Beim 4:0 gegen Weißrussland offenbart Matthias Ginter ungeahnte Qualitäten als Torschütze und Vorlagengeber. In Abwesenheit des verletzen Niklas Süle mausert sich der Profi von Borussia Mönchengladbach immer mehr zum Hoffnungsträger der deutschen Abwehr. Der Chefrolle geht er nicht aus dem Weg.
In seinem bisherigen Schaffen als deutscher Nationalspieler wurde Matthias Ginter eher selten von Journalisten belagert. Im Gegenteil: Er huschte nach Spielen schnell davon, sprach kaum zur Presse - und wenn, dann nur wenig aufschlussreich.
An diesem Samstag aber war irgendwie alles anders. Ginter fand sich nach dem 4:0-Sieg im vorletzten Länderspiel des Jahres gegen Weißrussland in der Rolle des gefragten Mannes in der Mixed Zone wieder.
Nicht nur, weil die vorangegangenen 90 Minuten im Borussia-Park für den Profi des aktuellen Bundesliga-Tabellenführers aus Mönchengladbach als Heimspiel durchgingen. Sondern weil er an den ersten drei Treffern direkten Anteil besaß.
Ginters Tor-Debüt im 29. Anlauf: "Wurde ja auch Zeit"
Das Führungstor in der 41. Minute, sein erstes überhaupt im DFB-Dress, erzielte er, wenn auch aus Abseitsposition, im Stile eines Torjägers per Hacke, ehe er beim 2:0 den Ball klug für Leon Goretzka durchließ und das 3:0 durch Toni Kroos vorbereitete.
"In der Halbzeit wollte es tatsächlich nicht jeder glauben, dass ich das war oder ob es nicht doch ein Eigentor war. Ich habe es dann in einer Trockenübung nachgemacht. Dann hat es mir jeder geglaubt", sagte Ginter über sein spektakuläres Hackentor. "Es wurde ja auch mal Zeit, dass der Matze ein Tor schießt", flachste Kapitän Manuel Neuer nach dem Anpfiff.
28 Partien lang hatte Ginter vergeblich auf sein erstes persönliches Erfolgserlebnis gewartet. Im 29. Anlauf klappte es dann auch, weil Bundestrainer Joachim Löw ihn nach eigenen Angaben gegen die tief stehenden Gäste aus Weißrussland dazu ermutigte, sich häufiger im Spiel nach vorne einzuschalten. Ginter tauchte ständig in Sechzehnernähe auf, während Neuling Robin Koch das Abwehrzentrum als eine Art Libero absicherte.
Löw schwärmt von Ginter: "Hat sich verbessert"
"Ich bin froh, dass es heute so gut geklappt hat. Robin hat es sehr gut gemacht, wir haben viel miteinander gesprochen", sagte Ginter hinterher. Zwar wackelte die Abwehr gegen den in der zweiten Halbzeit immer frecheren Außenseiter hin und wieder und verschuldete in Person von Koch sogar einen Foulelfmeter, den Neuer grandios parierte, aber Ginter strahlte mit einer Zweikampfquote von fast 70 Prozent zum wiederholten Male in den vergangenen Wochen Stabilität aus.
Das entging auch Löw nicht, der auf der Pressekonferenz in den Katakomben des Borussia-Parks geradezu ins Schwärmen geriet, als er über den gebürtigen Freiburger sprach.
"Bei Matze Ginter weiß man als Trainer, was man hat. Er ist zuverlässig und kann auch das, was wir wollen: das Spiel aus der Abwehr heraus aufbauen. Und er hat sich defensiv verbessert. Er hat eine gewisse Ruhe, das macht ihn so solide, seriös und zuverlässig", sagte der 59-Jährige.
Matthias Ginter als Abwehrchef bei der EM?
Es war zwar nur Weißrussland, intern genießt der frühere Dortmunder aber schon lange eine hohe Wertschätzung. Neben Neuer und Kroos ist Ginter, 25, immerhin der einzige verbliebene Weltmeister von 2014. Allerdings schaffte er es jahrelang nicht, über die Rolle des souveränen Backups hinauszukommen. Bei der anstehenden EM dürfte er - Stand jetzt - fest in der ersten Elf gesetzt sein. Zumindest drängen sich kaum Alternativen auf.
Niklas Süle fällt noch lange aus, vermutlich sogar so lange, dass er das im Juni beginnende Turnier komplett verpasst. Eine Rückkehr von Mats Hummels ist für Löw weiterhin kein Thema. Und Antonio Rüdiger, gesundheitsbedingt, sowie Jonathan Tah, leistungsbedingt, hinterlassen aktuell nicht den Eindruck, als könnte der Bundestrainer nächsten Sommer voll und ganz auf sie zählen. Talente wie Koch oder Niklas Stark kommen ohnehin frühestens für die WM 2022 in Katar als Stammkräfte infrage.
"Es läuft sehr gut für mich", erkannte Ginter nach seinem perfekten Abend vor heimischer Kulisse. Im Gespräch mit DAZN hob er vor allem seinen Arbeitgeber hervor: Er habe bei der Borussia speziell unter dem neuen Trainer Marco Rose viel gelernt und "die nächsten Schritte" gemacht. Bevor Ginter dann in den Teambus verschwand, verlor er noch einen für seine zurückhaltende Art doch eher überraschenden Satz: "Es liegt mir, Verantwortung zu übernehmen."