn die Katalanen hatten Martino unabhängig von Messis Empfehlungen schon seit Jahren auf dem Zettel. Ungewöhnlich schnell konzentrierte sich nach dem Rücktritt vom Tito Vilanova die Spekulation um die Nachfolge auf den unbekannten Martino.
Obwohl die Verpflichtung des Argentiniers für viele überraschend kam und viele noch bis zum Ende mit einem großen Trainernamen oder einem Ex-Spieler gerechnet haben, passt Martino gut ins Beuteschema der Katalanen. Denn vor allem in der jüngsten Vergangenheit ließ man sich beim FC Barcelona nie vom Pokalschrank der Trainerkandidaten blenden.
Frank Rijkaard beispielsweise wurde nach dem Abstieg mit Sparta Rotterdam im Jahre 2003 verpflichtet, Pep Guardiola wurde Trainer von Barcelona nachdem er ein Jahr die zweite Mannschaft der Katalanen geleitet hatte. Auch der langjährige Co-Trainer und spätere Chefcoach Tito Vilanova hatte bis auf eine Trainerstation in der spanischen vierten Liga nichts vorzuweisen.
Passt zur Barca-Philosophie
Das Trainerprofil definiert sich bei Barca weniger über Erfolge, als vielmehr über die Philosophie, die der Trainer hat. Und genau diese bringt Martino mit. "Barca hat einen definierten Stil. Ich habe Respekt vor der Historie des Klubs und der Institution FC Barcelona", sagte Martino beim ersten offiziellen Auftritt nach der Bekanntgabe seines Wechsels.
Seit Jahren lässt der 50-Jährige bei seinen bisherigen Klubs einen ballbesitzorientierten Fußball spielen. Sein Team soll das Spiel stets dominieren und dem Gegner möglichst wenig Platz zum Atmen lassen.
Vor allem bei gegnerischem Ballbesitz wird enorm früh, im Block und mit enormer Aggressivität attackiert. Der Ball soll nach Möglichkeit bereits in der gegnerischen Hälfte erobert werden. Eine Qualität, mit der er die Newell's Old Boys zuletzt zur argentinischen Meisterschaft führte. Dank des intensiven Anlaufens des Gegners kassierte der Klub Liga weit mit Abstand die wenigsten Schüsse aufs Tor.
Für das aktuelle Team des FC Barcelona wird das enorme Gegenpressing sicherlich die größte Umstellung im Vergleich zur letzten Saison darstellen. Denn die Katalanen agierten zuletzt längst nicht mehr so aggressiv bei gegnerischem Ballbesitz wie noch in der Guardiola-Ära.
"Ein absoluter Stratege"
Ähnlich wie seine Vorgänger bei Barca gilt auch Martino als unermüdlicher Arbeiter und Tüftler. In seine Trainingseinheiten lässt er enorm viele taktische und technische Komponenten mit einfließen und unterbricht seine Spieler immer wieder, wenn er Fehler sieht. Zudem soll er sich stundenlang Statistiken zu seinem und dem gegnerischen Team anschauen, um Informationen über das Spiel zu bekommen.
"Martino hat bei den Newell's Old Boys einen enorm attraktiven Fußball spielen lassen. Wenn man eine neue Mannschaft übernimmt, hast du immer andere Voraussetzungen als noch bei deinem letzten Klub. Aber von der Philosophie und vom Trainertyp passt er sehr gut zu Barcelona. Denn auch als Spieler war er ein unglaublich intelligenter Spieler, ein absoluter Stratege", so Cardoso weiter.
Acht Jahre, sieben Klubs
1998 wechselte der Argentinier vom Platz auf die Trainerbank. Der als Wandervogel bekannte Martino trainierte in seiner Anfangszeit allerdings nur unbekannte Klubs in Südamerika und blieb diesen meist nicht lange treu.
In seinen ersten achten Jahren als Trainer war der Argentinier bei sieben Vereinen tätig, bevor er 2007 die Nationalmannschaft Paraguays übernahm. Diese führte er bei der WM 2010 in Südafrika bis ins Viertelfinale, ein Jahr später unterlag sein Team erst im Finale der Copa Amerika Uruguay mit 0:3.
Nach der Meisterschaft mit den Newell's Old Boys bekommt er jetzt beim FC Barcelona keine geringere Aufgabe, als den Klub wieder nach ganz oben in Europa zu führen und somit dem Anspruch des Klubs gerecht zu werden. Während aus Spieler-Kreise nur Gutes über die Verpflichtung zu hören ist, stehen vor allem die Fans der Verpflichtung skeptisch gegenüber.
Statt des unbekannten Martino hätten sie in Zukunft gerne viel lieber Ex-Spieler Luis Enrique auf der Trainerbank gesehen. Dieser war neben Martino eigentlich der einzige heiße Kandidat, der in den spanischen Medien gehandelt worden war.
Im Interview erzählte Enrique nun, dass er nie in Kontakt mit Barcelona gestanden sei. Die Verantwortlichen von Barcelona scheinen sich ihrer Sache sicher.
Gerardo Martino im Steckbrief
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