"Es gibt ja auch nur ein' Rudi Völler"

Jochen Tittmar
02. August 201613:42
Rudi Völler wurde als Spieler 1990 Weltmeister, als Trainer 2002 Vize-Weltmeistergetty
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Rudi Völler ist seit fast 40 Jahren im Bundesligageschäft tätig und eine lebende Legende. Der 56-Jährige ist als Sportdirektor seit Jahren das Gesicht von Bayer Leverkusen. Im Interview spricht Völler über den Rudi-Völler-Song, Wutausbrüche, die Schuld des Internets und seine Manager-Karriere.

SPOX: Herr Völler, Sie arbeiten beinahe seit 40 Jahren aktiv im Fußballgeschäft mit und blicken auf eine erfolg- und ereignisreiche Karriere...

Rudi Völler (unterbricht): ...ich weiß auch noch ganz genau, wie ich als A-Jugendlicher mit 17 Jahren 1977 mein erstes Zweitligaspiel für Kickers Offenbach in Karlsruhe gemacht habe. Da wurde ich eingewechselt. Seitdem bin ich ein Kind der Bundesliga und komme nicht mehr davon los.

SPOX: Sie waren einige Zeit Vereins- und Bundestrainer, seit über zehn Jahren sind Sie Sportdirektor. Was machen Sie denn, um einmal von diesem ganzen Trubel abzuschalten?

Völler: Den einen bestimmten Kniff oder Trick habe ich nicht. Gewisse Abläufe haben sich etabliert, die zu bestimmten Zeiten möglich sind. Da greife ich auf meine Erfahrung zurück und weiß, wann ich den Akku wieder aufladen kann. Wenn man aber mehrere englische Wochen am Stück spielt, ist alles sehr mitreißend und aufregend. Aber das wollen wir ja auch. Ich persönlich sage sogar: Gott sei Dank ist das noch so, sonst könnte ich den Job wohl gar nicht mehr machen.

SPOX: Fühlen Sie da manchmal auch mit Roger Schmidt mit, der als Coach permanent eingespannt ist und kaum die Zeit hat, um zu reflektieren?

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Rudi Völler im Trainingslager in Österreichspox

Völler: Ich habe es mir ja genauso ausgesucht, dass ich mich eben nicht mehr in diesem Hamsterrad befinde. Ich kenne den Druck, den man als Trainer permanent spürt. Als Funktionär hat man auch Druck, aber in einer anderen und nicht derart massiven Form. Damit komme ich gut klar und in dieser Form ist auch sichergestellt, dass mir das Geschäft weiterhin Spaß macht.

SPOX: Sie haben vor 20 Jahren Ihre Spielerkarriere beendet. Sind in Ihrer Wahrnehmung seitdem tatsächlich 20 Jahre vergangen - oder fühlt es sich nach mehr an?

Völler: Ich kann mich noch an alles erinnern, auch wenn unglaublich viel passiert ist und die Ereignisse nicht weniger werden. So vergeht die Zeit brutal schnell. Als wir vor ein paar Tagen hier im Trainingslager angekommen sind und das erste Mal auf den Platz gingen, habe ich zu Roger Schmidt gesagt: Da waren wir doch gerade erst.

SPOX: Sie sind als Spieler Champions-League-Sieger und Weltmeister geworden und haben als Funktionär viele positive Entwicklungen angeschoben. Lässt sich überhaupt das eine große Highlight Ihrer Karriere benennen?

Völler: Eigentlich nicht. Der Gewinn einer Weltmeisterschaft ist natürlich immer einzigartig, egal in welcher Sportart und Funktion. Doch auch kleinere Erfolge sind kostbar. Dass wir mit Bayer in der Saison 1995/1996 am letzten Spieltag den Klassenerhalt erreicht haben, gehört definitiv auch zu den Meilensteinen meiner Karriere. Es muss nicht immer der große Pokal sein.

SPOX: Gibt es auch etwas, das Sie am liebsten Ihrer Vita hinzufügen würden?

Völler: Ich schiele noch immer auf die deutsche Meisterschaft, die fehlt mir noch. Ich sage dann immer: Ich habe halt nur die wirklich wichtigen Titel geholt. (lacht) So etwas hängt ja auch vom Arbeitgeber ab. Wer bei Bayern München einen Fünfjahresvertrag unterschreibt, wird mindestens vier Mal Meister - ob er nun will oder nicht. SPOXspox

SPOX: Die Öffentlichkeit war Ihnen immer schon zugeneigt, Sie sind extrem populär. "Es gibt nur ein' Rudi Völler" - welche Bedeutung schwingt in diesem Lied, das ja bis heute noch gesungen wird, für Sie mit?

Völler: Ich sehe es als Bestätigung dafür, dass mich die Leute so mögen, wie ich eben bin. Darüber freue ich mich selbstverständlich auch. Es gibt ja auch nur ein' Rudi Völler. (lacht) Es gab rund um die WM 2002 eine Phase, in der es ein bisschen viel wurde. Da konnte ich den Song nicht mehr hören. Das Lied verfolgt mich bis heute noch, auch wenn es für meinen Alltag eher weniger wichtig ist und ich es auch nicht beim Autofahren höre.

SPOX: Aufgrund Ihrer Authentizität ecken Sie hin und wieder auch an. Man weiß, dass Sie ein emotionaler Charakter sind. Woher rührt dieser Wesenszug?

Völler: Ich bin von Grund auf eigentlich ein ruhiger und harmoniebedürftiger Mensch. Es gibt aber auch Dinge, die mich besonders aufregen - und dann tue ich das auch. Ich kann einfach nicht anders und mir ist natürlich auch bewusst, dass das nicht jedem gefällt. Das ist wiederum auch nicht meine Aufgabe oder mein Ziel. Selbst wenn 90 Prozent der Leute eine andere Meinung haben, sage ich trotzdem das, was ich für richtig halte.

SPOX: Teilweise bestimmt das auch das öffentliche Bild. Gibt man beispielsweise bei Google die Stichworte "Rudi Völler" und "Interview" ein, haben die Suchergebnisse fast ausschließlich etwas mit Wut und Ausrastern zu tun.

Völler: Ich weiß. Nach der Geschichte mit Waldemar Hartmann wird sich das auch nicht mehr ändern, das verfolgt mich bis in alle Ewigkeit. Es hat damals jeder gesehen und ich akzeptiere auch die Auswirkungen davon. An meiner Art hat das aber nichts verändert. Bin ich heute in einem Interview jedoch mal etwas direkter, wird schnell von einem Wutausbruch gesprochen. Das stimmt natürlich längst nicht immer, andererseits habe ich mich daran auch gewöhnt.

SPOX: Einerseits hört man Beschwerden, es gebe keine Typen mehr im Fußballgeschäft, andererseits fördert man durch die Skandalisierung gleichförmige Meinungen - werden Ihnen manche Dinge zu sehr aufgeblasen?

Völler: Absolut. Ich glaube, daran ist auch das Internet schuld. Diese Entwicklungen, die gerade online rasend schnell vonstattengehen, fördern den Populismus. Was ich persönlich toll finde: Es ist eine große Qualität unseres Klubs, dass wir uns nicht treiben lassen und auch in diesen Zeiten gegen den Strom schwimmen können.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Völler: Als Roger Schmidt in der Vorsaison die Innenraumsperre aufgebrummt bekam, haben alle gesagt, wir müssten den Trainer nun irgendwie bestrafen. Wir hielten aber an der Linie fest, die wir als richtig erachtet haben - weil wir davon auch überzeugt waren. Klar, auch wir machen ganz bestimmt nicht immer alles richtig. Würde man aber nur nach den Medien und der öffentlichen Meinung gehen, könnte man es gleich wie damals Dieter Thomas Heck in der Hitparade machen und eine TED-Umfrage starten.

SPOX: In all der Zeit, die Sie nun aktiv sind, haben sich der Fußball und die Branche enorm gewandelt. Welche Veränderungen sind Ihnen am meisten suspekt?

Völler: Es ist heute schon ein ganz anderes mediales Arbeiten. Man rennt den Überschriften oder Meldungen von morgen schon heute hinterher, weil alles sofort im Internet verfügbar ist. Früher war klar: Das wird erst am nächsten Tag veröffentlicht, deshalb habe ich Zeit, um bis dahin vernünftig zu reagieren. Heutzutage erfährt man etwas und muss sofort reagieren. Da wird dann auch oft hektisch aus der Hüfte heraus geschossen.

SPOX: Nach Ihren Erfahrungen als Vereins- und Bundestrainer sagten Sie, dass Sie zum Entschluss gekommen wären, der Trainerjob sei dauerhaft nichts für Sie. Hätten Sie gegen Ende Ihrer Spielerkarriere gedacht, eines Tages der Manager zu sein, der nur noch unregelmäßig auf dem Rasen steht?

Völler: Es war eigentlich schon immer mein Ziel, hinter den Kulissen zu arbeiten. Ich wollte ja gar nie Trainer werden. Ich habe bei den einzelnen Stationen dann zwar gemerkt, dass ich das mal kurz machen kann, aber mein Wunsch war stets ein anderer. Mich interessierte schon frühzeitig, wie ein Klub im Innern funktioniert. Ich habe auch als junger Bursche eine Lehre als Bürokaufmann gemacht und dann das erste halbe Jahr bei Kickers Offenbach auf der Geschäftsstelle gearbeitet. Damals gab es noch Schecks, die ich auf der Schreibmaschine ausfüllen musste - das vergesse ich nie. (lacht)

SPOX: Haben Sie sich für ihre jetzige Position auch weiterbilden oder in gänzlich neue Themen erst einmal richtig einarbeiten müssen?

Völler: Ja. Ich hatte das Glück, dass ich Reiner Calmund in den ersten Jahren über die Schulter schauen konnte und dadurch besser verstand, wie man mit Verträgen und Verhandlungen umgeht. Er hat mich auch einfach mal nach Brasilien geschickt, um dort ein bisschen zu scouten, damit ich eben alle Geschäftsfelder nach und nach kennenlerne. Direkt nach der Spielerkarriere wäre ich als Manager oder Sportdirektor aufgeschmissen gewesen.

SPOX: In den 1980er Jahren war Leverkusen noch eine graue Maus, anders als heute war beispielsweise auch die Bezeichnung "Werkself" negativ behaftet. Nun steht der Verein prächtig da und hat in den letzten sechs Jahren fünf Mal die Champions League erreicht. Hätten Sie gedacht, dass Sie mal das Gesicht von Bayer Leverkusen werden würden?

Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.comVöller: Damals natürlich nicht im Geringsten. Ich denke, dass dies auch einfach aus der Situation heraus entstanden ist. Als ich 1994 von Olympique Marseille nach Leverkusen gewechselt bin, ging ich davon aus, dort noch zwei Jahre zum Abschluss zu kicken und dann mal zu schauen, was danach kommt. Dann hatte Reiner Calmund die Idee, dass ich ihn unterstütze, so wie es auch Andreas Rettig und später Michael Reschke getan haben. Plötzlich war ich mittendrin, ein paar Dinge haben gut funktioniert und es wurde zum Selbstläufer.

SPOX: Wie sehr hat sich in Ihren Geschäftsbeziehungen die Wahrnehmung des Klubs verändert, läuft man nun selbstbewusster mit dem Bayer-Wappen durchs Land?

Völler: Total. Der Klub hat mittlerweile enorm an Reputation gewonnen. Bayer Leverkusen ist weltweit ein Begriff geworden, auch wenn wir noch nie die deutsche Meisterschaft gewonnen haben. Ein gutes Beispiel ist der Transfer von Chicharito, der uns noch einmal große Aufmerksamkeit beschert hat - vor allem dadurch, dass er sportlich eingeschlagen hat.

SPOX: Gehälter und Ablösesummen im Fußball werden wohl weiter ansteigen. Zwar hat sich in Leverkusen eine klare Klub-Identität herausgebildet, Titelkandidat ist man deshalb aber noch nicht. Gibt es intern Überlegungen, auf welche Ebene man den Klub künftig hieven muss, um den Herausforderungen dieser Zeit standhalten zu können?

Völler: Wir sind jetzt schon am oberen Limit. Es ist und bleibt eine wirtschaftliche Frage. In den 1980er und 1990er Jahren sind beispielsweise die Bayern auch häufig Meister geworden, hatten aber nur ein um zehn bis 20 Prozent größeres Gehaltsbudget als einige andere deutsche Klubs. Da konnte man dann auch mal wie wir fast Meister werden. (lacht) Mittlerweile ist deren Budget drei Mal und das der Dortmunder doppelt so hoch wie unseres. Beide Vereine investieren ihr Geld hervorragend, die Distanz ist praktisch unüberbrückbar geworden.

SPOX: Wie gut stehen denn die Chancen, dass die Bayer AG eines Tages sagt: Wir erhöhen den Betrag, mit dem wir den Fußball unterstützen, damit wir sportlich Schritt halten können?

Völler: Das wird es nicht geben und das finde ich auch gut so. Wir haben klare Vorstellungen, aufgrund derer wir auch nicht mehr so kritisch gesehen werden wie noch vor 20 Jahren. Wir werden mit knapp 25 Millionen Euro pro Jahr noch immer sehr gut unterstützt, auch wenn die Schalker oder Dortmunder von ihren Sponsoren einen ähnlichen Betrag bekommen. Den Rest müssen wir durch die Teilnahme an der Champions League und eine gute Transferpolitik eben selbst erwirtschaften. Und dennoch lassen sich so unsere Ziele erreichen.