Vom Polizisten zum Nationalspieler, vom Journalisten zum Berater: So außergewöhnlich Michael Schulz als Fußballer war, ging es in seinem Leben weiter. Nachdem er es erst mit knapp 26 zum Fußball-Profi und dann dennoch zum deutschen Nationalspieler (EM-Teilnahme 1992) geschafft hatte, wechselte er die Seiten und arbeitete als TV-Journalist (u.a. "ran" und "LIGA total!"). Jetzt ist er Spielerberater und Mitglied von Lutz Pfannenstiels Klima-Projekt "Global United". Der Grenzgänger im Interview.
SPOX: Louis van Gaal soll einmal gesagt haben: "Alle Journalisten sind Idioten." Die Frage an den früheren Fußballer und Journalisten sowie heutigen Spielerberater: Stimmt das?
Michael Schulz: Die Aussage ist natürlich falsch und völlig übertrieben, das müssen wir nicht diskutieren. Was er vermutlich meint: Dass sich viele Journalisten anmaßen, über Dinge zu urteilen, von denen sie definitiv keine Ahnung haben. Ich erwarte nicht, dass ein Journalist über eine Fußballlehrer-Lizenz verfügt. Aber dann darf ein Journalist auch nicht so tun, als ob er wüsste, wie es ist, am letzten Bundesliga-Spieltag vor 80.000 Zuschauern auf den Platz zu stehen.
SPOX: Sie wechselten nach der Bundesliga-Karriere zum TV. Ging Ihnen als Ex-Profi in einer Redaktionssitzung etwas besonders auf die Nerven?
Schulz: Dieses Hinterherhecheln nach irgendwelchen News. Als Otto Rehhagels Rückkehr nach Berlin feststand, hat jeder versucht, eine Stunde vor allen anderen noch irgendein Zitat zu bekommen, obwohl klar ist, dass nichts gesagt wird und gleich die Pressekonferenz ansteht. Bei manchen Kollegen wird in solchen Momenten der Jagdinstinkt geweckt, was ich bedenklich finde. Denn dieser Instinkt führt dazu, dass manchmal zu Mitteln gegriffen wird, die unfassbar sind. Ich habe es am eigenen Leib erlebt.
SPOX: Zum Beispiel?
Schulz: Ende der 80er Jahre gab es eine Blutgrätscher-Debatte um mich, so wie letzte Saison bei Paolo Guerrero. Die Presse diskutierte sogar über einen Entzug meiner Spielerlizenz. Ich wurde von den Journalisten richtig aggressiv angegangen und war plötzlich der Wahnsinnige, der auf die Psychocouch muss. Von daher sagte ich mir: "Nö, mit Euch Vögeln rede ich nicht mehr." Das führte dazu, dass Journalisten versuchten, mich am Telefon zu erpressen. Nach dem Motto: "Wenn Du nicht mit uns sprichst, schreiben wir, was wir wollen!" Ich ging nicht darauf ein und es wurden Interviews gedruckt, obwohl ich nie mit denen gesprochen hatte. Es gab heftige Sachen.
SPOX: Wie ist es Ihnen gelungen, die Phase auszusitzen?
Schulz: Die Frage ist, wie es der Einzelne durchhält. Man muss dafür hartgesotten sein. Damals gab es ja noch keine Autorisierung von Interviews, es war insgesamt rauer als heute. Deswegen habe ich zum ersten Interview nach langer Zeit zur Sicherheit den damaligen Dortmunder Manager Michael Meier als Zeugen mitgenommen.
SPOX: Sie sagen, dass es damals rauer zuging. Die heutige Spielergeneration wird Ihnen widersprechen.
Schulz: Ach, die heutige Generation hat keine Ahnung, wie es vor 20 Jahren zuging. Heute werden nach dem Abpfiff vielleicht drei Spieler vorgeschickt, die Interviews geben, früher hingegen war die Jagd eröffnet. Überall und bei jedem Training standen die Journalisten direkt dran. Heute gibt es Pressesprecher, die die Mannschaft abschirmen, früher musste man selbst zum Journalisten nein sagen oder sich selbst gegen eine unfaire Berichterstattung wehren, was natürlich viel unangenehmer war.
SPOX: Dafür gab es zu Ihrer Zeit noch nicht das Internet, das einiges zur Hysterie beiträgt.
Schulz: Es steht jedem frei, ob er sich von der Hysterie anstecken lässt oder nicht. Ich kenne einige Spieler, die gar nichts lesen, egal ob in Zeitungen oder im Internet. So habe ich es häufig praktiziert. Es gibt einem eine gewisse Souveränität: Man hat keine Ahnung, was geschrieben wird, und grüßt deswegen vor dem Training freundlich jeden Journalisten. Die, die mich an die Wand nageln wollten, wunderten sich, warum ich nicht sauer bin, und ärgerten sich selbst tierisch. So entwickelt man als Fußballer eine positive Gleichgültigkeit und merkt, dass vieles belanglos ist.
SPOX: Es gibt zahlreiche Gegenbeispiele.
Schulz: Absolut. Ich wundere mich über solche Jungs, die jede Internet-Seite und jedes Fan-Forum nach Kommentaren über sich durchscannen. Ich halte das für kritisch, weil man sich unnötig unter Druck setzt. Mal einen Bericht lesen, ist nicht verkehrt. Jeden Scheiß ernst zu nehmen, ist gefährlich. Die Jungs sind gut beraten, die Medien von der lustigen Seite zu betrachten oder den Konsum auf ein Minimum zu reduzieren. Irgendwann wirst du sonst wahnsinnig.
SPOX: Ihr langjähriger Trainer und Förderer Otto Rehhagel gilt wie van Gaal als Medienfeind. Hat es Sie nicht davon abgehalten, in den Journalismus zu wechseln?
Schulz: Dass er nicht viel hält von der Berufsgattung, ist bekannt. Wobei man einschränken muss: Er akzeptiert jemanden und war zugänglich, wenn dieser seriös arbeitet und mit ihm klarkommt. Deswegen fand ich den Journalismus so interessant: Ich wusste, dass man es besser machen kann, und wollte es ausprobieren, obwohl ich genauso wusste, dass ich nie zu den Highend-Journalisten gehören werde.
Teil II: Michael Schulz über sein Talent als Möbelverkäufer und verweichlichte Stars
SPOX: Wie kam es, dass Sie als einer der ersten Bundesliga-Profis die Seiten tauschten?
Schulz: Damals rief mich Reinhold Beckmann an: "Langer, pass mal auf, kannst du dir vorstellen, bei 'ran' mitzumachen? Wir versuchen, einen aus dem Sport zu etablieren." Ich hatte nach der Karriere etwas anderes vor, aber ich dachte mir, dass ich das Experiment einfach eingehe.
SPOX: Was war die Alternative?
Schulz: Ich wollte Möbel verkaufen.
SPOX: Möbel?
Schulz: Ich half schon als Bundesliga-Profi ein-, zweimal die Woche bei einem Freund aus, der ein Ledermöbelgeschäft besaß. Ich machte alles mit, fuhr mit auf Messen und verkaufte Sofas. Mir fiel das so leicht, das Reden, das Verhandeln, das Anpreisen der Ware, dass ich das fortsetzen wollte. Es wäre auf jeden Fall deutlich lukrativer gewesen als das Fernsehen.
SPOX: Stattdessen fingen Sie bei "ran" an - und führten zum Einstand auf dem Betzenberg ein Interview mit Otto Rehhagel.
Schulz: Es war mein allererstes Interview. Unfassbar. Ich wusste, dass es kein heikles Interview werden sollte und Otto Rehhagel mir zuliebe die Zusage dafür gab. Dennoch werde ich nie vergessen, wie aufgeregt ich war. Ich spielte ja zwei Jahre in Kaiserslautern und kenne den Weg auf den Betzenberg wie meine Westentasche. Allerdings machte ich mir im Auto so viele Gedanken, was ich ihn fragen könnte, dass ich an der Autobahnausfahrt vorbeigefahren bin - und mir das erst 20 Kilometer später auffiel.
SPOX: Am Ende des Interview-Debüts sieht man, dass Sie unsicher sind, ob Sie Rehhagel zum Abschied umarmen oder nur die Hand reichen sollen. Wie schwierig ist es für einen Ex-Profi, die gebotene Distanz zu wahren, um kritisch berichten zu können?
Schulz: Es hat Vor- und Nachteile. Oft habe nur ich jemanden zum Interview bekommen, weil ich eben der Ex-Profi bin. Gleichzeitig versuchte ich schon, total sachlich zu bleiben und rational zu argumentieren. Dann wird Kritik auch nicht böse genommen.
SPOX: Wirklich nicht? Journalisten bekommen gelegentlich den Eindruck, dass Fußballer nicht besonders selbstkritisch sind.
Schulz: Selbstkritik musste ich ebenfalls lernen. Es ist eine grundsätzliche Schwäche des Menschen, nicht nur eines Fußballers. Man sucht immer die Fehler bei anderen und nie bei sich. Ich merkte erst mit der Zeit und der nötigen Erfahrung, wie sinnvoll es ist, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und wie gut es bei anderen ankommt, wenn man ehrlich mit sich ins Gericht geht. Das versuche ich den Spielern, die ich berate, näherzubringen. Es bringt nichts, sich immer zu ducken. Wenn man überzeugt ist, dass man keinen Fehler begangen hat, lohnt es sich zu kämpfen. Aber: Wenn man einen Mist spielt, soll man sich dem stellen und nach dem Spiel nicht unter den Kamerakabeln durchkriechen und in die Kabine flüchten. Man könnte meinen, dass das nicht so schwer ist. Daran sieht man trotzdem den wahren Charakter eines Profis. Größe zeigt sich erst in schwierigen Momenten.
SPOX: Gilt das gleichfalls für Journalisten?
Schulz: Es gibt sehr befremdliche Kollegen. Otto Rehheagel hat es mal so moniert: "Öffentlich diffamieren und sich nicht öffentlich entschuldigen." Wie oft kam es vor, dass mir jemand eine schlechte Note gegeben hat und später im Training angekommen ist mit irgendeiner billigen Entschuldigung. Von wegen: "Tut mir leid, ich habe es falsch gesehen und es gar nicht so böse gemeint." Oder noch schlimmer und total arm: "Tut mir leid, ich hatte dich ja ganz anders gesehen, nur der Chefredakteur hat es umgeschrieben." Eine Richtigstellung schafft es dennoch nie in die Zeitung.
SPOX: Sind die Medien doch zu hart und unfair? Wird ein zu großer Druck aufgebaut?
Schulz: Nein! Ich kann mich über die Jungs aufregen, die mit einem Selbstverständnis Millionen verdienen und es gar nicht anders gewohnt sind. Ich würde jedem von ihnen gerne sagen: "Ihr müsst einmal erfahren, wie das richtige Leben aussieht und was ein richtiger Job bedeutet!" Mein Lieblingslehrer Otto Rehhagel hat gesagt: "Meine Herren, Sie haben einen Körper wie Adonis, sie verdienen viel Geld und die Frauen liegen Ihnen zu Füßen. Sie haben den schönsten Beruf der Welt." So ist das. Du hast den geilsten Job, gehst morgens für eineinhalb Stunden zum Training, hast danach den ganzen Tag frei und erhältst Wahnsinnssummen. Wenn ich dann von Druck und Stress höre! Wer Druck und Stress hat, soll nach Bochum ins Opel-Werk gehen und sich ans Band stellen. Immer mit der Angst im Nacken, ob das Werk nächstes Jahr überhaupt noch steht und ob er weiter 1000 Euro im Monat abtragen kann, um die Raten für das kurz zuvor gekaufte Reihenhaus zu zahlen. Das ist Druck! Wer den Druck im Fußball nicht aushält, sollte sich etwas anderes suchen. Es wird keiner gezwungen, Profi zu werden. So einfach ist das.
SPOX: Liegt Ihre Sichtweise in Ihrer Vita begründet? Sie arbeiteten bei der Polizei und wurden erst mit fast 26 Jahren Fußball-Profi.
Schulz: Es half mir sicherlich zu wissen, wie es ist, für 2000 Mark im Monat zu arbeiten. Egal ob ich auf der Bank saß oder verletzt war, hatte ich Demut vor dem Leben als Fußball-Profi, weil man so privilegiert ist.
SPOX: Gab es nie die Gefahr, dass Sie abheben?
Schulz: Nein, mir war es wichtig, Sachen anders zu machen. Ich packte im Sommer das Dreimann-Zelt ein und fuhr mit dem BMW Cabrio zum Campen. So etwas erdet.
SPOX: Wie sah Ihr Leben vor der Bundesliga-Karriere aus?
Schulz: Ich bin direkt nach dem Abitur zur Polizei und durfte nach einigen gut gelaufenen Lehrgängen direkt in den Führungsstab. Ich war bei der Bereitschaftspolizei zuständig für das Sachgebiet "Sport und Ausbildung" und organisierte hauptsächlich vom Schreibtisch aus Sportveranstaltungen oder koordinierte die Polizeiausbildung.
SPOX: Und parallel kickten Sie unterklassig.
Schulz: Bis zur A-Jugend spielte ich in Sulingen in der damals höchsten Klasse und wechselte im Herrenbereich nach Syke in die vierte Liga. Es ging weiter nach Oldenburg in die dritte Liga, was nicht ohne war. Wir hatten fast jeden Tag Training.
SPOX: Und wie kam es, dass Sie nicht entdeckt wurden?
Schulz: Es lag nicht an den Klubs, sondern an mir. Ich bekam schon als 18-Jähriger Angebote, ich nahm sie jedoch nie an, weil ich davon ausging, dass ich es eh nicht schaffe. Wenn wir ein Testspiel gegen einen Bundesligisten hatten, bekamen wir immer sieben Stück eingeschenkt, entsprechend sagte ich mir: Bevor ich in dieses windige Geschäft einsteige, behalte ich lieber den sicheren Job bei der Polizei. Ich dachte, dass es eine gesunde Selbsteinschätzung gewesen wäre. Mit 25 kam ich aber zur Erkenntnis: Jeder Junge träumt von der Bundesliga und du nimmst die Angebote nicht an. Bist du eigentlich doof?
SPOX: Jetzt sind Sie selbst Teil des vermeintlich "windigen Geschäfts". Sie arbeiten mittlerweile als Spielerberater. Hätten Sie das früher gedacht?
Schulz: Niemals. Im Gegenteil: Ich habe super gern Fußball gespielt, gleichzeitig hat mich das Business nie interessiert. Daher hatte ich nie Lust, nach der Karriere irgendetwas mit Fußball zu tun zu haben, und wollte nur raus aus dem Kreislauf. Allerdings muss ich mir eingestehen, dass ich mich geirrt habe. Der Fußball ist ein schönes Geschäft, in dem ich mich auskenne und über ein Netzwerk verfüge. Mir macht es unheimlich viel Spaß.
Schuuuuuulz: Michael Schulz im Steckbrief
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