Ramy Bensebaini von Borussia Mönchengladbach im Interview: "Es hatte sich kein einziger Verein für mich interessiert"

Jochen Tittmar
24. September 202009:38
Ramy Bensebaini wechselte 2019 von Stade Rennes zu Borussia Mönchengladbach.imago images / siwe
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Ramy Bensebaini kam als französischer Pokalsieger und Gewinner des Afrika Cup 2019 zu Borussia Mönchengladbach. In seiner ersten Saison hat sich der algerische Linksverteidiger bereits als Verstärkung erwiesen.

Im Interview spricht Bensebaini mit SPOX und Goal über seine Barfuß-Ausbildung in Algerien und den Beinahe-Wechsel zum FC Arsenal.

Zudem äußert sich der 25-Jährige zu seinem Unwillen, zu Stade Rennes zu wechseln und erklärt, weshalb er anfangs Angst vor einem Transfer nach Deutschland hatte.

Herr Bensebaini, Sie begannen mit dem Fußball in Ihrer Heimatstadt bei CS Constantine, wo Sie schnell Zehner und Kapitän waren. Nachdem Sie zu einem Probetraining nach Algier zu Paradou AC gingen, legte Ihre Mutter ein Veto ein und Sie kamen wieder nach Hause. Doch dort waren Sie im Verein nicht mehr gewollt. Wieso?

Ramy Bensebaini: Weil ich schon damals zu Paradou gehen wollte. Ich war elf Jahre alt, meine Mutter fand das aber zu jung, um bereits in die Großstadt zu gehen. Also blieb ich zu Hause, doch bei Constantine haben sie gesagt, dass es nun keinen Platz mehr für mich gebe. Sie wollten natürlich nicht, dass ich gehe, aber um ehrlich zu sein kenne ich die genauen Beweggründe bis heute nicht, warum ich anschließend nicht mehr mitmachen durfte.

Sie waren dann ein Jahr lang ohne Verein, ehe es im Jahr darauf doch noch geklappt und Sie bei Paradou gelandet sind. Drei Ihrer sechs Jahre in der dortigen Akademie mussten Sie dann barfuß spielen. Warum hat der Verein darauf Wert gelegt?

Bensebaini: Das Wichtigste für sie war der Erstkontakt mit dem Ball. Man wollte, dass man ihn perfekt kontrolliert und ihn auch vernünftig weiterspielen kann.

War Ihnen das 2007 bewusst, als Sie dorthin gewechselt sind?

Bensebaini: Nicht wirklich. Ich hatte davon gehört, dass es der Fall sein könne, sollte ich dorthin wechseln. Ich hatte allerdings nie verstanden, welchen Sinn das ergeben sollte. Daher war ich schon erstaunt, als das dann schon beim Probetraining der Fall war und ich das erste Mal barfuß kicken musste. Das tat echt weh und war total komisch. Immer, wenn man richtig abziehen wollte, wusste man, dass das nun Schmerzen bereiten würde. Ich dachte es erst nicht, aber man gewöhnt sich echt zügig daran. Es wurde mir dann auch schnell egal, ob ich barfuß spielte oder nicht - Hauptsache ich spielte! (lacht)

Wie erinnern Sie sich an das erste Mal, als Schuhe wieder erlaubt waren?

Bensebaini: Das weiß ich noch ganz gut, denn die stellten der gesamten Mannschaft dieselben Schuhe irgendeiner einer unbekannten Marke hin. Als wir dann das erste Spiel wieder mit Schuhen machten, haben sie wirklich alle zur Halbzeit wieder ausgezogen, weil es so dermaßen ungewohnt war.

Die Barfuß-Spiele wurden teils ohne eigenen Torhüter gegen Teams mit älteren Spielern ausgetragen, die zudem Schuhe trugen. Wieso tat man das?

Bensebaini: Wir waren eben elf Feldspieler. Es ging dem Verein darum, vor allem unser gemeinschaftliches Verteidigungsverhalten zu schulen. Das Pressing, das richtige Herausrücken und Draufgehen standen im Vordergrund, denn man durfte den Gegner ja eigentlich nie schießen lassen. Sonst wäre die Kugel sofort drin gewesen, da die Kiste ständig leer war.

Haben Sie diese Spiele mit Ihrem Team gewonnen?

Bensebaini: Klar, und zwar meist mit richtig hohen Ergebnissen. Ich kann mich an viele 7:1 und 10:0 erinnern. Wir waren echt gut. Was man noch erwähnen muss: Paradou bemüht sich in den Probetrainings ausschließlich um Mittelfeldspieler. Erst wenn sie dann beim Verein sind, werden sie nach einer gewissen Zeit für andere Positionen ausgebildet. Ich bin dann irgendwann auf der linken Mittelfeldseite gelandet.

Noch bevor Sie erstmals in der ersten Mannschaft von Paradou spielten, absolvierten Sie im Juli 2013 ein Probetraining beim FC Arsenal. Ein Deal scheiterte jedoch, weil englische Vereine damals nur ausländische Spieler mit einer bestimmten Anzahl an Länderspielen verpflichten konnten. War das denn zuvor nicht bekannt?

Bensebaini: Genau diese Frage habe ich mir dann auch gleich gestellt, denn dann wäre ich ja natürlich gleich zu Hause geblieben. (lacht) Ich habe keinen blassen Schimmer und kann keine konkrete Antwort auf diese Frage geben. Das alles kam überraschend für mich und ich war auch enttäuscht, aber gleichzeitig zuversichtlich, dass ich trotzdem eines Tages Profi in Europa werden würde.

Sie haben in London einen ganzen Monat mit dem Profiteam trainiert.

Bensebaini: Ich war anfangs ganz kurz bei der zweiten Mannschaft und bin dann zu den Profis gekommen. Dort standen fast täglich Trainingseinheiten an. Am Ende entschieden dann fünf Trainer über meine Zukunft. Vier davon hoben den Daumen und hätten mich genommen. Doch einer meinte dann eben, dass eine Verpflichtung unmöglich sei, weil ich keinen europäischen Pass besitze und nicht genügend Länderspiele absolviert habe.

Wie war es für Sie, plötzlich all diese Stars um sich herum zu haben?

Bensebaini: Das war überragend und gerade zum damaligen Zeitpunkt eine schöne Erfahrung für mich. Ich habe dort im Hotel gewohnt. Marouane Chamakh hat damals noch bei Arsenal gespielt. Zu ihm hatte ich den engsten Draht. Er kam häufig bei mir vorbei oder wir haben zusammen etwas unternommen.

Zur Saison 2014/15 wurden Sie schließlich von Paradou zu Lierse SK nach Belgien verliehen. Wie war es für Sie, das erste Mal für längere Zeit allein außerhalb Algeriens zu leben?

Bensebaini: Besonders die Anfangszeit war sehr hart, ohne Familie und Kumpels. Ich kannte dort niemanden und konnte die flämische Sprache nicht sprechen. Ich habe überhaupt nichts verstanden, auch nicht beim Training. Weder der Trainer noch die Mitspieler haben sich großartig mit mir unterhalten. Gewohnt habe ich am Trainingsgelände, aber ich bin in der Freizeit so gut wie nie aus meinem Zimmer heraus. Ich musste häufig weinen und dachte: Ich habe hier nichts verloren, ich will unbedingt wieder nach Hause.

Lange hat diese Zeit aber nicht angehalten. Am Ende sind Sie dort auch auf 29 Pflichtspiele gekommen.

Bensebaini: Ich habe mir gesagt, dass ich nicht sofort wieder aufgeben kann. Dann wäre es für mich in der Folge womöglich deutlich schwerer geworden, in Europa Fuß zu fassen. Ich klammerte mich daran, durchzuhalten und mich nicht hängen zu lassen. Ich fand mit der Zeit auch zu meinen Mitspielern, die aus Marokko oder Ägypten kamen, einen besseren Draht. Anschließend ist es für mich gleich leichter geworden, mich an alles zu gewöhnen und Leistung bringen zu können.

Ramy Bensebaini: Seine Karriere im Überblick

VereinPflichtspieleToreVorlagen
Lierse SK (2014-15)292-
HSC Montpellier (2015-16)252-
Stade Rennes (2016-19)9832
Borussia Mönchengladbach (seit 2019)2765

Ein Jahr später wurden Sie erneut verliehen, diesmal zu HSC Montpellier nach Frankreich. Dort konnten Sie sich in der Ligue 1 als Stammspieler etablieren.

Bensebaini: Allerdings nur in der ersten Saisonhälfte. Dann nämlich wurde Trainer Rolland Courbis entlassen und er war derjenige, der mich geholt hat, weil er mich aus seiner Zeit in Algerien kannte. Anschließend wurde es sehr kompliziert für mich. Ich hatte bis dato fast alle Spiele gemacht, doch der neue Trainer stand offenbar nicht auf mich. Unter ihm stand ich nur noch zweimal in der Startelf und war fast vollständig raus.

Wie dachten Sie damals über Ihre weitere Perspektive?

Bensebaini: Auch hier ging die Leihe nur ein Jahr, aber ich wollte nicht mehr nach Algerien zurück. Da ich zuvor kaum gespielt hatte, musste ich warten. Es hatte sich lange kein einziger Verein für mich interessiert. Letztlich machte nur Stade Rennes ein Angebot. Da hatte Christian Gourcuff übernommen, unter dem ich im November 2015 mein Debüt in der Nationalmannschaft gefeiert habe.

Eine glückliche Fügung.

Bensebaini: Das schon, aber ich wollte eigentlich überhaupt nicht nach Rennes.

Ramy Bensebaini als Spieler von Stade Rennes nach dem Pokalsieg 2019.imago images / PanoramiC

Wieso?

Bensebaini: Mir hat es in Montpellier wirklich sehr gut gefallen. Ich habe mich wohlgefühlt, mein Leben war schön und das Wetter auch. (lacht) Von dort nach Norden in die Bretagne zu gehen, wo es häufig regnet, das hat mich nicht besonders angemacht. Ich hatte aber keine andere Wahl.

Das Wetter mag zwar mit Montpellier nicht mitgehalten haben, doch Rennes wurde bis dato Ihre mit Abstand beste Station.

Bensebaini: Absolut, es war super dort, ich hatte drei Jahre lang eine tolle Zeit. Ich spielte regelmäßig, habe mich entwickelt und verbessert und am Ende sogar noch den Pokal gegen Paris Saint-Germain gewonnen. Das war ein sensationeller Abschluss für mich.

Ihre Leistungen in Rennes brachten Sie auf den Zettel von Borussia Mönchengladbach. Die ersten Gespräche fanden während des Afrika Cup 2019 statt. Wie empfanden Sie die?

Bensebaini: Mein Berater hatte mich informiert, dass die Borussia an mir interessiert sei. Schon im Jahr zuvor wollten sie mich haben. Ich wurde dann am Vorabend eines Spiels von Marco Rose und Steffen Korell angerufen. Sie haben mich zunächst gefragt, ob ich mir das überhaupt vorstellen könne und so weiter. Es war ein tolles Gespräch, so dass für mich quasi feststand: Direkt nach dem Afrika Cup werde ich bei Gladbach unterschreiben.

Sie haben dort auch mit Algerien das Turnier gewonnen und den zweiten Afrika Cup nach 1990 in Ihre Heimat gebracht. Wie wichtig war dieser Sieg in gesellschaftlicher Hinsicht für die Menschen in Algerien?

Bensebaini: So gut wie alle Menschen dort lieben den Fußball. Unser Sieg hat daher das gesamte Land unglaublich stolz gemacht. Die Leute konnten dadurch ihre mannigfaltigen Probleme im Alltag oder im gesamten Land für eine Weile vergessen. Es waren unvergessliche Momente für uns - erst Recht, als wir dort von Hunderttausenden auf den Straßen empfangen wurden.

Sie investieren nebenbei in verschiedene Projekte in Algerien. In welchen Bereichen sehen Sie Verbesserungspotenzial in Ihrem Heimatland?

Bensebaini: Mit dem persönlichen Blick auf mich, meine Vita und meinen Beruf wäre es super, wenn es im Land deutlich mehr Akademien geben würde, die junge Fußballspieler ausbilden. Sie müssen es sich wirklich so vorstellen, dass es in den Vierteln der Städte dermaßen viele Jugendliche gibt, die verrückt nach Fußball sind und jeden Tag unentdeckt für sich kicken. Viele davon sind technisch wirklich beschlagen, doch es fehlt an Strukturen und Institutionen, an die sie sich wenden können und die diese Talente fördern. Damit wäre schon viel erreicht, denn davon könnten langfristig die heimische Liga und die Nationalelf profitieren. Aber auch die Spieler selbst, weil es ihnen eine bessere Zukunft - vielleicht sogar als Profi in einer der europäischen Ligen - möglich machen könnte.

Wie haben Sie denn dann darüber gedacht, als Sie hörten, dass es die Möglichkeit gibt, nach Deutschland in ein Ihnen unbekanntes Land zu wechseln?

Bensebaini: Anfangs hatte ich etwas Angst davor, weil ich es ja schon einmal erfahren habe, wie es ist, die Sprache nicht zu sprechen. Ich wusste auch, dass Deutsch sehr schwer zu erlernen ist. Und das ist es wirklich, viel verbessert hat sich noch nicht. (lacht) Das Interesse aus der Bundesliga hat mich in erster Linie aber stolz gemacht, denn es war der Beweis dafür, dass ich hart gearbeitet habe, um dorthin zu kommen. Mittlerweile kann ich sagen, dass meine Familie und ich wunderbar zurechtkommen. Ich verstehe mich mit allen gut, es läuft super hier.

Sie haben auch gleich ein sehr gutes erstes Jahr hingelegt. Anfangs sind Sie noch ein paar Mal mit der im Vergleich zu Frankreich konsequenteren Herangehensweise an die Dinge angeeckt. Wie sieht es mittlerweile aus, wie deutsch sind Sie geworden?

Bensebaini: Etwas deutscher bin ich noch nicht geworden, glaube ich. Ich versuche es aber und passe mich an. Das mit der Pünktlichkeit und Striktheit war anfangs noch etwas ungewohnt. Es hat aber nicht lange gedauert, damit klarzukommen. Viel länger wird es dauern, die Sprache zu beherrschen.