Marius Wolf stand bei Borussia Dortmund lange im Abseits - jetzt ist der 26-Jährige plötzlich wichtig: Weil Wolf so variabel und zuverlässig ist, dass sein Trainer nicht an ihm vorbei kommt.
Marius Wolf hat seine Profikarriere beim TSV 1860 München gestartet, der junge Mann weiß also ganz genau was es heißt, zu kämpfen und zu leiden. Und auf die Nase zu fallen und danach wieder aufzustehen. Vor sieben Jahren ging das los mit Wolf und dem bezahlten Fußball, seitdem hat er schon für sechs verschiedene Klubs gespielt.
Das ist eine ganze Menge für einen erst 26-Jährigen, mancher würde behaupten: zu viel. Zu viel Fluktuation, zu viel Unbeständigkeit, zu viel Inkonstanz. Schnell macht in solchen Fällen das unschöne Wort vom Wandervogel die Runde, aber bei Wolf ist die Gemengelage eine ganz andere. Da erzählen die vielen Wechsel und Leihen die Geschichte eines Spielers, der sich unbedingt durchbeißen will und der pragmatisch und uneitel genug ist, auch mal einen anderen Weg zu versuchen als den des geringsten Widerstands. Und der dafür auch gewisse Risiken eingeht. So wie Wolf das schon in sehr jungen Jahren gemacht hat.
"Ich habe in München A-Jugend gespielt und nebenbei eine Ausbildung gemacht. Die habe ich dann abgebrochen, weil ich gesagt habe: 'Ich bin so nah dran, ich will mich jetzt zwei Jahre einhundert Prozent auf Fußball fokussieren.' Selbst wenn ich den Sprung damals nicht geschafft hätte, dann wäre ich 19 Jahre jung gewesen und hätte die Ausbildung immer noch beenden können", erinnerte sich Wolf einmal im Tagesspiegel.
Hannover als Tiefpunkt und Lehrstück
1860 München, Hannover 96, Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund, Hertha BSC, 1. FC Köln und nun wieder Dortmund: Das sind Wolfs Stationen, gespickt mit Höhe- und Tiefpunkten. Offiziell gehörte er zur Sechz'ger-Mannschaft, die von der zweiten in die vierte Liga durchgereicht wurde, wenngleich er beim Abstieg der Löwen im Sommer 2016 schon in Hannover spielte.
Dort gab Wolf zwar sein Debüt in der Bundesliga, wurde später aber aus der Lizenzspielermannschaft aussortiert und in die Regionalliga zurück versetzt. "Das war keine einfache Zeit! Aber auch die Zeit, in der ich mit am meisten gelernt habe. Im Leben eines Fußballers geht es nicht nur nach oben, sondern auch hin und wieder mal runter. Aber es kann dann auch ganz schnell wieder nach oben gehen, man darf einfach nicht aufgeben. Das ist einfach so im Fußball", sagt Wolf im Rückblick über seinen Tiefpunkt in Hannover.
Boateng: "Wenn Marius Wolf kein Nationalspieler wird, höre ich auf!"
Der Wechsel nach Frankfurt war schon so etwas wie eine letzte Chance und im Rückblick wie ein Sechser im Lotto. Dort traf Wolf unter anderem auf Kevin-Prince Boateng, der den Jungspund anleitete und der am Ende fast überschwänglich beschied: "Wenn Marius Wolf kein Nationalspieler wird, höre ich auf!"
Boateng spielt bekanntlich immer noch Fußball, zum Nationalspieler hat es Wolf bisher aber nocht geschafft. Immerhin holte ihn seine große Liebe Borussia Dortmund, auch so eine komplizierte Liaison: In Dortmund konnte sich unter keinem Trainer durchsetzen. Nun gibt es Spieler, die Dürrephasen einfach aussitzen, auf der Bank oder auf der Tribüne. Die weiter gutes Geld verdienen und auf den nächsten Trainerwechsel hoffen und damit eine neue Chance. Marius Wolf wollte aber nie warten - er wollte spielen.
Also ging es zur Hertha und ohne Umschweife dann weiter nach Köln. "Das ist das Fußballgeschäft. Manche bleiben länger an einem Ort, andere nicht. Ich finde mich immer schnell zurecht. Es hat bisher immer gut geklappt", sagte Wolf im letzten Herbst nach seinem Wechsel zum FC.
Wolf scheint in Dortmund richtig angekommen
Seit diesem Sommer ist er zurück in Dortmund und durfte dort auch bleiben. Weil Trainer Marco Rose schon damals betonte, "dass wir bei den vielen Spielen jeden brauchen werden." Da konnte Rose noch nicht wissen, wie schnell diese gerne als Stehsatz verwendete Vermutung wahr werden sollte. Die Borussia suchen fast schon mysteriös viele Muskelverletzungen heim, fast eine komplette Mannschaft fehlte in den letzten Wochen. Beim Pokalspiel gegen Ingolstadt waren es neun Spieler, also rückten die vermeintlichen Bankdrücker automatisch auf. Auch jene, für die sie in Dortmund zuletzt keine Verwendung hatten.
Wolfs Rückkehr nach zwei Jahren im sportlichen Exil wurde mit mehr Skepsis als Vorfreude auf den Spieler begleitet. Aber nach einem knappen Drittel der Saison lässt sich konstatieren: Aus dem reinen Mitläufer ist ein wichtiger, vielleicht sogar zentraler Bestandteil der Mannschaft geworden. Marius Wolf ist Dortmunds Allzweckwaffe, die immer dort aushilft, wo die Not besonders groß ist. "Ich habe es schon mehrfach betont, dass sich Marius diese Chancen auch verdient hat", sagte Sportdirektor Michael Zorc über Wolf, der in diesen Tagen gefühlt erst so richtig ankommt in Dortmund.
Variabilität als großer Trumpf
Wolf hat auf Rechtsaußen gespielt und im rechten Mittelfeld. Er wurde von Rose als rechter Verteidiger nominiert und gegen den FC Augsburg auf der linken offensiven Außenbahn. Und das Schöne aus Dortmunder Sicht: Marius Wolf könnte problemlos auch auf beiden Halbpositionen im Mittelfeld spielen oder als linker Außenverteidiger. Bis auf Innenverteidiger und Mittelstürmer ist mit Wolf auf jeder Feldspielerposition zu rechnen.
Die Mischung aus harter Arbeit, Durchsetzungsvermögen und dem überstrapazierten Begriff der Mentalität zeichnet Wolf aus. Der ist kein besonders filigraner Fußballer und keiner, der reihenweise Tore oder Vorlagen sammelt oder die großen spielerischen Highlights setzt. Aber Wolf kann seiner Mannschaft viel Energie geben, ist gegen und mit dem Ball wertvoll, spielt absolut zuverlässig und ist sich auch nicht für die Drecksarbeit zu schade, die verrichtet werden muss.
Seine über die Jahre erworbene Variabilität ist derzeit sein größter Trumpf und nimmt man mal die exponierte Stellung des BVB und die vielen Positionen, die Wolf innerhalb der Mannschaft schon bekleidet hat, dürfte es im Moment keinen besseren und wichtigeren Rollenspieler in der Bundesliga geben als den 26-Jährigen. Diese wenig besungenen Helden sind es, die den Klebstoff liefern für das Gebilde einer Mannschaft. Sie lassen die spektakulären Spieler noch mehr glänzen, weil sie sich selbst auch zurücknehmen können.
Vielleicht ändern sich die Dinge in ein paar Wochen auch wieder, wenn der eine oder andere Spieler nach seiner Verletzung zurückkehrt und Marco Rose nicht mehr so sehr improvisieren muss. Für den Moment aber ist die Gelegenheit da - und Marius Wolf nutzt die Gunst der Stunde so gut wie kaum ein anderer.