Matthias Ginter ist trotz seiner 23 Jahre bereits ein erfahrener Bundesligaspieler, dazu Weltmeister und jetzt auch DFB-Pokalsieger. Bald steht eine Entscheidung über seine weitere Zukunft an. Sie könnte ausschlaggebend dafür sein, ob sich sein Status beim BVB sowie in der deutschen Nationalmannschaft noch grundlegend verändern wird.
Nachdem sich Matthias Ginter ein paar Minuten zum DFB-Pokalsieg geäußert hatte, marschierte er ruhig den Gang der Mixed Zone entlang in Richtung Mannschaftsbus. Zurück blieben eine Menge Journalisten, die sich ein wenig verwundert anblickten.
Der BVB hatte rund 90 Minuten zuvor den Pott geholt und eine vogelwilde Spielzeit durch den 2:1-Erfolg über Eintracht Frankfurt in Berlin gekrönt. Doch statt ausgelassen und freudig wirkte Ginter wie auch manche seiner später nachfolgenden Kollegen nüchtern und sachlich.
Diese Beobachtung lässt natürlich nicht den Rückschluss zu, die Dortmunder hätten sich nicht sonderlich gefreut oder keine wilde Partynacht in der Hauptstadt abgerissen. Zumal Ginter ohnehin ein Leisetreter in Person ist.
Ginter mit Traumdebüt in der Bundesliga
Innerlich wird die Genugtuung beim 23-Jährigen riesig gewesen sein, davon ist auszugehen. Der Triumph im Pokal war Ginters erster Titel, an dem er in großem Umfang mitgewirkt hat. Vier Jahre zuvor war er mit dem SC Freiburg im Derby gegen den VfB Stuttgart noch haarscharf am Finaleinzug vorbeigeschrammt.
Damals, im April 2013, war Ginter noch ein Neuling auf der Bundesliga-Bildfläche. 15 Monate vor dem Halbfinale in der Mercedes-Benz-Arena debütierte er mit einem lauten Knall im Oberhaus: Nach seiner Einwechslung gegen Augsburg gelang ihm zwei Minuten vor Ende in seiner allerersten Profipartie gleich das Siegtor.
Ginter wurde anschließend vor den Medien abgeschirmt, um nicht gleich auf Anhieb einen ungesunden Hype entstehen zu lassen. Nachvollziehbar war diese Maßnahme, lässt man jedoch die seitdem vergangenen fünfeinhalb Jahre Revue passieren, ist kaum vorstellbar, dass Ginter in irgendeiner Form hätte abheben können.
Ginter weint in Streichs Armen
Ginter ist ein ruhiger und besonnener Charakter, aus dem niemals ein Lautsprecher werden wird und der seine Gefühle höchst selten offen zur Schau trägt. Das tat er eigentlich nur einmal, eben an jenem April-Abend in Stuttgart. Nach der Pleite weinte er auf dem Rasen hemmungslos in den Armen von Trainer Christian Streich.
Ende Mai war es in den Katakomben des Olympiastadions für die anwesende Presse daher keine Sensation, dass Ginter so wenig emotional in die Mikrofone sprach. Man ging wohl einfach davon aus, dass der Triumph im Pokal doch so viele Endorphine ausschütten würde, dass sie sich noch bis zum Gang vor die Journalisten halten.
Doch über dem BVB schwebte ja auch wochenlang eine dunkle Wolke der Unruhe, die sich nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus immer grotesker in Richtung des Zwists zwischen Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Trainer Thomas Tuchel entlud.
Raketenstart unter Tuchel
Tuchel ist nun Geschichte und für Ginter stellt sich einmal wieder die Frage: Wohin des Weges? Sein Engagement in Dortmund ist bislang geprägt von drei vollkommen unterschiedlichen Spielzeiten.
Wie sich herausstellen sollte, war Ginters Jahr eins beim BVB gleichbedeutend mit der letzten Saison der Ära Jürgen Klopp. Die verlief in Teilen derart verheerend, dass Ginter nicht der einzige Neuzugang war, dem es unheimlich schwer fiel, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen.
Im Vorjahr, Jahr eins unter Tuchel, gelang Ginter plötzlich ein Raketenstart. Als Rechtsverteidiger schob er sich an Platzhirsch Lukasz Piszczek vorbei und glänzte besonders mit erstaunlich hoher Effizienz (drei Tore und elf Assists in Pflichtspielen in der Hinrunde).
Ginters Polyvalenz wertvoll
Seitdem hat sich Ginters Situation gewissermaßen eingependelt. Solide, aber nicht mehr, könnte eine Überschrift über die Darbietungen des Defensivspielers lauten. Ginter rutschte immer mal wieder auf unterschiedlichen Positionen in die Startelf, nicht selten rutschte er aufgrund seiner Polyvalenz jedoch gerade noch so in den Kader.
Dass Ginter auf drei Positionen einsetzbar ist (Innen- und Außenverteidiger sowie defensives Mittelfeld), verschaffte ihm häufig einen Vorteil gegenüber Spielern wie beispielsweise Nuri Sahin, den Tuchel als eindimensionalen Spezialisten auswies. Dortmunds Ex-Coach baute Ginter auch regelmäßig ein, 29 Bundesligaeinsätze bedeuten zusammen mit Christian Pulisic die meisten hinter Ousmane Dembele, Julian Weigl und Pierre-Emerick Aubameyang.
Die Spielstatistik von Matthias Ginter in der Saison 2016/2017
Ginter ist in seinen Dortmunder Jahren zweifelsohne auch in einigen Belangen gereift. Nachhaltig in der ersten Elf festbeißen, gerade wenn verletzte Spieler zurückkamen und sich der Kader komplettierte, konnte er sich jedoch selten.
Er muss sich als Spieler weiter entwickeln, sein Reifeprozess muss Fahrt aufnehmen, damit er sich langfristig auf internationalem Top-Niveau halten und etablieren kann.
Ginter spielte selten herausragend, meist allenfalls solide. Der Nationalspieler, der ein Jahr vor dem Erfolg in Brasilien überhaupt erst für die deutsche U21 debütierte, ist stattdessen immer auch mal für individuelle Patzer gut. Und diese bleiben freilich eher im Gedächtnis als ordentliche, unscheinbare Leistungen im Alltagsbetrieb.
Ginter liegen wieder Anfragen vor
Gleiches gilt für seine bisherige Karriere in der Nationalmannschaft. Auch dort wanderte Ginter zuletzt zwischen den Welten. Bundestrainer Joachim Löw ist von Ginters Vielseitigkeit angetan, seit dem WM-Titel absolvierte der Ex-Freiburger aber noch weitere zehn Einsätze für die U21.
Ginter wird ein Kandidat für Löw bleiben, sein Standing beim DFB ist mit jenem beim BVB vergleichbar. Im jungen Confed-Cup-Kader stand er zuletzt zwei Mal in der Startelf. Eine gesetzte Größe ist er allerdings nicht, obwohl Ginter mit 137 mehr Bundesligapartien aufweist als jeder andere nominierte Abwehrspieler.
Wie schon im vergangenen Sommer wird sich Ginter daher seine Gedanken machen, wie es ihm gelingen könnte, seinen aktuellen Status in den kommenden Jahren weiter zu verbessern. Im Vorjahr schon gab es einige Anfragen aus der Bundesliga für ihn, das hat sich auch in der Gegenwart nicht verändert.
Welcher Weg ist für Ginter der richtige?
Hoffenheim, Gladbach, Wolfsburg, Leipzig - sie alle könnten sich Ginter in ihrem Kader vorstellen. Das trifft möglicherweise auch auf den neuen BVB-Coach Peter Bosz zu, Gespräche mit seinen künftigen Spielern wird der Niederländer aktuell zur Genüge führen.
Welcher ist daher nun der richtige Weg für Ginter? Bleibt er in Dortmund, ist die Wahrscheinlichkeit, regelmäßig in der Champions League und um Titel zu spielen, höher - einen Stammplatz muss dies allerdings weiterhin nicht bedeuten. Verlässt er diese Komfortzone, würden sich seine Einsatzminuten sicherlich erhöhen, die sportliche Perspektive aber womöglich verschieben.
Ein paar Wochen vor dem Ausklang der Bundesligasaison ließ Ginter seine Zukunft offen, ein Bekenntnis zur Borussia blieb aus. Um sein Profil grundsätzlich zu schärfen und in Zukunft eine sportlich größere Rolle zu spielen, scheint es zwei Veränderungen zu benötigen.
Höwedes als mögliches Vorbild
Ginter auf unterschiedlichen Positionen einsetzen zu können, ist zwar ein Segen für jeden Trainer. Was sich aber noch deutlicher herauskristallisieren könnte, wäre ein definitives Haupteinsatzgebiet. Ginter selbst würde da sofort die Innenverteidigung nennen, doch seit seiner Freiburger Zeit hat er dort nie mehr eine komplette Spielzeit kontinuierlich gespielt.
Eine Art Vorbild könnte Benedikt Höwedes vom Rivalen aus Gelsenkirchen sein. Der Schalker ist immer eine Alternative für die defensiven Außenbahnen, agiert als Innenverteidiger jedoch deutlich selbstverständlicher und stärker.
Diese klare Festlegung fehlt Ginter noch, sie muss theoretisch auch kein Nachteil sein. Doch wie sich die letzten Jahre zeigte, handhabten die Trainer die Personalie Ginter meist als vertrauensvolle und solide Alternative - und eben nicht als unumstößliche Größe auf einer festen Position.
Seit vier Jahren so gut wie verletzungsfrei
Was ihn zudem von Höwedes unterscheidet, ist das Persönlichkeitsbild. In seinem Charakter als Spieler muss Ginter zweifelsohne zulegen. Das heißt nicht, dass er seine menschlichen Grundzüge verändern müsste. Eine Entwicklung in Richtung Führungspersönlichkeit, gemischt mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein, erscheint mit Blick auf die nächsten Jahre jedoch ratsam.
Es ist noch kein Scheidepunkt, an dem Ginter derzeit steht. Er ist "erst" 23 Jahre alt, hat bereits fünfeinhalb Bundesligaspielzeiten auf dem Buckel und stand zwölf Mal für die A-Nationalmannschaft auf dem Feld. Seit vier Jahren ist er so gut wie verletzungsfrei.
Die Voraussetzungen stimmen also, Grund zur Besorgnis besteht keineswegs. Bald steht nun die Entscheidung über seine weitere Zukunft an. Sie könnte ausschlaggebend dafür sein, ob Matthias Ginter weitere Facetten zu seinem Dasein als Profi hinzuzufügen vermag.