Mit Notelf in den Corona-Hotspot: Die Nations-League-Begegnung der Norweger in Österreich zeigt den ganzen Irrsinn dieser Länderspielphase.
Ruben Gabrielsen hat sich einen Umhang wie Superman um die Schultern geworfen, zu dramatischer Musik eilt der norwegische Verteidiger zur Wohnungstür und reckt seinen Pass in die Kamera. Gabrielsen, das soll dieses kurze Instagram-Video beweisen, steht bereit, um seine in höchste Not geratene Heimat zu "retten". Der Kapitän des französischen Zweitligisten FC Toulouse ist einer von 18 Spielern im hastig zusammengestellten "Nöd-Landslaget", das die Norweger zum Nations-League-Spiel in den Corona-Hotspot Österreich schicken.
Das Duell am Mittwoch (20.45 Uhr live auf DAZN) in Wien zeigt den ganzen Irrsinn der aktuellen Länderspielphase wie kaum eine andere Begegnung. Die 7-Tage-Inzidenz für Österreich lag am Montag bei 527 (!), seit Dienstag ist die Alpenrepublik wieder im harten Lockdown, bis 6. Dezember soll das öffentliche Leben still stehen. Die Krone, größte und einflussreichste Zeitung des Landes, nahm einen Mund-Nasenschutz in Landesfarben mit Vorhängeschloss auf den Titel.
Doch das Nationalteam um Bayern-Star David Alaba und 17 weitere Deutschland-Legionäre soll unbedingt zum "Endspiel" um den Gruppensieg antreten. Ausgerechnet gegen Norwegen, das seine komplette Mannschaft um Dortmunds Stürmerstar Erling Haaland nach dem Coronafall von Vize-Kapitän Omar Elabdellaoui in Quarantäne und nach Hause geschickt hat.
Björn Guldvog, Chef der norwegischen Gesundheitsbehörde Helsedirektoratet, hält das Spiel für unverantwortlich. In einem offenen Brief an den norwegischen Verband und die Europäische Fußball-Union (UEFA) meldete er Zweifel am Hygieneprotokoll der UEFA an und empfahl, aktuell auf internationale Spiele zu verzichten - auch im Europacup.
Nations League: Es besteht ein "hohes Infektionsrisiko"
"Wir sehen doch, dass sich immer mehr Spieler in ihren Mannschaften anstecken", sagte Guldvog dem norwegischen Rundfunk NRK, es bestehe ein "hohes Infektionsrisiko", internationale Begegnungen seien angesichts der Corona-Lage "nicht so klug. Ich erwarte, dass sich die UEFA als verantwortungsbewusster Akteur zeigt, der sich um die Gesundheit der Spieler und ihrer Familien sorgt".
Die eiligst herbeigerufenen Neu-Nationalspieler um Julian Ryerson von Union Berlin teilen diese Ängste offenbar nicht. "Alle haben Lust", sagte der frühere Fürther Veton Berisha, einer von nur fünf Profis im Aufgebot mit Länderspielerfahrung. Jörgen Strand Larsen vom FC Groningen sprach zwar von einer "wahnwitzigen Situation", freut sich aber auf sein Debüt.
Kein Wunder, sagte der frühere Bundesliga-Profi Jan Age Fjörtoft, die Neulinge hätten die "einmalige Chance", sich zu zeigen. Das Gerede von der "Notelf" werde sie anstacheln, "sie haben alles, um zu gewinnen".
Er selbst fiebere dem Auftritt der "neuen, heldenhaften" Auswahl entgegen. Auch der einstige Gladbacher Erik Thorstvedt, dessen Sohn Kristian ebenfalls debütieren könnte, hofft auf eine "Aschenputtel-Geschichte". Er glaubt: "Für viele ist es wohl das erste und letzte Länderspiel. Sie sollten es genießen."
Ob das in Zeiten der zweiten Corona-Welle funktioniert? Am Dienstag mussten die Spieler stundenlang am Osloer Flughafen ausharren, vor der Reise mit dem Charterflieger nach Wien war ein negatives Testergebnis erforderlich. Und das Spiel im Corona-Hotspot? "Wir fühlen uns sicher", sagte Verbandsdirektor Nils Öyvind Fisketjönn.