Pro und Contra zur Abschaffung der Auswärtstorregel: Macht der Kurve wird untergraben

Nino DuitJonas Rütten
24. Juni 202116:00
SPOXgetty
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Die UEFA hat die Abschaffung der Auswärtstorregel in der Champions League, Europa League und Conference League beschlossen. Ist das eine gute oder eine schlechte Entscheidung? Das Pro und Contra.

Pro: Die Abschaffung der Auswärtstorregel ist richtig

von Nino Duit

Die Beweisführung ist kurz: Mit der bisher gültigen Auswärtstorregel kann ein Klub ein Finale erreichen, ohne im ganzen Turnierverlauf auch nur ein einziges Spiel gewonnen zu haben. Heim immer schön 0:0, auswärts dann 1:1 oder vielleicht auch mal 2:2. Nein, dieses Schema ist unlogisch und nicht im Sinne eines fairen Wettbewerbs, der ja eigentlich die beste Mannschaft ermitteln sollte.

Das war es weder zum Zeitpunkt der Einführung 1965, als Auswärtsreisen vor allem in europäischen Wettbewerben tatsächlich lange und beschwerlich, die Unterkünfte weit vom heutigen Luxus entfernt waren und teilweise sogar verschiedene Bälle genutzt wurden. Noch ist es das heute, wo all diese Faktoren längst keine Rolle mehr spielen.

Wenn zwei Mannschaften in einem Pokalwettbewerb aufeinandertreffen, dann sollte die siegreiche auf jeden Fall mindestens ein Tor mehr geschossen haben. Und sei es wenigstens im Elfmeterschießen, wenn es nach zweimal 90 Minuten und 30 Minuten Verlängerung immer noch unentschieden steht.

Apropos Verlängerung: Die Auswärtstorregel in ihrer bisherigen Form ist während der regulären Spielzeit zwar unlogisch, aber immerhin fair. Sie gilt für beide Mannschaften gleich. Geht es in die Verlängerung, dann ist sie aber sogar unfair. Denn dann profitiert eine der beiden Mannschaften insgesamt 30 Minuten länger davon, dass ein erzieltes Tor bei Gleichstand doppelt zählt.

Contra: Die Abschaffung der Auswärtstorregel ist falsch

von Jonas Rütten

Die Auswärtstorregel ist unlogisch, weil ein Sieger trotz rechnerischem Gleichstand feststeht? Sie ist veraltet, weil der Heimvorteil aufgrund von angenehmen Auswärtsreisen durch Chartermaschinen oder Normen bei Plätzen und Bällen nicht mehr existiert? Das mag alles sein. Aber sie ist auch Teil der Europapokal-Magie. Ein letztes bisschen Tradition im modernisierten Fußball-Zirkus. Sie ist gerade für kleinere Teams in K.o.-Runden eine Chance auf die Sensation, sie sorgt für Spannung, weil eben ein Auswärtstor die ganze Geschichte umkehren kann.

Chelsea gegen Barca anno 2012, Atletico gegen Bayern anno 2016. Beide Male waren die Vorzeichen eigentlich recht klar, doch beide Male schlug der Underdog den Favoriten - aufgrund der Auswärtstorregel.

Ohne sie fehlt ein Teil der Attraktivität. Etwas Elementares, das den Europapokal seit Jahrzehnten ausgemacht hat. Denn wird die Auswärtstorregel abgeschafft, könnte sich in Zukunft ein K.o.-Duell so gestalten: Das Auswärtsteam parkt 90 Minuten lang den Bus, zeigt nicht den Hauch einer Initiative, um das ehemals so wichtige Auswärtstor zu erzielen. Es würde ausreichen, sich ein 0:0 im Hinspiel zu ermauern, um dann die Entscheidung im Rückspiel zu suchen oder sich auch da in die Verlängerung zu verteidigen.

Dann aber kann man auch gleich - wie schon im CL-Finalturnier 2020 in Lissabon - auf ein Hinspiel verzichten und ein einziges K.o.-Spiel wie bei WM oder EM entscheiden lassen. Das wäre dann immerhin konsequent und würde die Attraktivität nicht schmälern. Dem steht jedoch die TV-Gelder-Spirale gegenüber.

Jedes Spiel bedeutet bares Geld - für Klubs und die UEFA. In diesem Sinne ist die geplante Abschaffung der Auswärtstorregel sogar recht heuchlerisch. Die "Kleinen" werden um eine Minimalchance auf den großen Wurf beraubt, die Attraktivität der Duelle wird abnehmen, das Hinspiel hat kaum einen Sinn, aber der Rubel rollt weiter. Und überhaupt: Was ist die Abschaffung der Regel für ein Signal an die Fans, die nun endlich wieder ins Stadion dürfen? Sie untergräbt die Macht der Kurve, die Macht der Emotionen in einem ausverkauften Hexenkessel.

Man signalisiert den Fans, dass sie keinen Heimvorteil mehr für ihre Mannschaften darstellen, weil es ja offenbar nicht schwieriger ist, in einem fremden Stadion vor einem den Gegner anpeitschenden, frenetischen Publikum ein Tor zu erzielen. Wer sollte solche Gedanken in Zeiten, in denen sich Fans vom Fußball ohnehin schon so weit wie noch nie entfernt haben, noch zusätzlich fördern wollen?