"Dortmund ist nicht mehr berechenbar"

Fatih Demireli
20. Oktober 201418:26
Koray Günter ist bei Galatasaray bis 2018 unter Vertraggalatasaray / tuncay sen
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Fünf Jahre spielte Koray Günter für Borussia Dortmund, bevor er im letzten Winter zu Galatasaray wechselte. Nun kommt es für den deutschen U-20-Nationalspieler zum Wiedersehen (Mi., 20.45 Uhr im LIVE-TICKER) mit seiner alten Liebe. Im SPOX-Interview spricht Günter über die Rückkauf-Option, die sich der BVB sicherte, über seinen Fast-Trainer Thomas Tuchel und warum er als Kreuzberger Junge durchgeht.

SPOX: Koray Günter, wenn Sie am Dienstagabend Cesare Prandelli zur Seite nimmt und fragt: "Koray, auf was für eine Mannschaft treffen wir da morgen?" - wie würden Sie ihm den BVB beschreiben?

Koray Günter: Als willensstarke Laufmaschine, gepaart mit individueller Qualität auf hohem Niveau.

SPOX: Wie definieren Sie die "willensstarke Laufmaschine"?

Günter: Ich erinnere mich an meine früheren Trainingseinheiten in Dortmund. Da heiß es: "Jungs, heute ist Willenstraining angesagt!" Wenn wir alle nicht mehr können, dann versuchen wir es noch einmal und noch einmal. Noch ein letzter Pass, noch ein letzter Schuss, noch ein letztes Tor, noch einmal den Ball auf der Linie klären. Beim BVB ist immer der Wille vorhanden: egal, ob in der 1., in der 90. oder in der 120. Minute. Immer!

SPOX: Also ist Dortmund der klare Favorit?

Günter: Nein. Wir sind nicht der Underdog, aber die Bilanz des BVB in den letzten Jahren spricht für sich. Wir müssen hoffen, dass wir einen guten Tag erwischen und es Dortmund so schwer wie möglich machen.

SPOX: Galatasaray ist nicht gut in die Champions League gestartet. Das war in den letzten beiden Spielzeiten ähnlich und dennoch ist man beide Male am letzten Spieltag weitergekommen. Lassen Sie es wieder darauf ankommen?

Günter: Eigentlich will keiner offen darüber reden, aber insgeheim hoffen alle, dass sich das Szenario wiederholt. Wenn uns jemand einen Spielfilm vorlegen würde, in dem wir wieder in letzter Sekunde weiterkommen, würde ich das sofort unterschreiben. Für uns zählt das Weiterkommen: Ob schön oder nicht, ist mir egal.

SPOX: Wie war es denn für Sie als Ur-Dortmunder, den BVB auf dem kleinen Zettel bei der Auslosung zu sehen?

Günter: Ich hab's live gesehen und ich habe es mir vorab sehr gewünscht.

SPOX: Warum?

Günter: Damit ich die Jungs wieder sehe. Ich vermisse sie und auch den Verein. Ich hatte eine wunderschöne Zeit in Dortmund. Ich weiß, wo ich herkomme und wo ich aufgewachsen bin. Es ist schön, dass mein Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Es werden zwei tolle Begegnungen, aber ich will mit Galatasaray natürlich siegen.

SPOX: Hängen Sie Dortmund noch nach?

Günter: Dortmund wird immer Heimat für mich sein. Ich habe dem Klub extrem viel zu verdanken. Meine Mitspieler und mein Trainer haben mich als Spieler und Mensch geprägt. Ich konnte von den Jungs sehr viel lernen. Und die Tür steht ja immer noch offen, vielleicht irgendwann zurückzukehren. SPOX

SPOX: Borussia Dortmund hat sich bei Ihrem Wechsel im letzten Jahr eine Option gesichert, Sie 2015/2016 für sieben Millionen Euro zurückkaufen zu können.

Günter: Richtig. Man denkt daran, aber das ist noch weit weg.

SPOX: Nervt es Sie denn, wenn Dortmund einen Matthias Ginter für zehn Millionen Euro holt, der ja auf einer ähnlichen Position wie Sie spielt und den Weg vielleicht versperrt?

SPOX-Reporter Fatih Demireli traf Koray Günter in Istanbulspox

Günter: Natürlich nehme ich das zur Kenntnis. Der Ginter-Transfer macht durchaus Sinn, ein Klub wie Borussia Dortmund darf sich solche Talente nicht entgehen lassen. Der BVB befindet sich seit ein paar Jahren auf dem aufsteigenden Ast und dann muss man solche Spieler verpflichten. Wenn man wie ich selbst den Anspruch hat, in so einer Mannschaft zu spielen, muss man sich dieser Konkurrenz stellen und beweisen, dass man den Platz mehr verdient als die anderen. Man darf es nicht persönlich nehmen, wenn ein Verein für einen Spieler auf ähnlicher Position viel Geld investiert. Die Leistung zählt, ganz egal, ob man eine Million oder zehn Millionen gekostet hat.

SPOX: Glauben Sie, dass Sie von den Dortmunder Chefs beobachtet werden?

Günter: Ich gehe davon aus. Sonst würde es diese Rückkaufoption ja nicht geben. Das heißt aber nicht, dass ich hier für Dortmund vorspiele. Es geht darum, für Galatasaray das Beste zu zeigen.

SPOX: Mit welchen Worten hat Sie denn Jürgen Klopp damals verabschiedet?

Günter: Ganz genau kann ich mich an die Worte nicht mehr erinnern. Sinngemäß sagte er, dass man in Dortmund weiß, was ich kann, dass man ein Auge auf mich werfen und man sich vielleicht wieder sehen wird - wenn die Zeit gekommen ist.

SPOX: Das speichert man ab, oder?

Günter: Man speichert es ab und saugt es auf. Galatasaray ist ein super Verein, der eine klasse Infrastruktur, tolle Fans und ein sehr schönes Stadion hat. Ich habe Galatasaray in kürzester Zeit in mein Herz geschlossen. Ich habe einen langfristigen Vertrag, den ich gerne erfüllen möchte. Das Ziel ist aber immer, und das kann mir keiner nehmen, in Europa zu spielen, wie man hier in der Türkei sagt. So geht es allen anderen Spielern auch.

Seite 2: Günter über Klopps Abschiedsworte und Wunsch-Trainer Thomas Tuchel

SPOX: Ihr erstes Fazit im Sommer fiel positiv aus: Sie sollten bei Galatasaray behutsam aufgebaut werden, spielten unter Roberto Mancini dann aber ziemlich oft. Dessen Nachfolger Cesare Prandelli hat Sie noch nicht eingesetzt. Fällt die aktuelle Bewertung immer noch positiv aus?

Günter: Man kann nicht wirklich zufrieden sein, wenn man nicht spielt. Aber Unzufriedenheit bedeutet nicht, dass man unglücklich ist. Unter Roberto Mancini hat es sehr vielversprechend angefangen, ich bin ja auch hauptsächlich wegen ihm gekommen.

SPOX: Im Sommer hieß es, dass Hannover 96 konkretes Interesse an einer Verpflichtung hat. War es für Sie keine Option, nach Deutschland zurückzukehren? SPOX

Günter: Ich finde es gar nicht so schlecht, gegen Widerstände anzukämpfen. Das tut einem jungen Spieler auch mal gut und prägt einen. Man sammelt Erfahrungen, man wird zu einem Typen. Wenn man nach jedem kleinen Widerstand aufgibt, hat man am Ende der Karriere um die 20 Stationen hinter sich. Man muss auch mal beißen und sich durchsetzen.

SPOX: Deswegen kam Hannover nicht in Frage?

Günter: Ich habe auch davon gelesen, aber wusste nichts von einem Interesse. Es stand für mich außer Frage, hier zu bleiben und meinen Weg weiterzuführen.

SPOX: Wie haben Sie den Abschied von Roberto Mancini erlebt?

Günter: Ich war sehr traurig. Auch wegen meiner eigenen Situation. Aber so ist der Fußball: Trainer kommen und gehen, Spieler kommen und gehen. Darauf muss man gefasst sein. Ich bin nicht nach Istanbul gekommen und hatte die Erwartung, dass Mancini drei Jahre hier ist und mich behutsam aufbauen wird. Im Fußball gibt es keine langfristigen Pläne - das ist ein Tagesgeschäft.

SPOX: Haben Sie damals bei Ihrem Wechsel darauf geachtet, wer Trainer bei Ihrem neuen Arbeitgeber ist? Angebote hatten Sie ja zu Genüge.

Günter: Ich habe keinen bestimmten Trainer gesucht, aber ich habe schon abgewägt zwischen den potenziellen Trainern. Als Galatasaray angefragt hat, war Mancini da: Ein erfolgreicher und erfahrener Mann, der schon bei Manchester City war und dem keiner etwas vorwerfen kann. Er hat auf all seinen Stationen immer junge Spieler herausgebracht. Bei Manchester City hat er einfach mal Matija Nastasic ins kalte Wasser geworfen, der dann seinen Weg gemacht hat. Und Mancini hat so etwas auch bei anderen Vereinen gemacht.

SPOX: Fast wäre statt Prandelli Thomas Tuchel auf Mancini gefolgt. Wäre das für Sie die Ideallösung gewesen? Stichwort: Der Klon von Jürgen Klopp.

Günter: Cesare Prandelli ist ein erfahrener Trainer, der uns gut zu Gesicht steht und uns neue Impulse gibt. Aber Tuchel wäre sicher kein Nachteil gewesen. Es war schade, dass es nicht geklappt hat. Ich hätte mir Tuchel zugegeben schon gewünscht, zumal es uns sicher nicht geschadet hätte, grundsätzlich mal einen deutschen Trainer zu haben, der uns etwas Neues beibringt. Er hätte eine Mannschaft mit deutschen Elementen vorgefunden. Wir hätten ihm helfen können.

SPOX: Mit den deutschen Elementen meinen Sie die zahlreichen deutschsprachigen Spieler im Kader Galatasarays. In der aktuellen Mannschaft sprechen mit Ihnen, Hamit Altintop, Sinan Gümüs, Hakan Balta, Tarik Camdal, Yasin Öztekin, Furkan Özcal und dem Schweizer Blerim Dzemaili gleich mehrere Spieler Deutsch. Steigert das für die "Deutschen" den Wohlfühlfaktor in der Wahlheimat Istanbul?

Günter: Ja. Ich beherrsche die deutsche Sprache in Perfektion. Mein Türkisch ist gut und es reicht, um mich zu artikulieren und es ist besser als das vieler anderer, die aus Deutschland kommen. Aber es ist einfach ein Reflex, wenn man jemanden vor sich hat, der Deutsch kann. Dann kommt es raus. Wieso soll ich nicht Deutsch sprechen, wenn ich es einfach besser kann? Der Draht zu diesen Spielern ist sicher auch etwas anders.

SPOX: Wie kommt das in der restlichen Mannschaft an, wenn im Training auf Deutsch geflachst wird?

Günter: Unser Spaßvogel Yekta Kurtulus sagt immer, dass die Kreuzberg-Jungs wieder da sind, wenn er uns sieht. Oder er sagt: "Schaut, die Ost-Berliner kommen!" (lacht) Es ist aber auch klar, dass wir nicht Deutsch sprechen, wenn wir unter den anderen Spielern sind. Das ist eine Sache des Respekts.

SPOX: Ist Hamit Altintop der große "Abi" (der große Bruder) der Deutsch-Türken?

Günter: Absolut. Er ist unser Godfather (lacht).

SPOX: Für alle Deutsch-Türken im Kader wird das Aufeinandertreffen mit dem BVB etwas Besonderes. Aber es wird auch besonders schwierig. Auf was muss Galatasaray achten, um gegen den BVB zu bestehen?

Günter: Auf unsere Offensive. Aber eigentlich schon auf unser Aufbauspiel. Dortmund bedeutet schnelles Umschalten - Ballgewinn im Zentrum und extrem schnell umschalten. Mit Aubameyang, mit Mkhitaryan, mit Marco Reus, haben sie Spieler, die das in Perfektion umsetzen.

SPOX: Ist Dortmund ohne Robert Lewandowski eigentlich unberechenbarer geworden?

Günter: Eins zu eins kann man Robert nicht ersetzen. Ich hatte das Glück, 2,5 Jahre jeden Tag mit ihm trainieren zu dürfen. Er ist der außergewöhnlichste Stürmer, dem ich je begegnet bin. Ich stimme zu, dass Dortmund ohne klaren Zielspieler nicht mehr so berechenbar ist, weil jeder ins Zentrum reinrutschen kann. Ciro Immobile wurde anfangs in Frage gestellt, aber erinnern Sie sich doch an Lewandowskis erste Zeit: Er kam und hat irgendwann nur noch trainiert, trainiert und gelernt. Dann hat er Lucas Barrios verdrängt und ist richtig aufgeblüht. Vielleicht macht das Immobile auch noch.

Koray Günter im Steckbrief