Das Erbe der Stürmer-Legenden

Max Marbeiter
16. November 201215:39
Gegen den FC Chelsea erlebte Cisse seinen bislang wohl größten Moment im Newcastle-TrikotGetty
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In den letzten drei Jahrzehnten gab es nur wenige Konstanten bei Newcastle United. Mal spielten die Magpies um die Meisterschaft, mal gegen den Abstieg. Auf seine Stürmer konnte sich der Klub aus dem Norden Englands jedoch fast immer verlassen. Mit Papiss Demba Cisse und Demba Ba sollen zwei Ex-Bundesligaspieler nun die Tradition fortführen.

Als Papiss Demba Cisse im Mai das Kunststück fertigbrachte, den Ball von der linken Strafraumkante mit dem rechten Außenrist in den rechten Torwinkel des FC Chelsea zu befördern, als Trainer Alan Pardew ungläubig, aber glücklich dreinblickte, der geschlagene Petr Cech ungläubig und bedient dreinblickte, allerspätestens da war der Senegalese angekommen. Angekommen bei Newcastle United, wohin er im Winter vom SC Freiburg gewechselt war.

Es war Cisses 13. Treffer im zwölften Spiel für United. Eine herausragende Quote, selbst für Newcastle. Denn für eine Spezies hat man im Norden Englands eine ganz besondere Schwäche: für außergewöhnliche Torjäger. Kevin Keegan. Andy Cole. Alan Shearer. Alle trugen sie das Trikot der Magpies und machten sich während ihrer Zeit im St. James' Park für die Fans unsterblich.

Nun soll also Cisse gemeinsam mit seinem ehemaligen Bundesligakollegen Demba Ba eine Tradition fortführen, die Kevin Keegan, einer der besten Stürmer Englands aller Zeiten 1982 begonnen hatte. Damals spielte Newcastle in Englands zweiter Liga. Keegan kam dennoch, führte den Klub binnen eines Jahres zum Aufstieg und beendete 1984 schließlich seine Karriere.

Keegan bringt Erfolg

Acht Jahre später stand der Klub am Abgrund. Bis ans Ende der zweiten Liga war man abgerutscht. Im Falle eines Abstiegs stand sogar die Existenz auf dem Spiel. Es musste etwas passieren - und es passierte. Keegan kam zurück, diesmal als Trainer, sicherte den Klassenerhalt, führte Newcastle zurück in die erste Liga und etablierte die Magpies in den folgenden Jahren mit begeisterndem Offensivfussball in der Spitzengruppe der Premier League.

An der Tyneside fand man Gefallen an der neuen Rolle. "Innerhalb der nächsten fünf Jahre möchte ich den Klub unter den Top-Drei in England und innerhalb der nächsten zehn in den Top-Ten Europas sehen", sagte der damalige Klubboss Sir John Hall 1994 und beschrieb damit ungewollt Newcastles Dilemma der folgenden Jahre.

Denn wer sich dauerhaft unter den besten Mannschaften Englands respektive Europas etablieren möchte, muss auch entsprechend investieren - und das tat United. Für die damalige Rekordablöse von umgerechnet gut 18,7 Millionen Euro kam vor der Saison 1996/97 Alan Shearer, natürlich ein Stürmer, aus Blackburn.

Die Gelder flossen, doch als Keegan Mitte der Saison angesichts des zuvor unglücklich an Manchester United verlorenen Titels zurücktrat, verlor Newcastle seine große Konstante. Trainer kamen, Trainer gingen, feierten, wie Kenny Dalglish oder Bobby Robson, der es mit fünf Jahren am längsten an der Tyneside "aushielt", Achtungserfolge. Das große Ziel, der dauerhafte Sprung unter die Top-Drei, wurde aber zusehends unerreichbar.

Der Abstieg 2009 als Zäsur?

2009 stand der Klub nach Jahren der Orientierungslosigkeit schließlich mal wieder vor dem Abstieg. Also besann man sich der Methode Keegan. Da der Echte im September 2008 seine zweite Amtszeit nach einem Streit mit Besitzer Mike Ashley vorzeitig beendet hatte, holte man einen anderen ehemaligen Torjäger zurück. Alan Shearer sollte es richten, konnte den Abstieg am Ende aber nicht mehr verhindern.

"Wir können uns nicht beschweren. Wir können nicht sagen, dass wir Pech hatten." Shearers Analyse der Abstiegssaison fasste gleichzeitig die Versäumnisse der vorangegangenen Jahre treffend zusammen. Im Streben nach Erfolg wurde kräftig, häufig aber planlos investiert, Trainer zu schnell entlassen.

Die Magpies nutzten den Gang in die Zweitklassigkeit jedoch zum Neuanfang. Der direkte Wiederaufstieg gelang. Zwar wurde der beliebte Aufstiegstrainer Chris Hughton bereits kurz nach Beginn der Comeback-Saison entlassen, mit Alan Pardew scheint Newcastle nun aber endlich wieder einen Trainer gefunden zu haben, der zum Klub passt.

Trainer Pardew erhält Rekordvertrag

Für satte acht Jahre band sich Pardew erst kürzlich an die Magpies. Die Zeiten von Trainerwechseln und Wankelmütigkeit sollen offenbar endgültig vorbei sein. Selbst Keegan sah im August die "aufregenden Zeiten" zurück an der Tyne. Schließlich kehrte auch der Verein nach Rang fünf in der vergangenen Saison ins internationale Geschäft zurück. Zudem hat man mit Cisse und Ba endlich wieder zwei aufregende Angreifer in seinen Reihen.

Dabei sorgt vor allem Ba immer wieder für wenig willkommenen Wirbel. Der Senegalese liebäugelt in regelmäßigen Abständen mit einem Wechsel, sollte sein Gehalt nicht deutlich aufgestockt werden. Das Problem: Für eine festgeschriebene Ablöse von gut 8,7 Millionen Euro könnte der Senegalese Newcastle verlassen. Angeblich zeigt der FC Liverpool bereits Interesse.

Dafür könnte ein alter Bekannter unter Umständen wieder in den St. James' Park gelockt werden. Alan Pardew macht Stürmer Andy Carroll, der Anfang 2011 für gut 40 Millionen Euro nach Liverpool gewechselt war, bereits Avancen. "Er ist einer von uns und ich denke, er vermisst die Stadt. Hier ist er zu Hause und ich hoffe, dass er eines Tages zurückkehrt", sagte der Trainer kürzlich.

Dazu bedürfte es freilich des Einverständnisses von Mike Ashley. Der umstrittene Besitzer hatte angesichts regelmäßiger Streitigkeiten mit den Fans schon mehrfach gedroht, den Klub wieder zu verkaufen. Getan hat er es freilich nie.

Neuer Wirbel um Mike Ashley

Nun sorgt der laut "Forbes" fünfzehntreichste Brite erneut für Irritationen. Ab kommender Saison soll mit Wonga ein Unternehmen die Brust der Magpies-Trikots zieren sowie dem St. James' Park - zur vergangenen Saison ohnehin Sports Direct Arena getauft - einen neuen Namen geben, das Menschen in Not überlebenswichtige Kurzzeitkredite mit extrem hohen Rückzahlungsraten anbietet.

Bei den Fans kommen derartige Planspiele selbstverständlich weniger gut an. "Sollte der Deal zustande kommen, werde ich keinen Fuß mehr in den St. James' Park setzen", erklärte Michael Martin, der Herausgeber des Fanzines "True Faith", dem "Mirror". Damit spricht er vielen Anhängern aus der Seele.

Dabei sind es gerade die Fans, die Toon Army, die den Verein auch in der zweiten Liga mit durchschnittlich mehr als 40.000 Zuschauern bei Heimspielen unterstützten, die dem Verein mit ihrer Leidenschaft eine eigenen Dynamik verschaffen können, wenn sie den St. James' Park zum laut Kevin Keegan "lautesten Stadion des Landes" machen.

Doch nicht nur die Anhänger, auch einige muslimische Spieler könnten sich gegen das Tragen eines von Wonga gesponserten Trikots erwehren und damit dem Beispiel von Sevillas Frederic Kanoute folgen. Denn die Sharia verbietet den Profit aus Geldleihgeschäften beziehungsweise der Annahme von Geld anderer Personen.

Schwierigkeiten in der Liga

Angesichts derartiger Diskussionen aus dem Umfeld treten die sportlichen Belange des Klubs derzeit mitunter etwas in den Hintergrund. Dabei hinkt United den Erwartungen im bisherigen Saisonverlauf erneut ein wenig hinterher. Mit je drei Siegen und Niederlagen sowie fünf Unentschieden belegen die Magpies derzeit Rang zehn der Premier League.

Laut Pardew hat sich sein Team noch nicht an den neuen Rhythmus der europäischen Wochen gewöhnt. Als Entschuldigung möchte der Trainer die Spiele in der Europa League allerdings nicht gelten lassen. Genug Qualität bringt der Kader mit Spielern wie Fabricio Collocini, Hatem Ben Arfa, Yohan Cabaye oder eben den beiden Ex-Bundesligisten Ba und Cisse schließlich mit.

Doch während Demba Ba mit sieben Toren auch in dieser Saison zu den besten Torjägern der Premier League zählt, kommt Landsmann Cisse noch lange nicht an seine Quote des vergangenen Jahres heran. Nur ein Treffer gelang dem ehemaligen Freiburger bislang. Dass Newcastle für den Erfolg aber potente Angreifer braucht, hat die Vergangenheit nun zur Genüge bewiesen.

Der Kader von Newcastle United im Überblick