"Selbst gegen Australien nicht chancenlos"

Haruka Gruber
16. Juni 201316:37
Philippinens Nationaltrainer Michael Weiß (M.) mit Teammanager und Finanzier Dan Palami (l.)getty
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Ein wundersamer Aufstieg nach einem einzigartigen Casting: Dank SPOX wurde der deutsche Fußball-Lehrer Michael Weiß über Nacht zum philippinischen Nationaltrainer. Zweieinhalb Jahre später ist er noch im Amt - und erfolgreich wie nie. Die einst schlechteste Fußball-Nation der Welt entwickelt sich unter Weiß Schritt für Schritt zu einem asiatischen Power House.

SPOX: Im November 2010 fand bei SPOX ein einzigartiges Casting statt: Der philippinische Fußball-Verband bat SPOX darum, bei der Suche nach einem neuen Nationaltrainer behilflich zu sein. Sie wurden aus über 100 Bewerbern ausgewählt - und sind zweieinhalb Jahre später noch immer im Amt. Hätten Sie gedacht, dass daraus so etwas Langfristiges entstehen könnte?

Michael Weiß: Ich hatte es mir erhofft. Die gesamte Umsetzung wirkte professionell und durchdacht, so dass ich damals schon überglücklich war, diese Gelegenheit zu bekommen. Die zweieinhalb Jahre sind seitdem rasend schnell vorbeigezogen mit unzähligen Highlights - aber auch immens viel Arbeit. Zwischendurch ging ich auf dem Ersatzfelgen, weil es einiges an Energie kostet, neben der klassischen Tätigkeit als Fußballlehrer viel parallel zu organisieren und anzustoßen. Es ist jedoch schön zu sehen, dass es sich auszahlt. Die Perspektiven der philippinischen Nationalmannschaft sind riesig. Ich kann mich nur bei SPOX bedanken, dass ich die Chance erhalten habe.

SPOX: Ihre Arbeit wird in Deutschland wohlwollend wahrgenommen. Zuletzt wurden Sie neben Jürgen Klinsmann, Otto Pfister, Bernd Stange und Holger Obermann als deutscher Fußball-Botschafter des Jahres nominiert.

Weiß: Nicht nur das. In den letzten Monaten haben neben SPOX die ARD, das ZDF, Sky Sport News, die Süddeutsche Zeitung, Bild, die Frankfurter Rundschau und viele mehr über mich und die Philippinen berichtet. Es ist schön, dass das Geleistete gewürdigt wird, weil die deutschen Trainer im Ausland häufig zu sehr untergehen.

SPOX: Mit Falko Götz in Vietnam und Winnie Schäfer in Thailand folgten Ihnen zwei deutsche Kollegen nach Südostasien. Götz wurde nach einem halben Jahr entlassen, Schäfer gab Anfang Juni seinen Rücktritt bekannt. Wie schwierig ist es, in dieser Region tätig zu sein?

Weiß: Es ist eine harte, sehr lehrreiche Schule. Man muss mit den klimatischen Bedingungen, der Masse an Arbeit und der fehlenden Infrastruktur klarkommen. Und das häufig als Einzelkämpfer. Nachdem ich mich jetzt durchgesetzt und mir einen Namen gemacht habe, weiß ich, dass ich mich nicht zu verstecken brauche. Mittlerweile werde ich keine Probleme haben, in Deutschland in den Profifußball einzusteigen.

SPOX: Was war die kurioseste Geschichte der letzten Zeit?

Weiß: Mitte März fand in Manila das Qualifikationsturnier für den AFC Challenge Cup 2014 statt. Kurz vor dem Turnier sagte Brunei die Teilnahme ohne eine Erklärung einfach ab. Dann begann das Turnier: Zum Auftakt hatte Turkmenistan gegen Kambodscha mit 7:0 gewonnen. Wir traten danach gegen Kambodscha an und wollten selbst mindestens 8:0 gewinnen, damit uns im letzten Spiel gegen Turkmenistan ein Unentschieden reicht. Es ging also los gegen Kambodscha - und plötzlich war das gesamte Stadion dunkel, weil die Fluchtlichter ausfielen. Als diese wieder funktionierten, setzte ein unglaublicher Platzregen ein, weswegen das Spiel unterbrochen werden musste. Wir kehrten in die Kabine zurück und versuchten so viele Plastikboxen wie möglich zu finden, damit die Ordner das ganze Wasser reinschütten konnten. Irgendwann wurde es fortgesetzt, wir erzielten Tor um Tor - und in der letzten Minute gelang uns tatsächlich das 8:0. Wahnsinn! Der Abend steht sinnbildlich für den philippinischen Fußball: Einiges ist amateurhaft und nichts läuft wie geplant, aber am Ende ist man trotzdem irgendwie erfolgreich. (lacht)

Philippinen: Aus dem Abgrund des Weltfußballs

SPOX: Ihnen glückte mit Philippinen tatsächlich die Qualifikation für den AFC Challenge Cup, der März 2014 auf den Malediven stattfindet. Dort treffen acht asiatische Fußball-Entwicklungsländer aufeinander und der Gewinner erhält automatisch das Teilnahmerecht an den asiatischen Meisterschaften 2015.

Weiß: Deswegen sind die Planungen voll auf den Challenge Cup ausgerichtet. Die Philippinen haben das Turnier noch nie gewonnen, geschweige denn die asiatischen Meisterschaften erreicht. Und das Ziel zu erreichen, ist realistisch. Palästina und Turkmenistan dürften die stärksten Gegner sein, doch die Topfavoriten sind wir. Es hängt einiges davon ab, ob die europäischen Legionäre wie Stephan Schröck anreisen können, wobei wir selbst mit der zweiten Garde nach einer guten Vorbereitung den Challenge Cup holen können. Es wäre ein historischer Erfolg.

SPOX: Ihre Bilanz als philippinischer Nationaltrainer liest sich beeindruckend: Sie gewinnen 65 Prozent der Spiele, zu 20 Prozent gibt es ein Remis und nur zu 15 Prozent setzt es eine Niederlage. 2013 gab es in vier Spielen sogar vier Siege ohne Gegentor. Was ist der Schlüssel?

Weiß: Es gibt mehrere Faktoren. Einer der wichtigsten: Wir verfügen über einen wesentlich breiteren Kader. Es gibt eine Gruppe von ungefähr 30 Spielern, die auf den Philippinen oder in der Region spielen und ein Fundament bilden, die durch die Legionäre in der Spitze verstärkt wird. Es hat sich als richtig erwiesen, dass Ex-Hannover-Profi Dennis Wolf oder der frühere Cottbuser Patrick Reichelt nach Manila geholt wurden, damit die Klubs im Inland gestärkt werden und gleichzeitig Trainingslager für die Nationalmannschaft einfacher zu organisieren sind.

SPOX: Es gab anfangs an Ihnen die Kritik, dass die Philippinen zu defensiv spielen würden.

Weiß: Was blieb uns sonst übrig? Jetzt bewegen wir uns auf einem viel höheren Niveau und müssen und nicht nur nach der Defensive orientieren. Unser technisches Level ist sehr ordentlich und die Offensive ist im asiatischen Fußball absolut vorzeigbar. Mit Javier Patino haben wir sogar eine Granate hinzubekommen: Patino war in der zweiten spanischen Liga bei Cordoba und spielt jetzt in Thailand beim asiatischen Topklub Buriram United. Mit Schröck auf der linken Seite, Angel Guirado auf der rechten Seite, Patino auf der Zehn und Phil Younghusband in der Spitze haben wir echte Kaliber. In Bestbesetzung sind wir mittlerweile selbst gegen Teams wie Australien, Bahrein oder Kuweit nicht chancenlos.

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SPOX: Nur in der Weltrangliste spiegelt es sich nicht wider. Die Philippinen etablierten sich zwar in den Top 150. Bis zu den Top 100, das erklärte Ziel von Teammanger Dan Palami, ist es weit hin.

Weiß: Die Weltrangliste besitzt nur eine bedingte Aussagekraft. Das weiß Dan Palami, mit dem ich toll zusammenarbeite und ohne ihn der gesamte Aufschwung gar nicht denkbar wäre. Bei der Weltrangliste ist das Problem, dass es nicht die wahre Leistungsstärke wiederspiegelt. Ruanda an Platz 93 würden wir locker schlagen. Und wenn wir beispielsweise mal Katar bezwingen würden, ginge es direkt 20 Plätze nach oben. Gleichzeitig sind wir auf dem 144. Rang zwei Plätze besser als Kasachstan, das in der WM-Quali gegen Deutschland respektabel mitspielte. Uns war es im ersten Schritt wichtig, uns zu stabilisieren und in Südostasien zu den Top-Nationen aufzuschließen. Das ist uns gelungen.

SPOX: Mittlerweile sind sogar erste Strukturen geschaffen worden, um weiter konkurrenzfähig zu sein. Mit dem Schweizer Pascal Zuberbühler, einst bei Bayer Leverkusen, bekamen Sie sogar einen sehr prominenten Torwart-Trainer an die Seite. Wie kam es dazu?

Weiß: Mein Nationaltorwart Neil Etheridge legte mir Pascal ans Herz. Beide kennen sich aus Fulham, wo Pascal erst mit Neil zusammenspielte und ihn dann trainierte. Ich muss zugeben: Anfangs war ich etwas reserviert, weil ich Pascal nicht kannte. Mittlerweile will ich ihn nicht mehr hergeben. Er übernimmt neben der eigentlichen Tätigkeit als Torwart-Trainer auch die Video-Analyse und hilft bei der Organisation. Obwohl er eine tolle Spielerkarriere hatte mit Teilnahmen an der WM und EM und deswegen überall ein hohes Standing genießt, verhält er sich total vorbildlich und loyal. Ein Top-Mann, der zu einem guten Freund geworden ist.

SPOX: Erschwert es jedoch Ihre Entscheidung, wen Sie zur Nummer eins ernennen? Zuberbühler-Intimus Etheridge oder Duisburgs Roland Müller?

Weiß: Überhaupt nicht. Ich habe einen offenen Konkurrenzkampf ausgerufen und ich bin gespannt, ob sich beide zu Bestleistungen pushen. Roland hatte in der Vorsaison für Duisburg einige gute Auftritte, Neil gelangen ebenfalls überragende Fortschritte.

SPOX: Der 20-jährige Alphonse Areola, die Nummer drei bei Paris St. Germain, hat ebenfalls philippinische Wurzeln und soll außergewöhnlich talentiert sein.

Weiß: Wenn er so gut ist, wie man sich erzählt, wird er der nächste französische Nationalkeeper. Dennoch ist das kein Problem, wir haben mit Neil und Roland zwei Top-Torhüter.

SPOX: Sondieren Sie weiter das Ausland nach Halb-Filipinos, um die Nationalmannschaft zu verstärken?

Weiß: Auf jeden Fall. Mike Ott aus der A-Jugend von 1860 München war beim Freundschaftsspiel in Hong Kong letzte Woche erstmals bei der Nationalmannschaft dabei und lernte uns kennen. Und bei Admira Wacker Mödling in der österreichischen Bundesliga entdeckten wir mit Stefan Palla einen interessanten Spieler für die Abwehr.

SPOX: Die Kehrseite: In den philippinischen Medien heißt es, dass es Spannungen in der Nationalmannschaft geben soll zwischen den einheimischen und halb-philippinischen Spielern. Was ist dran?

Weiß: Es gibt unterschwellig ein gegenseitiges Beäugen. Einer meiner Spieler, der in den Philippinen aufgewachsen ist, wurde mit der Aussage zitiert, dass zu viele Halb-Filipinos im Team seien. So etwas lese ich nur sehr ungern. Wir leben in einer globalen Welt und für solche Ressentiments sollte es keinen Platz geben. Die Spieler haben alle philippinische Wurzeln und geben alles, das Land anständig zu repräsentieren. Die Alternative wäre, dass die Philippinen wieder zur Witzfigur des südostasiatischen Fußballs verkommen. Aber wer will das?

Michael Weiß im Steckbrief