Hertha BSC vs. FC Bayern München: Die Thesen zum FCB-Sieg im Berliner Eisschrank

Dennis Melzer
06. Februar 202112:05
SPOXGetty
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Beim knappen Sieg des FC Bayern München bei Hertha BSC weiß Kingsley Coman nicht nur als Torschütze zu gefallen. Ein Berliner macht dagegen Lust auf mehr. Die Thesen zum Spiel im Eisschrank Berlins.

Schneefall, Wind und Eiseskälte - die Hauptstadt bereitete dem deutschen Rekordmeister aus München, wo in den vergangenen Tagen der kurzzeitige Vorfrühling Einzug gehalten hatte, keinen sonderlich herzlichen Empfang. Neben den ungemütlichen äußeren Bedingungen, die einen schmatzenden Rasen (laut Thomas Müller) produzierten, machte auch der Gegner keinerlei Anstalten, den hochdekorierten Gästen aus dem Süden allzu warmherzig zu begegnen.

Entsprechend glanzlos lief das Geschehen auf dem Platz weitestgehend ab. Der FC Bayern nahm ein knappes 1:0 aus der Spreemetropole mit, fuhr gleich im Anschluss zum Flughafen und wollte noch am gleichen Abend nach Katar, also in deutlich wärmere Gefilde, aufbrechen, doch aus diesem Plan wurde nichts. Vom Kälte-Kick bei der Hertha bleiben derweil drei Thesen.

1. Hansi Flick macht Coman zum kompletten King

Dass Kingsley Coman über herausragende Anlagen verfügt, ist hinlänglich bekannt. In der laufenden Spielzeit avanciert der Franzose aber immer häufiger zum vielzitierten Unterschiedsspieler. Hansi Flick, nicht unbedingt als Aficionado der öffentlich vorgetragenen Einzelspieler-Lobeshymne bekannt, hob Coman und dessen Form schon im Dezember hervor, legte dessen Konkurrenten sogar nahe, sich ein Beispiel am 24-Jährigen zu nehmen.

Gegen Hertha BSC zeigte Coman seine Qualitäten im Offensivspiel wieder einmal. In beinahe jedem erfolgversprechenden Angriff hatte der Flügelflitzer seine Füße im Spiel, einer grazilen Bewegung folgte in der 21. Spielminute ein Abschluss, der nach ungewollter und unglücklicher Mithilfe von Niklas Stark zum spielentscheidenden 1:0 über Rune Jarstein hinwegsegelte.

Darüber hinaus lieferte Coman die meisten Torschussvorlagen (2) und verbuchte aufseiten der Bayern die meisten Abschlüsse auf den gegnerischen Kasten (4). Nicht allzu überraschend, dass ein Spieler seines Formats imstande ist, derlei Statistiken in die Bücher zu bringen.

Was in Berlin jedoch besonders auffiel, war das Engagement in puncto Defensivarbeit. Bei Ballverlusten machte sich Coman sofort auf, das weiße Kunstleder auf zwischenzeitlich weißem Grund zurückzuerobern. Überließen die Münchner den Hausherren das Feld, reihte er sich in ein insgesamt strukturiertes Konstrukt ein.

Coman lief Räume zu und sicherte ab, wenn sein wenig offensivfreudiger Hintermann Lucas Hernandez einen seiner wenigen Ausflüge unternahm, die zumeist nicht unbedingt von Erfolg gekrönt wurden.

Flick hat es seit seiner Amtsübernahme geschafft, Coman kontinuierlich zu verbessern und aus ihm, der in seiner fünfeinhalbjährigen FCB-Schaffenszeit immer wieder mit Verletzungen und Leistungsschwankungen zu kämpfen hatte, einen echten, unumstrittenen Leistungsträger zu formen.

Derzeit sehen die Bayern-Fans den vielleicht komplettesten "King" seit seiner Ankunft im Sommer 2015. Übrigens: Bereits nach 20 Spieltagen trat Coman in dieser Bundesliga-Saison häufiger als Scorer in Erscheinung (drei Treffer, neun Vorlagen bei 16 Einsätzen, bisheriger Bestwert aus der Saison 2018/19: sechs Tore, fünf Vorlagen bei 21 Einsätzen) als in all seinen jeweiligen Bayern-Saisons zuvor nach 34 Spieltagen.

FC Bayern: Die kommenden Spiele

DatumWettbewerbGegnerOrt
08.02.2021Klub-WMAl Ahly SCN
11.02.2021Klub-WMnoch offenN
15.02.2021BundesligaArminia BielefeldH
20.02.2021BundesligaEintracht FrankfurtA
23.02.2021Champions LeagueLazio RomA

2. Hansi Flick beraubt sich einer Stärke

"Was auffällt, ist, dass bei uns wieder öfter die Null steht", erklärte Thomas Müller nach dem Spiel in Berlin und arbeitete gleich darauf den Grund für seine richtige Feststellung heraus: "Wir haben mittlerweile eine bessere Tiefenstaffelung." Tatsächlich spielte der FC Bayern in den vergangenen vier Bundesliga-Partien dreimal zu Null, nachdem er zuvor in elf aufeinanderfolgenden Spielen keine weiße Weste behalten hatte.

Dass sich die Münchner mittlerweile in der Defensive einigermaßen gefangen haben, scheint mit der taktischen Ausrichtung zu korrelieren. Setzte Flick monatelang auf hohes Pressing, bei dem sich selbst die Innenverteidiger nur knapp hinter der Mittellinie postierten, mutet die Marschroute aktuell konservativer an. Das Resultat: Torhüter Manuel Neuer sieht sich seltener mit gegnerischen Angreifern konfrontiert, die mutterseelenallein auf ihn zustürmen dürfen. Die Gegentorflut der Vorwochen ist gestoppt.

Was aber neben Müllers Erkenntnis ebenso auffällt, sind die abnehmenden Impulse der Außenverteidiger im Spiel nach vorne. Gegen die Alte Dame aus Berlin offenbarte sich dies noch deutlicher als zuvor, weil Flick überraschend auf nur eine klassische Sechs, dafür aber auf drei gelernte offensive Flügelspieler sowie Müller, den Hansdampf in allen Gassen, setzte.

Obwohl die neue Philosophie im Duell mit der Hertha Zählbares einbrachte, beraubte sich Flick einer Stärke, die besonders in der vergangenen Saison noch häufig Früchte trug: frühe Ballgewinne tief in des Gegners Hälfte, mit hochstehenden Außenverteidigern, die im Umschaltspiel sofort als unterstützende Kraft mit nach vorne marschieren, im Idealfall eine Überzahl generieren.

Benjamin Pavard, der am Freitagabend auf der rechten Seite ran durfte, beschränkte sich fast ausschließlich aufs Verteidigen (nur zwei Flanken), sein Pendant Lucas Hernandez versuchte sich zwar ein ums andere Mal als Offensivhilfe (vier Flanken), seine Vorstöße versandeten aber regelmäßig, weil Hertha nur selten große Löcher offenbarte.

Sicherlich könnte man argumentieren, dass Alphonso Davies, der normalerweise eher als Balleroberer glänzt und für schnelle Gegenzüge verantwortlich zeichnet, mehr zustande gebracht hätte. Allerdings ist auch beim Kanadier eine Trendwende im Vergleich zur Vorsaison auszumachen.

Während Davies 2019/20 wettbewerbsübergreifend zehn Assists lieferte (bei 46 Einsätzen), kommt er in der laufenden Saison lediglich auf eine Vorlage (17 Einsätze). Bei Pavard, in der Vorsaison mit elf Scorerpunkten (vier Tore, sieben Vorlagen bei 47 Einsätzen), steht bislang ebenfalls nur eine Vorlage zu Buche (22 Einsätze).

3. Neu-Herthaner Radonjic macht Mut im Abstiegskampf

Alle Augen waren im Vorfeld der Begegnung auf Herthas Neuzugang Sami Khedira gerichtet. Wie lange würde der ehemalige Nationalspieler wohl auf der Bank schmoren, ehe er nach jahrelanger Bundesliga-Abstinenz endlich wieder in Deutschlands Beletage aufläuft? Nach 81 Minuten war es soweit, sein Einsatz sollte jedoch nur eine Randnotiz wert sein.

Vielmehr spielte sich ein anderer Berliner Neuling in den Fokus: Nemanja Radonjic, wie Khedira ebenfalls kurz vor Schließung des Winter-Transferfensters nach Charlottenburg-Wilmersdorf gewechselt, kam rund 20 Minuten vor dem prominenten Weltmeister von 2014 ins Spiel und stellte Münchens Pavard, der sein Tagwerk in der Defensive bis dahin sachlich verrichtet hatte, vor große Probleme.

Gleich mehrfach setzte sich der pfeilschnelle Serbe, der von Olympique Marseille gekommen war und einen Leihvertrag bis zum Ende der Saison unterschrieben hatte, gegen den amtierenden Weltmeister durch, der seinen Widersacher in der 81. Minute nur mit einem Foulspiel zu stoppen vermochte, das Hertha einen Freistoß in aussichtsreicher Position verschaffte.

Nemanja Radonjic gab gegen die Bayern sein Debüt für Hertha BSC in der Bundesliga.getty

"Mit Nemanja bekommen wir einen Offensivspieler, der mit seiner Beidfüßigkeit und seiner Geschwindigkeit unser Flügelspiel beleben wird", hatte Sportdirektor Arne Friedrich kurz nach Radonjics Ankunft in der dazugehörigen Pressemitteilung prognostiziert. Die ersten Eindrücke geben dem ehemaligen Nationalspieler recht, Radonjic belebte das Flügelspiel erheblich, sorgte während seines 27-minütigen Auftritts für mehr Gefahr als Matheus Cunha zuvor.

Radonjic, für den Hertha nach Ablauf der Leihe eine Kaufoption besitzt, dürfte den Hertha-Anhängern mit seinen Dribblings Hoffnung gemacht haben. Er selbst hatte nach Fixierung des Deals erklärt: "Ich möchte schnellstmöglich zeigen, dass ich eine Verstärkung für Hertha bin." Dieses Vorhaben hat er gegen Bayern ziemlich eindrucksvoll untermauert.