Beim späten 2:1 (0:1)-Sieg von Paris Saint-Germain gegen Atalanta Bergamo (die Highlights im Video) im Viertelfinale der Champions League war Neymar (28) der alles überragende Spieler. Sein statistisch gesehen historischer Galaauftritt kam nicht überraschend.
"Que Deus nos abencoe e nos proteja", schrieb Neymar kurz vor Anpfiff des Spiels auf twitter: "Möge Gott uns segnen und beschützen." 90 reguläre Spielminuten und sieben Minuten Nachspielzeit später stellte sich die Frage: Segnete und beschützte tatsächlich Gott Neymar und PSG, oder war es gar nicht Gott, sondern eigentlich Neymar selbst?
Dank zweier Treffer in der Schlussphase rettete sich das PSG von Trainer Thomas Tuchel gerade so ins Halbfinale. Marquinhos (90.) und der eingewechselte ehemalige Bundesligaspieler Eric Maxim Choupo-Moting (90.+3) bogen ein verloren geglaubtes Spiel gerade noch so um. An beiden Treffern hatte Neymar entscheidenden Anteil: Das 1:1 bereitete er vor, das 2:1 leitete er mit einem genialen Pass auf Vorlagengeber Kylian Mbappe ein.
PSG dominierte das Spiel gegen ein aufopferungsvoll kämpfendes Atalanta Bergamo zwar über weite Strecken, gefährlich wurde es aber ausschließlich über Neymar.
Neymar brach gegen Atalanta einige Rekorde
Das fing schon in der 3. Minute an. Da lief er alleine auf Atalantas Ersatzkeeper Marco Sportiello zu, schoss dann aber kläglich daneben. Ein wiederkehrendes Muster. Stets aufs Neue brachte sich Neymar in aussichtsreiche Positionen, stets aufs Neue scheiterte er. Insgesamt sieben Mal. Aber, und das ist durchaus beachtlich für den traditionell leicht entnervbaren Neymar: Diesmal gab er nicht auf, diesmal machte er immer weiter und weiter. "Ich habe nie ans Ausscheiden gedacht. Ich habe niemals daran gedacht, nach Hause zu fahren", sagte er nach dem Spiel.
Nominell als Mittelstürmer in einem 4-3-3-System aufgeboten, war Neymar nicht nur Mittelstürmer, sondern gleichzeitig auch Spielmacher. Für einen Spieler auf dieser Position berührte er den Ball fast schon unglaubliche 113 Mal. Seine beiden ausgewechselten Nebenmänner Pablo Sarabia und Mauro Icardi sowie deren Nachfolger Mbappe und Eric Maxim Choupo-Moting kamen zusammengerechnet auf 88 Ballaktionen. "Wir haben uns darum gekümmert, dass Neymar machen konnte, was auch immer er wollte", erklärte Marquinhos. "Wir", das waren alle anderen. Es spielte nicht PSG gegen Atalanta, es spielte Neymar gegen Atalanta.
Neymar zog neun Fouls, kein Spieler in dieser Champions-League-Saison zog in einem Spiel mehr. Er bestritt 33 Zweikämpfe (von denen er sogar knapp 76 Prozent gewann), kein Spieler in dieser Champions-League-Saison bestritt in einem Spiel mehr. Er gewann 16 Dribblings, kein Spieler in dieser Champions-League-Saison gewann in einem Spiel mehr. Und einige davon waren sogar außerordentlich spektakulär, zweimal etwa schob Neymar einem Gegenspieler den Ball gewinnbringend durch die Beine.
Neymars Galaauftritt kam nicht überraschend
Neymars Galaauftritt kam übrigens keineswegs überraschend, er hatte sich fast schon angedeutet. Nachdem die französische Ligue 1 im März aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen und PSG zum Meister erklärt worden war, reiste er in seine brasilianische Heimat und schuftete dort wochenlang mit Individualtrainer Ricardo Rosa an seiner Fitness.
Seit seiner Rückkehr nach Paris gibt es anders als in den vergangenen Sommern keine Transfermarkt-bezogenen Nachrichten über ihn, sondern ausschließlich sportliche. Mit seinem Siegtreffer zum 1:0 entschied Neymar das Pokalfinale gegen AS Saint-Etienne, beim 6:5-Sieg nach Elfmeterschießen im Finale des Coupe de la Ligue gegen Olympique Lyon eine Woche später verwandelte er den vorletzten Elfmeter.
Und als vorläufige Krönung schaltete er nun eben im Champions-League-Viertelfinale beinahe im Alleingang Atalanta aus. Nachdem er seit seinem Wechsel vom FC Barcelona zu PSG für 222 Millionen Euro im Sommer 2017 zweimal im Achtelfinale gescheitert war (2018 gegen Real Madrid, 2019 gegen Manchester United) scheint es, als wolle er den großen Triumph nun erzwingen.
Vor dem Halbfinale gegen den Sieger des Viertelfinals zwischen RB Leipzig und Atletico Madrid (Donnerstag, 21 Uhr live auf DAZN) ruhen die Hoffnungen von PSG jedenfalls mindestens genau so sehr auf Neymar wie auf Gott.