Abstiegsangst statt Champions-League-Platz: Die Saison des FC Valencia kann getrost als verkorkst bezeichnet werden. Shkodran Mustafi erläutert die Gründe für die desolate Spielzeit, spricht über Ex-Trainer Gary Neville und wirft einen Blick auf die EM in Frankreich im Sommer. Zudem hat er einen Tipp für Kumpel Mario Götze parat.
SPOX: Herr Mustafi, inwiefern war die 1:2-Niederlage am 31. Spieltag bei UD Las Palmas mit Ihrem unglücklichen Eigentor und dem strittigen Elfmeter symptomatisch für die aktuelle Saison des FC Valencia?
Shkodran Mustafi: Es war eine sehr schmerzhafte Niederlage, zumal wir wieder eine Führung aus der Hand gegeben haben. Gerade in der Situation, in der wir uns derzeit befinden, wäre ein Sieg von großer Bedeutung gewesen. Es wäre wichtig fürs Selbstvertrauen gewesen, wenn wir gegen Las Palmas drei Punkte geholt hätten. Zum Glück ist uns nun ein eminent wichtiger Dreier gegen den FC Sevilla gelungen.
SPOX: Die Situation ist dennoch nicht ohne. Sie haben zwar neun Punkte Vorsprung auf einen Abstiegsplatz, müssen aber noch gegen den FC Barcelona, Real Madrid und den FC Villarreal ran. Hat die Mannschaft den Ernst der Lage begriffen?
Mustafi: Den haben wir schon vor langer Zeit erkannt. Man kann uns nicht vorwerfen, dass wir die Situation unterschätzen. Derzeit scheint aber einfach alles gegen uns zu laufen. Wir waren in den letzten Spielen nie wirklich schlechter als der Gegner, standen am Ende aber jedes Mal mit leeren Händen da. Wir erspielen uns durchaus Torchancen, können diese aber nicht nutzen und im Gegenzug klingelt's hinten. Da sind teilweise Gegentreffer dabei, da denkst du dir: "Das darf doch nicht wahr sein", wie bei meinem Eigentor gegen Las Palmas. Wenn wir in der Tabelle oben stehen, bekommen wir solch ein Tor niemals. Aber so ist es eben manchmal im Fußball.
SPOX: Wie erklären Sie sich eine solche negative Entwicklung?
Mustafi: Wir hatten einfach einen absoluten Negativlauf. Ich bin eigentlich nicht der Typ, der an Glück oder solche Dinge glaubt, aber es fehlte uns einfach das entscheidende Quäntchen Etwas, um vielleicht auch mal aus einer halben Chance ein Tor zu machen. Wenn du immer wieder solche negativen Ergebnisse erzielst, spielt irgendwann die Psyche eine große Rolle. Es ist ja nicht so, dass die Mannschaft nicht will, ganz im Gegenteil. Aber es ist wie im alltäglichen Leben eben auch, da möchte man eine Sache unbedingt und tut alles dafür, aber es will einfach nicht gelingen. Teilweise habe ich das Gefühl, es hat sich alles gegen uns verschworen. Wir haben von Rundenbeginn an kleine Details vernachlässigt, das zieht sich nun wie ein Rattenschwanz durch die ganze Saison. Zudem sind wir eine sehr junge Mannschaft, die mit solchen Misserfolgen und Rückschlägen noch nicht umgehen kann.
SPOX: Waren Sie überrascht, als Gary Neville im Dezember als Trainer installiert wurde? Immerhin hat er ja kaum Trainererfahrung und Valencia belegte zu der Zeit Platz 8...
Mustafi: Damals lief aber schon einiges nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Generell bin ich mit der kompletten Saison nicht zufrieden. Wir hätten die Gruppenphase der Champions League überstehen müssen, bei allem Respekt gegenüber unseren Gegnern. Auch in der Liga und im Pokal haben wir nicht das abgerufen, wozu wir eigentlich fähig sind.
SPOX: Aber unter Neville wurde es auf den ersten Blick noch schlechter. Man gewann in der Liga lediglich drei von 17 Spielen...
Mustafi: Es wäre jetzt aber nicht fair, unsere schwache Saison an nur einer Person festzumachen. Wir spielen kein Tennis. Im Fußball ist es so, dass ein Einzelner mal ein Spiel gewinnen oder verlieren kann. Aber der Verlauf einer ganzen Saison ist niemals von nur einer Person abhängig. Das wäre der falsche Ansatz. Wir sitzen alle im gleich Boot, jeder sollte sich viel mehr selbst an die eigene Nase fassen. Unser Ziel muss es nun sein, schnellstmöglich den Klassenerhalt zu sichern, die Saison unter Erfahrungen verbuchen, unsere Lehren daraus ziehen und am kommenden Sommer wieder neu anzugreifen.
SPOX: Sie sind in Valencia zum Führungsspieler gereift. Wie kamen Sie persönlich mit Neville klar? Immerhin stand er von Anfang an in der Kritik...
Mustafi: Ich lerne von jedem Trainer etwas. Ich bin noch jung und Gary Neville hat als Spieler unfassbare Erfolge gefeiert. Mit seinen Erfahrungen und Titeln konnte er uns jungen Spielern in gewissen Situationen helfen und uns weiterbringen. Mir persönlich hat er in der einen oder anderen Situation die Augen geöffnet. Man muss auch bedenken, dass es seine erste Station als Cheftrainer war und unsere Situation definitiv schon keine leichte war, als er im Dezember zu uns kam. Ich kann nur für mich sprechen und da muss ich sagen, dass ich einfach größten Respekt vor ihm habe.
SPOX: Vor der Saison galt Valencia als Aspirant im Kampf um die Königsklasse, nun droht man im Abstiegssumpf zu versinken. International wird man nicht vertreten sein. Haben Sie sich schon einmal über einen eventuellen Abschied im Sommer Gedanken gemacht, auch im Hinblick auf ihre Nationalmannschaftskarriere?
Mustafi: Das ist momentan absolut nicht der richtige Zeitpunkt, auch nur einen Gedanken an einen Abschied zu verschenken. Natürlich will ich hier den größtmöglichen Erfolg und möglichst international spielen, es war nicht unser Ziel gegen den Abstieg zu spielen. Allerdings haben wir uns diese Situation selbst eingebrockt, also müssen wir diese auch gemeinsam auslöffeln. Es wäre fatal, wenn nicht jeder den Fokus auf den Klassenerhalt richten würde, sondern nur an seine persönliche Zukunft denken würde. Das ist zwar jetzt eine Floskel, aber für uns sollte ausschließlich das nächste Spiel gelten.
SPOX: Ich muss aber trotzdem einmal genauer nachfragen. Angeblich soll der FC Bayern schon seit längerem an Ihnen interessiert sein. Gab es denn diesbezüglich schon einmal Kontakt?
Mustafi: Die Gerüchte streuen doch meist die Journalisten. Sie wissen diesbezüglich wahrscheinlich mehr als ich. (lacht) Ich persönliche äußere mich nie zu irgendwelchen Spekulationen, weil es nicht meine Aufgabe ist. Dafür habe ich meine Berater, die sich um diese Sachen kümmern. Ich konzentriere mich einzig und alleine auf meinen Job und der besteht darin, auf dem Platz meine Leistung zu bringen und nicht irgendwelche Gerüchte zu kommentieren.
SPOX: Kommen wir zum Thema Nationalmannschaft. Zuletzt durften Sie gegen Italien wieder einmal über 90 Minuten ran. Die Squadra Azzurra wurde 4:1 geschlagen. Eine ordentliche Hausnummer in Bezug auf die EM. Ist das DFB-Team nun absoluter Titelfavorit?
Mustafi: Als amtierender Weltmeister ist der EM-Titel natürlich unser Ziel. Wir reisen nicht nach Frankreich, um mal zu schauen, wie weit wir kommen, sondern wir wollen die Trophäe mit nach Hause bringen. Bereits bei der Weltmeisterschaft hat uns dieser gemeinsame Fokus so stark gemacht. Im Spiel gegen Italien hat nach der enttäuschenden Partie gegen England eine Trotzreaktion stattgefunden. Wir haben auch uns selbst bewiesen, dass wir im Hinblick auf die Endrunde jeden Gegner schlagen können. Nach der doch eher holprigen Qualifikation war das genau das richtige Zeichen.
SPOX: Sie waren auch damals im November bei den Anschlägen von Paris mit dabei. Mit welchem Gefühl würden Sie im Sommer nach Frankreich fahren?
Mustafi: So etwas vergisst man natürlich nicht. Diese Nacht wird man noch ein paar Jahre im Hinterkopf haben. Es ist aber nicht so, dass ich Angst hätte nach Frankreich zu fahren. Wir müssen professionell an die Sache rangehen, versuchen das auszublenden und den Sicherheitskräften vor Ort einfach zu vertrauen.
SPOX: Jerome Boateng wird nach seiner schweren Verletzung erst kurz vor dem Turnier wieder voll im Saft stehen. Rechnen Sie sich bei der EM Chancen auf einen Stammplatz aus?
Mustafi: Rechnen war noch nie so mein Ding. (lacht) Insofern stelle ich keine Rechnungen auf. Ich versuche einfach von Spiel zu Spiel zu denken und meine Leistung im Verein zu bringen, der Rest liegt nicht in meiner Hand.
SPOX: Die Konkurrenz wird ja nicht weniger. Jonathan Tah hat nun sein Debüt gefeiert und zuletzt machte Joshua Kimmich mit starken Leistungen beim FC Bayern von sich reden. Wie haben Sie ihn wahrgenommen bisher?
Mustafi: Ich muss gestehen, dass ich in den letzten Wochen wenig Spiele vom FC Bayern verfolgt habe, weil ich mich auf Valencia konzentriert habe. Aber über die Medien bekommt man natürlich mit, dass Joshua derzeit starke Leistungen abliefert. Ich kann mich ganz gut in seine Lage versetzen, weil er auch lange auf seine Chance warten musste. Mit dem Ausfall von Jerome war seine Zeit gekommen und er musste in große Fußstapfen treten, das war auch nicht so ganz einfach. Ob er für die Nationalmannschaft eine Option ist, kann ich letztlich nicht beurteilen.
SPOX: Bastian Schweinsteiger droht das Turnier aufgrund seiner Verletzung zu verpassen. Wie bitter wäre das Aus des Kapitäns?
Mustafi: Dass sein Ausfall ein herber Verlust wäre, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Alleine mit seiner Erfahrung kann er dem Team sehr helfen, das hat man bei der WM gesehen. Aber wir tun Basti keinen Gefallen, wenn nun jeder darüber spekuliert, ob er bis zum Turnier fit wird. Wir sollten ihn einfach in Ruhe arbeiten lassen und auf unsere medizinische Abteilung vertrauen. Bei Khedira war es vor der WM ähnlich und Sami haben sie auch fit bekommen. Insofern bin ich bei Bastian auch recht zuversichtlich.
SPOX: Für Schweinsteiger wird es eng, dafür scheint Mario Gomez sein Ticket gelöst zu haben. Wie wichtig ist er für das DFB-Team? Gerade was die Systemfrage mit oder ohne echte Stürmer betrifft...
Mustafi: Letztlich ist das eine Frage, die der Bundestrainer beantworten muss, weil er die Philosophie der Mannschaft vorgibt. Wenn Joachim Löw der Meinung ist, dass wir in dem einen oder anderen Spiel einen klassischen Mittelstürmer brauchen, dann ist Mario Gomez mit Sicherheit nicht die schlechteste Option. Man sieht ihm an, dass er in der Türkei viel Selbstvertrauen gesammelt hat. Dadurch kann er uns natürlich helfen.
SPOX: Eine andere Personalie, über die derzeit viel berichtet wird ist Mario Götze. Er zählt zu ihren besten Freunden. Zuletzt haben Sie sich bei der Nationalmannschaft gesehen und mit ihm gesprochen. Wie verfolgen Sie die aktuelle Diskussion um ihn?
Mustafi: Es ist natürlich nicht einfach für ihn, gerade wenn man lange verletzt war, brennt man auf seine Einsätze und will so viel Spielpraxis wie möglich sammeln. Die hat er beim FC Bayern bisher noch nicht bekommen. Aber was keiner sieht und was ich an ihm sehr schätze, Mario ist ein Arbeitstier. Er arbeitet jeden Tag hart und verhält sich sehr professionell. Er war fast ein halbes Jahr verletzt, hat sich nun zurückgearbeitet und gezeigt, dass mit ihm zu rechnen sein wird. Das hat er gegen Italien eindrucksvoll unter Beweis gestellt und auch bei den Bayern bekommt er nun langsam seine Einsätze. Er muss auch im Kopf fit sein und weiter Geduld haben. Da ist ein bisschen wie, wenn man vor einer verschlossenen Tür steht und klopft, aber keiner aufmacht. Das einzige, was einem übrig bleibt ist zu warten und solange zu klopfen, bis einer aufmacht. Ich denke, er wird noch sehr wertvoll für uns sein.
Shkodran Mustafi im Steckbrief