Vom Trainer zum Allmächtigen: Markus Babbel bekam von Gönner Dietmar Hopp die Mission, 1899 Hoffenheim endlich zu einem zu Topklub formen. Dabei ist er nicht nur als Trainer, sondern auch als Manager gefragt. Der 39-Jähriger über seine Strategie, seinen Traum von der Premier League und seine Ohrstecker-Episode.
SPOX: Eine der amüsantesten Geschichten des Fußball-Sommers fand in einem Partykeller im bayrischen Ottobrunn statt. Die Toten Hosen spielten zur Feier ihres 30-jährigen Bühnenjubiläums mehrere Konzerten zuhause bei Fans - und einer der Glücklichen war Ihr früherer Mitspieler Jens Jeremies. Waren Sie neidisch, dass die Toten Hosen nicht bei Ihnen, dem Edelfan und engen Freund von Frontmann Campino, auftraten? Sondern im Partykeller des Schlager-Liebhabers Jeremies, der Udo Jürgens derart verehrt, dass er ihn für seine eigene Hochzeit gebucht hatte?
Markus Babbel: Neidisch? Dass musste ich gar nicht sein, weil ich selbst dabei war. (lacht)
SPOX: Auf dem dazugehörigen Video sind Sie aber nicht zu sehen...
Babbel: Das haben wir sehr geschickt eingefädelt. Es war ein super Fest, eine tolle Party. Jeder kam auf seine Kosten und wir haben ordentlich in Jens' Keller abgerockt.
SPOX: Sie kennen Campino aus Ihrer Zeit in Liverpool. Beide verbindet die Liebe zu den Reds und der Premier League. Was sagt er als Außenstehender dazu, dass Sie in Hoffenheim das englische Modell einführten?
Babbel: Man redet immer wieder über Fußball, aber bisher ging es eher um Allgemeines. Zum Beispiel, dass Hoffenheim nicht unbedingt ein Klub ist, den sich Campino für mich vorgestellt hat. Er wird damit zurechtkommen und sich mal in Hoffenheim blicken lassen. (lacht)
SPOX: Es ist grundsätzlich richtig, dass Sie sich in Hoffenheim nach englischem Vorbild als Manager begreifen? Als Trainer und Sportdirektor in einem?
Babbel: Ja, der Vergleich ist zulässig. Zwei Positionen, ein Kopf.
SPOX: Noch im Januar sagte Hoffenheim-Gönner Dietmar Hopp: "Ich würde mich nicht wohl fühlen, wenn es bei uns so laufen würde wie auf Schalke mit Felix Magath. Das wäre mir zu risikoreich." Wie haben Sie ihn vom Gegenteil überzeugt?
Babbel: Es ist ein Missverständnis: Die Idee kam nicht von mir. Ich bin nicht zu Dietmar Hopp gegangen und habe gesagt: "Ich will beides machen!" Nach Ernst Tanners Entlassung ergab sich die Übergangslösung und das gefiel Dietmar Hopp offenbar so gut, dass wir das einfach so weiterführen. Es wurde allerdings klar festgehalten: Ich bin Trainer, der die Welt eines Managers kennt, aber ich bin kein Manager. Das fängt alleine schon damit an, dass ich keine Ahnung von Vertragsrecht habe. Darum klappt es nur, weil ich brutal tolle Leute um mich habe, die mir viel Arbeit abnehmen. Wenn diese Konstellation irgendwann nicht mehr tragfähig sein sollte und die Leistung der Mannschaft darunter leidet, machen wir einen klaren Schnitt: Dann beenden wird das mit dem Manager und ich arbeite ausschließlich als Trainer.
spoxSPOX: Hopp kritisierte im Sommer mit deutlichen Worten die bisherige Nachwuchsarbeit. Trotz Geld und Geduld hätte der Verein zu wenige Profis ausgebildet. Nun sollen Sie zusätzlich für die Anbindung der Jugendspieler verantwortlich zeichnen. Wie läuft die Zusammenarbeit mit Bernhard Peters, dem Direktor für Sport- und Nachwuchsförderung, sowie Alexander Rosen, Leiter des Nachwuchsleistungszentrums?
Babbel: Natürlich habe ich keinen Einblick, was in der U 15 oder U 17 los ist. Daher gibt es eine sinnvolle Arbeitsaufteilung: Alexander Rosen ist meine Kontaktperson, informiert mich und spricht sich mit mir ab, ob wir etwas so oder so machen sollen. Uns kommt zugute, dass er ein ähnlicher Typ ist wie ich: Wir kommen beide aus dem Fußball und wir beide geben permanent Vollgas. Das funktioniert.
SPOX: Sie sagten zu Anfang Ihrer Tätigkeit: "Herr Hopp, ich erwarte, dass Sie mir sagen, wenn Ihnen etwas nicht gefällt. Sie sind der Mister Hoffenheim." Wie oft hat ihm seitdem etwas nicht gefallen?
Babbel: Wir diskutieren und wir philosophieren - doch nicht so oft, wie einige glauben. Es ist klar definiert, dass ich den tagtäglichen Bereich abarbeite und in regelmäßigen Abständen Dietmar Hopp und den Beirat informiere, wie es läuft. Ich will ihn ohnehin so wenig wie möglich belästigen, weil er ein vielbeschäftigter Mann ist und mit Golf ein großes Hobby verfolgt. Da möchte ich nicht, dass wegen mir alle 15 Minuten sein Handy klingelt. Wenn etwas Wichtiges ansteht, weiß ich, dass ich mich immer mit ihm und dem Beirat austauschen kann.
SPOX: Im Saisonabschlussinterview mit der "Bild" nannte Hopp namentlich die von Tanner geholten Talente Stefan Thesker, Michael Gregoritsch und Sandro Wieser, die Hoffenheim nicht helfen und nur den Kader aufblähen würden. Sie müssen als Trainer weiter mit Ihnen arbeiten oder als Sportdirektor versuchen, sie abzugeben. Egal wie: Hopps Aussage dürfte nicht geholfen haben.
Babbel: Ich weiß ja, wie es gemeint war. Das sind Spieler, die noch sehr jung sind, Potenzial mitbringen und sich Fragen stellen: Schaffen wir es in Hoffenheim? Oder benötigen wir vielleicht einen Zwischenschritt? Ist die U 23 dafür geeignet? Genau das sprach Dietmar Hopp an und damit gehe ich hundert Prozent d'accord. Zumal solche Aussagen gleichzeitig eine tolle Motivation für die Jungs sind, um uns vom Gegenteil zu überzeugen. Nach dem Motto: "Ich gehe hier nicht weg und kämpfe um meinen Platz!" In der Vorbereitung geben sie richtig Gas.
SPOX: Nachdem sich in der Vergangenheit Hopp und die sportliche Führung bei der Zielsetzung teilweise widersprachen, herrscht zur kommenden Saison Einigkeit: Der sechste Platz und die Europa-League-Qualifikation sollen her - obwohl seit Ihrem Kommen aus 14 Spielen überschaubare 17 Punkte geholt wurden. Was macht Sie zuversichtlich?
Babbbel: Ich weiß nicht, ob wir das schaffen. Aber ich weiß, dass wir nicht mehr in die Situation geraten wollen wie im letzten Jahr, als der Abstieg drohte und es nicht fünf vor zwölf war, sondern zwei vor zwölf. Obwohl die Mannschaft körperlich nicht in der Lage war, hat sie sich mit einer großen Energieleistung herausgezogen. Jetzt besitzen wir mehr Qualität in der Mannschaft, sind physisch besser drauf und eignen uns eine neue Mentalität an. Abgesehen vom Bayern-Spiel, als wir verdient sieben Stück eingeschenkt bekommen haben, waren wir im jeden Spiel auf Augenhöhe mit dem Gegner, seit ich in Hoffenheim arbeite. Dennoch zogen wir zu oft den Kürzeren, weil wir den Sieg nicht erzwingen wollten. Das soll sich grundlegend ändern.
Teil II: Babbel über die Seelenverwandtschaft von Wiese und Lehmann und seine Ohrstecker-Lektion
SPOX: Sie verpflichteten Tim Wiese und sprachen öffentlich über das Interesse von Real Madrid und den Mailänder Klubs an ihm, um nach außen die Ambitionen und die Attraktivität von Hoffenheim zu unterstreichen. Merken Sie bereits, dass Ihr Klub anders wahrgenommen wird?
Babbel: Die Wahrnehmung der anderen interessiert mich nicht. Wichtig war mir nur meine eigene Wahrnehmung von Hoffenheim - und die war mir entschieden zu grau. Ich finde, dass Hoffenheim für das bisher Erreichte nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhält: Wir besitzen ein fantastisches Trainingszentrum, ein fantastisches Stadion und ein fantastisches Publikum - dennoch war alles grau. Daher habe ich gesagt: Wir brauchen mehr Farbe! Deswegen Tim Wiese: Er verkörpert das höchste Maß an sportlicher Qualität und ist darüber hinaus ein Typ. Das hatte hier lange gefehlt: Typen, die etwas unangenehm sein können, dafür aber wissen, wie Titel zu gewinnen sind und wie es im Geschäft ganz oben zugeht.
SPOX: Sie arbeiteten als Spieler und Trainer in Stuttgart bereits mit Jens Lehmann zusammen. Ebenfalls Torwart, ebenfalls umstritten und polarisierend. Was bringen solche Verrückten, wie Sie sie beschreiben?
Babbel: Ich stehe einfach auf Verrückte. Ich hatte das Glück, mit vielen solcher Charaktere in einer Mannschaft zu spielen - nur diese Spezies stirbt leider langsam aus. Diese positiv Verrückten haben immer einen persönlichen Anspruch und bringen von sich aus eine unglaublich hohe Eigenmotivation mit. Jens Lehmann hat bis ins hohe Profialter extrem professionell gearbeitet und ging extrem motiviert in jedes Spiel, Tim Wiese verkörpert genau dieses Immer-Gewinnen-Wollen. Das habe ich in Hoffenheim vermisst. Daher musste ich nicht zweimal überlegen, als sich die Chance mit Tim ergab.
SPOX: Die eine oder andere bunte Überschrift nehmen Sie in Kauf?
Babbel: Solche Storys machen einen Verein doch nur interessant. Es gibt nichts langweiligeres, wenn gar nichts los ist. Was ich nicht mag: Wenn Kollegen angegriffen werden. Tim weiß, dass alles im Rahmen bleiben soll. Wenn er lustige Schlagzeilen liefert, für die er bekannt ist, sehe ich keinerlei Probleme.
SPOX: Sie betonen die Wichtigkeit von unbequemen Spielern wie Wiese. Wie schwer ist es, gleichzeitig mit sensiblen Spielern wie Sebastian Rudy und Ryan Babel umzugehen?
Babbel: Das ist kein Widerspruch. Wir brauchen keine elf Häuptlinge, elf Tim Wieses. Vielmehr geht es um die Mischung. Ich erhoffe mir, dass ein Sebastian Rudy oder ein Ryan Babel jetzt ihre wahre Klasse zeigen, weil sie wissen: In der Mannschaft sind zwei, drei Neuzugänge, die mir Halt geben. Dieses Gefühl der Sicherheit ist auf dem Platz enorm wichtig.
SPOX: In Stuttgart hieß es, dass Sie als Trainer ein zu weicher Spielerversteher seien. In Berlin traten sie tougher auf und veröffentlichten gleich zu Beginn die Fitnesswerte der Spieler, weil diese so miserabel gewesen waren. Allgemein gefragt: Wie wichtig ist Ihnen Ihr eigener Ruf?
Babbel: Wichtig ist nur der Ruf bei denen, mit denen ich direkt arbeite. Damit sie wissen, wie ich ticke und welchen Anspruch ich verfolge. In Stuttgart war ich zunächst Co-Trainer und das Bindeglied zum Chefcoach. Dass die Spieler mich weiterhin duzten, fand ich logisch, solange ich respektiert werde - und das wurde ich. Sonst hätten wir uns niemals in der Rückrunde von Platz elf auf drei verbessert. Im Nachhinein weiß ich, dass ich nicht ganz so konsequent war und dass es mir zum Verhängnis wurde. In Berlin fand ich eine komplett andere Lage vor: Bis auf wenige Ausnahmen kannte ich keinen Spieler persönlich, entsprechend bestand eine andere Distanz und ich konnte mich anders verhalten. Dennoch: Mein Trainingstil ist im Vergleich zu früher nicht so anders, wie viele vermuten.
SPOX: Als Sie in Stuttgart zum Chefcoach aufstiegen, nahmen Sie sich auf Anraten von Freunden Ihren Ohrstecker raus, um seriöser zu wirken. Haben Sie sich mittlerweile von derlei Gedanken frei gemacht?
Babbel: Heute frage ich mich auch, ob das nötig war. Als mir sehr enge Vertraute den Tipp gaben, dachte ich mir: Wenn Ihr das sagt, dass es mir nicht gut tut, nehme ich den Stecker halt raus. Klar ist: Es gehört zum Trainerjob dazu, sich ein Stück weit nach außen zu verkaufen. Aber man darf sich nicht verbiegen und man muss authentisch bleiben. Denn nur mit Authentizität bringt man etwas rüber.
SPOX: Dass Sie konsequent sein können, bewiesen Sie als Spieler: Im Jahre 2000 traten Sie nach dem EM-Vorrunden-Aus aus der Nationalmannschaft zurück, verließen den FC Bayern und wechselten nach Liverpool. Ein kompletter Neubeginn mit 27 Jahren. Was haben Sie aus der Episode gelernt?
Babbel: Dass ich meinem Bauchgefühl vertrauen soll. Die Entscheidung, die Zelte in Deutschland komplett abzubrechen, fiel leider viel zu spät. Es war das Beste, was ich machen konnte. Ich wusste schon vor der EM, dass das Turnier ein einziges Desaster wird. Dass ich dennoch derjenige war, der zum Sündenbock gemacht wurde, obwohl ich im letzten Spiel gar nicht mehr gespielt hatte, machte nicht wirklich Spaß. Ich bekam damals nur auf die Fresse. Das war eine wichtige Schule, woraus ich viel gelernt habe. Mich hätte es nicht besser treffen können, als Deutschland hinter mir zu lassen und nach England zu gehen.
SPOX: Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm wurden ebenfalls bei den Bayern groß und sind nun in einem ähnlichen Alter wie Sie damals. Würden die beiden mit einem Wechsel ins Ausland einen ähnlichen Sprung machen?
Babbel: Ein Wechsel ist nicht mehr zwingend. Einerseits, weil anders als zu meiner Zeit die Spieler aus der eigenen Jugend gutes Geld verdienen. Andererseits, weil Bayern zu den sechs besten Klubs der Welt gehört. Es gibt Manchester United, Real Madrid, FC Barcelona, die beiden Mailänder Klubs - und dann ist die Liste schon vorbei. Daher stellt sich nur eine Frage: Wovon träumen Philipp und Bastian? Von Barca? Von Real? Von Bayern? Ich hatte schon als Kind von England geträumt, daher kam für mich nur die Premier League in Frage.
SPOX: Wie oft denken Sie an eine Rückkehr nach England und Liverpool? In Hoffenheim können Sie das englische Manager-Modell bereits proben.
Babbel: England ist ein absoluter Traum. Und der Traum schlechthin ist es, beim FC Liverpool als Manager zu arbeiten. Ein außergewöhnlicher Klub, bei dem ich eine außergewöhnliche Zeit erlebt habe. Allerdings ist mir bewusst: Um dahinzukommen, muss ich Erfolge nachweisen. Brendan Rodgers wurde von Liverpool verpflichtet, weil er in Swansea fantastische Arbeit geleistet und einen guten Fußball hat spielen lassen. Es ist schön, dass in England nicht nur die alte, sondern die junge Garde eine Chance erhält. Einen ähnlichen Erfolg möchte ich in Hoffenheim erreichen, indem ich hart arbeite und einen neuen Anspruch in den Verein bekomme. Der Rest kommt irgendwann von alleine.
Ein Bayer im Kraichgau: Markus Babbel im Steckbrief