Markus Weinzierl hat den FC Augsburg in die Europa League geführt und ist zu einem der begehrtesten deutschen Trainer auf dem Markt aufgestiegen. SPOX traf den Trainer in Augsburg zum Interview. Ein Gespräch über die Herangehensweise an die Dreifachbelastung, Extremsituationen auf dem Weg zum Bundesligatrainer und ein mögliches Sabbatjahr.
SPOX: Herr Weinzierl, am Freitag wird die Gruppenphase der Europa League ausgelost (13 Uhr im LIVE-TICKER). Was überwiegt bei der Betrachtung dieser Saison: die Freude auf die internationalen Spiele oder der Respekt vor der zusätzlichen Belastung?
Weinzierl: Beides ist da, die Freude ist größer. Platz fünf war für Augsburg eine Sensation. Aber wir wollten dieses Ziel unbedingt erreichen, haben sehr viel investiert und hart gearbeitet. Dementsprechend freuen wir uns auf die Aufgabe. Auf der anderen Seite ist der Respekt da. Zum einen vor den internationalen und nationalen Gegnern, da die Spiele immer eng sind. Und zum zweiten vor der großen Anzahl der Spiele.
SPOX: Im Gegensatz zu vielen anderen Überraschungsteams ist beim FCA der große personelle Aderlass ausgeblieben. Sie haben das auch mit dem fortgeschrittenen Alter einiger Leistungsträger erklärt. Hilft der stabile Kern bei den anstehenden Aufgaben?
Weinzierl: Wir haben mit Pierre-Emile Höjbjerg und Baba schon zwei gute Spieler und große Talente verloren, die wir gerne gehalten hätten. Aber der Kern steht. Diese Spieler sind Fünfter geworden, haben ein gewisses Alter, die nötige Erfahrung und freuen sich unheimlich darauf, in drei Wettbewerben zu spielen. Von uns bekommen sie Rückendeckung und das volle Vertrauen.
SPOX: Viele andere Vereine, die überraschend in den Europapokal eingezogen sind, haben eine schwere Bundesligasaison erlebt. Versuchen Sie aus deren Erfahrungen zu lernen? Haben Sie vielleicht mal mit Christian Streich telefoniert, wie das in Freiburg so war?
Weinzierl: Nein. Der Vergleich mit anderen Vereinen bringt uns nicht sehr weit. Genauso wenig wie es ein Gesetz ist, dass es in der Bundesliga kritisch werden muss, gibt es kein Patentrezept dagegen. Wir sind grundsätzlich darauf eingestellt, dass viele neue Herausforderungen auf uns zukommen werden. Wir wollen die Probleme so gering wie möglich halten und wenn sie da sind, unsere eigenen Lösungen finden. Wir gehen die Dreifachbelastung optimistisch an und kommen hoffentlich gut durch.
SPOX: Was haben Sie mit Hinblick auf die zusätzliche Belastung konkret in Ihrer Trainingsarbeit umgestellt?
Weinzierl: Wir werden viele englische Wochen und wenig Zeit zum Trainieren haben. Daher haben wir die letzten zwei Monate genutzt, um die Basis zu legen, die Fitness zu schaffen und die Abläufe zu verfestigen. Allerdings sind wir davon abhängig, dass viele Spieler fit bleiben. Außerdem sind positive Ergebnisse sehr hilfreich für diese anstrengenden Wochen.
SPOX: Bisher konnten Sie Ihre Mannschaft eine Woche auf den nächsten Gegner vorbereiten. Werden die fehlenden Einheiten der größte Unterscheid?
Weinzierl: Noch kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten, weil wir noch kein Europa-League-Spiel absolviert haben. Aber vermutlich wird es so sein. Wir haben weniger Zeit zu regenerieren und uns auf den Gegner vorzubereiten. Es gilt, trotz ungewohnt vieler Reisen und Spiele, immer fokussiert und beim Anpfiff hundertprozentig da zu sein.
SPOX: Also wird die Saison ein bisschen learning by doing.
Weinzierl: Mit Sicherheit lernt man durch Erfahrungen. Und diese Erlebnisse und Erfahrungen bringen den Verein, die Mannschaft und mich als Trainer weiter. Das Arbeiten in dieser Saison wird hochinteressant und ich freue mich darauf.
SPOX: Augsburg steht für intensiven, aggressiven Fußball und schnelles Umschaltspiel. Welche Auswirkung hat die zusätzliche Belastung auf Ihre Spielidee?
Weinzierl: Unsere Spielidee und die Abläufe stehen. Damit sind wir in den letzten drei Jahren sehr gut gefahren. Sicherlich werden wir uns in Nuancen verändern und situativ anpassen, aber die Idee bleibt die gleiche.
SPOX: Sie sind nach Ihrer Spielerkarriere recht schnell ins Trainergeschäft eingestiegen. Hatten Sie schon zu Ihrer aktiven Zeit eine so klare Idee vom Spiel?
Weinzierl: Der Einstieg ins Trainergeschäft kam für mich relativ überraschend, weil ich durch meine Sportinvalidität aufgrund einer Knieverletzung sehr früh dazu gezwungen war, etwas anderes zu machen. Deshalb habe ich studiert und nebenbei als Co-Trainer in der 4. Liga bei Jahn Regensburg gearbeitet. So ist das Ganze vor neun Jahren ins Rollen gekommen. Und in dieser Zeit hat sich auch die Spielidee immer weiterentwickelt und ich habe mit meinem Trainerteam daran getüftelt. Wir haben uns sehr viele Spiele angeschaut und versucht, immer besser zu werden. Das ist uns mit den Ergebnissen auch gelungen, deshalb sind wir Stand heute zufrieden. Denn am Ende geht es darum, die ideale Strategie für seine Mannschaft zu finden und erfolgreich zu sein.
SPOX: Wie haben Sie Ihre ehemaligen Trainer geprägt?
Weinzierl: Jeder hat seine Qualitäten und man kann von jedem etwas mitnehmen. Als Spieler bei Bayern habe ich die Großen wie Giovanni Trapattoni und Ottmar Hitzfeld miterleben dürfen. Aber in dem Alter habe ich mir keine Gedanken gemacht, was ich selbst als Trainer mal gebrauchen könnte, das lief eher unterbewusst ab.
SPOX: Sie haben früher Libero gespielt.
Weinzierl: Ich war in einer Zeit Spieler, in der der Libero noch aktuell war, aber dann durch die Viererkette ersetzt wurde. Also war ich am Anfang Libero, dann Dreierkettenspieler, dann Viererkettenspieler und später dann Sechser.
SPOX: Aber immer auf Positionen, auf denen strategisches Denken gefragt war, oder?
Weinzierl: Ich habe mir schon Gedanken gemacht, die nicht nur auf mich, sondern das ganze Spiel bezogen waren. Aber so extrem war das nicht.
SPOX: Extrem sind dagegen die Spielideen von Roger Schmidt und Markus Gisdol, beide setzen auf bedingungslose Balljagd und schnelle Umschaltaktionen. Schmidt und Gisdol waren im selben Fußballlehrerjahrgang wie Sie. Wie wurde in diesen Kursen diskutiert?
Weinzierl: Der Lehrgang ist im Allgemeinen sehr, sehr hilfreich. Jeder Kursteilnehmer kommt mit einer gewissen Spielidee dorthin und entwickelt sie im Laufe der zehn Monate weiter. Man bekommt sehr viel Input durch den Lehrgangsleiter Frank Wormuth und den Austausch mit den Kollegen. Es waren neben Schmidt und Gisdol ja noch über 20 andere Trainer dabei. Man unterhält sich zehn, zwölf Stunden am Tag über Fußball. Dabei wird teilweise auch kontrovers diskutiert. Jeder Trainer filtert dann für sich das Interessante heraus und nimmt es in seine Arbeit auf oder eben nicht.
SPOX: Ihre abschließende Hausarbeit haben Sie über Talenterkennung und -förderung geschrieben. Hilft das besonders, wenn man mit eher kleineren Vereinen arbeitet?
Weinzierl: Es ist interessant, dass Sie das Thema kennen, ich hätte es schon fast vergessen. Natürlich braucht ein kleinerer Verein mehr Ideen. Wenn man weniger Geld hat, muss man ständig versuchen, Talente zu erkennen, die ein anderer Verein nicht so hoch einschätzt, und sie dann fördern.
SPOX: Sie haben Ihren Fußballlehrer parallel zum Trainerjob in Regensburg absolviert. Vielen Kollegen hat diese Doppelbelastung den Job gekostet. Warum hat's bei Ihnen geklappt?
Weinzierl: Das war auch für mich und den Jahn eine sehr intensive Phase und es war auch nicht immer alles rund. Aber mein Trainerstab hat das sehr gut geregelt und die Mannschaft hat gut funktioniert. Wir sind in dieser Saison irgendwo im Mittelfeld gelandet, was für Regensburg damals ein Erfolg war.
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SPOX: Der Jahn hat mit Ihnen einen großen Aufschwung erlebt und sogar den Aufstieg in die 2. Liga geschafft. Es gab aber auch schwierige Zeiten, als dem Klub die Insolvenz drohte. Sie haben einmal gesagt, Sie seien abends ins Bett gegangen und wussten morgens nicht, ob Sie noch einen Job hätten.
Weinzierl: Das war wirklich eine heikle Geschichte in Regensburg. Es gab Extremsituationen, als beispielsweise der Strom abgeschaltet wurde. Da bangt man natürlich. Aber im Endeffekt hat uns diese Phase stärker gemacht, weil der Zusammenhalt immer größer geworden ist. Und dieser Zusammenhalt war dann auch die Basis für den Aufstieg in die 2. Liga.
SPOX: Wie sehr genießen Sie jetzt die Sicherheit als etablierter Bundesligatrainer?
Weinzierl: Ich denke nicht an Sicherheiten. Mein Beruf macht mir Spaß und in diesem Geschäft kann man sonst sowieso nichts planen. Ich bin froh, wie alles gelaufen ist und dass ich in Augsburg ein so gutes Umfeld und einen so guten Verein als Arbeitgeber habe.
SPOX: Sind Sie in Regensburg auch so locker damit umgegangen? Immerhin haben Sie zu der Zeit gerade in Straubing ein Haus gebaut und als Viert- und Drittligatrainer ist man finanziell nicht so schnell aus dem Gröbsten raus.
Weinzierl: Ich war damals sehr optimistisch, weil Regensburg meine Heimat war und wir immer gemeinsam an der Problemlösung gearbeitet haben. Das ist uns dann auch ganz gut gelungen. Der Verein hat einen guten Weg gemacht, ist finanziell solide und hat ein neues Stadion gebaut. Diese Entwicklung haben wir mit unseren Erfolgen angeschoben. Schade ist natürlich die sportliche Entwicklung mit dem Abstieg in die Regionalliga.
SPOX: Hatten Sie in dieser heiklen Phase schon die klare Entscheidung gefasst, egal, was passiert, ich bleibe Trainer?
Weinzierl: Nein. Ich war nie nur auf einen Weg versteift und habe nebenbei mein Lehramtsstudium vorangetrieben. Als Trainer ist es relativ gut gelaufen und durch den Aufstieg in die 2. Liga ist dann eins zum anderen gekommen. Mit dem Wechsel zu Augsburg hat sich dann ein Weg herauskristallisiert.
SPOX: Es hätte also auch den Lehrer Markus Weinzierl geben können.
Weinzierl: Definitiv, der Lehrerberuf war ein sehr ernsthafter Gedanke. Ich habe sehr viel in mein Studium investiert und stand kurz vorm Abschluss. Der war dann zeitlich nicht mehr möglich.
SPOX: Wie sehr sind Sie jetzt als Lehrer beziehungsweise Pädagoge und Psychologe gefragt, wenn Sie vor die Mannschaft treten und das ganze Lob der vergangenen Wochen und Monate relativieren müssen?
Weinzierl: Ich muss den Spielern natürlich vermitteln, dass es wieder bei null losgeht. Lob und die vergangenen Erfolge dürfen als positive Erfahrungen mitgenommen werden, aber nicht dazu führen, dass die aktuellen Herausforderungen verkannt werden. Die Bundesliga ist unheimlich eng und es kann schnell wieder in eine andere Richtung gehen. Für kleine Vereine sind Überraschungen keine Selbstverständlichkeit. Das wissen unsere Spieler, das weiß das Umfeld und das weiß der ganze Verein. Wir gehen alle sehr bodenständig und realistisch damit um. Der Klassenerhalt ist für uns eine Riesen-Herausforderung. Und dementsprechend arbeiten wir täglich.
SPOX: Wie gehen Sie selbst damit um, neben Jürgen Klopp plötzlich zu den am heißesten gehandelten deutschen Trainern zu gehören?
Weinzierl: Es freut mich, wenn meine Leistungen so positiv bei den Leuten ankommen. Aber wichtig ist, das nicht als gegeben und dauerhaft anzunehmen. Fußball ist ein Tagesgeschäft und mit ein paar Niederlagen kann alles schnell wieder vergessen sein. Eine nüchterne und bodenständige Herangehensweise ist sicher der beste Weg. Deshalb mache ich mir wenig Gedanken über Lob, sondern eher darüber, was die Mannschaft vorwärts bringt und wie wir erfolgreich sind. Das sind genug Gedanken täglich.
SPOX: In der Sommerpause mussten Sie sich aber Gedanken machen, ob Sie den FC Augsburg verlassen und dafür zu Schalke 04 gehen. Wie haben Sie die Tage erlebt, als über Ihre Zukunft spekuliert wurde? Fühlten Sie sich unter Druck gesetzt, weil das Interesse relativ schnell öffentlich wurde?
Weinzierl: Nein, das war kein Druck. Mir war bewusst, dass auf Schalke auch mal etwas nach außen dringen kann. Das war kein Problem.
SPOX: Sie haben sich am Ende für einen Verbleib in Augsburg entschieden. Es ist aber davon auszugehen, dass die Angebote nicht abreißen werden. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Weinzierl: Ich weiß nicht, was passiert und ob nochmal eine Anfrage kommt. Deshalb bereite ich mich auf Angebote gar nicht vor, sondern bereite die Mannschaft für jeden Bundesligaspieltag vor und mache mir keine Gedanken über meine persönliche Zukunft. Ich weiß, dass ich hier einen Vertrag und gute Jungs habe. Wir wollen in der Liga bleiben und international bestehen. Diese Aufgabe macht mir Spaß.
SPOX: Mit Roman Grill haben Sie sich aber einen Berater an die Seite geholt, der Sie in diesen Dingen unterstützt.
Weinzierl: Wir haben schon bei den Amateuren des FC Bayern zusammengespielt und deswegen schon sehr lange immer wieder Kontakt. Er hat mich auch beim Wechsel von Regensburg nach Augsburg beraten.
SPOX: Ihr Vertrag beim FCA läuft noch bis 2019. Bei der Position, die sie aktuell auf dem Trainermarkt haben: Wie realistisch ist es, dass Sie diesen erfüllen?
Weinzierl: Ich weiß ja nicht, wie erfolgreich wir in Zukunft sind. Es ist ja häufig so, dass ein Trainer entlassen wird, weil der Erfolg nicht da ist. Aber ich hoffe, dass wir in Augsburg erfolgreich sind und unsere Zusammenarbeit gut weiterführen können.
SPOX: Sie haben nach dem Schalke-Angebot gesagt, dass Sie in Augsburg noch Entwicklungspotenzial für sich und die Mannschaft sehen. Wie genau sieht das aus?
Weinzierl: Die internationalen Schritte werden für mich und für den ganzen Verein sehr lehrreich. Es geht langfristig darum, Strukturen zu schaffen und ein Team zu entwickeln, das nicht nur in der Bundesliga besteht, sondern auch parallel in Pokal und Europa League mitspielen kann. Wir haben uns die Möglichkeit erspielt, dafür in dieser Saison die ersten Erfahrungen zu sammeln.
SPOX: Sie haben als Spieler das Bundesland Bayern nur kurzzeitig nach Stuttgart zu den Kickers verlassen, Ihre Familie wohnt noch in Straubing. Welche Bedeutung hat Heimat für Sie?
Weinzierl: Eine große. Es ist ein gutes Gefühl, zuhause zu sein, sein Umfeld zu haben. Aber es ist normal, als Fußballer und Trainer nicht immer in seiner Heimat zu sein. Deshalb lebt meine Familie in Straubing, während ich in Augsburg arbeite und hier eine Wohnung habe. Das funktioniert gut.
SPOX: Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass Sie als Trainer den Süden mal verlassen?
Weinzierl: Der Süden ist schon sehr schön, aber ausgeschlossen ist das nicht.
SPOX: Falls Sie irgendwann einmal zu dem Schluss kommen, in Augsburg wären die Möglichkeiten ausgeschöpft, die Mannschaft ist am Limit und Sie können sich hier auch nicht mehr weiterentwickeln. Könnten Sie sich dann vorstellen, ähnlich wie Thomas Tuchel ein Sabbatjahr einzulegen?
Weinzierl: Ja, das kann ich mir vorstellen.
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