SPOX: Sie waren Teil der goldenen Generation der 90er Jahre, als Norwegen zur Weltelite zählte, obwohl die Nationalmannschaft über keinen einzigen Superstar verfügte. Mit Ödegaard gibt es plötzlich ein Wunderkind, auf das sich alles konzentriert. Fluch oder Segen?
Fjörtoft: Ich verstehe die Frage. Wir hatten damals zwar mit Rune Bratseth einen der besten Spieler der Bundesliga, mit Stig Inge Björnebye den langjährigen Linksverteidiger von Liverpool und darüber hinaus ein Dutzend Spieler in der Premier League - aber wir definierten uns klar über das Kollektiv. Dennoch könnte es gut sein, jetzt über starke Einzelspieler zu verfügen wie Ödegaard oder Mats Möller Daehli. Sie sind die Identifikationsfiguren für die neue Generation. Trotzdem wird Norwegen nie wie Schweden sein, bei denen Zlatan Ibrahimovic so viel besser ist als der Rest. Norwegens Fundament bleibt das Kollektiv.
SPOX: Der ehemalige Nationaltrainer Egil Olsen gilt als Urvater des kollektiven Gedankens, für den er das ideale taktische Gerüst entwarf. Unter ihm wurde die Nationalelf erstmals wettbewerbsfähig, so dass Norwegen 1993 und 1995 sogar Zweiter in der FIFA-Weltrangliste war. Wie gelang ihm das?
Fjörtoft: Dank Egil Olsen waren wir in den 90ern der Vorreiter einer taktischen Entwicklung: Wir hatten einen überragenden Abwehrblock und konnten unheimlich schnelle Konter fahren. Dagegen hatten viele Teams kein Rezept und Egil Olsen gab uns so viel Selbstvertrauen, dass wir geglaubt haben, wirklich jeden schlagen zu können. Man muss sich das mal vorstellen: Für die WM 1994 wurden wir in eine Qualifikations-Gruppe mit England, den Niederlanden, Polen und der Türkei gelost - und wir wurden Erster. Uns gelang es, in einem Wintersport-Land erstmals eine Fußball-Begeisterung auszulösen. Aber wie es so ist: Wenn man erfolgreich arbeitet, wird es von den anderen kopiert und der Wissensvorsprung verringert sich stetig, bis eine neue Bewegung entsteht.
SPOX: Wie sehr ähnelt Per-Mathias Högmo seinem ehemaligen Chef Olsen?
Fjörtfot: Nicht sonderlich, sie sind schon unterschiedlich. Es ist fast 20 Jahre her, dass Per-Mathias unter Egil Jugend-Nationaltrainer war. Es würde ohnehin keinen Sinn machen, Egil imitieren zu wollen, immerhin ist er der erfolgreichste norwegische Trainer alle Zeiten. Per-Mathias besitzt ein eigenes Profil. Er ist ein harter Arbeiter, der international vielleicht nicht so bekannt ist, dennoch schon erstaunliche Erfolge gefeiert hat. Er wurde mit Norwegens Frauen-Nationalmannschaft Olympia-Sieger, erreichte mit Tromsö den Europapokal und arbeitete bei Rosenborg. Und vor allem versteht er etwas von Leadership. Er hat keine Angst, die stärksten Leute um sich zu versammeln, um im Sinne der Sache die Mannschaft bestmöglich zu reformieren.
SPOX: Teil dessen war die überraschende Ernennung des Berliners Per Ciljan Skjelbred zum neuen Kapitän. Warum er?
Fjörtoft: Pers Karriere ist sehr interessant. Früher war er das größte Talent des Landes, erlitt dann viele Verletzungen - und kämpfte sich trotzdem immer zurück. Deswegen haben wir ein Zeichen gesetzt, indem wir ihm zum Kapitän machten. Er arbeitet hart und besitzt eine tolle Einstellung zum Beruf und zum Leben an sich. So sollte jeder junge Spieler ticken. Und mit Berlin spielt Per für den richtigen Verein, wo er viel Verantwortung bekommt und so für uns noch wertvoller wird.
SPOX: Es ist auffällig, dass viele Norweger in Deutschland unter Vertrag stehen, aus dem erweiterten Kader sind es derer elf. Zufall? Oder machten Sie Ihren Einfluss als bestens vernetzter Ex-Bundesliga-Profi geltend?
Fjörtoft: Nein, nein. Wir versuchen nur, den Spielern als Ratgeber zur Seite zu stehen. Sie wissen, dass wir anders als die Berater keinen Cent an einem Wechsel verdienen und wir im Gegensatz nur das Beste im Blick haben, weil wir als Nationalmannschaft am Ende profitieren, wenn der Spieler sich im Verein entwickelt. Und wenn es der Nationalmannschaft gut geht, geht es auch den Spielern gut, weil sie sich so interessant machen für die großen Klubs. So lief es mit der Schweiz, Österreich und vor allem Belgien: Diese Länder hatten Erfolg mit der Nationalmannschaft und so wurden die Spieler immer umworbener. Wir sind auf dem Weg, uns langsam mit diesen Ländern vergleichen zu können.
SPOX: Ist Freiburg der richtige Verein für Mats Möller Daehli, dem zweiten norwegischen Supertalent neben Ödegaard?
Fjörtoft: Ich kenne Mats, seit er sechs Jahre alt ist. Er hatte schon gegen meinen Sohn in der Jugend gespielt und ich riet ihm zu Freiburg. Er kommt in die Bundesliga, was an sich schon gut ist. Und Freiburg ist perfekt für ihn: Trainer Christian Streich setzt auf junge Spieler und sein Fußball passt zu Mats. Es wird spannend: Ich glaube, dass Mats zu einem Hit in der Bundesliga wird!
Mats Möller Daehli im Porträt: Ödegaards Vorgänger
SPOX: Mit dem 16-jährigen Ödegaard und dem 19-jährigen Möller Daehli verfügt das sonst für Defensivspieler bekannte Norwegen plötzlich europaweit über zwei der besten Techniker in ihren Jahrgängen. Hat sich etwas fundamental in der Nachwuchsförderung in Norwegen verändert?
Fjörtoft: Was enorm geholfen hat: Vor einigen Jahren wurde mit dem Bau von Kunstrasen-Plätzen begonnen, so dass die Jugendlichen selbst in den kältesten Ecken Norwegens das komplette Jahr Fußball spielen können. Jetzt erleben wir die erste Welle an Spielern, die davon profitiert haben und zu den Profis durchkommen. Wobei wir uns nicht darauf verlassen dürfen: Wir sind und bleiben ein kleines Land, das nicht gesegnet ist mit einem Überangebot an Talenten. Daher müssen wir mit denen, die uns zur Verfügung stehen, sorgsam umgehen und eine Mannschaft zusammenstellen, die harmoniert und hungrig ist.
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