Weltpokalsiegerbesieger, fristlose Kündigung, Doppelpack in der Hamburger Kreisliga: Nico Patschinski hat wirklich alles erlebt. Im Interview spricht "Patsche" über seine Poker-Eskapaden, den Rechtsstreit mit Union Berlin , mundtote Profis und die Umstellung vom Profifußball zum "normalen" Leben als Paketlieferant.
SPOX: Herr Patschinski, von Ihnen stammt der Ausspruch: "Sobald mich meine Gegenspieler im Rückwärtslaufen überholen, höre ich auf." Kürzlich haben Sie als Spielertrainer in der Kreisliga gegen Germania Schnelsen II einen Doppelpack geschnürt. Es ist also noch nicht so weit, oder?
Nico Patschinski: Nein, ich warte auch immer noch auf den Anruf von Jogi Löw (lacht). Körperlich topfit zu sein ist mit 38 natürlich schwierig, das sind höchstens Ausnahmefußballer. Es ist noch keinem gelungen, mich im Rückwärtslaufen zu überholen. Von daher darf ich wohl noch ein paar Tage spielen.
SPOX: Sie haben in Ihrer Karriere in der Bundesliga, aber auch beinahe in der niedrigsten Spielklasse gespielt. Was macht mehr denn Spaß?
Patschinski: Da muss man trennen. Damals war's ein Traum, dass ich mit Fußball mein Geld verdienen konnte. Auch wenn die Gehälter bei St. Pauli beileibe nicht so horrend waren wie in diesem Zeitalter jetzt. Man konnte davon nicht reich werden, aber schon gut leben und es hat tierisch Spaß gemacht. Andererseits hast du immer diesen Druck und wenn du deine Leistung nicht abrufst, warst du ruckzuck draußen. Das ist jetzt in Schnelsen natürlich alles viel cooler und macht total Laune. Da stehst du nach dem Spiel erstmal da und trinkst dein Bierchen mit den Jungs. Aber absteigen wollen wir auch hier nicht. Mehr Spaß hatte ich trotzdem damals. Vor vollen Rängen in Dortmund oder Hamburg zu spielen und dass Leute Eintritt dafür bezahlen, um dich zu sehen, das ist schon was anderes.
SPOX: Mit Ihrem Treffer zum 2:0 gegen den FC Bayern 2002 wurden Sie zu einem der Hauptprotagonisten der Weltpokalsiegerbesieger. Denken Sie noch oft an diesen sensationellen Tag am Millerntor?
Patschinski: Ja, das ist schon toll. Der Titel bleibt ja auch ewig haften, da erinnert sich jeder dran. Zwei Tore gegen Cottbus geraten da schon viel schneller in Vergessenheit. Von den Weltpokalsiegerbesiegern hingegen redet man wahrscheinlich noch in 100 Jahren. Wir waren eine Truppe voll mit Paradiesvögeln und Exzentrikern. Es war schon etwas Besonderes, Teil dieser Mannschaft zu sein. Was die meisten oft vergessen: Ich hätte sogar noch zwei weitere Tore machen können. Den einen hält Oliver Kahn überragend. Der andere geht ans Lattenkreuz. Wenn du als Kleiner einen guten Tag hast und der Große hat nicht so richtig Lust, dann passiert so etwas schon mal. Damals war das noch alles viel sensationeller. Insbesondere wenn du zu Hause am Millerntor so ein Ding drehst.
SPOX: Wie reagierten Kahn oder Stefan Effenberg eigentlich auf dem Platz, als die Sensation immer greifbarer wurde?
Patschinski: Das kann ich gar nicht sagen. Ich war so sehr mit mir selbst beschäftigt, mit meiner Lunge und meiner Atmung und dass wir das überhaupt geschafft haben. Da war für so etwas überhaupt keine Zeit.
SPOX: Und heute liefern Sie Pakete in Hamburg aus.
Patschinski: Das ist richtig. Seit fast drei Jahren bin ich jetzt bei der DPD tätig.
SPOX: Begrüßt Sie dann jeder St.-Pauli-Fan mit einer Umarmung an der Haustür?
Patschinski: Ich habe bis jetzt immer gehofft, dass mir zehn aus Schweden stammende St.-Pauli-Groupies die Tür aufmachen, aber ist das leider noch nicht passiert (lacht). Aber im Ernst: Besonders wenn ich durch Altona fahre, dann erkennen mich die Leute schon ab und an. Da gibt's dann mal einen lockeren Spruch. Es macht schon mehr Spaß als es Ärger macht.
SPOX: Ist Ihnen die Umstellung vom Profileben auf den normalen Alltag leicht gefallen?
Patschinski: Das war alles ein bisschen schwierig. Ich bin ja 2009 bei Union Berlin fragwürdigerweise entlassen worden und parallel ist auch noch meine Ehe in die Brüche gegangen. Da habe ich bereits angefangen, nebenbei ein bisschen bei einem Bekannten als Tellerwäscher und Fahrer zu arbeiten. Ab diesem Zeitpunkt war ich genau genommen auch nur noch Amateur und habe den Absprung gemacht. Es kann ja schließlich nicht jeder Trainer oder Manager werden. Das musst du irgendwann akzeptieren und dir eine neue Arbeit suchen. Ich bin froh darüber, dass der Sport nun an zweiter Stelle steht. Das ist schon eine ganz andere Welt. Das fällt mir auch immer wieder auf, wenn ich mit Holger Stanislawski spreche, der ja nun ein REWE-Center leitet. Ich bin nicht so der Büro-Typ. Ich muss raus und mit Leuten sprechen.
SPOX: Sie akzeptierten damals die fristlose Kündigung nicht und trafen sich mit Union im Gerichtssaal wieder. Da dem Gericht die Anklage der Berliner zu "nebulös" erschien, gewannen Sie den Rechtsstreit. Was war denn überhaupt vorgefallen?
Patschinski: Das eigentliche "Problem" war, dass ich während meiner freien Zeit in der Winterpause bei einem Benefiz-Pokerturnier meines Heimatvereins BFC Dynamo zu Gast war. Die Einnahmen der Veranstaltung sollten der Dynamo-Jugend zu Gute kommen, was von allmöglichen Zeitungen auch so kommuniziert wurde. Im Prinzip hat überhaupt niemand ein Drama daraus gemacht, dass ich dort war. Mein kleiner Sohn war auf der Hüpfburg zu Gange und wir haben halt ein bisschen Poker gespielt.
SPOX: Die Union-Verantwortlichen haben das also ganz anders gesehen?
Patschinski: Anscheinend. Ich kam nach der Winterpause zu Union zurück und sollte plötzlich 5000 Euro Strafe zahlen. Da habe ich klipp und klar gesagt, dass ich diese Strafe niemals bezahlen werde. Kurz darauf hat man mich dann entlassen. Man könne das den Union-Fans nicht zumuten, hieß es.
SPOX: Wie denken Sie heute darüber?
Patschinski: Es war einfach schade. Ich war an diesem Tag um 19 Uhr zu Hause und hatte nicht einen Schluck Alkohol getrunken. Das alles war eigentlich überhaupt nicht der Rede wert. Später sagte man mir noch, dass es angeblich Videos gäbe, wie ich auf dem Tisch getanzt habe und einen Union-Schal verbrenne. Meine Antwort darauf: Wenn ihr mir dieses Video zeigt, dann könnt ihr das ganze Geld haben, das ich in meinem Leben je verdient habe.
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SPOX: Beim Thema Poker gibt es noch eine alte Geschichte aus Ihrer bei LR Ahlen: Sie sollen mal bei einem Pokerspiel ein fünftes Ass entdeckt und daraufhin die Flucht ergriffen haben. Am nächsten Tag stürmten die Mitspieler den Fußballplatz, um sich von Ihnen die Spielschulden abzuholen. Stimmt das?
Patschinski: Ja. Diese Pokerrunde war schon etwas dubios. Wir haben nicht Texas Hold'em, sondern normales Poker gespielt. Glücklicherweise hatte ich vier Asse auf der Hand. Da hatte ich mich noch gefragt, ob die mich veralbern wollen. Ich habe aber erst einmal mitgespielt und bin direkt All-in gegangen. Das waren so in etwa 2000 Euro. Einer der anderen ging dann tatsächlich mit. Dann zeigte ich ihm meine vier Asse - und plötzlich legt er mir einen Royal Flush, Zehn bis Ass, auf den Tisch.
Patschinski: Der Kollege wollte mir erzählen, dass ich ihn doch betrogen hätte. Dabei hatte ich den ganzen Abend nicht ein Mal Karten gegeben. 3000 Euro wollten die von mir haben. Die waren halt einfach zu doof, um mich richtig betrügen. Ein Straight Flush bis zum König hätte ja auch gereicht. Ich habe damals dann meine Getränke bezahlt und bin gegangen.
SPOX: Klingt sehr dubios.
Patschinski: Ich habe die ganze Geschichte Helmut Spikker aus dem Ahlener Vorstand erzählt. Ihm waren diese Typen bekannt und er meinte, er könnte das klären. Die standen dann einen Tag später vor meiner Haustür und ich habe sie zu ihm geschickt. Das Schlimme war nur: Das Geld wurde mir am Ende des Monats vom Gehalt abgezogen. Da hat er sich wirklich was einfallen lassen (lacht). Seitdem war diese ganze Poker-Sache durch und ich habe mich für alle Kasinos sperren lassen.
SPOX: Trauern Sie dem verzockten Geld nach?
Patschinski: Ich habe damit ja niemandem wehgetan. Außerdem: Die Leute denken immer, ich habe alles nur verzockt. Klar, ich habe auch eine Menge verpulvert, aber für andere Sachen habe ich noch wesentlich sinnloser Geld ausgegeben.
SPOX: Zum Beispiel?
Patschinski: Zum Beispiel für Wohnungsmieten meiner Ex-Frau. Sie hatte zwei Wohnungen und ich hatte ein Zimmer in Trier. Das tut mir heute eigentlich viel mehr weh.
SPOX: Was glauben Sie, wie sehr diese kleinen Sünden des Lebens unter Profifußballern verbreitet sind?
Patschinski: Ich glaube, dass viele einen kleinen Suchtfaktor in sich haben. Genau kann ich das natürlich auch nicht beurteilen. Aber dass jeder gerne mal ein bisschen spielt oder trinkt, das halte ich schon für möglich. Die Frage ist halt immer, ob das dann schon eine Sucht oder eher Langeweile wäre. Aber so lange die Leute nur ihr Geld verspielen, ist es ja irgendwo auch in Ordnung.
SPOX: Sie gelten als Freund offener Worte, die im heutigen Fußball immer seltener geworden sind. Wie denken Sie darüber?
Patschinski: Das ist extrem schade und echt schlimm geworden. Thomas Müller ist der Einzige, dem man noch zuhören kann, weil er noch das sagt, was er denkt. Die Vereine haben ja mittlerweile für alles einen Coach. Die haben einen Coach, der dir sagt, wie du auf die Toilette zu gehen hast. Die Jungs haben halt Angst, etwas Falsches zu sagen - was ich auch nachvollziehen kann. Das ist aber auch das Traurige an unserer Gesellschaft: Du kannst nicht mehr sagen, was du denkst. Gott sei Dank war das bei uns früher noch ganz anders. Klar, ich habe immer mal wieder eine Strafe gezahlt, aber ich habe immer gesagt, was ich denke. Wenn man damit einmal auf die Schnauze fällt, hat man eben Pech.
SPOX: Per Mertesackers Eistonnen-Interview nach dem WM-Achtelfinale gegen Algerien war also genau nach Ihrem Geschmack?
Patschinski: Ja, absolut! So etwas ist gut. Das ist doch das, was die Leute hören wollen. Aber dafür hat er doch hundertprozentig vom DFB noch eine Ansage bekommen...
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