Christian Fuchs spielt seit 2015 bei Leicester City und hat in seiner Zeit in der Premier League einiges erlebt. Im Interview mit SPOX und Goal erzählt der Österreicher, warum er sich keine ähnliche Überraschung wie Leicesters Titelgewinn 2016 wünscht und spricht offen über den Tod des ehemaligen Foxes-Besitzers Vichai Srivaddhanaprabha.
Außerdem äußert sich Fuchs über seine internationale Fußballakademie und ein mögliches Karriereende und verrät, bei welchem Klub er in der NFL gerne als Kicker anheuern würde.
Herr Fuchs, im SPOX-Interview sagten Sie 2017, dass Sie planen, 2019 zu Ihrer Frau und Ihren Kindern in die USA zu ziehen - was hat sich geändert?
Christian Fuchs: Brendan Rodgers kam nach Leicester und hat mir das Gefühl gegeben, dass er auf mich baut. In der vergangenen Saison habe ich unter ihm 17 Spiele gemacht, in der Saison davor unter Claude Puel hatte ich nur ein Premier-League-Spiel gemacht. Das war damals natürlich nicht zufriedenstellend. Bei Brendan Rodgers habe ich gemerkt, dass ich noch viel lernen kann, obwohl ich so langsam zum Ende meiner Karriere komme. Die Gespräche mit ihm haben mich überzeugt, noch ein Jahr dranzuhängen. Und schließlich noch eins.
Rechnen Sie sich nun womöglich, auch durch den Abgang von Ben Chilwell, noch größere Chancen aus zu spielen oder wie sehen Sie Ihre Rolle genau?
Fuchs: Durch die Europa League, die für uns dazukommt, werden die Spiele in jedem Fall nicht weniger und natürlich rechne ich damit, auf meine Einsätze zu kommen. Dennoch sehe ich meine Rolle zur Vorsaison unverändert. Da ist Brendan Rogders auch jemand, der sehr offen kommuniziert und jeden wissen lässt, wie seine Rolle genau aussieht. Zu mir hat er beispielsweise im letzten Jahr gesagt: "Du bist super professionell und wenn ich dich brauche, stehst du deinen Mann. Du bist nach Chilwell meine zweite Wahl." So war es dann auch und damit kann ich leben.
Demnach wären Sie nun die erste Wahl, oder?
Fuchs: Das kann ich ehrlich gesagt momentan nicht beantworten. Viele Spieler waren durch die Länderspiele nicht verfügbar und haben selbst nach ihrer Rückkehr nicht mittrainiert. Letztlich wird sich mit der Zeit herauskristallisieren, wer spielt. Ich werde mich im Training empfehlen und bin natürlich glücklich, wenn ich spiele.
Wie geht es für Sie nach Ablauf des neuen Vertrags im kommenden Sommer weiter?
Fuchs: (lacht) Diese Frage wurde mir in den letzten Jahren häufig gestellt. Ich will mich da mit keiner Aussage festlegen. Den Plan, den ich mir zurechtgelegt hatte, als ich damals zu Leicester kam, habe ich ja bereits mehrmals geändert. Situationen ändern sich ja immer wieder. Mal schauen, was im nächsten Sommer passiert.
Ist das Karriereende eine Option?
Fuchs: Das sehe ich aktuell ehrlich gesagt nicht kommen. Ich fühle mich zu fit, um einen Schlussstrich zu ziehen. Ich möchte natürlich möglichst lange meine Fußballschuhe schnüren, aber wie lange das genau sein wird, kann ich noch nicht sagen.
Da der Umzug nach New York ja feststeht, wenn auch vom Termin her nicht: Ist die MLS eine realistische nächste Station?
Fuchs: Natürlich ist das eine Option, ganz klar. New York ist ja mit zwei Mannschaften sehr gut aufgestellt und das würde für mich mit meinem Lebensmittelpunkt dort sehr gut passen. Ich kenne auch einige Leute bei diversen Vereinen, weil im US-Fußball jeder jeden kennt. Eine Anfrage gab es aber noch nicht.
imago images / SportimageFuchs über den Tod von Leicester-Besitzer Srivaddhanaprabha
Zurück zu Leicester: Größter Einschnitt der jüngeren Vereinsgeschichte war sicherlich der Tod von Besitzer Vichai Srivaddhanaprabha. Wie haben Sie von dem Helikopterabsturz erfahren?
Fuchs: (kurze Pause) Puh, das war ein Abend, den ich sicher nie vergessen werde. Wie genau ich es erfahren hab, kann ich so genau gar nicht sagen. Ich muss gestehen, dass ich da nur schwarz sehe. Ich weiß nur, dass es eine ewig lange Nacht war, in der ich natürlich versucht habe, möglichst schnell an Informationen heranzukommen. Ich bin auch sehr lange im Dunkeln getappt, weil es keine Informationen gab - weder offiziell, noch vom Verein oder aus den Medien. Es war eine sehr schlimme Nacht. Ich war, als es passiert ist, nicht mehr im Stadion, sondern in einem Hotel in Leicester. Das ist kein Hotel, an das ich mich gerne erinnere.
Ab wann wussten Sie, dass Srivaddhanaprabha verstorben ist?
Fuchs: Ich hatte natürlich im Hinterkopf, dass es da eigentlich kein Entkommen gibt. Es ging letztlich nur um die Gewissheit. Die Chancen bei einem Helikopterabsturz kann man ja einschätzen. Das Schlimmste war, dass wir eine Zeit lang keine offizielle Bestätigung hatten. Das hat am meisten genagt.
An die Tage danach kann ich mich nur sehr bruchstückhaft erinnern, weil das auch etwas ist, das man ein bisschen verdrängen will.
Mit etwas Abstand: Was haben Sie aus der Tragödie für Ihr Leben mitgenommen?
Fuchs: Dass niemand vor solchen Schicksalsschlägen sicher ist. Ich schätze seitdem alles, was ich habe, noch mehr, meine Familie, mein Umfeld, meine Kollegen. Mir wurde bewusst, was mir eigentlich alles geboten wird und dass das alles von einer auf die andere Sekunde ausgelöscht werden kann. Die Lehren, die ich daraus mitgenommen habe, erden mich. Ich habe gelernt, dass Kleinigkeiten eigentlich viel mehr wert sind als alles andere.
Wie hat das Unglück den Verein verändert?
Fuchs: Dadurch, dass sein Sohn bereits die Geschicke zusammen mit ihm geleitet hat, hat sich nicht viel verändert, außer dass wir noch mehr füreinander da waren. Wir sind noch enger zusammengerückt. Die Spiele, die wir danach absolviert haben, waren so etwas wie eine Therapie für uns.
Gerade weil Vichai und seine gesamte Familie für ein so familiäres Umfeld gesorgt haben, war es natürlich viel schwieriger für uns, mit diesem Schicksalsschlag umzugehen. Vichai war wie ein Vater für uns und das trägt man natürlich noch mit sich rum. Auch heute habe ich das noch im Hinterkopf und das beschäftigt mich weiterhin.
Zum Sportlichen: Mit Leicester City ging es nach einem zwölften und zwei neunten Plätzen in der vergangenen Saison wieder bergauf, auch wenn die Champions League knapp verpasst wurde. Wie wird sich der Verein in den kommenden Jahren entwickeln?
Fuchs: Wir haben uns in den vergangenen eineinhalb, zwei Jahren richtig gut entwickelt, gerade was das fußballerische angeht. Lange haben wir von Kontern gelebt, mittlerweile dominieren wir den Platz über Ballbesitz. Als Spieler auf dem Platz fühlt sich das sehr gut an. Natürlich hat sich aber auch die Erwartungshaltung verändert.
Ist die Champions League das erklärte Ziel in der kommenden Saison?
Fuchs: Nee, überhaupt nicht. Wir haben als Mannschaft zwar Ziele, die wir nicht öffentlich kommunizieren, letztlich hängt aber nicht alles an der Qualifikation für die Champions League. Dieses Ziel haben nur die Top 6. Dass wir dauerhaft zu diesen Mannschaften vorstoßen, ist allerdings mittelfristig ein realistisches Ziel, denke ich.
Fuchs über seine internationale Fußballakademie
Sie besitzen eine international agierende Fußballakademie. Wie kann man sich das vorstellen?
Fuchs: Wir arbeiten in Österreich, England und den USA im Moment mit rund 400 Spielern verschiedener Altersklassen. Ziel ist, Spielern die Chance zu geben, bereits früh professionelles Training zu bekommen. Unsere Philosophie ist dabei natürlich sehr geprägt durch meine Erfahrungen als Profi, ich versuche die besten Sachen von jedem Trainer, den ich hatte, an die Jungs weiterzugeben.
Sind Kooperationen mit Vereinen geplant, bei denen die Jungs langfristig unterkommen können?
Fuchs: Da sind wir gerade dran, weil das die Basis für unsere Spieler nochmals verbessern würde. Wir haben mit einigen Vereinen eine, würde ich sagen, Halb-Kooperation.
Aktuell haben wir zu jedem Verein in der Premier League und der Championsship über die Sportdirektoren Kontakt. Die gucken sich die Spieler an, so haben die Jungs aus Amerika und Österreich die Chance, nach England zu kommen.
Fuchs: "Ich würde ausschließlich zu den NY Giants gehen"
Neben Fußball wird in Ihrer Akademie auch Football gespielt. Sie erwägten bereits häufiger eine Zweitkarriere als Kicker in der NFL. Wie sehen Ihre aktuellen Pläne diesbezüglich aus?
Fuchs: Natürlich hatte ich bei der Gründung der Fox Football Academy gewisse Hintergedanken. (lacht) Spaß beiseite: Das ist momentan der ungewisseste aller meine Pläne nach der Karriere. Aber ich werde es dennoch versuchen. Vor drei, vier Jahren hatte ich mal ein Probetraining mit einigen Kicker-Coaches in London und da wurde mir bescheinigt, dass ich das sehr gut gemacht habe. Die waren verblüfft, wie gut ich das ohne spezielles Kicking-Training schon konnte. Das Potential ist also da, aber das steht noch in den Sternen.
Welcher NFL-Klub soll es werden?
Fuchs: Sollte es klappen, würde ich ausschließlich zu den NY Giants gehen.
Als wäre das alles nicht schon genug, sind Sie, wie Sie einmal sagten, dank eines Gedankenanstoßes Ihres Sohnes auch im eSport unterwegs. Inwieweit werden FIFA und Co. das Bild von Sport in seiner Generation verändern?
Fuchs: Da ist im Moment sehr viel in der Entstehung. Ich denke, es ist auch ein kultureller Faktor, dass Technologie mittlerweile ein großer Bestandteil unseres Lebens ist. Jeder ist ja ein bisschen am gamen, selbst wenn es nur Solitär ist. Wenn du am Smartphone ein Spiel spielst, ist das schon eSport. Das ist die Zukunft. Und das kann eine Chance sein: Ich kenne beispielsweise die Geschichten von einigen Jungs, die eigentlich Fußballprofi werden wollten und als sie das nicht geschafft haben, haben sie angefangen, professionell FIFA zu spielen. So konnten sie dennoch ein Teil eines professionellen Vereins werden und ihren Traum auf eine andere Art verwirklichen.
Liegt in dieser Chance nicht auch die Gefahr, dass junge Menschen sich nicht mehr auf ihre reale Karriere, sondern von Anfang an auf den eSport konzentrieren?
Fuchs: Die Gefahr sehe ich nicht. FIFA beispielsweise ist meiner Meinung nach finanziell noch nicht reizvoll genug. Abgesehen vom Weltmeister in Fortnite ist das Gaming noch nicht so lukrativ. Man kann davon leben, ohne Frage, aber 99,9 Prozent haben einen regulären Job und spielen nebenbei eSport.
Der Trend allerdings geht eher in die Richtung, dass die Preisgelder steigen..
Fuchs: Definitiv. Ich sehe es allerdings nicht unbedingt als Gefahr, dass Spieler sich für FIFA entscheiden, statt Profifußballer zu werden. Ich denke, der Reiz, sich in Richtung Profifußball zu orientieren ist größer als in die andere Richtung.
Was würden Sie machen, wenn Ihr Sohn zu Ihnen kommen würde und sagen würde: 'Ich höre auf mit Fußball und konzentriere mich auf FIFA'?
Fuchs: Dann würde ich ihm zeigen, was er mit FIFA wirklich verdienen kann und dann würde er schnell umdenken. Es ist definitiv eine reizvolle Sache, aber nicht so, dass du das als Hauptjob machen kannst.
Fuchs: "Ich brauche etwas abseits des Fußballs"
Sie haben einmal gesagt, all die unternehmerischen Tätigkeiten würden Sie nicht vom Fußball ablenken, sondern dafür sorgen, dass sich Fußballspielen wie eine Befreiung anfühlen würde. Das müssen Sie erklären.
Fuchs: Weil es einfach ist. Auf dem Platz brauche ich nur einem Ball nachjagen, ohne viel nachzudenken. Ich bin als Typ niemand, der nach Hause geht, sich ausruht und die Playstation zum FIFA-Spielen anmacht. Ich brauche Reize, neue Herausforderungen haben mich schon immer interessiert. Aktuell habe ich abseits des Fußballs viele Herausforderungen. Wenn ich dann auf dem Platz nur dem Ball nachlaufen muss, ist das schon sehr erholend für mich und macht mir umso mehr Spaß.
Ist ein Leben als Fußballprofi nicht erfüllend genug?
Fuchs: Ich kann ja nur von mir reden. Ich brauche etwas abseits des Fußballs, in das ich mich reinsteigern kann. Der Fußball ist natürlich dennoch eine Herausforderung. So wie wir spielen, ist sehr viel Spielintelligenz nötig. Die Spieler werden taktisch sehr gefragt. Brendan Rodgers macht viel mit uns, das auch für den Kopf ermüdend sein kann. Mit den Stunden, die ich zu Hause habe, möchte ich dann aber etwas anfangen, um nicht nur beispielsweise bei Netflix rumzuzappen. Während des Lockdowns war es sowieso so, dass ich dann keine neuen Serien mehr hatte und keinen Film, den ich noch nicht kannte.
Ich muss dabei an die vielzitierte Blase denken, in der sich viele Profis bewegen. Ist eine gewisse Eigenständigkeit neben dem Platz wichtig?
Fuchs: Das sehe ich absolut so. Die Vereine sollten den jungen Spielern nicht alles abnehmen, sondern auch mal sagen: "Schau, jetzt musst du das Dokument unterschreiben oder zu dieser und jeder Behörde gehen, um etwas abstempeln zu lassen." Solche Sachen sind nur Kleinigkeiten, aber das ist Lebenserfahrung, die man dadurch auch in kleinen Schritten bekommt.
Fuchs: Havertz und Werner? "Sie werden an sich arbeiten müssen"
Neue Erfahrungen werden auch Timo Werner und Kai Havertz beim FC Chelsea sammeln - was brauchen die beiden, um in der Premier League Fuß zu fassen?
Fuchs: Robustheit. Dass in der Premier League körperbetont gespielt wird, weiß man ja, aber wenn man es dann im Training zu spüren bekommt, ist das schon eine Umstellung. Sie werden an sich arbeiten müssen. Trotzdem traue ich ihnen das zu. Die beiden haben ja in den letzten Jahren bereits auf sehr gutem Level gespielt, auch international. Außerdem verpflichtet ein Verein wie Chelsea keinen Spieler aus Lust und Laune. Die wissen genau, wieso und weshalb sie einen Havertz oder Werner holen und wo sie die Jungs einsetzen.
Um die Meisterschaft wird der FC Chelsea vermutlich dennoch nicht mitspielen, zu stark erscheint die Dominanz von Manchester City und dem FC Liverpool. Ist eine solche Überraschung, wie sie Leicester 2016 gelang, heute überhaupt noch zu wiederholen?
Fuchs: Ich hoffe nicht - dann spricht ja keiner mehr von Leicester. (lacht) Im Ernst: Die Chancen stehen nicht gut. Die Teams da oben spielen einen sehr guten Fußball und sind kaum zu schlagen. Auch bei uns damals war ja eine große Portion Glück dabei. Wir haben zwar immer gut verteidigt, aber letztlich war unsere Chancenausbeute auch sehr hoch. Ob das wieder passieren kann? In den nächsten 100 Jahren vielleicht einmal.
Zum Schluss ein Blick zurück zu Ihrem Ex-Klub Schalke, dessen Spiele Sie ja laut eigener Aussage weiter verfolgen. Sie und viele viele andere Spieler mit hoher Qualität haben den Klub in den letzten Jahren ablösefrei verlassen. Was macht das Management auf Schalke falsch?
Fuchs: Vielleicht verpflichtet man nicht langfristig genug und gibt den Spielern so die Möglichkeit, den Vertrag auszusitzen und dann ablösefrei zu wechseln. Ich denke, man muss als Verein eine Umgebung schaffen, in der sich die Spieler wohlfühlen. Ich kann nur von meinen Erfahrungen hier in Leicester sprechen: Ein Riyad Mahrez hat seinen Vertrag noch mal um drei Jahre verlängert, bevor er dann wirklich zu Manchester City gewechselt ist. Das ist hier Teil der Vereinskultur, die allerdings auch gepflegt werden muss. Der Spieler sollte nicht nur als Spieler, sondern auch als Privatperson mit persönlichen Bedürfnissen abseits des Platzes gesehen werden. Wenn du diese Wertschätzung hast, dann fühlst du dich wohl. Das sind Dinge, die - nicht nur bei Schalke, sondern bei vielen Vereinen - leider häufig nicht an oberster Stelle stehen. Wenn es einem Verein allerdings gelingt, dass die Spieler sich wohlfühlen und mit dem Verein identifizieren, dann kann man davon langfristig auch finanziell profitieren.
War die fehlende Wertschätzung dementsprechend einer der Hauptgründe, wieso Sie Schalke verlassen haben?
Fuchs: Darauf brauchen wir nicht mehr eingehen, das ist Schnee von gestern.