Die Torwart-Schmiede vom Betzenberg

Andreas Renner
29. Juli 201012:25
Ehrmann (r.) greift zu ungewöhnlichen Methoden im Training mit Sippel und Trapp (im Hintergrund)Imago
Werbung

Kein Verein in Deutschland bringt so viele Torwart-Talente groß raus wie der 1. FC Kaiserslautern. Woran liegt das? Wer ist dafür verantwortlich? SPOX sprach mit dem Mann hinter dem Talentfließband - Torwart-Legende Gerry Ehrmann.

Roman Weidenfeller, Tim Wiese, Florian Fromlowitz, sie alle stammen aus dem Nachwuchs des 1. FC Kaiserslautern und sind mittlerweile Stammkeeper in der Bundesliga.

Mit dem aktuellen FCK-Torwart Tobias Sippel, seinem letztjährigen Stellverteter Luis Robles (der immerhin schon für das Nationalteam der USA gespielt hat) und der aktuellen Nummer drei Kevin Trapp stammen drei weitere Keeper aus der FCK-Jugend, denen auch Stefan Kuntz ohne weiteres zutraut sich im Fußball-Oberhaus zu etablieren.

Der Kader des 1. FC Kaiserslautern

"In der abgelaufenen Saison hatten wir mit Sippel, Robles und Trapp gleich drei Torhüter, die alle Bundesliga spielen könnten."

In Kaiserslautern steht also ein wahres Torwart-Fließband, das anscheinend in immer höherer Frequenz erstklassige Torwächter produziert. Dafür verantwortlich ist Gerald Ehrmann, der Torwarttrainer des FCK.

"Wir machen wohl nicht so viel verkehrt"

Ehrmann, der seine Spielerkarriere als Ersatzmann von Toni Schumacher in Köln begann, bestritt zwischen 1984 und 1997 301 Spiele für die Lauterer. Zu Ende seiner aktiven Karriere begann er bereits, als Torwarttrainer der Pfälzer zu arbeiten. Eine Arbeit, die für seinen Klub inzwischen richtig Rendite abwirft.

Gerry Ehrmann bestritt 301 Bundesliga-Spiele für den 1. FC KaiserslauternGettyWeil der FCK sicher sein kann, dass in seinem Gehäuse ein guter Keeper steht. Weil der Klub den ein oder anderen Torhüter schon gewinnbringend veräußern konnte. Und weil schlicht und einfach keine Notwendigkeit besteht, einen Torwart zu kaufen. Denn der nächste hoffnungsvolle Nachwuchsmann steht immer schon auf der Matte.

Ehrmann selbst sieht seine Erfolgsquote nüchtern. "Das heißt wohl, dass wir doch nicht so viel verkehrt gemacht haben", sagt der notorisch medienscheue Torwarttrainer im Gespräch mit SPOX.

Wer sein Erfolgsgeheimnis sucht, dem zählt der 51-Jährige die Kriterien auf, die er von seinen Schützlingen verlangt: "Siegeswille, Kompromisslosigkeit, Mut zum Risiko, Verantwortungsbewusstsein, Entschlossenheit."

Talentförderung ab 13 Jahren

Vor allem nimmt der gebürtige Tauberbischofsheimer die talentiertesten Torwächter im Nachwuchs des FCK schon sehr früh unter seine Fittiche. Mit 13 Jahren findet eine erste Vorauswahl statt.

Und die Erwählten dürfen anschließend einmal pro Woche bei Ehrmann höchstpersönlich ins Training. Die Auswahlkriterien: "Talent, Ehrgeiz, Siegeswille, Verhalten auf dem Platz und die Bereitschaft, bei einem fast schon professionellen Training mitzumachen", sagt Ehrmann.

Kevin Trapp, 20 Jahre, Torwart Nummer zwei beim FCK, erinnert sich an sein "erstes Mal": "Ich kam erst mit 15 zum FCK, ein Jahr später hat mir mein Trainer erzählt, dass ich zum Gerry ins Training soll. Da war ich schon ein bisschen nervös."

Freund und Ratgeber

Denn Ehrmann versucht frühzeitig, seinen Nachwuchskeeper das zu vermitteln, was sie auch später im Profibereich brauchen. Trapp: "Gerry legt Wert auf Sprungkraft und Dynamik. Da geht man auch schon an seine Grenzen. Das ist selten im Jugendbereich."

Trotzdem, nach Ehrmanns Selbstverständnis ist er für seine Schützlinge weit mehr als nur ein kompromissloser Schleifer: "Ich bin nicht nur Trainer, sondern auch Freund und Ratgeber." Und all das kann ein Nachwuchsspieler zwischen 13 und 18 Jahren zweifelsfrei gut gebrauchen.

Ganz erfolglos kann Ehrmann dabei nicht sein, sonst hätte er nicht zu all seinen Ex-Spielern weiterhin ein gutes Verhältnis und regelmäßigen Kontakt. "Manchmal leidet man dann auch mit", berichtet Ehrmann. "Zum Beispiel mit Florian Fromlowitz, als offen mit Gerhard Tremmel verhandelt wurde. So etwas könnte es bei uns nie geben. Da würde ich nicht mitmachen."

Fehlermachen erlaubt

Bei allem leistungsorientierten Denken gibt Ehrmann seinen Schützlingen aber auch ganz viel Rückendeckung. Denn Fehler werden nicht bestraft, sondern als notwendiger Teil der Entwicklung begriffen.

Ehrmann: "Meine Jungs dürfen Fehler machen, denn manche Dinge lernt man nur im Spiel. Ich verlange Entschlossenheit, zum Beispiel beim Rauslaufen. Klar kommt man da auch mal zu spät. Aber in 95 Prozent der Fälle liegt man richtig. Wenn man dagegen zögert, dann hat man den Fehler schon gemacht."

Trapp berichtet: "Wenn ich im Training einen Ball unterlaufe, dann sagt Gerry zu mir, ich soll beim nächsten Mal wieder rauskommen. Nur so kann ich es lernen und besser werden."

Rückendeckung auch im Profibereich

Und das gilt natürlich auch und erst recht für die Profikeeper des FCK. Denn die genießen die volle Rückendeckung ihres Trainers. Schließlich kennt man sich jahrelang. Da kann man dann auch mal ohne Worte kommunizieren: "Wenn im Spiel etwas passiert, dann schauen die Jungs mich an und wissen, was ich denke. Und ich sehe ihnen an, was sie denken", erzählt Ehrmann.

Viel Wert legt er darauf, dass sich seine Schützlinge Gehör verschaffen und ihre Vorderleute lautstark dirigieren. Auch die Anforderungen des modernen Fußballs kann der 51-Jährige noch vermitteln. Dank Hannes Bongartz: "Unter dem haben wir schon vor 20 Jahren mit Viererkette gespielt und die stand ganz hoch, an der Mittellinie. Da mussten wir Torhüter oft mitspielen."

Und so glaubt der FCK-Torwarttrainer, dass sich das Torwartspiel seit damals auch nicht sonderlich verändert hat. Rückpässe sowohl mit rechts als auch mit links verarbeiten zu können, das ist so ziemlich die einzige bedeutsame Veränderung der jüngeren Vergangenheit.

Aufarbeitung von Bundesliga-Patzern

Wichtig ist Ehrmann auch, seinen Keepern die andere Seite zu zeigen - die des Stürmers nämlich. Die Torwartfehler des vergangenen Bundesliga-Wochenendes werden im FCK-Training aufgearbeitet, aus allen Perspektiven.

Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.comDa muss dann auch der Torwart mal selbst den Ball an den Fuß nehmen und auf das Tor zulaufen, um am eigenen Leib zu erfahren, wie ein Torwart seinem Gegenüber das Leben möglichst schwer machen kann.

Diese Übung gehört zum Standardprogramm im Torwarttraining des FCK, genauso wie der eine Tag in der Woche, an dem Ehrmann seine Jungs besonders hart ran nimmt.

Eigenwillige Sprunghürden

Trapp: "Meistens ist das zwei Tage nach dem Spiel. Und besonders die letzten Übungen haben es da in sich. Da knallt er uns aus kürzester Entfernung die Bälle erst in die eine und dann in die andere Ecke."

Auch beliebt: Der Torwart kniet in der Mitte seines Tores, Ehrmann wirft den Ball oben in den Winkel. Erst links, dann rechts. Und damit das Ganze besonders viel Spaß macht, stellt der Coach auch noch eine Hürde in den Weg, über die der Torwart dann auf dem Weg zum Ball springen muss.

Trapp: "Im Trainingslager hatten wir keine Hürde. Da hat sich Gerry einfach ein Fahrrad geschnappt, das da rum stand. Dann sollten wir eben da rüber springen."

Junge Torhüter nicht schlechter als alte

Wer diese harte Schule durchläuft, der hat sich das Vertrauen des Trainerstabs verdient. Das Alter ist dabei egal: "Dass Torhüter erst mit 30 so richtig gut werden, ist doch Quatsch", meint Ehrmann.

Und so ist der älteste FCK-Keeper in der aktuellen Aufstiegssaison Marco Knaller, Keeper Nummer 3. Mit 23 Jahren. "So viele junge Torhüter, das ist natürlich ein Risiko. Gehen andere das denn auch?", fragt Ehrmann.

Die Antwort lautet natürlich nein. Doch Ehrmanns Arbeit hat ihm den Respekt der wechselnden Cheftrainer der Vergangenheit eingebracht. Marco Kurz: "Da wird gute Arbeit geleistet. Wir geben jungen Spielern die Chance und halten dafür als Trainer das Kreuz hin."

Bislang musste das noch kein Chefcoach bereuen. Probleme auf der Torhüterposition kennt man in Lautern schon lange nicht mehr.

Zu viele Talente für die Nr.1

Halt, eine Schwierigkeit gibt es natürlich: Wohin mit all den bundesligatauglichen Keepern, die das FCK-Fließband im Abstand von etwa zwei Jahren ausspuckt?

Trapp jedenfalls sagt von sich: "Ich will Bundesliga spielen." Er weiß auch, dass sein Traum, Torwart Nummer eins in der Bundesliga zu werden, womöglich anderswo in Erfüllung gehen muss. Denn das pfälzische Torwartfließband läuft und läuft und...

Der Kampf um die Stammplätze in der Bundesliga