Das DFB-Team hat keines seiner drei Juni-Länderspiele gewonnen und ein Jahr vor der Heim-EM einen verheerenden Eindruck hinterlassen - die Spieler auf dem Platz, vor allem aber auch Hansi Flick und Rudi Völler bei ihren Analysen. Ein Kommentar.
Als das Pfeifkonzert von den Rängen der Schalker Arena nach der 0:2-Niederlage gegen Kolumbien abgeklungen war, schritt Bundestrainer Hansi Flick zum RTL-Interview am Spielfeldrand. Und dann bekam die völlig desillusionierte deutsche Fußball-Nation eine energische, aufmunternde Rede zu hören. Das Traurige daran war einzig: Sie stammte nicht von Hansi Flick.
"Ich will Hoffnung schüren", sagte TV-Experte Lothar Matthäus mit Blick auf die in einem Jahr beginnende Heim-EM emotional angekratzt, nachdem er entsprechend harte Kritik geübt hatte. Der Rekordnationalspieler verwies unter anderem auf die zuletzt schwierigen Phasen der Bayern- und Dortmund-Spieler, denen es seiner Meinung nach nicht an Qualität, sondern lediglich an Selbstvertrauen mangle. Er verwies auf die gute Leistung dieser Mannschaft bei der WM gegen Spanien, das nun die Nations League gewonnen hat.
Diese Aspekte ändern selbstverständlich nichts am desolaten Bild, das die Nationalmannschaft aktuell abgibt. Nochmal kurz zur Erinnerung: Von den fünf Länderspielen dieses Jahres wurde nur eines gewonnen, im Juni gab es ein 3:3 gegen die Ukraine, ein 0:1 gegen Polen sowie ein 0:2 gegen Kolumbien. Matthäus führte bei seiner Rede aber immerhin Aspekte an, die vor der 81-tägigen Sommerpause der Nationalmannschaft zumindest einen Hauch von Hoffnung vermitteln. Irgendwas, woran sich der Fan festhalten kann.
Flick hörte seinem ehemaligen Mitspieler aufmerksam zu und sagte danach: "Lothar hat das wirklich sehr gut gesagt." Vom Bundestrainer selbst sowie dem Sportdirektor der Nationalmannschaft Rudi Völler war nach Abpfiff dagegen nichts zu vernehmen, was in irgendeiner Form Hoffnung macht - ganz im Gegenteil. Ihre Auftritte waren ähnlich desillusionierend wie das, was die Mannschaft zuvor auf dem Platz gezeigt hatte. Abgesehen von den sportlichen Problemen plagen den DFB auch Kommunikations-Probleme der Protagonisten.
DFB-Team: Hansi Flick flüchtet sich in Floskeln
Flick reihte einmal mehr monoton und emotionslos Floskeln und Durchhalteparolen aneinander und versprach: "Ab September werden wir uns einspielen, dann werden die Ergebnisse kommen." Aber warum sollte dann alles besser werden? Antworten auf diese Frage blieb Flick schuldig - genau wie plausible Erklärungen für seine zurückliegenden Entscheidungen.
Das bisherige Länderspiel-Jahr nutzte der Bundestrainer für personelle und taktische Experimente, die fast nur Misserfolge produzierten und die Mannschaft immer weiter verunsicherten. Am offensichtlichsten die zuletzt getestete Abwehr-Dreierkette, die Emre Can im Nachgang des Kolumbien-Spiels explizit kritisierte. Offensichtlich hätten sich auch die Spieler mehr Kontinuität gewünscht, generell stellten sie sich aber hinter Flick.
gettyDFB-Team: Rudi Völler stellt die Qualitätsfrage
Laut Völler liegt der verheerende Zustand der Mannschaft aber nicht an den Maßnahmen des Trainers, sondern an den Spielern selbst. "Bei dem einen oder anderen fehlt es an der Top-Qualität", kritisierte der Sportdirektor. "Es waren einige dabei, die werden wir vielleicht im September nicht mehr sehen." Aber wer soll sie ersetzen? Wer ist bedeutend besser als die Spieler, die nun im Kader standen? Womöglich Niklas Süle, den Flick und Völler zuletzt unverhältnismäßig kritisierten?
Dass Völler ein Jahr vor der EM die "Qualitätsfrage" stellt, bringt den deutschen Fußball nicht weiter. Bis dahin werden keine besseren Spieler ausgebildet werden können, stattdessen dürften sich die verfügbaren vor den Kopf gestoßen fühlen. Völler macht es sich mit seiner Analyse viel zu einfach. Tatsächlich können seine Aussagen als Selbstschutz und Ablenkung von der Personalie Flick gedeutet werden.
Vor dem Kolumbien-Spiel hatte der Sportdirektor dem Bundestrainer eine Jobgarantie bis zur Heim-EM gegeben. Nachfragen über den Fortbestand dieser Aussage wich Völler anschließend aus, bezeichnete den Trainer stattdessen lediglich als "ärmste Sau" - mit Blick auf Flicks zahlreiche fragwürdige Entscheidungen eine durchaus bedenkliche Annahme. In der Fußball-Öffentlichkeit ist die Debatte über Flicks Zukunft unterdessen längst entbrannt.
"Flick raus" war in der Schalker Arena auf Zetteln zu lesen, wie schon beim 3:3 gegen die Ukraine in Bremen wurden Trainer und Mannschaft auch in Gelsenkirchen ausgepfiffen. Ob ein Trainerwechsel ein Jahr vor der EM auch mit Blick auf mögliche Alternativen tatsächlich die richtige Maßnahme wäre, ist fraglich. Sollte Flick aber doch entlassen werden, müsste sich Völler nach der von ihm ausgesprochenen Jobgarantie eigentlich ebenfalls verabschieden.
Deutschland - Kolumbien 0:2 - Das Spiel im Stenogramm
Deutschland vs. Kolumbien 0:2 (0:0) | |
Tore | 0:1 Luis Diaz (54.), 0:2 Cuadrado (82./Handelfmeter) |
Aufstellung Deutschland | ter Stegen - Wolf (46. Henrichs), Thiaw, Rüdiger, Gosens - Can (66. Füllkrug) - Sane, Goretzka, Gündogan (79. Kimmich), Musiala - Havertz (79. Brandt) |
Aufstellung Kolumbien | Vargas - Munoz, Yerry Mina, Lucumi, Machado - Lerma (77. Barrios), Uribe (90.+4. Castano), Cuadrado (90.+4. Sanchez), Luis Diaz (86. Valoyes), Arias - Borré (77. Cassierra) |
Gelbe Karten | Füllkrug (72.), Henrichs (74.) / Lerma (11.), Lorenzo (36.) |