"Die haben den Fußball doch nicht verstanden"

Adrian Fink
22. September 201713:48
Marcell Jansen spielte jahrelang für den HSVgetty
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Marcell Jansen bestritt in seiner Karriere 242 Bundesliga-Spiele und lief 45 Mal für die deutsche Nationalmannschaft auf. In der Jugend von Borussia Mönchengladbach ausgebildet, landete er über die Zwischenstation FC Bayern beim HSV. Nach sieben Jahren beim Dino beendete der Linksverteidiger bereits mit 29 Jahren seine Karriere. Im Interview spricht der heute 31-Jährige über die turbulente Zeit in Hamburg, sein frühes Karriereende und das Thema Geld.

SPOX: Herr Jansen, Sie haben vor wenigen Wochen mit Steffen Henssler ein Restaurant eröffnet. Wie kam es zu dieser Idee?

Marcell Jansen: Nach meiner aktiven Zeit habe ich mich intensiv mit dem Thema Ernährung beschäftigt und wollte ein Restaurant mit gesundem Essen eröffnen. Deshalb bin ich auf Steffen zugegangen, mit dem ich gemeinsam für die HSV-Stiftung "Hamburger Weg" aktiv war. Herausgekommen ist unser Pilot namens Ben Green mit dem Motto "Fast Food kann auch Good Food sein".

SPOX: Außerdem betreiben Sie ein Sanitätshaus und engagieren sich bei verschiedenen ehrenamtlichen Projekten.

Jansen: Ich langweile mich zumindest nicht. (lacht) Die meisten Projekte begleite ich seit Jahren mit viel Herzblut. Daneben betreibe ich mit zwei Partnern eine kleine Beteiligungsgesellschaft, mit der wir in verschiedene Unternehmen aus dem Bereich Sport, Lifestyle und Gesundheit investieren. Seit meiner Jugend habe ich immer versucht, mich so breit wie möglich aufzustellen und mich nicht nur auf Fußball zu konzentrieren. Deshalb habe ich mir im höheren Jugendbereich ein Ultimatum von zwei Jahren gestellt.

SPOX: Und dann hätten Sie das Projekt Fußball für beendet erklärt?

Jansen: Ich hatte keine Angst vor dem normalen Leben. Ich wollte nicht jahrelang herumeiern und hätte dann ein paar Ligen weiter unten gespielt und eine Ausbildung angefangen. Anfangs stand meine Karriere auch tatsächlich auf der Kippe: Ich war drei, vier Mal bei den Profis dabei, dann gab es immer wieder einen Trainerwechsel und zack war ich weg. 2004 durfte ich endlich für Gladbach mein Debüt geben, danach verlief meine Karriere sehr stringent.

SPOX: Wie schwierig ist es, als junger Mensch den ersten angebotenen Vertrag vernünftig einschätzen zu können?

Jansen: Das ist unmöglich. Zum Glück hatte ich mit Gerd vom Bruch von Anfang an einen verantwortungsbewussten Berater, dem ich meine gesamte Karriere blind vertrauen konnte. Das ging so weit, dass er ohne mein Beisein mit den Vereinen verhandelt hat.Vielleicht hätten wir hie und da noch den einen oder anderen Euro herausquetschen können, aber mir war die Lebensqualität immer sehr wichtig. Alle Seiten müssen zufrieden sein und als Spieler muss man zu seinem Vertrag stehen und kann nicht ein Jahr später plötzlich komplett neue Konditionen verlangen.

SPOX: Ihr sportlicher Aufstieg führte Sie 2007 nach 14 Jahren bei den Fohlen zum FC Bayern. Dort erlebten Sie mit dem Double sportlich gesehen die erfolgreichste Zeit und Sie standen trotz monatelanger Verletzung wettbewerbsübergreifend 33 Mal auf dem Platz. Das hatte nicht jeder so erwartet...

Jansen: Ottmar Hitzfeld wollte mich unbedingt haben und im ersten Jahr war ich in meiner verletzungsfreien Zeit unangefochtener Stammspieler. Die kritischen Stimmen haben mich zwar gewundert, aber diese "Expertenmeinungen" waren für mich nie ein großes Thema, weil ich den Wechsel für mich selbst gemacht habe.

SPOX: Als Jürgen Klinsmann 2008 übernahm, wechselten Sie zum HSV. Wie schwer fiel der Abschied bei all den sportlichen Erfolgen?

Jansen: Als mit Ottmar meine Bezugsperson die Bayern verließ und die zweite Saison nicht so erfreulich anlief, habe ich mich für einen Wechsel entschieden. Ich war immer auf der Suche nach der richtigen Mischung aus persönlichem Ehrgeiz und Spaß. Titel alleine machen nicht glücklich, echten Erfolg muss man sich außerhalb vom Fußball holen.

SPOX: Also spielte die Stadt Hamburg eine große Rolle?

Jansen: Der HSV war auch deshalb der richtige Schritt, weil meine Familie viel näher wohnte und die Stadt schnell zu meinem Zuhause wurde. Damals hatte der HSV auch noch eine andere Ausstrahlung. Wir standen zwei Mal im Halbfinale der Europa League und mit der Nationalmannschaft wurde ich Vize-Europameister. Aber gerade in der Zeit, in der es nicht richtig lief, lernt man viel. Läuft sportlich alles rund, verfällt man relativ schnell dem Irrglauben, dass man alles richtig macht.

SPOX: Sie haben beim HSV sowohl das EL-Halbfinale erlebt als auch den Absturz bis hin zur Relegation. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Jansen: Nach meinem zweiten Jahr ist der Verein auseinandergebrochen, Verantwortliche haben sich zerstritten und es wurde mit jedem Jahr komplizierter. Leider hat sich in der Folge kein Team entwickelt, das den alten Mythos HSV wiederaufleben lassen konnte. Du brauchst viele starke Persönlichkeiten, die aber so reflektiert sind, dass sie sich in den Dienst des Gesamtmodells stellen. Erschwerend kam dazu, dass auch auf der Trainerbank keine Ruhe einkehrte. Mich hat es beeindruckt, dass die Stadt und die Fans weiterhin hinter dem Verein standen. Da ich selbst ein sehr loyaler Mensch bin, bin ich dem HSV treu geblieben.

SPOX: Gefühlt gibt es beim HSV seit Jahren immer einen Sündenbock, der sich nach jedem Spiel stellen musste: Einst war es Heiko Westermann, zuletzt Rene Adler und zu Ihrer aktiven Zeit eben auch Sie. Wie haben Sie diese Rolle gesehen?

Jansen: Irgendjemand muss immer seinen Kopf hinhalten, aber in diesem Zusammenhang sehe ich mich nicht als Opfer. Ich übernehme gerne Verantwortung. Aber natürlich hinterlässt so eine Entwicklung Spuren. Rein sportlich gesehen hat mich der Absturz gar nicht so schlimm getroffen, immerhin war ich weiterhin Nationalspieler. Emotional hat mich das aber sehr beschäftigt, weil der HSV für mich nicht nur ein Arbeitgeber war und ich den Verein wieder nach oben bringen wollte.

SPOX: Woran scheiterte das Vorhaben letztlich?

Jansen: Es war sicherlich nicht hilfreich, dass es auf nahezu keiner Ebene Konstanz gab. Die Verträge wurden mit dem Verein eingegangen, aber die Verantwortlichen wechselten häufig und im Zweifel musste ein Manager Spielerverträge ausbaden, die sein Vorgänger ausgehandelt hatte. Ich wünsche dem Verein, dass er das Schritt für Schritt in den Griff bekommt. Die Stadt hat es verdient.

SPOX: Sie selbst haben Ihre aktive Karriere 2015 mit 29 Jahren beendet, weil Sie kein anderes Wappen küssen wollten. Wann haben Sie für sich selbst entschieden, dass es das als Fußball-Profi war?

Jansen: Der HSV ist ein geiler Verein und ich habe bei jedem meiner Vereine volle Identifikation vorgelebt. Ich wusste, dass ich diese Emotionalität bei keinem neuen Verein mehr aufbauen konnte. Alle meckern über den Trend, dass es im Fußball nur noch um Geld geht und ich habe die Mechanismen einfach ignoriert. Ich war ablösefrei, hatte Top-Angebote aus dem Ausland, aber habe nirgends unterschrieben.

SPOX: Hätte Sie die Auslandserfahrung nicht gereizt?

Jansen: Ich bin dankbar für zwölf überragende Jahre. Fußball-Profi ist einer der besten Berufe überhaupt. Aber am Ende war der Reiz nicht mehr groß. Ich wollte einen neuen Impuls setzen und ein neuer Trainer mit einer neuen Taktik wäre kein Reiz gewesen. Meine Leidenschaft hat sich mehr und mehr zu meinen Projekten verlagert. Da hatte ich das Gefühl, Menschen zu helfen und selbst davon die nächsten Jahrzehnte leben zu können. Und zwar nicht finanziell, sondern dass ich jeden Morgen weiß, warum ich aufstehe. Wenn es ums Geld gegangen wäre, hätte ich natürlich weiter spielen müssen, aber seit meiner Kindheit habe ich ein sehr gesundes Verhältnis zu Geld.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Jansen: Ich komme aus einfachen Verhältnissen und meine Eltern haben mir vorgelebt, wie man jeden Tag mit einem Lächeln früh morgens in die Arbeit gehen und ganz normal seinen Job erledigen kann. Ohne Neid auf die anderen und ohne das Gefühl, dass etwas fehlt. Ich habe immer gedacht, dass wir reich wären, obwohl wir das faktisch nicht waren. Ist mir doch scheißegal, ob ich 1000 Euro brutto verdiene oder Geld ohne Ende habe. Mein Beruf muss mir Spaß machen. Wenn Nachwuchskicker davon reden, dass sie Millionär werden, kann ich nur den Kopf schütteln. Die haben den Fußball doch alle nicht verstanden. Fußball ist ein Sport, den liebt man und dann schaut man, wie weit man kommt.

SPOX: Es ist interessant, dass Sie diese Formulierung treffen. Rudi Völler hatte Ihnen ja genau das vorgeworfen.

Jansen: Rudi Völler war ein Einzelfall, weil er die Hintergründe überhaupt nicht kannte. Wir haben das aus der Welt geschafft, aber letztlich war mir auch egal, was Rudi Völler denkt. Was soll ich denn machen? Soll ich nach China gehen und dann bin ich glücklich, weil ich viel Geld verdiene?

SPOX: Fußballspieler verdienen das Vielfache von anderen Arbeitnehmern. Wie schwierig ist es, bei diesen Summen auf dem Boden zu bleiben?

Jansen: Arroganz im Fußball ist eine Schutzfunktion. Das Geld verändert die Spieler selbst nicht, aber das Umfeld verändert sich. Das haben auch meine Eltern bemerkt, als mehr Geld da war und plötzlich der Nachbar, der jahrelang deutlich mehr Geld hatte, Sprüche geklopft hat. Die Sozialkompetenz geht oft verloren. Viele Eltern himmeln die Spieler an, weil sie jetzt viel Geld verdienen und die Familie finanziell mittragen. Dabei kann er nur gut kicken. Das ist ein Geschenk, aber er ist immer noch der kleine Hosenscheißer. Die Eltern sind die Eltern und wenn da das Verhältnis nicht stimmt, beeinflusst das die Entwicklung des Spielers. Das Fußball-Geschäft hat nichts mit dem realen Leben zu tun.

SPOX: Das müssen Sie erklären.

Jansen: Das ist nicht negativ gemeint, sondern ein Fakt. Schon in der Jugend wirst du wie ein Superstar hofiert. Eine gewisse Sonderbehandlung ist auch wichtig, damit du dich auf den Sport konzentrieren kannst. Aber die Realität beginnt erst nach der Fußball-Karriere. Viele sind auf diese Erfahrung nicht vorbereitet und finden nicht mehr ihre wahre Identität. Dabei ist dieses Leben viel länger als diese zehn bis 15 Jahre als Fußballprofi. Der Profifußball entscheidet nicht über dein Leben.

SPOX: Wie schwer fiel Ihnen selbst der Abschied vom Profi-Fußball?

Jansen: Allein körperlich fiel mir die Umstellung schwer. Ich habe meinen Körper jahrzehntelang auf Leistungssport getrimmt, das ist ja nicht nur gesund. Wenn man dann plötzlich aufhört, ist das ein Schlag für den Körper. Da müsste man sich trotzdem regelmäßig bewegen, das habe ich zeitlich nicht geschafft und mich oft scheiße gefühlt. Als ich mich intensiv mit den Themen Ernährung und Lebensstil auseinander gesetzt habe, wurde es besser.

SPOX: Wäre eine Rückkehr in den Profifußball denkbar?

Jansen: Es gibt aktuell zwar keinen Plan, aber das würde ich nicht ausschließen. Entscheidend wäre für mich, dass es zu mir passt und ich mich zu 100 Prozent mit den Aufgaben identifizieren kann.