Vor fast genau 25 Jahren gewann Yves Eigenrauch mit Schalke 04 sensationell den UEFA-Cup. Bis heute konnte keine deutsche Mannschaft diesen Erfolg im UEFA-Cup und dem Nachfolgewettbewerb Europa League wiederholen. Nun hat Eintracht Frankfurt im Spiel gegen Glasgow Rangers (21 Uhr, LIVETICKER) die Chance.
Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Eigenrauch über den Triumph von Mailand und warum ihn Huub Stevens mal als "Querulant" bezeichnete.
Außerdem erklärt Eigenrauch, der während seiner Karriere als Fußball-Intellektueller galt, weil er schwarze Hornbrillen trug, mit dem Fahrrad zum Training fuhr, bunte Kleidung trug und im Mannschaftsbus gerne las, warum er sich selbst nie als Publikumsliebling wahrnahm und wieso er, den die Fans "Yyyyyves" riefen, nach seiner Karriere unter anderem als Handwerker arbeitete.
Zudem erklärt Eigenrauch, unter welchen Umständen er Fans raten würde, nicht mehr ins Stadion zu gehen und Fußballspiele zu boykottieren und wieso er das 20-jährige Jubiläum des Eurofighter-Triumphs boykottiert hat. Und er verrät, was passieren müsste, damit er einen Job im Fußball annehmen würde.
SPOX: Herr Eigenrauch, 1997 gewannen Sie mit Schalke den UEFA-Cup. Der Triumph jährt sich am 21. Mai zum 25. Mal. Wie oft werden Sie noch darauf angesprochen?
Yves Eigenrauch: Eigentlich so gut wie nie. Aber das ist schon seit Ewigkeiten so. Wenn die Leute mich ansprechen und eine Erinnerung haben, dann ist es weniger der UEFA-Cup-Sieg 1997, sondern eher das ominöse Ronaldo-Spiel 1998.
Der Weltfußballer, der im UEFA-Cup-Viertelfinalrückspiel 1998 nicht an Yves Eigenrauch vorbeikam. Stimmt es, dass sie gar nicht genau wussten, wer er war?
Eigenrauch: Das war keine Floskel. Der Name wird mir bestimmt ein Begriff gewesen sein. Aber die Dimension und das Ausmaß seines Wertes war mir nicht bekannt. Er hätte von mir aus vier Tore schießen können, wenn wir eines mehr geschossen und gewonnen hätten (Schalke schied nach einem 1:1 nach Verlängerung aufgrund der Auswärtstorregel aus, die Red.). Das nutzt mir nix, wenn ich mit meiner Leistung zufrieden sein kann, aber die Mannschaft ausgeschieden ist. Das ist für den Arsch.
25 Jahre nach dem Schalker Erfolg kann mit Eintracht Frankfurt eine deutsche Mannschaft im Finale der Europa League den Titelgewinn wiederholen. Trauen sie das den Hessen zu - und was kommt auf die Spieler zu?
Eigenrauch: Selbstverständlich kann Frankfurt das Finale gewinnen. Es wäre natürlich schön, wenn eine deutsche Mannschaft international mal wieder etwas holen würde. Und zu Ihrer zweiten Frage: Du bist schon vor dem Spiel in der Kabine so fokussiert, dass du die Umgebung gar nicht mehr mitbekommst. Ich denke im Finale zu stehen, wird auch für die Frankfurter abstrakt sein und ihnen etwas surreal vorkommen.
Fühlen Sie sich noch als Eurofighter?
Eigenrauch: Ich bin kurz überrascht ob der Frage. Ich hoffe nicht, dass ich irgendwann mal den Eindruck erweckt habe, dass ich das in irgendeiner Form von mir weisen würde. Die Eurofighter-Geschichte ist natürlich eine ganz Besondere. Ich denke jetzt nicht jeden Tag daran, aber ich freue mich natürlich, dass ich das damals miterleben durfte. Ich freue mich auch immer, die Leute von damals zu sehen. Ich freue mich aber auch genauso, wenn ich mal durch Zufall jemanden aus der Jugend wiedertreffe.
Schalke 04, Eigenrauch: "Söldner gab es vor 20 Jahren auch schon"
Gibt es noch Kontakt zur Mannschaft von damals?
Eigenrauch: Nein, das hat sich nie so ergeben. Auch wenn man sehr gut miteinander ausgekommen ist, waren und sind die Interessenlagen zu unterschiedlich, als dass auch heute noch Kontakt bestünde.
Mit welchem Ihrer Mitspieler haben Sie sich am Besten verstanden?
Eigenrauch: Man hatte damals in der Regel ja Doppelzimmer. Mit David Wagner und Marco Kurz bin ich sehr gut zurechtgekommen.
Wie war die Stimmung innerhalb der Truppe zu der Zeit?
Eigenrauch: Normal. Es fällt mir jetzt nichts besonders Positives oder Negatives ein. Klar, wir sind in der Bundesliga sehr hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Dass der Verein sich entschieden hat, sich von Jörg Berger zu trennen und Huub Stevens zu verpflichten, war eine Sache, die nicht spurlos an der Mannschaft vorbeiging. Zumal ich dabei bleibe, dass das unglücklich dargestellt worden ist. Wir waren die Bösewichte. Das waren wir keineswegs. Da könnte ich heute noch kotzen. Da hat man gesehen, wie schnell es in diesem Geschäft gehen kann. Nach der Entlassung von Jörg Berger hätte uns ein Großteil der Fans gerne verprügelt. Ein halbes Jahr später waren wir Spieler dann Könige. Das fand ich grenzwertig.
Auch heute kann es noch schnell gehen. Spieler von Hertha BSC sollte nach einer Niederlage ihre Trikots vor der Kurve ablegen. Im nächsten Spiel wollten die Fans dann wieder mit ihnen feiern ...
Eigenrauch: Die Gesamtsituation ist in der Reaktion sicherlich extremer geworden. Da bin ich auch kein Freund von. Es kann immer mal eine besondere Situation geben und zum Sport gehört auch die Emotion dazu. Aber trotzdem sollte jeder für sich selbst mal überlegen, wann eine Grenze erreicht ist. Es handelt sich auch bei den Spielern um Menschen. Dass es wie vor 20 Jahren auch sogenannte Söldner gibt, die sich nicht wirklich mit den Vereinen identifizieren, ist nun mal so. Das gibt es in anderen Bereichen, ob im Bankenwesen oder im Handwerk, auch.
War das bei den Eurofightern anders?
Eigenrauch: Ich glaube schon, dass damals noch eine andere Bindung da war - zumal die Mannschaft im Grundgerüst ja auch über Jahre gewachsen war. Es gab auch einige Spieler, die selbst noch den Aufstieg aus der 2. Liga in die Bundesliga mitgemacht haben. Auch, wenn wir natürlich nicht immer einer Meinung waren: Das passte in der charakterlichen Zusammensetzung einfach!
Wie wichtig waren Trainer Huub Stevens und Manager Rudi Assauer für die Atmosphäre?
Eigenrauch: Nicht nur sie waren wichtig, sondern eigentlich das ganze Team um die Mannschaft herum. Heute ist es bei vielen Vereinen ein Kommen und Gehen und relativ anonym. Früher hattest du noch Zeit, dass du mit den Leuten aus dem Sekretariat des Vorstandes quatschen, oder auch mit Mitarbeitern, beispielsweise aus dem Marketingbereich, ein persönliches Wort wechseln konntest. Heutzutage wird alles nur noch an der Zeit und Effektivität bemessen.
Yves Eigenrauch: "Huub Stevens meinte, ich sei ein Querulant"
Wie war Ihr Verhältnis zu Assauer und Stevens?
Eigenrauch: Das war sehr, sehr gut. Aber auch wir hatten unsere Meinungsverschiedenheiten - gerade mit Herrn Stevens. Er hat für den Sport gelebt. Bei ihm gab es nicht nur 100 Prozent, sondern idealerweise 150, 200, wenn nicht sogar 700 Prozent. Auch wenn ich natürlich engagiert bei der Sache war, habe ich Fußball aber nicht als meinen elementaren Lebensinhalt gesehen.
Haben Sie ein Beispiel für eine Meinungsverschiedenheit mit ihm?
Eigenrauch: Unweit des Stadions gibt es in Gelsenkirchen den Berger See. Da waren wir häufiger laufen. Es gab eine Vorgabe, mit welchem Puls man die Runden absolvieren sollte. Es war dabei üblich, dass wir nicht als Gruppe, sondern jeder für sich alleine gelaufen ist. Nur: Während die anderen alle rechts um den See gelaufen sind, bin ich links herum. Herr Stevens hat das dann irgendwann mitbekommen, hat sich fürchterlich darüber beklagt und meinte, ich sei ein Querulant. Ich dachte: in welchem Film bist du? Mir hat keiner gesagt, ich soll rechts herumlaufen. Es hieß nur: Lauft und haltet euren Puls. Ich war vollkommen irritiert. Der Trainer ist natürlich derjenige, der bestimmt. Wenn er mir sagt: 'Leg dich jetzt eine halbe Stunde auf den Boden', dann mache ich das natürlich. Wenn er gesagt hätte 'Lauft rechts herum um den See', hätte ich das natürlich gemacht. Diese Ansage gab es aber nicht. Das Problem war zu dem Zeitpunkt auch, dass ich im sportlichen Bereich meiner eigenen Erwartungshaltung - was die Leistung betrifft - nicht mehr gerecht werden konnte. So hat das sicherlich auch der Trainer gesehen und hat das dann vermutlich als Affront aufgefasst. Im Sinne von: Der kommt nicht zu Potte und läuft dann auch noch links herum ...
Gab es eine Strafe?
Eigenrauch: Eine Strafe gab es nicht. Ich musste nur beim Manager vorstellig werden und ihm die Sache erklären. Dann war es kein Thema mehr.
Auf dem Weg zum UEFA-Cup-Sieg gab es einige Rückschläge. Youri Mulders und Martin Max verletzten sich, das Hinspiel im Halbfinale gegen Teneriffa ging mit 0:1 verloren. Ab wann hat die Mannschaft daran geglaubt, dass ein Triumph wirklich möglich ist?
Eigenrauch: Da kann ich nur für mich sprechen: Eigentlich nie. Dazu war das gesamte Szenario viel zu bizarr. Ich konnte beim Abschlusstraining im Stadion einen Tag vorher nicht sagen 'Jetzt spielst du morgen hier ein Endspiel und das gewinnst du'. Das war für mich viel zu abstrakt. Ich glaube, das ging den anderen auch so. Auch wenn wir uns natürlich gesagt haben, dass wir diese Chancen jetzt ergreifen müssen.
Gut 30.000 Schalker waren damals in Mailand beim Rückspiel (das UEFA-Cup-Finale wurde in Hin- und Rückspiel ausgetragen, die Red.). Haben sie von der Atmosphäre etwas mitbekommen?
Eigenrauch: Leider gar nicht. Im Stadion dann natürlich schon. Das ganze Drumherum war ja für viele ein Event. Dieses Feeling miterleben zu können, mit dem eigenen Vereinen in eine andere Stadt reisen zu können, das wäre schön gewesen, das hätte ich gerne gemacht. Du hast als Spieler ja auch in der Bundesliga von den Städten nicht viel mitbekommen. Das finde ich schade. Aber man kann ja nicht alles haben.
Den Titel gewann Sie durch ein 4:2 im Elfmeterschießen gegen Inter Mailand. Stimmt es, dass Sie den Sieg gar nicht richtig einordnen konnten?
Eigenrauch: Ich fand es auf jeden Fall ziemlich blöd, dass wir als Mannschaft nicht mal zwei Minuten Zeit hatten, uns gewahr zu werden, was da gerade passiert war. Es kamen direkt irgendwelche Leute aufs Feld gestürmt, die die Spieler für Gespräche rausgezogen haben. Fand ich ziemlich unglücklich und doof, da bleibe ich dabei.
Das heißt, Sie konnten die Situation im ersten Moment nicht verarbeiten?
Eigenrauch: Da geht es nicht mal unbedingt um das verarbeiten. Sondern darum, dass man als Mannschaft nicht kurz zueinander finden konnte. Das war unmittelbar nach dem Spiel gar nicht möglich. Nach meinem Empfinden wurden wir sofort auseinandergerissen. Die Gemeinschaft konnte im intimen Kreis nicht zur Geltung kommen. Das sind Kinkerlitzchen. Aber ich bin da relativ empfindlich und lege auf das Persönliche viel Wert. Wenn das verloren geht, bei allem Verständnis dafür, dass viele Interessen zu berücksichtigen sind, finde ich das sehr schade.
Wie haben Sie sich auf das Finale vorbereitet?
Eigenrauch: Ich hatte keine besondere Vorbereitung. Ich hatte das Problem, dass ich in meinen sportlichen Qualitäten beschränkt war. Insofern war es eigentlich bei allen Spielen so, dass ich mir dachte 'Hoffentlich machst du das alles so, wie du das von dir selbst erwartest'. Das war grauenhaft. Die Stunden vor einem Spiel waren immer ganz, ganz übel, weil ich immer alle Szenarien durchgespielt habe.
Sie haben sich selbst unter Druck gesetzt?
Eigenrauch: Nicht unbedingt. Ich war mir meiner überschaubaren sportlichen Qualitäten einfach immer bewusst. Wenn du weißt, was deine Gegenspieler drauf haben und du selbst nicht mithalten kannst, ist das natürlich eine blöde Situation. (lacht) Klar hatte ich auch meine Qualitäten. Aber das war nie etwas, von dem ich jemals angenommen hätte, dass es reicht, um in der Bundesliga oder international spielen zu können. Das meine ich wirklich so.
Waren Sie überrascht, wie weit Sie es in Ihrer Karriere geschafft haben?
Eigenrauch: Ja klar. Ich habe relativ lange und konstant spielen dürfen. Es gab ja auch bei mir eine Entwicklung von der zweiten über die erste Liga. Der Sport hat sich in der Qualität über die Jahre auch verändert. Wir haben früher in den Neunzigern immer gesagt, dass Welten zwischen unserem Fußball - Stichwort Dynamik - und dem aus den 1970ern liegen. Wenn ich jetzt die 1990er-Jahre mit dem Fußball von heute vergleiche, liegen da keine Welten mehr, sondern Universen dazwischen. Das finde ich den ultimativen Hammer, was die heutigen Spieler drauf haben.
Gibt es einen Moment aus dem Finale, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Eigenrauch: Klar! Und zwar der Treffer zum Ausgleich. Ich habe danach nie wieder solch einen Lärm erlebt. Die Leute haben ja angefangen zu pfeifen. Das kannte ich vorher nicht. Das war dermaßen scheiße laut. Unvorstellbar. Das fand ich schon ziemlich krass. Und dann natürlich in der Verlängerung der Lupfer über Jens Lehmann, der nicht ins Tor, sondern an die Latte ging. Da habe ich kurzzeitig den Atem angehalten. Das sind so Momente, in denen einem alles mögliche durch den Kopf geht.
Wie haben Sie den Titel mit der Mannschaft gefeiert?
Eigenrauch: Das war eigentlich eine ganz lange Feier und ein besonderes Erlebnis. Nach unserem Rückflug und der Ankunft in Gelsenkirchen gab es am Folgetag einen Autokorso, der vom Parkstadion in die Stadt führte. Alle waren natürlich vollkommen übermüdet. Doch so einen Moment mit der Mannschaft, den gab es nicht.
Wer war Ihr härtester Gegenspieler in den zwei Finalspielen?
Eigenrauch: Das habe ich gar nicht präsent. Ich war eher fokussiert darauf, dass alles so funktioniert, wie man sich das selbst vorstellt.
Yves Eigenrauch: "Publikumsliebling? Das ist für mich viel zu abstrakt"
Sie waren Publikumsliebling - wie erklären Sie sich Ihre Beliebtheit und wie haben Sie den Rummel um Ihre Person wahrgenommen?
Eigenrauch: Das war für mich wie vieles in den Jahren viel zu abstrakt. Wenn man selbst nicht glaubt, gut zu sein, und einem dann trotzdem Sympathien entgegengebracht werden, ist das schön zu sehen, aber auch nicht wirklich greifbar. Ich habe immer gehofft, dass die Leute mein Engagement honorieren. Ich glaube, die Fans haben mitbekommen, dass ich ein ehrlicher, direkter Mensch bin. Wir haben uns bemüht, Autogramm-Anfragen gerecht zu werden und uns nach dem Training Zeit zu nehmen. Ich hoffe, dass diese menschliche, normale Haltung, die ich glaube gehabt zu haben, auch wahrgenommen wurde. Wenn ich mit einer Person gesprochen habe, dann bin ich ihr auf Augenhöhe begegnet. Einem Menschen eben.
Sie haben sich selbst nie zu wichtig genommen? Auf Schalke galten gerade in der Abstiegssaison viele Profis als abgehoben.
Eigenrauch: Ich weiß nicht, ob das teilweise auch Selbstschutz ist. Vielleicht habe ich das gemacht, aber ich habe es nie für mich so wahrgenommen, dass ich mich selbst auf eine andere Stufe gehoben habe. Ich war einfach nur jemand, der in dem Sinne privilegiert war und durch diverse Zufälle die Möglichkeit hatte, in der Bundesliga zu spielen. Nicht mehr und nicht weniger.
Sie galten damals schon fast als Intellektueller, weil Sie im Mannschaftsbus gerne mal ein Buch gelesen haben.
Eigenrauch: Ich bin kein Intellektueller und war das auch nie. Wenn über dieses bescheuerte Thema "Lesen" damals berichtet wurde, weil ich Dürrenmatt gelesen habe, habe ich mich darüber geärgert. Eigentlich dürfte man sich gar nicht drüber ärgern, weil es halt so dämlich ist. So profan. Und abgesehen davon. Klar habe ich gerne gelesen. Ich habe als Kind so gut wie nie gelesen. Es macht mir Spaß. Genauso wie Musik hören. Da finden sich neue Impulse, die man bekommen kann.
1997 hat der Ruhrpott vibriert. Schalke gewann den UEFA-Cup, Borussia Dortmund die Champions League. Wie haben Sie die Zeit erlebt?
Eigenrauch: In dem Jahr konnte sich ja auch noch Bochum nach Jahren erstmals wieder für den internationalen Wettbewerb qualifizieren. Das war schon etwas Besonderes und hat dabei geholfen, dass mehr Aufmerksamkeit auf das Ruhrgebiet gezogen wurde. Dass wir mit unserem Erfolg ein bisschen dazu beitragen konnten, fand ich sehr schön.
Eigenrauch: "Dankbar, dass ich den Aufstieg miterleben durfte"
Vor rund zwei Wochen stieg Schalke stieg durch ein 3:2 gegen St. Pauli nach einem 0:2-Rückstand in die Bundesliga auf. Die Eurofighter trafen sich am Rande des Spiels zum 25-Jährigen Jubiläum. Wie war es?
Eigenrauch: Für mich war das ganz, ganz großes Kino. Da passte einfach alles. Ein Dramaturg am Theater hätte das nicht besser schreiben können. Das war perfekt. Dass das nach dem 0:2-Rückstand noch so geklappt hat, ist echt kaum in Worte fassen. Ich bin dankbar, dass ich das miterleben durfte.
Wie war das Wiedersehen mit den ehemaligen Kollegen?
Eigenrauch: Leider hatten wir gar nicht die Möglichkeit, für uns alleine zu sein. Wir waren immer im öffentlichen Raum. Da hätte ich mir gewünscht, dass wir mal eine halbe Stunde Zeit für uns haben. Aber das wird hoffentlich nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir uns im Stadion getroffen haben. Insofern werden wir das dann nachholen.
Die 20-Jahre-Feier haben Sie noch abgesagt. Was hat es damit auf sich, dass Sie damals nicht dabei waren, aber dieses Jahr dann schon?
Eigenrauch: Ich weiß nicht, aus welchem Grund ich damals nicht dabei gewesen bin. Das irritiert mich nach wie vor noch. Es wird schon einen wichtigen Grund gegeben haben.
Sie kritisierten damals "die Professionalisierung der Kommerzialisierung" und wussten mit der 20-Jahre-Feier nichts anzufangen ...
Eigenrauch: Ja, das kann sein. Das hört sich nach mir an. Warum soll man auch 20 Jahre feiern? Das ist für mich so eine Banalität. Was soll das? Das habe ich wahrscheinlich verdrängt, weil ich mich etwas aufgeregt hatte, dass ich da jetzt gar nicht mehr drauf kam. Wenn Sie das jetzt ansprechen, könnte ich mich auch darüber aufregen. Eine 20-Jahre-Feier. Das ist doch bescheuert.
Was meinen Sie?
Eigenrauch: Da machst du etwas nicht ob der Sache willen als solche, sondern ob des Events im Rahmen des Systems. Um deinem Klientel etwas zu bieten. Das finde ich halt schade. Und da bin ich heute nach wie vor noch dabei: Die Entwicklung des Sports entspricht nicht meinem Verständnis davon, welche Aufgabe der Fußball beziehungsweise der Sport an sich hat. Da gibt es aber natürlich unterschiedliche Meinungen. Ich finde es auch immer noch erstaunlich, dass es sehr häufig Fans gibt, die maulen, was alles scheiße ist, aber trotzdem ins Stadion gehen. Wenn ich irgendetwas scheiße finde, dann muss ich natürlich für mich, auch wenn es weh tut, mal eine entsprechende Konsequenz ziehen und einfach mal nicht ins Stadion gehen - und zwar nicht nur für zwei, drei Spiele sondern für drei Jahre. Eine ähnliche Situation gab es damals ja auch, als Schalke vom Parkstadion in die Arena umgezogen ist. Da haben auch ganz viele gesagt: 'Nee, in die Halle wollen wir nicht, da gehen wir nicht hin.' Ein halbes Jahr später waren alle Spiele ausverkauft. Das ist aber ein grundsätzliches Problem. Es gibt viele, die mit erhobenem Zeigefinger dastehen und schimpfen und meckern und maulen, aber selbst nicht dazu bereit sind, ihren Beitrag zu leisten, etwas zu verändern.
2017 sagten Sie, dass Sie sich mit dem Profifußball nicht mehr identifizieren könnten. Das ist fünf Jahre her. Wie hat sich der Fußball seitdem entwickelt?
Eigenrauch: Was heute zum Tragen kommt, ist, dass es so unglaublich ausdifferenziert und professionalisiert ist. Aber auch da sprechen wir nicht nur über den Fußball, sondern über alle Bereiche. Dass man kaum noch in der Lage ist, die Verknüpfungen zu überblicken.
Was ist in Ihren Augen die Aufgabe des Fußballs?
Eigenrauch: Ich glaube die gibt es in dem Sinne nicht. Aber es gibt etwas, das man durch den Sport entwickeln könnte. Fußball war für mich immer etwas Natürliches. Eine Natürlichkeit, Einfachheit, Herzlichkeit, Ehrlichkeit, für die der Sport stand. Und das, finde ich, fehlt heute. Das fängt ja aber schon bei ganz profanen Sachen an. Wenn ich mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs bin, sage ich 'Guten Tag', wenn mir jemand entgegenkommt. Da wird man heute dann schon schief angeguckt. Von den Basics ist zu viel in Vergessenheit geraten - auch auf den Fußball bezogen.
Hat die Branche die Bodenhaftung verloren?
Eigenrauch: Ich tue mich mit dem Begriff schwer. Klar kann die verloren gegangen sein. Wobei man jetzt den Protagonisten aus dem Bereich zugute halten muss, dass es schwer geworden ist, nicht abzuheben. Wenn dir von allen Seiten immer nur auf die Schultern geklopft und gesagt wird, wie cool und toll und besonders du bist, ist es schwer, sich davon freizumachen.
Gleichzeitig ist immer mehr Geld im Umlauf, wenn Sie auf Klubs wie Manchester City oder Paris Saint-Germain blicken. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Eigenrauch: Ich habe kein Problem damit. Das ist in Ordnung und muss jeder selbst wissen, wie er das handhabt. Ich würde es teilweise nicht so machen wollen, wobei das als Außenstehender leicht gesagt ist. Ob es wirklich scheiße ist, vermag ich nicht zu beurteilen, weil ich die Zusammenhänge nicht kenne.
Schalke 04: "Habe den Abstieg einfach zur Kenntnis genommen"
Was lief auf Schalke in den letzten Jahren schief, dass der Klub so abgestürzt ist?
Eigenrauch: Abgestürzt finde ich unglücklich formuliert. Dass es nicht so gelaufen ist wie man sich das vorgestellt hat, finde ich sinnhafter. Ich würde es darauf herunterbrechen, dass man zu viele Leute über zu lange Zeit hat gewähren lassen. Und das bezieht sich jetzt nicht auf Herrn Tönnies und nicht nur auf Herrn Peters, sondern auf das Gesamtkonstrukt. Es ist ja nicht nur eine Person, die verantwortlich war. Es ist die Gesamtheit, das große Team, dass dann nicht mehr funktioniert hat und schlechte Entscheidungen getroffen wurden, unter welchen Umständen auch immer.
Wie haben Sie den Abstieg eigentlich damals erlebt?
Eigenrauch: Ich habe ihn einfach nur zur Kenntnis genommen. Aus der Distanz heraus war es schwer, so ein Gefühl zu bekommen, in welche Richtung es jetzt geht. Wenn ich versuche, mir ein Urteil zu bilden, brauche ich konkrete Sachen. Das war nicht möglich. Ich habe jahrelang immer nur den Kopf geschüttelt, wenn ich manche Sachen mitbekommen habe. Jetzt scheint Schalke in der personellen Besetzung aber auf einem guten Weg zu sein. Man versucht das Alte, Negative aus dem Verein rauszukriegen und positiv zu denken. Für mich persönlich ist das relativ schwer. Weil ich immer denke, da muss doch noch einen Haken sein. Das ist manchmal schon ein bisschen erschreckend für mich persönlich. Ich suche noch nach dem Haken - auch wenn ich mich natürlich freuen würde, wenn der Verein wieder in eine Situation kommt, in der man sagen kann: Da sind welche, denen kannst du glauben. Die machen nicht nur Business, sondern lieben den Sport. Und das nicht nur als Buchstaben auf einer Werbetafel.
Yves Eigenrauch: Seine Karriere in Zahlen
Verein | Spiele | Tore | Assists | Gelbe Karten | Rote Karten |
Arminia Bielefeld (1989 - 1990) | 46 | 3 | 0 | 5 | 0 |
FC Schalke 04 (1990 - 2002) | 273 | 5 | 8 | 20 | 0 |
Was machen Sie aktuell?
Eigenrauch: Beruflich im absoluten Sinne nichts. Ich musste aus familiären Gründen in meine alte Heimat zurückkehren. Ich betreibe seit dem letzten Jahr den Podcast 'YVES - der Podcast'. Das kam durch einen Zufall zustande. Ich finde es schön, Leute persönlich zu sprechen und deren Sichtweisen zu erfahren. Jens Lehmann war vor Kurzem zu Gast oder auch WestBam, der in meiner Jugend eine große Rolle gespielt hat. Ich finde es schön, Personen auf eine andere Art kennenzulernen.
Sie haben nach Ihrer Karriere unter anderem im Handwerk gearbeitet. Wie kam es dazu?
Eigenrauch: Ich möchte nicht nur einfach arbeiten oder bei bei einer Sache mitmachen, damit ich mir etwas zu Essen kaufen kann. Ich möchte gerne, dass das, was ich mache, auch einen Gehalt, Sinn und Zweck hat. Das ist leider in manchen Bereichen schwierig. Ich habe manches machen dürfen. Ob am Theater in Gelsenkirchen oder im handwerklichen Bereich, wo ich für eine Werbetechnik-Firma u.a. auf Montage war und eine CNC-Fräse bedient habe. Im Call-Center habe ich auch mal kurzzeitig gearbeitet. Das sind alles so Erfahrungen, die mein Menschenbild nicht gerade verbessert haben. Nicht auf das Individuum bezogen, sondern auf Menschen in einem Gefüge, also wie man zusammenarbeitet und welche Werte man hochhält.
Das heißt: Sie haben sich auf der Suche nach einer sinnstiftenden Tätigkeit ausprobiert?
Eigenrauch: Ganz genau. Ich bin nach wie vor noch auf der Suche nach einer beruflichen Betätigung im eigentlichen Sinn.
Können Sie sich auch eine Tätigkeit im Fußball vorstellen oder schließen Sie das aus?
Eigenrauch: Man soll ja nie etwas ausschließen. Ich halte es aber für mich persönlich als sehr, sehr unwahrscheinlich. Es sei denn, irgendwer liest das Gespräch und schenkt mir danach einen Klub. Dann vielleicht ja.
Meistgelesene Artikel
Das könnte Dich auch interessieren

.jpg?quality=60&auto=webp&format=pjpg&width=317)

