"Jetzt erleben wir die erste Welle"

Haruka Gruber
27. Januar 201512:37
Zwei Juwelen des norwegischen Fußballs: Martin Ödegaard (l.) und Mats Möller Daehliimago
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Die Ödegaard-Hysterie ist nicht alles: In Norwegen wächst eine neue goldene Generation heran. Mit Supertalenten, einer neuen Identität - und "Oliver Bierhoff". Während der Schneefußball-WM in Arosa erklärt Norwegens Teammanager Jan-Aage Fjörtoft, zwischen 1998 und 2001 bei Eintracht Frankfurt, das Phänomen Martin Ödegaard sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den 90ern, als die Skandinavier die Weltspitze aufrüttelten.

SPOX: Die beispiellose Aufregung um Martin Ödegaards Wechsel zu Real Madrid lässt fast vergessen, dass Norwegen als Fußball-Nation im Aufstieg begriffen ist. Ist es gerechtfertigt, vom "neuen Norwegen" zu sprechen?

Jan-Aage Fjörtoft: Wir zogen bei der letzten U-21-EM 2013 in Israel in das Halbfinale ein und wir bemühen uns seitdem, Schritt für Schritt diese Spieler in der ersten Mannschaft zu integrieren - was dazu führt, dass wir jetzt schon in der Qualifikation zur EM 2016 das jüngste Team Europas aufbieten. Otto Rehhagel sagte einst: "Man muss langfristig planen, aber kurzfristig gewinnen." Dieser Spagat gelingt uns gerade gut.

SPOX: In der Qualifikationsgruppe H liegt Norwegen knapp hinter Kroatien und Italien auf Rang drei, was womöglich für das Erreichen der EM-Playoffs reichen könnte. Wie lässt sich der norwegische Fußball der Moderne beschreiben?

Fjörtoft: Unser Nationaltrainer Per-Mathias Högmo, mein Chef, ist seit einem Jahr im Amt und man erkennt mehr und mehr, dass er einen Fußball mit mehr Ballkontakten sehen möchte. Es ist nichts Revolutionäres, doch jetzt verfügen wir über die Spieler dafür: Mats Möller Daehli von Freiburg, Per Skjelbred von Berlin, Joshua King von Blackburn, natürlich Martin Ödegaard, sie alle wollen den Ball am Fuß und fühlen sich damit wohl. Wir möchten weiter gut in der Verteidigung stehen, um so Defizite zu den großen Nationen zu kompensieren, allerdings soll es nach Ballgewinn so schnell wie möglich nach vorne gehen, um Überzahl herzustellen.

Jan-Aage Fjörtoft ist häufig als Experte im TV zu sehengetty

SPOX: Sie wurden im April 2014 als Teammanager der Nationalmannschaft vorgestellt. Wie helfen Sie Högmo?

Fjörtoft: Meine Aufgabe ist vergleichbar mit der von Oliver Bierhoff beim DFB. Högmo möchte sich voll auf das Arbeiten mit den Spielern konzentrieren, gleichzeitig sollte die Verbindung zwischen der A-Nationalmannschaft und dem norwegischen Verband wieder enger sein. Daher wollte Högmo jemanden, der ihn von allen Aufgaben abschirmt, die nichts mit der eigentlichen Arbeit als Trainer zu tun haben. Ich versuche also, ihm alles abzunehmen und leite unter anderem den 15-köpfigen Betreuerstab als Mannschaft um die Mannschaft.

SPOX: Sie sind bekannt als meinungsstarker TV-Experte. Müssen Sie sich nun zügeln ob des offiziellen Amts?

Fjörtoft: Es hat sich nicht so viel verändert: Ich übernahm schon früher Projekte für den norwegischen Verband, betreibe weiter meine Kommunikationsfirma und arbeite in Norwegen als TV-Experte. Ich werde meine eigene Meinung haben und sie vertreten. Bei den Themen zur Nationalmannschaft werde ich jedoch selbstverständlich respektieren, dass Högmo mein Vorgesetzter ist.

SPOX: Sie besuchten mit Högmo das Trainingslager des FC Bayern in Doha. Warum?

Fjörtoft: Aus zwei Gründen: Einerseits ist es uns sehr wichtig, Inspiration von den Besten der Besten zu bekommen. Die Bayern sind nun mal der bestorganisierte Klub der Welt. Alleine die Intensität und Konzentration in jeder Trainingseinheit zu sehen, war beeindruckend. Andererseits geht es um Glaubwürdigkeit vor unseren Spielern: Wir sagen ihnen immer wieder, dass sie sich mit den Besten messen und die Motivation mitbringen sollen, von der Weltspitze zu lernen. Was wären wir für Vorbilder, wenn das für uns Funktionsträger nicht gelten würde?

SPOX: Sprachen Sie mit den Bayern über Ödegaard? Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge hatte sich ungewöhnlich optimistisch geäußert, dass die Bayern gute Chancen auf eine Zusage hätten - den allerdings Real erhielt. Was waren die Hintergründe?

Fjörtoft: Die kenne ich natürlich, jedoch möchte und darf ich es nicht kommentieren, sorry. (lacht) Das einzige, was ich sage: Die besten Vereine der Welt wollten ihn und die besten Trainer der Welt lobten ihn. Das ist das größte Kompliment, das ein 16-Jähriger erhalten kann. Real ist eine gute Entscheidung, die Bayern wären es aber auch gewesen.

SPOX: Wie stark ist Ödegaard wirklich?

Fjörtoft: Wir haben ihn im Sommer ganz bewusst zur A-Nationalmannschaft eingeladen, um zu sehen, wie er mit dem Druck von außen und von innen umgeht. Als wir sahen, was für ein Super-Typ er ist und wie er sich innerhalb des Teams eingefügt hat, wussten wir, dass er im Seniorenbereich keine Probleme haben wird, deswegen kam er gleich zu seinem Debüt. So viel zu seinen Qualitäten. (lacht)

SPOX: Sein Vater Hans Erik Ödegaard erzählt, dass sein Sohn vor allem so gut geworden sei, weil er seit der Kindheit doppelt so viel trainieren würde wie die anderen Nachwuchsspieler.

Fjörtoft: Dass Martin weiter ist als die Gleichaltrigen, hängt nicht nur mit Talent zusammen, sondern auch mit der Anzahl der Trainingsstunden. Das ist eine der Gründe, warum wir so froh über ihn sind. Mit seiner Einstellung und seinen Werten ist er ein großes Vorbild für jeden Jugendlichen.

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SPOX: Sie waren Teil der goldenen Generation der 90er Jahre, als Norwegen zur Weltelite zählte, obwohl die Nationalmannschaft über keinen einzigen Superstar verfügte. Mit Ödegaard gibt es plötzlich ein Wunderkind, auf das sich alles konzentriert. Fluch oder Segen?

Fjörtoft: Ich verstehe die Frage. Wir hatten damals zwar mit Rune Bratseth einen der besten Spieler der Bundesliga, mit Stig Inge Björnebye den langjährigen Linksverteidiger von Liverpool und darüber hinaus ein Dutzend Spieler in der Premier League - aber wir definierten uns klar über das Kollektiv. Dennoch könnte es gut sein, jetzt über starke Einzelspieler zu verfügen wie Ödegaard oder Mats Möller Daehli. Sie sind die Identifikationsfiguren für die neue Generation. Trotzdem wird Norwegen nie wie Schweden sein, bei denen Zlatan Ibrahimovic so viel besser ist als der Rest. Norwegens Fundament bleibt das Kollektiv.

SPOX: Der ehemalige Nationaltrainer Egil Olsen gilt als Urvater des kollektiven Gedankens, für den er das ideale taktische Gerüst entwarf. Unter ihm wurde die Nationalelf erstmals wettbewerbsfähig, so dass Norwegen 1993 und 1995 sogar Zweiter in der FIFA-Weltrangliste war. Wie gelang ihm das?

Fjörtoft: Dank Egil Olsen waren wir in den 90ern der Vorreiter einer taktischen Entwicklung: Wir hatten einen überragenden Abwehrblock und konnten unheimlich schnelle Konter fahren. Dagegen hatten viele Teams kein Rezept und Egil Olsen gab uns so viel Selbstvertrauen, dass wir geglaubt haben, wirklich jeden schlagen zu können. Man muss sich das mal vorstellen: Für die WM 1994 wurden wir in eine Qualifikations-Gruppe mit England, den Niederlanden, Polen und der Türkei gelost - und wir wurden Erster. Uns gelang es, in einem Wintersport-Land erstmals eine Fußball-Begeisterung auszulösen. Aber wie es so ist: Wenn man erfolgreich arbeitet, wird es von den anderen kopiert und der Wissensvorsprung verringert sich stetig, bis eine neue Bewegung entsteht. SPOX

SPOX: Wie sehr ähnelt Per-Mathias Högmo seinem ehemaligen Chef Olsen?

Fjörtfot: Nicht sonderlich, sie sind schon unterschiedlich. Es ist fast 20 Jahre her, dass Per-Mathias unter Egil Jugend-Nationaltrainer war. Es würde ohnehin keinen Sinn machen, Egil imitieren zu wollen, immerhin ist er der erfolgreichste norwegische Trainer alle Zeiten. Per-Mathias besitzt ein eigenes Profil. Er ist ein harter Arbeiter, der international vielleicht nicht so bekannt ist, dennoch schon erstaunliche Erfolge gefeiert hat. Er wurde mit Norwegens Frauen-Nationalmannschaft Olympia-Sieger, erreichte mit Tromsö den Europapokal und arbeitete bei Rosenborg. Und vor allem versteht er etwas von Leadership. Er hat keine Angst, die stärksten Leute um sich zu versammeln, um im Sinne der Sache die Mannschaft bestmöglich zu reformieren.

SPOX: Teil dessen war die überraschende Ernennung des Berliners Per Ciljan Skjelbred zum neuen Kapitän. Warum er?

Fjörtoft: Pers Karriere ist sehr interessant. Früher war er das größte Talent des Landes, erlitt dann viele Verletzungen - und kämpfte sich trotzdem immer zurück. Deswegen haben wir ein Zeichen gesetzt, indem wir ihm zum Kapitän machten. Er arbeitet hart und besitzt eine tolle Einstellung zum Beruf und zum Leben an sich. So sollte jeder junge Spieler ticken. Und mit Berlin spielt Per für den richtigen Verein, wo er viel Verantwortung bekommt und so für uns noch wertvoller wird.

SPOX: Es ist auffällig, dass viele Norweger in Deutschland unter Vertrag stehen, aus dem erweiterten Kader sind es derer elf. Zufall? Oder machten Sie Ihren Einfluss als bestens vernetzter Ex-Bundesliga-Profi geltend?

Fjörtoft: Nein, nein. Wir versuchen nur, den Spielern als Ratgeber zur Seite zu stehen. Sie wissen, dass wir anders als die Berater keinen Cent an einem Wechsel verdienen und wir im Gegensatz nur das Beste im Blick haben, weil wir als Nationalmannschaft am Ende profitieren, wenn der Spieler sich im Verein entwickelt. Und wenn es der Nationalmannschaft gut geht, geht es auch den Spielern gut, weil sie sich so interessant machen für die großen Klubs. So lief es mit der Schweiz, Österreich und vor allem Belgien: Diese Länder hatten Erfolg mit der Nationalmannschaft und so wurden die Spieler immer umworbener. Wir sind auf dem Weg, uns langsam mit diesen Ländern vergleichen zu können.

SPOX: Ist Freiburg der richtige Verein für Mats Möller Daehli, dem zweiten norwegischen Supertalent neben Ödegaard?

Fjörtoft: Ich kenne Mats, seit er sechs Jahre alt ist. Er hatte schon gegen meinen Sohn in der Jugend gespielt und ich riet ihm zu Freiburg. Er kommt in die Bundesliga, was an sich schon gut ist. Und Freiburg ist perfekt für ihn: Trainer Christian Streich setzt auf junge Spieler und sein Fußball passt zu Mats. Es wird spannend: Ich glaube, dass Mats zu einem Hit in der Bundesliga wird!

Mats Möller Daehli im Porträt: Ödegaards Vorgänger

SPOX: Mit dem 16-jährigen Ödegaard und dem 19-jährigen Möller Daehli verfügt das sonst für Defensivspieler bekannte Norwegen plötzlich europaweit über zwei der besten Techniker in ihren Jahrgängen. Hat sich etwas fundamental in der Nachwuchsförderung in Norwegen verändert?

Fjörtoft: Was enorm geholfen hat: Vor einigen Jahren wurde mit dem Bau von Kunstrasen-Plätzen begonnen, so dass die Jugendlichen selbst in den kältesten Ecken Norwegens das komplette Jahr Fußball spielen können. Jetzt erleben wir die erste Welle an Spielern, die davon profitiert haben und zu den Profis durchkommen. Wobei wir uns nicht darauf verlassen dürfen: Wir sind und bleiben ein kleines Land, das nicht gesegnet ist mit einem Überangebot an Talenten. Daher müssen wir mit denen, die uns zur Verfügung stehen, sorgsam umgehen und eine Mannschaft zusammenstellen, die harmoniert und hungrig ist.

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