Frankreich hat sich durch einen 4:2-Finalsieg gegen Kroatien zum zweiten Mal zum Weltmeister gekrönt. Die Equipe Tricolore hat in Russland nicht immer berauschenden Offensivfußball abgeliefert. Aber sie war effizient und vermittelte in keinem einzigen Spiel den Eindruck, dass sie schlagbar sei. Deswegen ist die Diskussion um Anti-Fußball Quatsch. Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Jochen Rabe.
Die Belgier sprachen nach dem Halbfinalaus gegen Frankreich das aus, was viele Fans und Experten in den letzten Wochen dachten, schrieben oder lauthals brüllten: Was die Equipe Tricolore spielt, ist Anti-Fußball.
Diese angebliche Anti-Fußball-Mannschaft ist nun Weltmeister. Und das völlig zu Recht. Denn die Diskussion um die destruktive Spielweise und dass der WM-Titel deswegen unverdient sei, geht am Thema vorbei.
Natürlich ist der Frust der Belgier verständlich. Sie sind das Turnier anders angegangen. Sie spielten riskant, offensiv und ansehnlich. Mit diesem Stil erzielten sie die meisten Tore der WM (16). Der Stachel saß nach dem Halbfinale tief, dass sie ausgerechnet gegen eine Mannschaft ausgeschieden sind, die den Sieg in der Schlussphase über die Zeit schleppte. Eine Mannschaft, die ein ähnliches Offensivpotential hat und ebenfalls wild nach vorne spielen könnte, aber eben im ersten Schritt auf Stabilität aus ist, bevor der Blick nach vorne geht.
Frankreich hat effizienten Gewinner-Fußball gespielt
Das Wort Anti-Fußball ist trotzdem albern. Das Gegenteil ist der Fall: Frankreich hat effizienten Gewinner-Fußball gespielt und damit verdientermaßen den Titel gewonnen.
Frankreich wirkte defensiv beinahe immer stabil. Wenn man die Phasen nach dem 1:0 und nach dem 4:2 gegen Argentinien ausklammert, kamen die Franzosen nie ins Schwimmen. Kroatien spielte im Finale eine beeindruckende Anfangsphase und beschäftigte Frankreich. Eine riesige Chance sprang dabei allerdings nicht heraus.
Frankreich wirkte kein einziges Mal schlagbar
Zu keiner Zeit im Turnierverlauf drohten die Franzosen, überrannt zu werden. Sie mussten in der K.o.-Phase kein einziges Mal in die Verlängerung oder sogar ins Elfmeterschießen. Und zu keinem Zeitpunkt, egal in welchem Spiel, wirkte Frankreich schlagbar. Das ist eine große Qualität.
Für diese Selbstverständlichkeit des Siegens hat Trainer Didier Deschamps einiges geopfert. Er spielte mit dem deutlich defensiveren Blaise Matuidi statt wie zu Beginn vorgesehen mit Ousmane Dembele. Er setzte konsequent auf Olivier Giroud, obwohl dieser offensiv als Mittelstürmer keinerlei Torgefahr ausstrahlte. Doch er ackerte eben gegen den Ball und trug seinen Teil zur Stabilität bei. In der Viererkette ließ Deschamps auf den Außenverteidiger-Positionen die gelernten Innenverteidiger Benjamin Pavard und Lucas Hernandez ran, statt die deutlich offensiveren Djibril Sidibe und Benjamin Mendy zu bringen.
All diese Entscheidungen wirken auf den ersten Blick konservativ, fußballverhindernd. Aber Deschamps hat Frankreich so bei zwei großen Turnieren ins Finale und diesmal sogar zum Titel geführt.
Frankreich: Die meisten K.o.-Runden-Tore seit Einführung des Achtelfinals
Außerdem ist es ja auch nicht so, dass Frankreich sein offensives Potential überhaupt nicht genutzt hätte. In der K.o.-Runde erzielte die Equipe Tricolore insgesamt elf Tore. Seit Einführung des Achtelfinals hat niemals eine Mannschaft in den vier entscheidenden Spielen häufiger getroffen. Auch Deutschland vor vier Jahren trotz des 7:1 gegen Brasilien nicht (ebenfalls elf).
Zum Vergleich: Spanien war 2010 auf dem Gipfel der Dominanz. Zwischen zwei EM-Titeln sind sie Weltmeister geworden. Das im Nachhinein verklärende Narrativ erhebt den Fußball, den Spanien seinerzeit spielte, zum absoluten Nonplusultra. Doch ab dem Achtelfinale gewannen sie jedes Spiel mit 1:0. Und Deutschland hat sich vor vier Jahren gegen Algerien durchgewürgt, gegen Frankreich eine umkämpfte Partie knapp mit 1:0 gewonnen, um nach der Gala gegen Brasilien das Finale nach Verlängerung mit dem gleichen Ergebnis zu gewinnen.
WM-Trend: Frankreich erzielte viele Standardtore
Natürlich hat Frankreich auch viele der Tore - vor allem die wichtigen - nach Standardsituation erzielt. Wer das allerdings kritisiert, hat die Entwicklungen im Fußball bei großen Turnieren seit Jahren verpennt.
Bei diesen stellen sich noch deutlich mehr Mannschaften hinten rein als auf Vereinsebene. Und das auf mittlerweile hohem Niveau. Deswegen werden Standards immer wichtiger als Mittel, um den Gegner zu knacken. Es ist kein Wunder, dass die WM in Russland einen so viel höheren Anteil an Standardtoren hat als ihre Vorgänger.
Statt Frankreich vorzuwerfen, bei Standards so gefährlich gewesen zu sein, wäre es der richtigere Ansatz, einen Vorwurf an die Mannschaften zu machen, die Standards vernachlässigten.
Wieso sollte sich Frankreich für das eigene Erfolgsrezept rechtfertigen? Sie haben mit ihrer defensiven Stabilität, ihrem Umschaltspiel, der mannschaftlichen Geschlossenheit und der Stärke bei Standards genau die Stärken gezeigt, die es im heutigen Fußball braucht, um große Titel zu holen. Wer an dieser Stelle in polemische Kritik verfällt, kritisiert vielleicht nicht Frankreich, sondern hat ein Problem mit dem Fußball als Sport. Oder zumindest damit, wie er sich als Sport entwickelt hat und weiterentwickelt.
Frankreich: Der Weg zum WM-Titel 2018
Runde | Gegner | Ergebnis |
Gruppenphase | Australien | 2:1 (0:0) |
Gruppenphase | Peru | 1:0 (1:0) |
Gruppenphase | Dänemark | 0:0 |
Achtelfinale | Argentinien | 4:3 (1:1) |
Viertelfinale | Uruguay | 2:0 (1:0) |
Halbfinale | Belgien | 1:0 (0:0) |
Finale | Kroatien | 4:2 (2:1) |