Der langjährige Premier-League-Spieler Joey Barton trinkt, wettet gegen seine eigene Mannschaft, verprügelt Passanten wie Teamkollegen - und macht sich Gedanken über Politik, Kunst und Kultur. Mittlerweile ist er Trainer des englischen Drittligisten Fleetwood Town. Die Geschichte eines fußballspielenden Hooligans.
Am 1. Juni 2020 wird es mal wieder soweit sein: Joey Barton hat einen Termin vor Gericht, sozusagen in seinem dritten Wohnzimmer - nach dem regulären Wohnzimmer und den Pubs von England. Im April soll er nach einem Spiel von Fleetwood Town gegen den FC Barnsley den gegnerischen Trainer Daniel Stendel attackiert und ihm dabei zwei Schneidezähne beschädigt haben, es gilt sich dafür zu rechtfertigen.
Warum Barton, mittlerweile 37, überhaupt bei diesem Spiel war? Nun ja, er ist seit Sommer 2018 Fleetwoods Trainer. Ein Jahr zuvor hatte er seine aktive Karriere beendet, dann musste er erstmal eine fünfmonatige Sperre wegen illegaler Wetten absitzen. Auf über 1200 Spiele habe er gesetzt, mehrmals sogar gegen seine eigenen Mannschaften.
Sein Fußball-Comeback feierte Barton daraufhin eben in der drittklassigen League One als Trainer von Fleetwood, einer Kleinstadt rund eineinhalb Autostunden von seiner Heimat Liverpool entfernt. Aktuell ist die Mannschaft Neunter, die Aufstiegs-Playoff-Plätze sind in Reichweite.
Als Trainer hat er im Vergleich zu seinen Kontrahenten einen riesengroßen Vorteil, findet Barton. "Wenn ein Spieler mit einem Problem zu mir kommt, habe ich es vielleicht selbst schon durchgemacht", sagte er bei seinem Amtsantritt in Fleetwood dem Guardian. "Meine chaotische Spielerkarriere wird mir als Trainer helfen."
gettyVon Everton verstoßen, bei City zum Profi geworden
Oh ja, seine Spielerkarriere war chaotisch. Eigentlich ist Bartons Chaos aber sogar älter als seine Spielerkarriere. "Meine Freunde haben sich einen Dreck um die Schule geschert, sich besoffen und Drogen genommen", sagte er gegenüber 11Freunde. "Ich wollte kein Außenseiter sein, also habe ich mich auch ständig besoffen. Erst mit 16 sagte ich mich von ihnen los."
Eine andere Trennung hatte Barton zu diesem Zeitpunkt schon hinter sich. Die von seinem Herzensklub, vom FC Everton. Mit 14 Jahren musste er nach sechs Jahren im Klub die Nachwuchsabteilung verlassen. Er sei nicht gut genug, hieß es.
Stattdessen schloss sich Barton Manchester City an, wo er im November 2002 sein Profidebüt hätte feiern sollen, mit damals 20 Jahren. Doch als ihn Trainer Kevin Keegan einwechseln wollte, konnte Barton sein Trikot nicht mehr finden. Dann brachte Keegan eben wen anders. Ein knappes halbes Jahr später sollte er wieder spielen und diesmal hatte er sein Trikot dabei, zwei Wochen später schoss er sein erstes Tor.
In der darauffolgenden Saison avancierte der aggressive Mittelfeldkämpfer zum Stammspieler und wurde dafür mit Einberufungen in die englische U21-Nationalmannschaft belohnt. Und dann fing es an mit den Skandalen.
gettyZigarre ins Auge, Prügel und ein blanker Hintern
Im April 2004 legte er sich bei einem FA-Cup-Spiel gegen Tottenham Hotspur in der Halbzeit mit dem Schiedsrichter an und wurde dafür vom Platz gestellt. Es war der erste von insgesamt neun Platzverweisen seiner Profikarriere.
Bei einem Freundschaftsspiel gegen die Doncaster Rovers im darauffolgenden Sommer zettelte er eine Massenschlägerei an. Ende des Jahres war dann Weihnachtsfeier: Jugendspieler James Tandy meinte, Bartons T-Shirt anzünden zu müssen. Barton fand das nicht lustig und drückte als Revanche seine Zigarre in Tandys Auge aus.
In der Tabelle pendelte Bartons City damals zwischen Mittelfeld und Abstiegskampf. Es war die graue Zeit vor der Ankunft des Scheichs. City war ein Klub wie viele andere, kein schillerndes Hochglanzprodukt. Als Barton mit City bei seinem Ex-Klub Everton zu Gast war, präsentierte er deren Fans als Rückmeldung auf Schmähgesänge seinen nackten Hintern. Kurz darauf bestritt er sein einziges Länderspiel, elf Minuten gegen Spanien.
Nachdem er im Mai 2007 seinen Teamkollegen Ousmane Dabo krankenhausreif geprügelt hatte, wurde Barton suspendiert. Vor Gericht gestand Barton seine Schuld ein und kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Im darauffolgenden Sommer wechselte er für rund sieben Millionen Euro zu Newcastle United, 25 war er damals.
74 Tage in Haft und eine Rote Karte zum Abschied
Bei seinem neuen Klub wurde Barton zunächst von Verletzungsproblemen ausgebremst. Teile der Reha verbrachte er zuhause in Liverpool. Da wusste er, wo es was zu erleben gibt. Im Dezember filmte ihn eine Überwachungskamera, als er gemeinsam mit zwei anderen Personen einen Passanten zusammenschlug. Barton war zurück vor Gericht - und wurde diesmal zu einer halbjährigen Haftstrafe verurteilt.
Nach 74 Tagen kam er aber vorzeitig frei und war zurück auf dem Platz. Gleichzeitig gelobte er Besserung und holte sich Hilfe. Barton absolvierte eine Therapie zur Aggressionsbewältigung und verzichtete fortan auf Alkohol, zumindest ein bisschen. Bis dahin habe er nach jedem Spiel getrunken, berichtete er. Sein Verhalten nach den Spielen änderte er also, aber nicht das währenddessen.
Barton schlug seinem Gegenspieler Morten Gamst Pedersen mit der Faust in die Rippen und sah Rot, er foulte Xabi Alonso rüde und sah ebenfalls Rot. Newcastle reagierte und suspendierte Barton, begnadigte ihn wieder und ließ ihn 2011 schließlich ablösefrei zu den Queens Park Rangers ziehen. Eine Saison verbrachte er in London und zum Abschied holte er sich noch eine Rote Karte ab. Beim Spiel gegen seinen Ex-Klub City schlug er Carlos Tevez mit dem Ellenbogen und trat Sergio Agüero.
Barton in Marseille: "Welcome sweet and tender hooligan"
Im Sommer wagte Barton den Schritt ins Ausland. Per Leihe wechselte er nach Frankreich, zu Olympique Marseille. Marseille, natürlich! Eine Stadt, ähnlich verrufen wie Barton selbst. "Welcome sweet and tender hooligan", schrieben deren Fans zur Begrüßung auf ein Spruchband. Barton, der fußballspielende Hooligan. Einer von ihnen.
Die ersten zwölf Spiele verpasste er wegen einer Sperre aufgrund der Vorfälle bei seinem letzten Spiel für QPR, in der restlichen Saison reichte es noch zu einem Tor, einem Platzverweis und einer weiteren Sperre. Zwei Spiele musste Barton zuschauen, weil er seinen Gegenspieler Thiago Silva von Paris Saint-Germain "Pussy" und einen "übergewichtigen Ladyboy" nannte.
gettyEr liebt die Konfrontation und den Widerspruch
Er hätte also durchaus Zeit gehabt, aber die englische FA lud Barton trotzdem nicht zu ihrer 150-Jahr-Feier ein. "Dabei habe ich mit meinen ganzen Strafgeldern mindestens das Buffet alleine bezahlt", empörte sich Barton gegenüber 11Freunde und stellte klar: "Ich liebe es, verbale Handgranaten nach den Krawattenträgern zu schmeißen und zu sehen, wie sie in Deckung gehen. Das macht mich irgendwie lebendig." Barton liebt die Konfrontation, auf und neben dem Platz.
Genau wie er den Widerspruch liebt. Denn Barton ist eigentlich viel mehr als der schlägernde Fußball-Rüpel. Barton ist interessiert an Politik, Kunst und Kultur. Er studierte Philosophie, zitiert Friedrich Nietzsche, schwärmt von George Orwells Buch Animal Farm und vom legendären Revolutionär Che Guevara. "Diese Leute faszinieren mich, weil sie eine Linie durchbrechen", sagt er. "Sie sind keine Untertanen des Systems."
Barton scheint seine Mannschaft zu erreichen
QPR stieg während Bartons Zeit in Marseille aus der Premier League ab. Als er nach der Leihe zurückkehrte, war Barton auf einmal Zweitligaspieler. In der folgenden Saison stieg er mit QPR auf. Dann stieg er auf eigenen Wunsch ab, indem er zum Zweitligisten FC Burnley wechselte, stieg wieder auf - und wechselte 2016 nochmal ins Ausland. Wobei, ins nahe Ausland, zu den Rangers nach Glasgow. Dorthin, wo es auch Pubs gibt.
Nach nicht einmal fünf Monaten war Barton aber wieder weg aus Glasgow. Bei einem Training hatte er sich eine Auseinandersetzung mit seinem Teamkollegen Andy Halliday geliefert, wurde daraufhin zunächst suspendiert, ehe der Klub seinen Vertrag auflöste. Im Winter kehrte Barton zurück zu Burnley und spielte noch bis Sommer weiter, dann durfte er nicht mehr. Die Geschichte mit den Wetten kam ihm dazwischen. "Ich habe das aus Langeweile getan", sagte Barton später. "Wenn mein Gehirn nicht fokussiert ist und ich viel Freizeit habe, gibt es Probleme."
Die Sperre beendete seine Karriere als aktiver Spieler, aber Barton hatte noch nicht genug vom Fußball. Also wurde er Trainer. "Wir werden die am besten vorbereitete Mannschaft der Liga sein", sagte er bei seinem Amtsantritt in Fleetwood. In seiner Premierensaison führte er Fleetwood in der regulären League-One-Tabelle auf Platz elf - und in der Fairplay-Tabelle mit insgesamt acht Platzverweisen auf den letzten Platz. Er scheint seine Mannschaft zu erreichen.
Joey Bartons Karrierestationen
Von | Bis | Verein |
01/2003 | 06/2007 | Manchester City |
07/2007 | 08/2011 | Newcastle United |
08/2011 | 08/2012 | Queens Park Rangers |
08/2012 | 06/2013 | Olympique Marseille |
07/2013 | 08/2015 | Queens Park Rangers |
08/2015 | 06/2016 | FC Burnley |
07/2016 | 11/2016 | Glasgow Rangers |
01/2017 | 06/2017 | FC Burnley |