"Ich wollte einfach nicht scheitern"

Jochen Tittmar
17. November 201608:46
Michael Zorc arbeitet seit 1998 im Management von Borussia Dortmundgetty
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Michael Zorc hat sein ganzes Leben lang in Dortmund und beim BVB verbracht. Nach dem Ende seiner Spielerkarriere wechselte er 1998 zügig ins Management von Borussia Dortmund. Der Sportdirektor spricht im Interview über seine Verbundenheit zu Dortmund, sein abgebrochenes Studium, den schwierigen Start in die Management-Karriere und den Umgang mit der Vielzahl an Transfergerüchten.

SPOX: Herr Zorc, was ist wahrscheinlicher: Dass Sie eines Tages einmal Borussia Dortmund verlassen werden oder gewinnt doch eher der FC Schalke 04 mal wieder einen Meistertitel?

Michael Zorc: Irgendwann werde ich ja auf jeden Fall mal gehen. Idealerweise natürlich aus Altersgründen. (lacht) Das halte ich also für wahrscheinlicher.

SPOX: Sie sind gebürtiger Dortmunder, haben dort Ihre gesamte Karriere als Spieler verbracht und sind anschließend nahtlos in die Rolle des Sportdirektors geschlüpft. Wieso für immer Dortmund?

Zorc: Es gab zu meiner aktiven Zeit als Spieler durchaus die Überlegung, ob ich die ganze Zeit in Dortmund bleiben möchte oder nicht. Mir lagen immer mal wieder Angebote anderer Klubs vor. Gerade im Spätherbst meiner Karriere habe ich nicht mehr regelmäßig gespielt. Das hat mir überhaupt nicht geschmeckt und ich habe es zum damaligen Zeitpunkt auch nicht eingesehen. Dadurch wurde ich quasi gezwungen, darüber nachzudenken. Ich habe überlegt, ob ich nicht doch woanders zeigen möchte, dass ich es noch drauf habe.

SPOX: Und?

Zorc: Je intensiver ich mich damit beschäftigt habe und je näher die finale Entscheidung rückte, desto klarer wurde mir: Dortmund ist einfach mein Platz. Und den möchte ich nicht verlassen.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Michael Zorc zum Interview in Dortmundspox

SPOX: Wie viele Momente dieser Art gab es insgesamt?

Zorc: Nicht besonders viele. Höchstens eine Hand voll.

SPOX: Was genau bedeutet Ihnen Heimat?

Zorc: Ich bin da nicht zu romantisch veranlagt, um ehrlich zu sein. Ich habe immer in Dortmund gelebt und finde mich dort auch wieder. Ich fühle mich hier zusammen mit meiner Familie und meinen Freunden sehr wohl. Das ist temporär aber auch woanders möglich. Es ist nicht so, dass ich mich ausschließlich in Dortmund wohlfühle und sonst nirgendwo.

SPOX: Wie eng ist denn Ihr privates Umfeld mit der Stadt verbunden?

Zorc: Das ist in jeder Hinsicht ganz unterschiedlich. Es gibt Freunde aus anderen Städten und Ländern, Freunde aus Dortmund und solche, die gar nichts mit dem Fußball zu tun haben. Es ist zufällig niemand aus Gelsenkirchen dabei. (lacht) Ich bin diesbezüglich wirklich nicht einseitig festgelegt.

SPOX: Stimmt es eigentlich, dass Sie einmal ein Studium abgebrochen haben?

Zorc: Ja. Ich war bereits ein Jahr Profi unter Trainer Branko Zebec, als ich 1982 mein Abitur gemacht habe. Das war damals kein einfaches Jahr, da die Trainings-Intensitäten sehr, sehr hoch waren. Zudem war ich noch vier Wochen mit der Junioren-Nationalmannschaft des DFB in Australien bei der Weltmeisterschaft. Danach bin ich in die Sportfördergruppe der Bundeswehr nach Essen-Kupferdreh gekommen und habe ziemlich zeitgleich zusammen mit Kumpels an der Uni Dortmund Wirtschaftswissenschaften studiert.

SPOX: Weshalb haben Sie das Studium nicht durchgezogen?

Zorc: Ich bin zunächst halbwegs regelmäßig dort erschienen und habe Scheine gemacht. Meine Jungs haben mir zum Glück auch geholfen und mir ihre Mitschriebe zukommen lassen, wenn ich aufgrund des Fußballs nicht anwesend sein konnte. Ich musste ja dann irgendwie an den verpassten Stoff kommen und ihn im Anschluss unter zeitlicher Befristung nacharbeiten. Letztlich habe ich nach vier Semestern abgebrochen, da sich mein Schwerpunkt immer mehr Richtung Profifußball verschob. (lacht) Man könnte auch sagen, ich habe mich für den schnöden Mammon entschieden.

SPOX: Sie hatten nach Ihrem Karriereende 1998 keine wirkliche Ausbildung genossen, es war vielmehr ein direkter Übergang vom Spieler zum Manager. Haben Sie sich da anfangs vor allem auf Ihr Wissen als Spieler verlassen?

Zorc: Natürlich. Das Wissen und die Erfahrungswerte, die ich damals in bestimmten Situationen gesammelt habe, kann ich teilweise heute noch anwenden. Wir haben gerade in den 1990er Jahren in Europas Spitze mitgespielt, so dass es viele vergleichbare Gefühlsmomente gibt.

SPOX: Der Rest kam dann über die reine Praxis?

Zorc: Genau. Man kann den Job als Sportdirektor nicht lernen. Natürlich gibt es mittlerweile Studiengänge, die sich mit der Fußballbranche und den dortigen Mechanismen beschäftigen. Dabei kann man sich viel Basiswissen mitnehmen. Was am Ende aber meiner Ansicht nach wirklich wichtig ist, sind viele Erfahrungswerte, die man sich nur in der Praxis erarbeiten kann. Ich mache das jetzt seit über einem Jahrzehnt und greife dabei häufig auf diesen Fundus aus Erfahrungen als Spieler und Manager zurück.

SPOX: Wie sind Sie mit den trockenen Themen wie beispielsweise Verbandsstatuten oder Transferrichtlinien umgegangen?

Zorc: Das kann man sich alles anlesen.

SPOX: Mittlerweile ist es längst Alltag für Sie, um Millionengehälter und Ablösesummen zu feilschen, Vertragsmodalitäten auszuarbeiten und mit einem großen Netzwerk zu agieren. Wie hätten Sie darüber gedacht, wenn man Ihnen das als Spieler vorhergesagt hätte?

Zorc: Dass ich es auf diesem Gebiet versuchen möchte, wurde mir erst zum Ende meiner aktiven Spielerkarriere klar. Ich bin ja nicht mehr schneller geworden. (lacht) Damals habe ich mir die Frage gestellt, ob ich künftig als Trainer arbeiten oder doch etwas vollkommen anderes machen möchte. Ich bin dann recht zügig zu der Entscheidung gekommen, das Interesse an wirtschaftlichen Vorgängen mit dem sportlichen Bereich, in dem ich mich gut auskenne, zu verbinden.

SPOX: Es gab eine Phase, in der Sie fast nur Einjahresverträge unterzeichnet haben.

Zorc: Das war eine Konsequenz der schwierigen wirtschaftlichen BVB-Zeit mit der Beinahe-Insolvenz im Jahr 2004. Nach dem Wechsel der Führungsriege haben wir die entsprechenden Gespräche geführt. Ich weiß noch, wie ich zu Hans-Joachim Watzke sagte: Die Vertragslaufzeit ist mir egal, schau einfach, wie ich arbeite - und dann sehen wir weiter.

SPOX: Als Watzke übernahm und den stark verschuldeten Verein sanierte, stärkte er Ihnen den Rücken. Dabei war Ihre Arbeit öffentlich teils umstritten. SPOXspox

Zorc: Ja, das war so. Ich habe damals quasi auf Bewährung gearbeitet, da auch die Ergebnisse nicht so ausfielen, wie man sich das idealerweise erhofft hat. Man muss natürlich sehen, dass wir in der Zeit von 2002 bis 2005 gesund schrumpfen mussten. Innerhalb von zwei Saisons haben wir das Gehaltsbudget von 57 auf 24 Millionen Euro reduziert. Wirtschaftliche Aspekte hatten einfach eine höhere Bedeutung als sportliche, die Prioritäten hatten sich deutlich verschoben. Und das war alles andere als einfach, gerade nach außen hin.

SPOX: Inwiefern?

Zorc: Wir mussten den Menschen klar machen, dass wir zwar immer noch Borussia Dortmund mit dem vollen Stadion sind, doch wir mussten zunächst einmal das wirtschaftliche Fundament bereiten, um uns überhaupt wieder sportlich entwickeln zu können. Damals stand auf unseren Trikots zwar BVB drauf, aber es steckte qualitativ nicht wirklich 100 Prozent BVB drin.

SPOX: War dies einer der Momente, in dem Sie ernsthaft überlegten, den Bettel hinzuschmeißen und den BVB doch einmal zu verlassen?

Zorc: Nein. Ich wollte damals einfach nicht scheitern, das war meine große Motivation. Natürlich haben mir manche Kritiken nicht gefallen, andererseits muss man das im Verhältnis sehen. Ob als Spieler oder Manager, dieser Job ist so öffentlich wie kaum ein anderer. Deshalb bleiben auch unschöne Momente nicht aus. Man lernt, damit umzugehen und dies gewissermaßen als Teil des Geschäfts hinzunehmen.

SPOX: Nun haben Sie seit einigen Jahren erstmals deutlich geringere wirtschaftliche Zwänge beim Ausüben Ihres Jobs. Ist es dadurch für Sie einfacher geworden? SPOX

Zorc: Rein wirtschaftlich betrachtet schon, wir sind ja jetzt so gesund wie noch nie in unserer Klubgeschichte. Dass die Arbeit leichter geworden ist, sehe ich aber nicht. Es gelingt nun zwar schneller, Spieler davon zu überzeugen, zu uns zu wechseln. Durch die Erfolge der letzten Jahre sind Erwartungshaltung und Ansprüche aber deutlich gestiegen, auch an uns selbst. Man schaut sich in Abstimmung mit dem Trainer jetzt noch gezielter um, welche Spieler uns wirklich weiterhelfen können, oder ob man nicht doch parallel andere Maßnahmen einleiten muss.

SPOX: Apropos Spielertransfers: Sie sind bekannt dafür, sich wenig bis gar nicht an Spekulationen zu beteiligen. Doch diese tauchen heutzutage in steter Regelmäßigkeit auf. Wie gehen Sie damit um?

Zorc: Mittlerweile akzeptiere ich das, es gehört ja auch irgendwie dazu. Wenn die Gerüchte immer unsinniger werden, halte ich mich erst recht mit Einschätzungen zurück. Aber manchmal sorgt die Gerüchteküche ja für interessante Anregungen.

SPOX: Inwiefern?

Zorc: Wenn man liest, man hätte mit Spieler XY bereits Einigung erzielt und wäre selbst gar nicht auf ihn gekommen, dann sind das ja sogar wertvolle Tipps. (lacht) Spaß beiseite: Wenn wir in einem der seltenen Fälle einmal klar Stellung zu irgendeiner Personalie bezogen haben und anschließend trotzdem hartnäckig das Gegenteil behauptet wird, dann nervt das einfach.

SPOX: Wenn Sie sich wiederum gar nicht äußern, wird erst Recht spekuliert.

Zorc: Das ist ja auch heutzutage offenbar der Job der Journalisten. Dann spekuliert Ihr halt. Manche Sachverhalte sind allerdings schizophren. Da wechselt dann der gleiche Spieler innerhalb von drei Tagen zu vier verschiedenen Klubs. Die dann offenen Fragen müsste man sich eigentlich selbst beantworten können.

SPOX: Sie sind ohnehin nicht der Typ, der besonders häufig vor der Kamera anzutreffen ist. Weshalb eigentlich?

Zorc: Ich brauche kein permanentes Rampenlicht, weil es mich nicht interessiert und ich mich auch nicht mit öffentlichkeitswirksamen Auftritten für etwas empfehlen möchte. Mein berufliches Umfeld soll wissen, wie ich ticke und mich entsprechend bewerten. Das ist mir wichtig.

SPOX: Gab es denn schon einmal eine konkrete Offerte, die Sie halbwegs ins Grübeln gebracht hat?

Zorc: Ganz am Ende meiner Spielerkarriere hatte ich ein Angebot aus Japan, das damals in finanzieller Hinsicht das heutige China war. Dort hätte ich ein x-faches meines Dortmunder Gehalts verdienen können. Hätte ich das gemacht, wäre ich allerdings nicht Champions-League-Sieger geworden.