Johan Vonlanthen ist reich an Erfahrungen: Mit gerade 27 Jahren deckt er die leidvolle Pallette im Profi-Sport ab. Vom Wunderknaben zum trotzigen Rebellen - dem Schweizer widerfuhr eine groteske Wandlung. Nach einer Auszeit heuerte der offensive Feingeist bei Grasshopper Club Zürich an. Ein Interview über Fallhöhe und Sinnkrise im Fußball, zweifelhafte mediale Episoden, Sektenzugehörigkeit und Zocken mit Arjen Robben.
SPOX: Herr Vonlanthen, seit Sommer leben Sie wieder Ihren Kindheitstraum. Wie fühlt sich der geregelte Profi-Alltag an?
Johan Vonlanthen: Ich habe den Fußball während meiner Auszeit sehr vermisst. Nach derart langer Zeit wieder auf dem Platz zu stehen, tut einfach gut. Speziell bei einem Verein wie Grasshopper Zürich, der ganz vorne mitspielt und die Chance auf das europäische Geschäft hat. Ich genieße es, dabei zu sein und verspüre eine riesige Motivation, nochmal durchzustarten.
SPOX: In diesen Worten schwingt reichlich Demut mit - wonach sehnten Sie denn im Besonderen?
Vonlanthen: Wenn du dein ganzes Leben dem Fußball verschreibst, fehlt dir ohne etwas. Auf dem Rasen zu stehen, die positive Anspannung davor zu spüren, den Wettkampf an sich zu bestreiten, dieses Gemeinschaftsgefühl in der Mannschaft und das professionelle Leben. Ich kann mich gut erinnern, als ich mit elf Jahren in die Schweiz kam...
SPOX: ...und das runde Leder Ihre Integration erleichterte.
Vonlanthen: Genau (lacht). Ich konnte damals überhaupt kein Deutsch, die ersten Wochen in der Schule hatte ich Probleme. Als ich sah, dass in den Pausen im Hof gekickt wird, war ich bald dabei. Plötzlich kamen viele Freunde hinzu. Damals hatte ich nichts anderes im Kopf - leider passierten danach einige Dinge.
SPOX: Im Teenager-Alter prasselten Lobeshymnen auf Sie ein - waren Sie zu jung, um dem schier überdimensionalen Druck standzuhalten?
Vonlanthen: Wir hatten es in Kolumbien nicht gerade leicht, gehörten zur unteren Mittelschicht. Meine Mutter heiratete meinen Stiefvater und wir übersiedelten. Ich sollte in der Schweiz ein normales Leben anfangen. Danach ging alles blitzschnell - wie es in dem Geschäft eben läuft. Ich konnte nichts dafür, dass Journalisten über mich berichteten. Schlagartig war ich das Jahrhundert-Talent. Ich machte in jungen Jahren auf dem Platz vieles richtig. Aber im Umgang mit den Medien hatte ich zu wenig Erfahrung, niemanden um mich herum, der mir helfen konnte.
SPOX: Sie sagten einst: "Mir ist es egal, was andere denken. Ich will überhaupt nicht berühmt sein." Trotzdem wurden Sie fortan belagert und lernten die Begleitumstände der Prominenz kennen - inwiefern schadete Ihnen diese Einstellung?
Vonlanthen: Für uns bedeutete die Aufmerksamkeit komplettes Neuland. Mein Stiefvater war oftmals unterwegs, meine Mutter hatte keine Ahnung vom Fußball und seinen Mechanismen. Ich musste selbst leidvolle Erfahrungen sammeln, hätte mir mit jemandem an der Seite vermutlich einiges erspart. Ich war sehr jung, für diesen medialen Ansturm nicht bereit. Aber ich lernte aus meinen Fehlern. Mittlerweile weiß ich, wie wichtig die Außendarstellung ist und wie ich mich zu präsentieren habe.
SPOX: Vom Rohdiamanten zum trotzigen Rebell - Ihr Bild in der Öffentlichkeit ist geprägt von Ressentiments. Wurde ein falsches Bild gezeichnet?
Vonlanthen: Mein Image in der Schweiz und europaweit war ziemlich kaputt. Zweifellos traf ich falsche Entscheidungen. Ich kommunizierte in der Öffentlichkeit schlecht, behielt viel für mich und förderte damit Spekulationen. Es wurde jede Menge geschrieben und nicht korrekt dargestellt. Dieses Interesse an meiner Person hat mich damals total gestresst. Jetzt wünsche ich mir nichts mehr, als mein Potenzial auszuschöpfen und es im Fußball nochmals zu bringen. Die Öffentlichkeit soll mich als normaler Profi betrachten, der seinen Weg gehen möchte.
SPOX: Mit 16 Jahren debütierten Sie bei den Young Boys Bern, stiegen 2004 zum jüngsten EM-Torschützen empor. Anschließend entwickelte Ihre Karriere eine negative Eigendynamik - warum?
Vonlanthen: Ich wechselte zu PSV Eindhoven, danach kam die Europameisterschaft. Unerwartet durfte ich gegen Frankreich starten, erzielte mit 18 Jahren dieses Tor. In Holland bekam ich aber kaum Chancen. Danach traf ich die falsche Entscheidung. Ich war zu jung, um in die Serie A nach Brescia zu gehen. Ich spielte selten, obwohl ich dachte, meine Minuten zu erhalten. Es kam zum Bruch. Vor der WM 2006 in Deutschland verletzte ich mich -am ersten Tag der Vorbereitung. Ich unterschrieb bei Red Bull Salzburg. Mein Ziel war einfach, regelmäßig zum Einsatz zu kommen und meine Qualität zu zeigen. Bis zur EURO 2008 lief es zufriedenstellend, danach fingen andere Schwierigkeiten an.
SPOX: Und zwar?
Vonlanthen: Beim FC Zürich lieferte ich eine sehr gute Saison, wir spielten auch in der Champions League. Aus dem Nichts kamen diese Gerüchte. Man hat über meine Religion gemutmaßt und es hieß, ich würde am Samstag nicht mehr spielen. Leider ging ich nicht in die Offensive, ließ das unkommentiert und entkräftete sie nicht. Bei Medien, Verein und Leuten in meinem Umfeld herrschte Ungewissheit.
SPOX: Ihnen sagte man eine Sektenzugehörigkeit nach: Siebenten-Tages-Adventisten ist der Samstag heilig, demzufolge hätten Sie kaum Ihrer Berufung nachgehen können. Würden Sie sich im Nachhinein vehementer lossagen?
Vonlanthen: Zuerst war das nicht wahr - ich gehörte nie einer Sekte an. Eigentlich war das eine persönliche Angelegenheit. Jeder Mensch sollte frei über den Glauben entscheiden. In dem Moment, als ich mich nach Kolumbien verabschiedete, wurde etwa vom Karriereende geschrieben. Davon war keine Rede, auch das hätte ich konsequent dementieren sollen. Ich brauchte Ruhe und aus der Ferne konnte ich nicht eingreifen. Mich beschäftigte vieles - das Familiäre, die Religion. Der Abschied war notwendig, um mein Glück zu suchen und ein neues Leben zu beginnen.
Seite 2: Johan Vonlanthen über neue Akzeptanz und Arjen Robben
SPOX: Inwiefern kapitulierten Sie mitunter vor der tendenziösen Berichterstattung?
Vonlanthen: Es war ein Wunsch von mir, irgendwann in der Heimat zu spielen. Meine Familie lebt dort, meine Frau stammt ebenfalls von dort. Ich wollte alle Enttäuschungen, die in mir steckten, nachdem in meiner Karriere viel schief lief, vergessen. Ich konnte nicht mehr, hatte die Liebe am Sport verloren und anderes im Kopf. Leider war Itagüi Ditaires ein großes Missverständnis. Ich nahm mir eine Auszeit. Erst wenn die Kraft und Motivation zurückkehren, ich neue Ziele habe, mit dem Glauben im Reinen bin und weiß, wohin ich gehe, wollte ich zurückkehren. In dieser Zeit haben mir Frau und Kind sehr geholfen.
SPOX: Im Januar 2012 richteten Sie sich mit einem Brief an Ihre Fans: "Jesus hat die Kontrolle über mein Leben genommen." Bei manch Fan schrillten die Alarmglocken, ob dieser bedeutungsschweren Botschaft.
Vonlanthen: Manche Dinge sollte man für sich behalten. Ich wurde falsch zitiert, total aus dem Kontext heraus. Damals glaubte ich, richtig zu handeln. So offen über die Religion zu sprechen, war ein Fehler. Ich möchte nicht darauf reduziert werden, lieber mit dem Sport in Verbindung gebracht werden und mein Talent nutzen. Jetzt bin ich im Kopf bereit, meine Liebe zum Fußball kehrte zurück. Ich konnte mein Privatleben regeln, habe Entscheidungen getroffen. Durch meine Erfahrungen, die ich auf und abseits des Rasens sammelte, habe ich vieles gewonnen. Die letzten Jahre meiner Karriere werde ich auspressen. Das ist ein Neuanfang. Ich hoffe, alles richtig zu machen.
SPOX: Zurück in der Schweiz wurden Sie recht herzlich empfangen und konnten sich Akzeptanz verschaffen - wie wichtig ist diese Geborgenheit?
Vonlanthen: Das freute mich, gibt mir die letzten Prozent. Selbst die Presse berichtete sehr positiv, erleichterte mir das Comeback. Ich wusste nicht, wie sie mich aufnehmen würden. Ob meiner Vorgeschichte und den zwei verlorenen Jahren. Ich sprach über die Vergangenheit - nun muss ich nach vorne schauen Zurückblicken und zu sagen, hätte ich das bloß anders gemacht, bringt nichts. Dafür vergeht die Zeit zu schnell.
SPOX: Wie schwierig ist es für einen hoch veranlagten Profi, sich gegenüber den Rivalen zu profilieren?
Vonlanthen: Vieles hängt im Fußball vom Vertrauen ab. Dem in die eigene Stärke. Und dem Vertrauen des Trainers. Ich arbeite hart daran, mir das zu verdienen. Die Mannschaft ist bestens eingespielt und hat Erfolg. Ich bin zwar dabei - und doch nicht so richtig. Bislang hatte ich kaum Einsätze. Irgendwann möchte ich die Chance erhalten, um mein Können zu zeigen. Je häufiger ich spiele, umso besser werde ich hoffentlich und finde meinen Rhythmus. Wenn ich Minuten in den Beinen habe, kommt der Rest von selbst. Ich habe es mir zwar anders und viel leichter vorgestellt, aber mir bleibt nichts übrig, außer Geduld zu bewahren. Wenn man solange weg vom Fenster war, braucht man eben Zeit, um wieder den Anschluss zu finden.
SPOX: Sie erwähnen den Chefbetreuer- mit Michael Skibbe ist ein Deutscher in Amt und Würden. Fehlt Ihnen seine Unterstützung?
Vonlanthen: Nein, überhaupt nicht. Er sagt mir, ich solle Ruhe bewahren. GC wusste, was sie erwarten konnten. Der Verein steht mir überaus positiv gegenüber, ich fühle den Rückhalt und werde in der Mannschaft akzeptiert. Natürlich will ich mehr spielen, das will jeder Spieler. Aber ich darf nicht glauben, einen Stammplatz garantiert zu bekommen. Das Ziel treibt mich an, ich will es allen zeigen, was ich noch draufhabe.
SPOX: Nach eineinhalbjähriger Abwesenheit kamen Sie sogleich bei einem Spitzenklub unter. Ein Glücksfall, mit dem nicht unbedingt zu rechnen war.
Vonlanthen: Grasshopper beendete die Vorsaison auf Rang zwei, wurde Cupsieger. Ich habe alles getan, um die Verantwortlichen zu überzeugen. Die Medien haben mir durch ihre positive Berichterstattung geholfen, mein Image aufzupolieren. Die Vereine hatten keine Angst, dass ich fußballerisch nicht überzeuge. Ich habe in den Zeitungen gelesen, dass sie vielmehr zögerten wegen meines Charakters. Das hat sich geändert. Was den Fußball betrifft, muss ich es erst bestätigen, dass ich meine Top-Form wieder erreichen kann. Ich möchte zeigen, dass ich alles daran setze, jene Leistung zu bringen, die von mir erwartet wird.
SPOX: Die Erwartungen übertraf zuletzt Bayern München: Mit Arjen Robben verbindet Sie die gemeinsame Zeit bei PSV Eindhoven - besteht noch Kontakt zum Triple-Helden?
Vonlanthen: Nein, ich habe seine Nummer leider nicht mehr (lacht). Wir lebten damals in Eindhoven gemeinsam im Internat und zockten oft Pro Evolution Soccer. Daher kenne ich ihn gut, letztlich ging jeder seinen eigenen Weg. Arjen hat eine großartige Karriere hingelegt, gehört weltweit zu besten Spielern. Unglaublich, was er und der FC Bayern leisten. Die Superstars pushen sich durch den enormen Konkurrenzkampf zu Höchstleistungen. Um ihren Stammplatz zu behalten, gehen sie ständig an ihr Limit. Für einen Fußballer ist das ungemein wichtig.
SPOX: Und wer glänzte an der Play Station im direkten Duell?
Vonlanthen: Er war unglaublich - ich hatte zumeist das Nachsehen. Ich weiß nicht, ob er mehr Zeit hatte. Womöglich lag es daran, dass ich erst in Eindhoven damit anfing. Ich war 17, er zwei Jahre älter. Es war erstaunlich, was er für Tricks herauszauberte. Wie heutzutage auf dem Platz.
Johan Vonlanthen im Steckbrief