FC Augsburg - Zeugwart Salvatore Belardo im Interview: "Nach der ersten Saison wollte ich wieder aufhören"

Jochen Tittmar
07. Oktober 202210:35
Mit 64 Jahren immer noch für den FCA tätig: Zeugwart Salvatore Belardo.imago images
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Seit 1989 ist Salvatore Belardo Teil des FC Augsburg. Fünf Jahre später fing er an, nebenbei als Zeugwart des FCA zu arbeiten - und hat diesen Posten bis heute inne. Der 64-Jährige hat die gesamte Augsburger Entwicklung der Neuzeit mitgemacht, vom Lizenzentzug 2000 bis zum ersten Europacupspiel der Vereinsgeschichte.

Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Belardo über seinen Start als Zeugwart, die Tristesse beim FC Augsburg in den 1990er Jahren und den "Engel", der den FCA wiederbelebte.

Belardo erzählt zudem von der größten Enttäuschung und dem besten Spieler in seiner Zeit in Augsburg und erklärt, was passieren muss, um mit seinem Job aufzuhören.

Herr Belardo, zunächst einmal müssen wir etwas Persönliches klären: Auf der Homepage des FC Augsburg wird der 17. Januar 1958 als Ihr Geburtstag angegeben. Ihr Profil bei transfermarkt.de weist jedoch den 8. August 1958 aus. Was stimmt?

Salvatore Belardo: Der 17. Januar ist richtig. Es kam tatsächlich schon vor, dass man mir auch am 8. August gratuliert hat. Beim ersten Mal war ich ganz perplex, aber mittlerweile weiß ich, woher das kommt. Wenn das also jemand von transfermarkt.de liest - bitte ändern! (lacht)

Sie haben bereits als torgefährlicher Linksaußen für die zweite Mannschaft des FCA gespielt. Wie sind Sie einst zum Verein gekommen?

Belardo: Ich habe immer schon Fußball gespielt. Angefangen habe ich in der Kreisliga. Da ich recht schnell war, hatte ich regelmäßig Angebote anderer Klubs. 1989 sprach mich ein älterer Mann an. Er war für die zweite Mannschaft des FCA zuständig, die wieder angemeldet wurde und für den Neustart in der Kreisliga Spieler brauchte. Ich bin dann von der TSG Stadtbergen dorthin gewechselt.

Mit der Zweiten des FCA feierten Sie in der Folge einige Aufstiege, es ging hoch bis in die Bayernliga. Stimmt es, dass Sie noch mit über 40 Jahren gekickt haben?

Belardo: Ja. Mit 45 habe ich aufgehört.

Mit 64 Jahren immer noch für den FCA tätig: Zeugwart Salvatore Belardo.imago images

Da Sie seit 1994 auch Zeugwart des FCA sind, haben Sie diesen Job also bereits gemacht, obwohl Sie noch selbst gespielt haben?

Belardo: Das mit der Jahreszahl ist so eine Sache. Wirklich ausschließlich Zeugwart, so wie ich es heute bin, wurde ich erst nach meinem Karriereende 2003.

Wie kommt es dann, dass überall 1994 als Beginn Ihrer Tätigkeit geschrieben steht?

Belardo: Ich habe zu dieser Zeit noch als Spieler begonnen, dem damaligen Zeugwart zu helfen. Der Kollege, der das zuvor machte, hatte für den Job nämlich nur noch zweimal die Woche Zeit. Daher hat mich der damalige Fußball-Abteilungsleiter Giacomo Belardi, der früher mal mein Trainer in Stadtbergen war, um Hilfe gebeten. Ich sagte zu ihm: Okay, ich schaue mir das mal an. Nach der ersten Saison wollte ich wieder aufhören. Man ließ mich aber nicht, weil der andere Kollege immer seltener und irgendwann gar nicht mehr konnte. Sie haben mich regelrecht überredet - zum Glück!

Warum wollten Sie wieder aufhören, hat es Ihnen keinen Spaß gemacht?

Belardo: Ich war einfach nicht wirklich daran interessiert. Ich wollte mehr Freizeit haben. Viele meinen ja, Zeugwart zu sein ist keine wirkliche Arbeit, aber das ist natürlich Quatsch. Das Gegenteil ist der Fall, man ist fast rund um die Uhr beschäftigt. Ich habe dann dem Verein zu Liebe weitergemacht, im Grunde bis heute.

Wo haben Sie zu dieser Zeit hauptberuflich gearbeitet?

Belardo: Ich war lange Zeit bei Siemens. Erst als dort Anfang der 2000er Jahre geschlossen wurde, ging ich zum Flugzeugbauer EADS, der heute Premium Aerotec heißt. Dort habe ich über 15 Jahre lang den Eurofighter zusammengebaut. Seit einem Jahr bin ich Rentner.

Waren Sie zwischenzeitlich festangestellt beim FCA?

Belardo: Nein, das war ich nie. Der Verein wollte das, aber ich nicht, denn ich war in meinem Hauptberuf sehr zufrieden. Wenn ich für den Klub im Einsatz war, bekam ich bei Aerotec unbezahlten Urlaub und vom FCA eine Pauschale. Vor vier Jahren bin ich zunächst in Altersteilzeit gegangen. Der FCA ist quasi mein Nebenjob. Ich bin zufrieden, die Arbeit macht mir weiterhin viel Spaß.

Wie sah die Arbeit als Zeugwart ganz zu Beginn genau aus?

Belardo: Das war noch richtig klassisch und natürlich deutlich weniger umfangreich als heute. Damals hatte ich zwei oder drei Koffer. Darin waren die Schuhe, die Trikots und die Kleidung für das Warmmachen. Verglichen mit heute ist das gar nichts. In den vergangenen Jahren ist alles, teils auch aufgrund der unterschiedlichen Wünsche der Trainer, immer mehr geworden.

Ihre Frau Marlene kümmert sich seit rund 25 Jahren um die Wäsche der Spieler. Wie kam es, dass auch sie mit dabei ist?

Belardo: Sie hat den Job von einer älteren Frau übernommen, die zuvor für die Wäsche zuständig war. Heutzutage ist sie auch so etwas wie ein Zeugwart. Sie macht weiterhin die Wäsche, arbeitet aber auch von der Geschäftsstelle aus und organisiert die Bestellungen der Waren, wenn wir etwas für unsere tägliche Arbeit brauchen.

Das Ehepaar Salvatore und Marlene Belardo im Jahr 2006 in der Wäschekammer.imago images

Sie haben in Augsburg die gesamte Entwicklung der Neuzeit mitgemacht. Von 1994 bis zum Lizenzentzug 2000 dümpelte der FCA im Niemandsland der Regionalliga. Wie trist war diese Zeit, die ja auch existenzbedrohend für den Klub war?

Belardo: Wir alle hatten damals zahlreiche Enttäuschungen zu verkraften. Oft stand frühzeitig fest, dass wir weder auf-, noch absteigen werden. Auch das Zuschauerinteresse ließ nach. Man spürte, dass das Geld immer knapper wurde. 2000 wurde im Lizenzierungsverfahren für die zweigleisige Regionalliga dann plötzlich eine Bankbürgschaft über drei Millionen Mark nicht fristgerecht erbracht. Deshalb mussten wir in die Bayernliga zwangsabsteigen, erstmals in der Vereinsgeschichte waren wir in der Viertklassigkeit angekommen. Zum Glück fiel dann unser Engel vom Himmel.

Nämlich Walther Seinsch, der Vorstandsvorsitzender und Mäzen wurde sowie eine Investorengruppe an Land zog, die das fehlende Geld ausglich. Seinsch führte den Verein innerhalb von nur elf Jahren in die Bundesliga. War es anfangs absehbar, dass seine Maßnahmen fruchten werden?

Belardo: Er war ein Geschäftsmann, bei dem alles, was er tat, Hand und Fuß hatte. Er hat sich ja auch frühzeitig hingestellt und zu den Fans gesagt: 'Ihr werdet sehen - ich baue euch ein Stadion und wir werden darin in der Bundesliga spielen.' Da haben wir uns alle noch gefragt: Was träumt der denn nachts? Doch elf Jahre später war das tatsächlich Realität - und ist es bis heute. Vor ihm habe ich den allergrößten Respekt.

Wie sicher war denn zu Zeiten des Lizenzentzugs Ihr Posten als Zeugwart?

Belardo: Es war schon so, dass ein paar Leute aufgehört haben, aber man ist diesbezüglich nie auf mich zugekommen. Ich habe auch nicht darüber nachgedacht, den Verein zu verlassen. Ich war jetzt nicht außerordentlich zuversichtlich, aber es konnte ja nur besser werden. Mir hat die Aufgabe an sich trotzdem Freude bereitet. Daher habe ich frühzeitig signalisiert, dass ich gerne weitermache - auf dann freiwilliger und unentgeltlicher Basis.

Stimmt es, dass in dieser sportlichen schwierigen Phase während der Heimspiele im Rosenaustadion ein provisorisches Zelt aufgestellt wurde, in dem sich im Anschluss der Partien auch die Spieler und Funktionäre aufhielten und man mit ihnen ein Bier trinken und Pommes frites essen konnte?

Belardo: Ja. Jeder kannte im Grunde jeden. Wir waren wenige Leute im Verein, die Geschäftsstelle hatte nur zweimal die Woche ein paar Stunden geöffnet. Für mich war es allerdings oft schwierig, dort dabei zu sein. Ich musste nach den Spielen ja immer schauen, dass die Kabinen gesäubert werden und hatte die Wäsche zu machen. Danach hat's mir oft auch einfach gereicht, so dass ich direkt nach Hause fuhr.

Wenn Ihnen damals jemand gesagt hätte, dass Sie auch 2022 noch im Klub sein werden, was hätten Sie entgegnet?

Belardo: Bloß nicht! (lacht) Heute bin ich natürlich sehr stolz darauf, so lange dabei zu sein. Ich habe unheimlich viel mit dem Verein erlebt und bin den ganzen Weg aus den Niederungen des Fußballs ohne finanzielle Mittel bis in die Bundesliga mitgegangen. Anfangs sah es nicht danach aus, aber irgendwann hat dann ein Highlight das nächste gejagt. Wir haben ja sogar schon international gespielt.

Die erste Europapokalteilnahme 2015/16 war neben dem Aufstieg in die Bundesliga 2011 ein weiterer Meilenstein der Vereinsgeschichte, den Sie hautnah erlebt haben. Am 17. September 2015 bestritt der FCA bei Athletic Bilbao sein erstes internationales Spiel. Hatten Sie dort nur einen Haufen Arbeit oder konnten Sie das auch genießen?

Belardo: Ich konnte die Erfolge immer genießen, so ist es nicht. Natürlich war auch dort viel zu tun, vielleicht sogar noch einmal einen Tick mehr als im Bundesliga-Alltag. Die Unterschiede bei internationalen Spielen waren aber marginal. Da geht es vorab um solche Dinge wie die abgestimmte Trikotauswahl, um die man sich zu kümmern hat. Ansonsten ist vieles gleich und es bleibt auch Zeit, innezuhalten und wie in Bilbao den Moment aufzusaugen.

Frisches Eis für die Eistonne: Zeugwart Salvatore Belardo bei der Arbeit im Trainingslager.imago images

Sie waren auch Zeuge des wohl dramatischsten Spiels der FCA-Historie: Am letzten Spieltag der Saison 2004/05 fehlte dem FCA zur Rückkehr in den Profifußball nach 22 Jahren Abstinenz nur noch ein Sieg gegen das von Mario Basler trainierte Jahn Regensburg. Die Partie ging vor 27.000 Zuschauern in der Rosenau nach Führung aber durch Gegentore in der 86. und 90. Minute mit 1:2 verloren. Wie erinnern Sie sich?

Belardo: Das war in all meiner Zeit die größte Enttäuschung, die wir zu verdauen hatten. Ähnlich schlimm war es nur in Wolfsburg, als wir im Mai 2019 mit 1:8 verloren haben. Mark Römer hat damals bei uns in der 81. Minute Gelb-Rot gesehen. Anschließend ging es dahin. Wir hatten schon alles für die Aufstiegsparty vorbereitet, die Stimmung im und rund um den Verein war über Monate super. Und dann passierte so etwas. Danach war erst einmal ein paar Tage vollkommene Leere, alle waren richtig kaputt.

Zu dieser Zeit war Rainer Hörgl Chefcoach, der ein Jahr später doch noch die Meisterschaft in der Regionalliga Süd und den Aufstieg in die 2. Bundesliga feiern konnte. Sie haben mittlerweile 26 Trainer erlebt - welcher war der Beste?

Belardo: Da möchte ich keinen herausheben. Ich bin menschlich wirklich durch die Bank mit allen gut ausgekommen. Eine besonders enge Beziehung hatte ich zu keinem, denn ich bin vom Typ her jemand, der sich lieber zurückzieht. Ich will auch nicht, dass mir von irgendjemandem eine zu große Nähe zum Cheftrainer vorgeworfen wird. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass nie einer in meinen Bereich eingegriffen und mir gesagt hat, wie ich meine Arbeit zu verrichten habe.

Welche Freundschaften zu Spielern oder Trainern haben sich bis heute gehalten?

Belardo: Ich habe sehr viele Kontakte zu früheren Spielern. Die rufen mich oft an, ich telefoniere regelmäßig mit ihnen. Einen guten Draht habe ich zu Alex Manninger, Raul Bobadilla, Paul Verhaegh oder Gibril Sankoh. Ich könnte aber noch dutzend andere nennen.

Und wer war fußballerisch der beste Kicker in all der Zeit für Sie?

Belardo: Eine schwierige Frage. Auch da könnte man viele aufzählen. Mourad Hdiouad hat mir aber besonders gut gefallen.

Hatten Sie selbst denn einmal Angebote für einen Vereinswechsel?

Belardo: Nein. Anfragen von außerhalb hatte ich nie. Es gab aber einige Trainer, die mich mitnehmen wollten, als sie den Verein verlassen hatten. Mit einer dreijährigen Unterbrechung lebe ich aber seit meinem vierten Lebensjahr in Augsburg. Das ist meine Heimat, die verlasse ich nicht.

Mourad Hdiouad spielte von 2006 bis 2009 für den FC Augsburg - und begeisterte Salvatore Belardo.imago images

Wie sieht heute Ihr Alltag aus?

Belardo: Das hängt immer auch etwas vom Wochenplan ab, den der Trainer vorgibt. Heute haben wir drei, vier Container mehr an Material als früher. (lacht) Meistens läuft es so, dass ich direkt nach dem Frühstück loslege und alle Klamotten für das Training vorbereite: lange und kurze Hosen, Radlerhosen, Pullover, T-Shirts, Schuhe. Das ganze Zeug lege ich für die einzelnen Spieler nach Rückennummern sortiert in einen Raum und sie holen sich ihr Paket dort ab. Was sie nicht brauchen, lassen sie dort. Nach dem Training wird alles, was benutzt wurde, zurückgebracht. Dann kümmere ich mich zusammen mit einem Kollegen und meiner Frau um die Wäsche.

Wie lang sind Sie täglich im Einsatz?

Belardo: Das ist unterschiedlich. An Tagen mit einer Trainingseinheit sind die Tage kürzer. Stehen zwei Trainingseinheiten an, ist entsprechend mehr zu tun.

In ein paar Monaten werden Sie 65 Jahre alt. Wie lange soll es noch gehen?

Belardo: Irgendwann will ich meine Ruhe haben, das ist sicher. Solange es mir aber Spaß macht und es körperlich geht, mache ich weiter. Ich weiß, dass relativ viel passieren muss, bis es mir keinen Spaß mehr machen würde. Manchmal gibt es natürlich auch Tage, an denen man durchhängt und es kein Zuckerschlecken ist. Doch die Lust kam immer wieder wie automatisch zurück, sobald ich die Jungs gesehen habe.