Nach seiner gescheiterten zweiten Liaison bei Real Madrid folgte James Rodriguez Anfang September dem Ruf von Carlo Ancelotti und schloss sich dem FC Everton an. Ein auf den ersten Blick großer Rückschritt, der für den ehemaligen Profi des FC Bayern aber offensichtlich nötig ist, um seine ins Stocken geratene Karriere voranzubringen. Seine ersten Auftritte als Toffee waren zumindest mehr als vielversprechend.
Ein bisschen Häme schwang bei so manchem Fan des FC Bayern durchaus mit, als James Rodriguez am 9. September mit nach oben gestrecktem Daumen im Trikot des FC Everton posierte und kundtat, wie gerne er nun doch in England sei. Ja, der James Rodriguez, der drei Wochen zuvor noch in einem Podcast erzählt hatte, wie sehr ihm das Klima in Deutschland doch zu schaffen gemacht habe.
"Es war sehr kalt dort. Es gab Tage, da bin ich um 9 Uhr morgens bei Eiseskälte in die Arbeit gegangen und ich habe mich gefragt: Was mache ich eigentlich hier?", waren die Worte des Kolumbianers über seine zweijährige Etappe in München. Worte, die ihm plötzlich gleichgültig zu sein schienen, als Carlo Ancelotti wieder einmal bei ihm durchklingelte, um ihn zu fragen, ob er denn in den blauen Teil von Liverpool wechseln wolle. Dorthin, wo es in den Wintermonaten vielleicht nicht so viel schneit wie in München, dafür aber umso mehr regnet.
"Wir hatten immer wieder Kontakt. Als Carlo dann erneut anrief und sich die Möglichkeit auf einen Wechsel ergab, musste ich nicht zweimal überlegen", sagte James bei seiner Vorstellung als Toffee. "Wir haben eine spezielle Bindung zueinander."
imago imagesJames: Außer Ancelotti verstand ihn nur Heynckes
Jene Bindung fand im Spätsommer 2014 ihren Ursprung, nachdem der Linksfuß für 75 Millionen Euro von der AS Monaco zu Real Madrid gewechselt war. Ancelotti, damals noch Trainer der Königlichen, integrierte den Neuzugang sofort in sein Starensemble, woraufhin James eine fantastische Debüt-Saison mit 17 Toren und 18 Vorlagen in 46 Spielen gelang. Eine Saison, auf die er seither nicht mehr aufbauen konnte. Es ging bis auf wenige Ausnahmen stetig für ihn bergab.
Die Schuld dafür suchte er nicht bei sich selbst, sondern bei den Trainern, die er nach dem 2015 in Madrid entlassenen Ancelotti hatte. Bei Rafa Benitez. Bei Zinedine Zidane. Bei Niko Kovac. Bis auf "Carletto" schien nur Jupp Heynckes den feinfüßigen, aber nicht immer pünktlichen und hart arbeitenden Techniker zu verstehen. James sei "ein außergewöhnlicher Spieler, aber auch eine hochsensible Seele", sagte Heynckes. Der mittlerweile im Ruhestand weilende Triple-Coach von 2013 war sogar der Meinung, James könne "fighten wie Bastian Schweinsteiger". Nur: "Das muss man als Trainer eben auch aus ihm herauskitzeln."
James kreiert die meisten Chancen - Ancelotti will in "Big Four"
Ancelotti scheint das in James' ersten Wochen bei Everton einmal mehr zu gelingen. Nach vier Pflichtspiel-Einsätzen fragen sich Fußballexperten auf der Insel, wie Real-Coach Zidane ihn in der vergangenen Saison nur so oft auf der Tribüne schmoren und letztlich sogar ablösefrei ziehen lassen konnte. James hat mit 15 Torchancen bisher die meisten aller Premier-League-Spieler kreiert. Ein Tor und zwei Assists stehen ihm zu Buche. Everton ist in Anbetracht der starken Form von Mittelstürmer Dominic Calvert-Lewin gewiss nicht nur, aber auch dank seines prominentesten Neuzugangs so etwas wie die Mannschaft der Stunde in der Premier League.
Nur Lokalrivale Liverpool und Leicester City haben bislang ebenfalls die maximale Ausbeute an Punkten geholt. "Ich bin mir sicher, dass meine Mannschaft das Potenzial hat, um unter die vier ersten Plätze zu gelangen", so Ancelotti. Von James' Verfassung sei er "nicht überrascht". Als persönliches Ziel habe er ihm die Marke von 20 Toren gesetzt. "Er ist ein fantastischer Vorlagengeber, mit seinem Schuss aber auch selbst sehr torgefährlich. Wichtig ist, dass wir ihm gewisse Freiheiten geben", meint der 61 Jahre alte Italiener.
Auf dem Papier bekleidet James in Ancelottis 4-3-3 die rechte Außenbahn. Dass er aber nicht das Tempo mitbringt, um ein Spieler zu sein, der auf dem Flügel klebt und Flanken schlägt, weiß sein Trainer. "Er orientiert sich mehr ins Zentrum, damit seine Qualitäten als Spielmacher zum Vorschein kommen", erklärt Ancelotti. Im modernen Fußball gebe es die klassische Rolle des Zehners "kaum noch".
Nach Ärger mit Zidane: Everton der richtige Schritt für James?
Das wurde ihm unter Zidane in Madrid zum Verhängnis, wo ihm gerade in seiner letzten Saison entweder defensivstärkere Spieler wie Federico Valverde oder schnellere Spieler wie Rodrygo vorgezogen wurden.
"Ich weiß, dass ich die Fähigkeiten habe, immer zu spielen, aber wegen anderer Leute kann ich das nicht", meckerte James, als er sich in der Endphase seiner Zeit bei Real auf eigenen Wunsch auf die Tribüne setzte. "Zidane hat seine eigenen Geschmäcker für Spieler, und das muss man respektieren. Da mische ich mich nicht ein", sagte er und fügte dennoch an: "Wenn man sieht, dass man nicht die gleichen Möglichkeiten bekommt wie die Teamkollegen, ist es schwierig."
Unter Ancelotti, seinem zweiten Vater, hat er mehr Möglichkeiten. Und deshalb spricht momentan vieles dafür, dass der auf den ersten Blick als Rückschritt durchgehende Wechsel nach Everton die richtige Wahl für ihn war. "Ich will alles dafür tun", beteuerte der Trainer der Toffees schon nach der Bekanntgabe des Wechsels, "dass sich James hier wohl fühlt". Das ist bislang der Fall. "Carletto" lässt die Sonne scheinen. Ob sich daran etwas ändert, wenn die richtig kalten Monate hereinbrechen?
FC Everton: Die nächsten Spiele
Datum | Uhrzeit | Wettbewerb | Gegner |
3. Oktober | 16 Uhr | Premier League | Brighton (H) |
17. Oktober | 16 Uhr | Premier League | Liverpool (H) |
24. Oktober | 16 Uhr | Premier League | Southampton (A) |
31. Oktober | 16 Uhr | Premier League | Newcastle (A) |
7. November | 16 Uhr | Premier League | Manchester United (H) |