Fußball-Kolumne: Darum sitzt der FC Bayern in der Hernandez-Falle

Martin Volkmar
18. Februar 202216:37
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Lothar Matthäus hat ausgesprochen, was beim FC Bayern hinter den Kulissen schon länger ein Thema ist: Dass das hohe Gehalt von Lucas Hernandez zu übergroßen Begehrlichkeiten der anderen Spieler geführt hat, was Vertragsgespräche deutlich erschwert. Die Hintergründe in der Fußball-Kolumne.

Lothar Matthäus hat den Finger in die Wunde gelegt, davon ist der langjährige Kapitän des FC Bayern jedenfalls überzeugt.

Deshalb antwortete er auch prompt auf die "Watschn", die ihm nach Interpretation der Bild-Zeitung am Mittwochabend von seinem ehemaligen Teamkollegen Hasan Salihamidzic verpasst worden war.

"Lothar muss natürlich etwas sagen, er ist ja Experte. Es interessiert mich aber nicht, was er sagt", erklärte der FCB-Sportvorstand vor dem Champions-League-Spiel in Salzburg: "Was Lothar sagt, ist mir vollkommen Wurscht."

FC Bayern: Matthäus kritisiert Upamecano und Hernandez

Zuvor hatte der Rekordnationalspieler mit sehr deutlichen Worten die akuten Defensivprobleme der Bayern angesprochen, die nach der 2:4-Pleite in Bochum auch beim 1:1 gegen den österreichischen Meister wieder erkennbar waren. Und Matthäus hatte dabei vor allem zwei Franzosen im Visier, die zusammen immerhin 122,5 Millionen Euro Ablöse gekostet haben.

Dayot Upamecano wirke wie ein "Fremdkörper" und Rekordeinkauf Lucas Hernandez "spielt zu viel Foul und kommt oft zu spät in die Zweikämpfe", meinte der TV-Experte: "Beide haben sehr viel Geld gekostet und es wird zu Recht sehr viel von ihnen verlangt. Beide wirken unsicher und das überträgt sich auf die Mitspieler."

Nach dem 2:4 in Bochum hat Matthäus Upamecano und Hernandez deutlich kritisiert.imago images

Matthäus: Salihamidzic will auch sich selbst schützen

Beim deutschen Rekordmeister ist man über diese und andere Einlassungen in der letzten Zeit "not amused", das hat auch der Routinier mitbekommen. "Die Kritik an der Abwehr tut ihm weh, da Hasan weiß: Es ist die Wahrheit", ist Matthäus daher überzeugt: "Er will nicht nur die Spieler, sondern auch sich selbst schützen, da er für die Transfers verantwortlich ist. Und das verstehe ich."

Nicht wenige Beobachter verweisen etwa darauf, dass Hernandez auch im dritten Jahr noch weit von einer Rolle als Abwehrchef entfernt sei, obwohl man dies angesichts der Bundesliga-Rekordablöse von 80 Millionen Euro durchaus erwarten könne. Schließlich sei der Weltmeister von 2018 der viertteuerste Abwehrspieler aller Zeiten und der nur unwesentlich teurere Virgil van Dijk (84,5 Millionen Euro Ablöse) habe den FC Liverpool bereits in seiner ersten vollen Saison 2019 zum Champions-League-Titel geführt.

Salihamidzic stehe daher unter Druck, erklärte Matthäus: "Bei Hernandez und Upamecano passen Preis und Leistung einfach nicht zusammen, zudem könnte Hernandez die Gehalts-Struktur in der Mannschaft durcheinander gebracht haben."

Matthäus: Gehaltsgrenze für Hernandez nach oben gelegt

Damit hat Matthäus offenbar einen wunden Punkt getroffen. Bei einem Termin von Interwetten ging er Anfang der Woche noch mehr ins Detail. Der FC Bayern habe "die Gehaltsgrenze durch den Vertrag mit Hernandez etwas nach oben gelegt. Wenn ein Spieler zum FC Bayern kommt, der vielleicht nicht so performt, wie man es erwartet hat und man weiß, was er verdient, dann sagen auch die anderen: Wir wollen minimum das Gleiche verdienen", erklärte der 60-Jährige.

Vor kurzem hatte er bei Sky90 präzisiert: "Ein Problem ist Lucas Hernandez. Er hat 80 Millionen Euro gekostet und soll 20 Millionen Euro im Jahr verdient. Daran orientieren sich andere Spieler."

Der kicker hatte im Frühjahr 2020 sogar mit Verweis auf mehrere seriöse Berater über ein Gehalt von 24 Millionen Euro berichtet, was sowohl der FC Bayern als auch Hernandez' Agent vehement zurückgewiesen hatten. Dennoch gehört der Abwehrspieler, der bei Atletico Madrid Medien zufolge vier Millionen Euro netto bekam, seit seinem Transfer im Sommer 2019 zu den Topverdienern in München und erhält Schätzungen zufolge wohl immerhin rund 17 Millionen Euro.

Hernandez: Bayern und Berater dementieren Gehalt

Damit verdiente er zunächst offenbar sogar mehr als Kapitän Manuel Neuer und dessen Stellvertreter Thomas Müller vor deren beider letzten Vertragsverlängerungen im Frühjahr 2020. Entsprechend groß soll vorher die Unruhe in der Kabine gewesen sein. Die Bild-Zeitung vermeldete damals, dass Salihamidzic den Profis in Einzelgesprächen habe erklären müssen, dass die 24-Millionen-Info des Fachmagazins falsch sei.

Gleichwohl sollen sich die meisten Leistungsträger bzw. deren Berater seitdem in den Verhandlungen auf Hernandez' Entlohnung berufen und die 20-Millionen-Marke als Ziel gesetzt haben. Bei Spitzenverdiener Robert Lewandowski, Müller, Neuer sowie offenbar auch Joshua Kimmich scheint dies den Schätzungen zufolge gelungen zu sein.

Die seitdem ebenfalls getroffenen Vereinbarungen mit Leroy Sane, Leon Goretzka und zuletzt Kingsley Coman liegen übereinstimmenden Medienberichten knapp darunter, wären dann aber immer noch teilweise fast doppelt so hoch wie deren vorherige Gehälter.

Bayern-Insider: "Hernandez hat das Gehaltsgefüge gesprengt"

"Bayern sitzt in der Hernandez-Falle. Er hat das Gehaltsgefüge gesprengt", sagt ein Insider. Denn jeder Topspieler erwarte nun bei Vertragsverlängerung eine signifikante Erhöhung, die in der Summe angesichts der Millionenverluste des Vereins durch die Corona-Pandemie umso stärker ins Gewicht fallen würde.

Das sei auch der Hauptgrund für die derzeit stockenden Verhandlungen mit Lewandowski, Müller und vor allem Serge Gnabry, der angeblich derzeit noch knapp unter zehn Millionen Euro liegen, sich aber künftig auf dem Gehaltsniveau seiner Offensivkollegen Coman und Sane sehen soll. "Ich glaube, das wird wirtschaftlich ein Kraftakt, den der FC Bayern stemmen muss", sagte Matthäus zu den Gesprächen mit dem Quartett.

Dementsprechend haben die Bayern zuletzt die Spieler, bei denen ihnen das Preis-Leistungs-Verhältnis zu hoch erschien, ablösefrei ziehen lassen. So geschehen bei David Alaba, dessen umtriebiger Berater Pini Zahavi ebenfalls mindestens 20 Millionen Euro gefordert haben soll, und aktuell Niklas Süle.

FC Bayern: Mannschaft "genervt" über Abgang von Süle

Die Trennung vom 26-Jährigen, der im Sommer zu Borussia Dortmund wechselt, ist in der Mannschaft allerdings alles andere als positiv aufgenommen worden. "Wir sind alle genervt, dass Niklas geht", gab "Klassensprecher" Neuer kürzlich offen zu. Auch von Julian Nagelsmann weiß man, dass er den Abschied seines einstigen Hoffenheimer Schützlings bedauert.

Nicht ohne Grund hat Süle diese Saison die meisten Pflichtspiele aller Innenverteidiger bestritten, worauf der BVB in seiner Pressemitteilung über den Neuzugang dann auch explizit hinwies. Zudem ist er laut Statistiken der zweikampfstärkste und hinter Upamecano der zweitschnellste Innenverteidiger im Bayern-Kader und hat nach Ansicht vieler Experten auch die beste Spieleröffnung der Hintermannschaft.

Nagelsmann war und ist zudem davon überzeugt, dass er wie schon in Hoffenheim, wo er Süle zum Nationalspieler machte, dessen immer wieder auftretende Fitness- und Gewichtsprobleme in den Griff bekommen hätte. Stattdessen muss der Chefcoach wie schon sein am Ende frustrierter Vorgänger Hansi Flick relativ tatenlos zusehen, wie die Substanz und die Tiefe des Kaders seit dem Triple-Triumph 2020 immer weiter reduziert wird.

Nagelsmann: Keine Einigung mit Bossen über Neuzugänge

Daher hätte er auch gerne schon im Winter auf dem Transfermarkt zugeschlagen, wie er selbst zugab. "Ich bin ein großer Fan von Winter-Transfers", sagte Nagelsmann, fand aber aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine Zustimmung bei Salihamidzic und Vorstandsboss Oliver Kahn: "Es muss ein gemeinschaftlicher Konsens bei allen beteiligten Personen herrschen, der war aber im Winter nicht da und deshalb haben wir nichts gemacht."

Entsprechend wächst der Unmut bei Nagelsmann, weil ihm angesichts der zahlreichen Ausfälle praktisch seit Saisonbeginn immer wieder die Alternativen fehlen. Süffisant reagierte der 34-Jährige deshalb auch auf die jüngsten Vorwürfe des Ehrenpräsidenten. "Ich habe gehört, dass die Stimmung in der Mannschaft sehr gut ist - vielleicht zu gut, es gibt zu wenig Reibung", sagte Uli Hoeneß nach der Pleite in Bochum bei ServusTV.

Nagelsmann: "Reibung, indem man auf Transfermarkt aktiv wird"

Nagelsmanns klare Antwort: "Ich gebe dem Uli absolut Recht. Reibung im Team können wir am Ende selbst herstellen, indem man auf dem Transfermarkt aktiv ist. Natürlich kann man auch intern Reibung herstellen, aber dafür musst du immer ein einheitliches Niveau über die gesamte Kaderstruktur haben."

Viel deutlicher hätte der Trainer seinen Wunsch nach frischem Blut nicht ausdrücken können. Im Idealfall sollen mindestens zwei gelernte Außenverteidiger und ein Innenverteidiger auf Topniveau kommen, zudem eventuell noch ein Ersatz für Mittelfeldspieler Corentin Tolisso, falls man sich wegen dessen erhöhter Gehaltserwartung (siehe oben) auch mit dem im Sommer ablösefreien Franzosen nicht einigen kann.

"Nagelsmann zweifelt am Bayern-Kader", titelte Sport1 am Tag nach dem Salzburg-Spiel, vom dort thematisierten zunehmenden Frust des Übungsleiters angesichts der unbefriedigenden Personallage berichtete auch die Bild-Zeitung. Gleichwohl betonte der Verein das gute Verhältnis zwischen dem Sportchef und seinem wichtigsten Angestellten. "Mit dem Trainer arbeite ich perfekt zusammen und wir machen uns viele Gedanken über den Transfermarkt", sagte Salihamidzic bei DAZN.

FCB: Verhältnis Flick-Salihamidzic als schlechtes Vorbild

Noch allerdings ist Nagelsmann nicht mal acht Monate bei Bayern. Nach ungefähr derselben Zeit im Amt feierte Vorgänger Flick Arm in Arm mit Salihamidzic den Gewinn der Champions League. Weitere acht Monate später war das Verhältnis zwischen den beiden dann so zerrüttet, dass es nach einem kurzen Machtkampf zum Abschied des heutigen Bundestrainers kam.

Spätestens seitdem ist klar, dass sich der Trainer beim FC Bayern hinter der sportlichen Leitung einzureihen hat, zumal Salihamidzic nach wie vor die volle Rückendeckung von Hoeneß genießt. Dennoch heißt das noch lange nicht, dass es angesichts der Defizite in der Kaderplanung nicht auch mit Nagelsmann mittelfristig zu größeren Konflikten kommen kann.

"Brazzo sollte nicht versuchen, bei Misserfolgen die Schuld beim Trainer abzuladen", sagt ein Insider. "Das wird sich Nagelsmann nicht gefallen lassen."