Er formte Mesut Özil, Benedikt Höwedes oder Max Meyer zu Stars und ist eine Schalker Legende: U-19-Coach Norbert Elgert über Gefahren des Hypes, ein Angebot vom DFB und das von der Youth League verursachte Steuerungschaos.
SPOX: Herr Elgert, als U-19-Coach müssen Sie oft nicht nur Trainer, sondern auch Pädagoge sein. Wie versuchen Sie, Nachwuchstalente vor dem alltäglichen Hype zu bewahren?
Norbert Elgert: Im Nachwuchsbereich haben wir einen erheblichen Einfluss. Deshalb habe ich bisher nie ein Angebot zum Profitrainer angenommen, da wir in der Jugend mehr auf die Spieler einwirken können. Aber auch meine Möglichkeiten sind begrenzt. Ich muss auch loslassen können.
SPOX: In welchem Fall?
Elgert: Die Gefahr, bei dem heutigen Hype abzuheben, ist für junge Spieler gewaltig. Die Verlockungen sind riesig. Ich sage meinen Spielern deshalb immer: "Je schneller du in diese Umlaufbahn geschossen wirst, desto schneller fliegst du wieder hinaus." Es funktioniert nach dem einfachen Prinzip "Daumen hoch oder Daumen runter". Fußballer sind moderne Gladiatoren: Wenn es nicht läuft, werden sie zerrissen. Damit müssen sie am Ende auch alleine fertig werden können.
SPOX: Was geben Sie Ihren Spielern als zentrale Idee mit auf den Weg, um sie vor dem Abheben zu bewahren?
Elgert: Dass kein Mensch besser ist als der andere. Diese Spieler sind so privilegiert: Sie spielen in den schönsten Stadien der Welt, ihr Foto ist in der Zeitung zu sehen. Sie verdienen mehr Geld in einem Jahr als alle Generationen vorher. Aber all das macht sie nicht zu besseren Menschen. Das hebt ihr Talent auch nicht über das eines Handwerkers oder Ingenieurs. Es ist immer besser, wenn sie im Laufe des Aufstiegs bescheiden bleiben. Die Menschen, die man auf seinem Weg nach oben trifft, trifft man auch beim Abstieg wieder. Das versuche ich den Jungs einzuimpfen.
SPOX: Manche verdienen bereits in jungen Jahren exorbitant viel Geld. Wie bewerten Sie es, wenn solche Spieler bereits protzige Uhren tragen und teure Autos fahren?
Elgert: Es gibt viel wichtigere Dinge als Materielles. Familie, Freunde und vieles mehr. Aber das Materielle spielt in unserer Zeit eine gewichtige Rolle. Geld ist flüssige Energie. Es gibt Menschen Sicherheit. Und es macht auch Spaß, sich mal etwas Großes leisten zu können. Nehmen wir meine Uhr als Beispiel. Die war gar nicht so teuer. Aber trotzdem habe ich sie mir erst mit 50 geleistet. Vorher bin ich nur an Schaufenstern vorbeigelaufen, bis meine Frau sagte: "Jetzt gönn' dir das doch mal!" Wenn sich jemand etwas erarbeitet hat und auch etwas für andere tut, dann hat er sich das verdient. Dann kann man sich auch mal etwas leisten.
spoxSPOX: Gilt das auch für Ihre Nachwuchsspieler?
Elgert: Bei jungen Spielern bin ich nicht so stark dafür. Ich kann es zwar verstehen, weil es verlockend ist, weil jeder Mensch gelten möchte. Und je jünger man ist, desto früher neigt man dazu, Geltungsdrang über diesen Weg auszudrücken. Aber das ist unbedeutend. Ich werde nie vergessen, wie Benedikt Höwedes als Jungprofi auf dem Profiparkplatz mit der Rostlaube seiner Tante vorfuhr. Ich deutete auf all die anderen teuren Autos und meinte: "Toll, Benni - oder?" Er hat genickt. Und ich fügte hinzu: "Toll. Aber nicht wichtig." Das ist meine Meinung zu den Superautos, die der eine oder andere fährt. Benni hat das verstanden. Er war intelligent und bodenständig, er lebt noch immer so. Ich glaube, heute fährt er 'nen Beetle.
SPOX: Ein anderer Ihrer Schützlinge hatte es zuletzt nicht einfach: Max Meyer tut sich seit Jens Kellers Entlassung schwerer. Stellt der Trainerwechsel für ihn ein Hindernis dar?
Elgert: Nach Trainerwechseln müssen sich Spieler immer neu positionieren. Das ist für die Jungen dann schwieriger als für Etablierte. Aber wenn er zwischendurch mal zu kämpfen hat, sich letztlich jedoch behauptet, ist das für seine Entwicklung sehr positiv. Und ich bin mir sicher: Ein Spieler wie Max Meyer wird sich überall auf der Welt durchsetzen.
SPOX: Als es für Meyer nicht so gut lief, beschwerte er sich öffentlich, dass Di Matteo zu wenig mit ihm rede. Halten Sie das für ratsam?
Elgert: Als Coach bin ich aber immer dafür, Dinge intern zu lösen. Di Matteo ist mit Sicherheit der Letzte, der dem direkten Gespräch mit einem Spieler aus dem Weg gehen würde. Aber Max ist nicht nur ein toller Fußballer, sondern hat auch einen starken Charakter. Er ist ein Fußballer mit Leib und Seele. Wenn man mit so viel Leidenschaft dabei ist, haut man in seinem Frust auch mal einen raus. Letztlich hat er ja auch nichts Ehrenrühriges oder Verletzendes gesagt.
SPOX: War er schon immer ein Spieler, der auch mal Ansagen macht, wenn ihm etwas nicht passt?
Elgert: Als er in seinem ersten Jahr in der Profimannschaft mal nicht eingesetzt wurde, rief er abends bei mir an und sagte: "Trainer, ich will morgen bei euch mitspielen!" Er war unzufrieden, wenn er nicht spielen konnte. Er ist total fußballverrückt. Wenn er auf den Platz geht, ist egal, ob da 100.000 Menschen, 100 oder nur ein Einziger zuschauen. Ob er ausgepfiffen wird oder nicht. Max hat einfach nur Bock auf Fußball. Das hilft ihm, auch unter Druck sein komplettes Potenzial auszuschöpfen. Er hat keine Angst.
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SPOX: Sie haben Meyer einst eine hohe "mentale Geschwindigkeit" attestiert. Wie genau definieren Sie diese?
Elgert: Es geht darum, dass taktische Anpassungsfähigkeit, also situatives Taktikverständnis, in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger wurde. Spieler müssen Situationen schneller erfassen. Wo sind Mitspieler, Gegenspieler und Ball? Jede Bewegung auf dem Platz verändert das Szenario sofort. Wer das nicht begreift, versteht das Spiel nicht und kann all die Wahrnehmungen nicht in sinnvolle Aktionen umsetzen. Was nützt mir der schnellste Spieler auf dem Platz, ein Usain Bolt, wenn er im Kopf nicht schnell genug ist? Dagegen steht der langsame Spieler schon längst dort, wo er stehen muss, weil er mental schnell genug reagiert hat. Das bedeutet mentale Geschwindigkeit.
SPOX: Wie lässt sich diese denn trainieren?
Elgert: Spitzenspieler bringen in dem Bereich schon extrem viel mit. Aber es ist auch trainierbar. Man muss Druck durch Raum, Zeit und Gegner simulieren. Man muss viele Positionsspiele mit Kontaktbegrenzung anbieten und da immer wieder Variablen einbauen. Dazu gibt es einzelne Übungen, um die Wahrnehmungs- und Handlungsschnelligkeit zu verbessern.
SPOX: Bei der körperlichen Geschwindigkeit ist der Mensch von vornherein limitiert, jeder hat seine eigene Grenze. Gilt das auch für mentale Geschwindigkeit?
Elgert: Es gibt in der Ausprägung durchaus große Unterschiede. Man kann es zwar trainieren, aber jeder Spieler hat persönliche Grenzen. Man kann nicht aus jedem einen Xavi, Iniesta oder Özil machen.
SPOX: In Ihren knapp 20 Jahren als A-Jugend-Coach hat sich in Training und Nachwuchsfußball viel verändert. Fällt es Ihnen leicht, sich selbst und Ihre Lehre vom Fußball an die Veränderungen anzupassen?
Elgert: Es macht mir nichts aus, mit der Zeit zu gehen. Ich will morgen ein besserer Trainer sein als ich es heute bin, das ist zwingend erforderlich. Das Leben ist Evolution, alles entwickelt sich weiter. Bleibst du stehen, bist du erledigt. Gehst du zurück, dann erst recht.
SPOX: Seit 2013 ist nun auch die Youth League ein Teil des Nachwuchsfußballs. Sie haben sich oft kritisch dazu geäußert. Hat sich denn Ihre Haltung im Laufe der Zeit gewandelt?
Elgert: Ich muss zugeben, dass ich anfangs sehr skeptisch war. Aber heutzutage bin ich es nicht mehr, das macht die Erfahrung. Das Messen mit solch starken Gegnern bringt die Spieler enorm weiter. Genauso wie das Reisen mit den Profis, das hat für sie tatsächlich Champions-League-Niveau. Aber die hohe Belastung der Spieler halte ich für problematisch. Gerade bei denjenigen, die noch beim DFB im Einsatz sind oder die sich zwischen U 19 und Profimannschaft bewegen. In der Liga haben wir 26 Spiele. Wenn dann wie letztes Jahr nochmal 22 Spiele hinzukommen, ist das zu viel. Denn so schön es war, in der Youth League für Furore zu sorgen, im Final Four dabei zu sein, es hat uns mindestens einen deutschen Titel gekostet.
SPOX: Wie viel Zeit bleibt eigentlich, um im Training noch Abläufe und Dinge dieser Art zu optimieren?
Elgert: Wenn man als Team an drei oder vier Wettbewerben teilnimmt, gibt es kaum noch die Möglichkeit eines Korrektivs durch Training. Es ist mehr Regeneration als Training, da herrscht ein Steuerungschaos. Das ist ein zentrales Problem, das man auf Dauer lösen muss. Denn dieser Schuss kann nach hinten losgehen.
SPOX: Nun will Michel Platini die Anzahl der Teilnehmer von 32 auf 64 erhöhen. Geht Ihnen das zu weit?
Elgert: Ich finde es gut so, wie es jetzt gespielt wird. Diesen Plan, daran jetzt schon wieder etwas zu ändern, halte ich für sehr ambitioniert. Denn irgendwann ist das Ende der Fahnenstange erreicht.
SPOX: Sie trafen in der Vorrunde unter anderem auf die U 19 von Maribor. Wie bereitet man sich denn als A-Jugend-Coach auf ein solches Spiel adäquat vor?
Elgert: Es gibt viele Möglichkeiten. Wir tauschen zum Beispiel Videos und Aufzeichnungen mit den gegnerischen Trainern aus, damit der Gegner analysiert werden kann. Das ist selbstverständlich. Das Konkurrenzdenken ist zwar groß, aber wir sitzen auch alle im gleichen Boot. Wir alle arbeiten nicht nur für unsere Arbeitgeber, sondern auch für dieses wunderbare Spiel Fußball. Und wenn ich keinem helfe, hilft mir auch keiner.
SPOX: Eigentlich war es ja gar nicht Ihr Plan, noch immer auf Schalke zu arbeiten. 2013 sagten Sie im SPOX-Interview, dass Sie ab 2015 etwas anderes machen wollen. War ein Wechsel damals schon fest in Planung.
Elgert: Ich dachte ursprünglich tatsächlich an einen Abschied von Schalke. Ich stand mit Hansi Flick wegen eines Postens als U-Trainer beim DFB in Kontakt. Ich war interessiert, denn das klang sehr reizvoll. Dazu hatte ich die Möglichkeit, für einen anderen großen Bundesligisten in gleicher Position zu arbeiten. Es gab verschiedene Optionen und ich habe mit diesem Gedanken eines Wechsels gespielt.
SPOX: Wie kam letztlich die Trendwende?
Elgert: Der Verein hat mir sehr ernsthaft versichert, dass man mich hier noch benötigt. Und solange meine Arbeit wichtig ist, solange ich sie zu 90 Prozent so ausführen darf, wie ich es mir vorstelle, bin ich der Richtige. Ich bin ja nicht nur Angestellter, sondern auch Fan von Schalke. Hinzu kommt, dass ich mich sehr gerne in Gelsenkirchen und Umgebung aufhalte. Meine Tochter und mein Schwiegersohn wohnen hier, letztes Jahr bin ich Großvater geworden. Wenn ich meine Familie nicht mehr um mich habe, bin ich unglücklich. Meine Familie steht über allem.
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