Manchester City 2007: Das irre Jahr, in dem der Grundstein für den Einzug ins Finale der Champions League gelegt wurde

Falko Blöding
29. Mai 202110:00
2008: ManCity-Besitzer Thaksin Shinawatra (.) und die Mannschaft, angeführt von Dietmar Hamann.getty
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Die Jüngeren unter uns kennen Manchester City nur als Titelanwärter in der Premier League und aktuellen Champions-League-Finalisten. Aber das war längst nicht immer so. Einst gab es die Big Four, dahinter den Rest. Doch dann ebnete Thaksin Shinawatra den SkyBlues den Weg an die Spitze.

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Thaksin Shinawatra ist ein Typ, wie ihn sich Journalisten und neutrale Fans wünschen. Einer dieser verrückten Klubbesitzer mit hochtrabenden Ideen, großem Ehrgeiz, viel Geld und wenig Geduld. Der Thailänder war in seiner Heimat erst Polizist und dann ein erfolgreicher Geschäftsmann, der auch in der Politik einen steilen Aufstieg schaffte und sogar Premierminister wurde. 2007 war es allerdings um seinen Ruf nicht sonderlich gut bestellt. Er wurde der Korruption beschuldigt und war vom thailändischen Militär abgesetzt worden. Was er brauchte, war also gute Publicity.

Wie kriegt man die?

Für Shinawatra lag die Antwort auf der Hand: Indem er für knapp 100 Millionen Euro den englischen Traditionsklub Manchester City kaufte.

Der promovierte Kriminologe erwarb einen schlafenden Riesen. Einen Klub mit Tradition und großer Fanbasis, dessen Erfolge allerdings eine Ewigkeit her waren und dessen Mannschaft unter Ex-Trainer Stuart Pearce seit dem 1. Januar in der Vorsaison kein Heimtor mehr gelungen war. Die Stimmung im Klub war dennoch gut. Das Stadion war ein Schmuckkästchen. Die Jugendarbeit galt als vorzüglich, unter anderem standen damals die Nachwuchshoffnungen Daniel Sturridge, Ben Mee und Kieran Trippier in den Startlöchern. Für den Rest, den es brauchte, um in die Phalanx der Big Four (Manchester United, Liverpool, Chelsea und Arsenal) einzubrechen, sollte Shinawatras Kohle sorgen - obwohl sogar Amnesty International gegen den Kauf protestiert hatte.

Manchester City: Shinawatra mit kuriosem Antrittsauftritt

In der Tat schaffte City später den Sprung an die Spitze. Und der Weg wurde auch von Shinawatra geebnet. Aber nicht so, wie im Sommer 2007 viele erwartet hatten. Denn es folgte eines der verrücktesten Jahre, die ein Klub überhaupt erleben kann.

Es begann im Juni 2007, als sich der neue Klubboss in Manchester den Mitarbeitern vorstellte. Shinawatra hängte das Bild eines Hundes an eine Tafel und sagte: "Falls ein Hund bellen kann, gut! Falls er nicht bellen kann, erschießt ihn." Damit waren die Fronten schonmal geklärt, der Besitzer hatte klargemacht, wie er seine Ziele verfolgte. Passend dazu trug sein anwesender Leibwächter einen Gürtel, in dem einige Anwesende tatsächlich eine Waffe vermuteten.

Gemäß Daily Mail beschrieb ein ehemaliger Angestellter den Thailänder so: "Wenn man Thaksin einen Tee kochte, stand er einen Schritt hinter Dir, um zu kontrollieren, was Du hineingegossen hast." Und ein ehemaliges Mitglied der Klubführung schilderte der Sportsmail: "Er war total engagiert. Viele seiner Ideen waren schwachsinnig und es war an uns, ihn davon abzubringen." Das gelang nicht immer. So wurden während des Sommers unter dem Rasen im City of Manchester Stadium tönerne Elefanten und Kristalle vergraben. Shinawatra schaffte Citys violettes Auswärtstrikot mit der Begründung ab, dies sei in Thailand eine böse Farbe, und er wollte durchsetzen, dass thailändische Masseure sich um die seiner Meinung nach "unfitte" Mannschaft kümmerten.

Auch auf dem Transfermarkt sorgte Shinawatra für Furore. Knapp 78 Millionen Euro investierte City 2007/08 in neue Spieler. Eine enorme Summe, wenn man bedenkt, dass der Klub im Jahr zuvor weniger als ein Zehntel davon für Neuzugänge ausgegeben hatte. Neben klugen Transfers wie denen von Mittelfeldmotor Elano oder Außenstürmer Martin Petrov, die von der sportlichen Führung eingefädelt wurden, gab es auch die Wunschtransfers Shinawatras.

Musste gute Miene zum bösen Spiel machen: City-Manager Sven-Göran Eriksson und seine drei Neuzugänge aus Thailand.getty

Shinawatra führt fragwürdige Transferpolitik ein

Er holte drei unbekannte thailändische Spieler ablösefrei nach England. Es standen schließlich Wahlen in der Heimat an und etwas gute Presse konnte da nicht schaden. Das ziemlich talentfreie Trio kam in England an, wurde standesgemäß in der Präsidentensuite des Hilton von Shinawatra empfangen und bekam als Willkommensgeschenk tausende Pfund in bar in die Hände gedrückt. Die Spieler wurden schließlich in die Schweiz und nach Belgien verliehen, wo sie insgesamt sechs Spiele absolvierten.

Ein besserer Neuzugang war da Rechtsverteidiger Vedran Corluka. Der kroatische Außenverteidiger sorgte allerdings nicht nur sportlich für Schlagzeilen: Der Kettenraucher schaffte es, fünfmal in derselben Radarfalle geblitzt zu werden und erklärte dies damit, er habe sie "für Paparazzi" gehalten.

Gute Miene machte zu dem Ganzen Sven-Göran Eriksson. Der Schwede hatte eine Amtszeit als englischer Nationaltrainer hinter sich, die von Misserfolgen und schlechter Presse geprägt gewesen war. Bei City wollte "Horny Sven", wie er damals nur noch spöttisch genannt wurde, seinen Ruf aufpolieren und angesichts der Umstände leistete er hervorragende Arbeit.

Eriksson gab den Old-School-Manager. Er ließ den Spielern die lange Leine, schaute sich regelmäßig Partien des Nachwuchses an und baute Talente ein. Er schaffte eine besondere Beziehung zu Spielern wie Didi Hamann, die abseits des Rasens Probleme hatten.

Shinatrawa forderte den Gewinn der Premier League

Sein besonderer Liebling war Stephen Ireland. Der junge irische Mittelfeldspieler unterzog sich während der Saison einer Haartransplantation, erfand den Tod zweier Großmütter, um nicht zur Nationalmannschaft reisen zu müssen und fragte einen Klubverantwortlichen, ob dieser jemanden finden könnte, der für ihn die Führerscheinprüfung absolvierte. Ein Insider sagte der Sportsmail: "Sven liebte Stephen. Diese Großmutter-Geschichte fand er irrwitzig. Er weinte Tränen vor Lachen darüber."

City gewann die ersten drei Saisonspiele, unter anderem das Nachbarschaftsduell mit Erzrivale United. Shinatrawa verkündete auf einem Event in Thailand: "Im nächsten Jahr wird City genauso sein wie Manchester United." Während United 2008 in Moskau die Champions League gewann, beendete City die Saison auf Rang neun.

Shinawatra hatte Eriksson den Auftrag gegeben, die Premier League zu gewinnen. Und vor den Spielern gab er den Motivator, als er vor einer Begegnung meinte: "Ihr müsst es angehen wie das Finale der Weltmeisterschaft."

City kassierte in der Folge unter anderem eine 0:6-Pleite gegen Chelsea und nistete sich im Tabellen-Mittelfeld ein. Im Februar gelang der zweite Derby-Sieg der Saison gegen United. Das hatte es seit 1970 nicht mehr gegeben! Es geschah zudem am 50. Jahrestag der Flugzeugkatastrophe von München. Eriksson hatte zuvor an die eigenen Fans appelliert, sich respektvoll zu verhalten. Das taten die Anhänger und beide Klubs liefen ohne Sponsoren auf den Trikots auf. Manchester präsentierte sich von seiner besten Seite, für City war der 2:1-Auswärtssieg der Höhepunkt der Saison.

Der finanzielle Kollaps bahnte sich an

Hinter den Kulissen allerdings rumorte es. Shinatrawa hatte große Hoffnungen in die Wahlen in Thailand gesetzt. Seine favorisierte Partei triumphierte in der Tat vor Weihnachten. Doch sein Vermögen von 800 Millionen Pfund blieb eingefroren. Der extrovertierte Boss war nicht mehr flüssig und musste sich insgesamt dreimal Geld vom Ex-City-Vorstand John Wardle leihen, um die Gehälter bezahlen zu können.

Der finanzielle Kollaps bahnte sich an. Zwar wussten bei City nur eine Handvoll Mitarbeiter davon, aber auch die Mannschaft schlitterte in eine Krise. Nach dem Erfolg im Derby gewann City nur noch eine von sieben Partien und im März beschloss Shinawatra kurzerhand, dass er nicht mehr mit Coach Eriksson sprechen wollte. Nach einer 2:3-Heimniederlage gegen Fulham am 26. April folgte Eriksson seinem Chef ins Hotel, um ihn zur Rede zu stellen. Er klopfte vergeblich an die Zimmertür, rief dann einen Mitarbeiter an und sagte: "Dieser A**** redet nicht mit mir."

In all dem Trubel gab es immer wieder Momente, wie sie eigentlich nur der Feder eines Autoren für Comedyserien entsprungen sein können: Nachwuchskeeper Kasper Schmeichel wurde zum Beispiel nach Bangkok geflogen, um der verstorbenen Schwester des thailändischen Königs die letzte Ehre zu erweisen. Abends erlebte Schmeichel Shinawatra beim Karaokesingen. Mit Backgroundsängerinnen, die dessen schiefen Gesang absorbierten, versteht sich.

Immer häufiger war in den englischen Zeitungen von der anstehenden Entlassung Erikssons zu lesen und mittlerweile ging ein Riss durch den Verein. Auf der einen Seite Shinawatra und seine thailändische Administration, die von London aus operierte. Und auf der anderen Eriksson, die Mannschaft und die Fans, welche die Eskapaden ihre Besitzers längst nicht mehr amüsant fanden.

2008: ManCity-Besitzer Thaksin Shinawatra (.) und die Mannschaft, angeführt von Dietmar Hamann.getty

1:8 am letzten Spieltag in Middlesbrough

Berater Pini Zahavi eröffnete Eriksson schließlich vor dem 37. Spieltag, dass dessen Entlassung bevorstand und beim Auswärtsspiel in Liverpool sangen die City-Fans zur Melodie von Pink Floyds "Another Brick in the Wall" "Oy Thaksin, leave our Sven alone" ("Oh, Thaksin, lass unsere Sven in Ruhe"). Ein Protest, der aber nichts mehr brachte.

Vor dem letzten Spieltag suchte Kapitän Richard Dunne das Gespräch mit seinem Noch-Trainer und verkündete, die Mannschaft weigere sich, gegen Middlesbrough anzutreten. Eriksson redete ihm dieses Vorhaben aus. Dunne flog schließlich nach 15 Minuten vom Platz, City bezog beim Tabellen-14. mit 1:8 Prügel und Ireland weigerte sich anschließend, mit dem Mannschaftsbus zurückzufahren. "Es war der schlimmste Moment meiner Karriere", sagte er der Sportsmail später.

Doch damit nicht genug, die Scharade ging weiter. Eriksson und seine Spieler wurden nach dem Ende der Saison auf eine Tour durch Asien geschickt. Klublegende Mike Summerbee bezeichnete dies als "Schande". Eriksson wurde auf dieser Reise mit Shinawatra fotografiert, ohne dass die beiden noch einmal ein Wort miteinander wechselten. Klubdirektor Alistair Mackintosh hatte schließlich die Aufgabe, den Schweden zu entlassen.

Shinatrawa verkaufte Manchester City an Scheich Mansour

Eriksson kümmerte das nicht mehr sonderlich. Bereits in der Kabine nach dem Middlesbrough-Spiel hatte er seinen Spielern erklärt, man werde diese Reise genießen. So begab es sich, dass Stürmer Valeri Bojinov während des zweiten Spiels in Thailand auf der Ersatzbank ein Menü von Kentucky Fried Chicken aß. Hamann kam eines Morgens erst ins Hotel zurück und schlief am Pool ein. Wie er in seiner Autobiographie The Didi Man enthüllte, weckte ihn Eriksson mit zwei Gläsern Champagner in den Händen. Hamann fragte: "Boss, was feiern wir?" Eriksson antwortet: "Das Leben, Kaiser. Wir feiern das Leben." Er ergänzte: "Weißt Du, Kaiser: Ich mag es hier. Ich glaube, ich werde hierher zurückkehren und mit zwei Frauen zusammenleben. Ja, ich glaube, ich brauche zwei wunderschöne Frauen."

Das Ende war nah, kurz nach Eriksson verabschiedete sich auch Shinawatra. Er hatte kein Geld mehr und einer seiner engsten Berater, Pairoj Piempongsant, stand längst in Kontakt mit Scheich Mansour von Abu Dhabi. Dieser kaufte den Klub und zur Saison 2008/09 war ManCity auf einen Schlag der reichste Verein der Welt.

Um Thaksin Shinawatra ist es derweil ruhig geworden. Er ist mittlerweile auch montenegrinischer Staatsbürger, hat in einem halben Dutzend Länder Wohnsitze - und verdiente mit dem Verkauf Citys rund 100 Millionen Euro.

Dieser Artikel wurde erstmals im Dezember 2018 veröffentlicht.