Heroischer Kampf, dramatisches Ende: Nach einem Elfmeter-Thriller ist die sensationelle Schweizer Heldenreise bei der EM vorbei.
Ruben Vargas weinte bitterlich im Arm seiner Teamkollegen, Yann Sommer fiel völlig fassungslos auf die Knie. Bis zum letzten Schweißtropfen hatten sich die Schweizer heroisch gegen das Ende ihres EM-Märchens gewehrt - Eigentor, Rückstand, Unterzahl zum Trotz.
Doch es half nichts: Die sensationelle Schweizer Heldenreise endete mit einem 1:3 im Elfmeter-Thriller gegen Spanien. "Nein, das darf nicht sein!", titelte der Blick.
Ruben Estephan Vargas Martinez, 22 Jahre alt und Linksaußen beim FC Augsburg in der Bundesliga, hatte im ersten Viertelfinale einen von drei Schweizer Fehlschüssen abgeliefert - den letzten. Er schoss im Roulette vom Punkt über das Tor, Mikel Oyarzabal führte Spanien mit dem letzten Schuss ins vierte Halbfinale der Verbandsgeschichte. Nach 90 und 120 Minuten hatte es 1:1 gestanden.
Torhüter Unai Simon fischte dann die Elfmeter von Fabian Schär und Manuel Akanji aus dem Eck: "Großartig, Unai!", twitterte die Torhüterlegende Iker Casillas. Dass Sergi Busquets und Rodri auch vergeben hatten, war vergessen: Die Spanier spielen am Dienstag in London gegen Belgien oder Italien um einen Platz im Finale.
Schweiz erholt sich von Eigentor lange nicht
Die Schweiz fährt nach Hause und muss sich nicht grämen. "Ich bin so stolz auf diese Mannschaft", sagte der Gladbacher Torhüter Sommer, "darauf, was wir erreicht haben, mit einem ganzen Land im Rücken." Xherdan Shaqiri betonte, es habe "nur ein bisschen Glück" gefehlt und ergänzte: "Es ist unglaublich, was die Jungs geleistet haben. Es ist unbeschreiblich. Ich glaube, diese Mannschaft wird man nie mehr vergessen."
Nach der Achtelfinal-Sensation gegen Frankreich brauchte sie diesmal lange, um sich von einem Missgeschick von Denis Zakaria zu erholen. Der Profi von Borussia Mönchengladbach verursachte das zehnte Eigentor des Turniers (8.). Spanien kontrollierte das Spiel, doch die Schweiz schlug in Person von Xherdan Shaqiri (68.) zurück. Remo Freuler sah wegen groben Foulspiels Rot (77.).
Zakaria lief im russischen Corona-Hotspot St. Petersburg nur auf, weil sein Kapitän Granit Xhaka gelbgesperrt war. Vor offiziell 24.765 Zuschauern hatte er gröbstes Pech: Zakaria wollte einen Fernschuss von Jordi Alba blocken, er fälschte unhaltbar für Sommer ab (8.). Damit fielen in diesem Jahr mehr EM-Eigentore als in allen vorherigen Turnieren zusammen (9).
Erst einmal in 22 Duellen hatte die Schweiz das große Spanien geschlagen: 2010 in der WM-Vorrunde. Die Schweiz schied darin dennoch aus - Spanien wurde Weltmeister.
Egal: "Wenn man Frankreich eliminiert, kann man auch gegen Spanien weiterkommen", sagte Ex-Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld hoffnungsfroh. Sein Nachfolger Vladimir Petkovic stieg am Freitag zum alleinigen Rekordtrainer der Schweizer auf (78 Spiele).
Er hatte die denkbar kniffligste Frage zu beantworten: Wer sollte den überragenden Anführer Xhaka ersetzen? Petkovic entschied sich für noch mehr Bundesliga-Power - Zakaria, einer von nicht weniger als vier Gladbacher Profis, übernahm im Mittelfeld.
Spaniens Passmaschine läuft an
Spanien spannte sein Netz über den Platz, die Passmaschine lief an. Doch die frühe Führung brachte ein Eckball: Alba zog ab, Zakaria lenkte den Ball unhaltbar in die kurze Ecke.
Der taktische Plan des Außenseiters war über den Haufen geworfen, mehr Spiel nach vorne gefordert. Der nächste Rückschlag folgte: Breel Embolo (23.) musste angeschlagen raus, es kam der spätere Unglücksrabe Vargas. Spanien hatte das Spiel im Griff, doch das hatten die Franzosen ja auch gedacht.
Von Schweizer Chancen war keine Spur, auch die Spanier waren bis auf einen Freistoß von Koke (18.) harmlos. Unterschied: Sie führten und konnten gelassen hin- und herspielen.
Nach der Pause entschieden sich die Spanier, auf die Entscheidung zu drängen. Der Schweiz fehlten Rhythmus und Ideen - Zakaria hatte auch mit einem Kopfball Pech (56.). Ersatzkapitän Shaqiri ließ Spanien mächtig zittern, nach Freulers Platzverweis begann ein Geduldsspiel mit vielen Chancen des Favoriten.
gettySchweiz - Spanien: Die Aufstellungen
Schweiz: Sommer/Borussia Mönchengladbach (32 Jahre/66 Länderspiele) - Elvedi/Borussia Mönchengladbach (24/31), Akanji/Borussia Dortmund (25/34), Ricardo Rodriguez/FC Turin (28/86) - Widmer/FC Basel (28/20) ab 100. VfL Wolfsburg (26/17), Zakaria/Borussia Mönchengladbach (24/34) ab 101. Schär/Newcastle United (29/64), Freuler/Atalanta Bergamo (29/34), Zuber/Eintracht Frankfurt (29/41) ab 90.+2 Fassnacht/Young Boys Bern (27/10) - Shaqiri/FC Liverpool (29/96) ab 81. Sow/Eintracht Frankfurt (24/18), Embolo/Borussia Mönchengladbach (24/48) ab 23. Vargas/FC Augsburg (22/16) - Seferovic/Benfica Lissabon (29/79) ab 82. Gavranovic/Dinamo Zagreb (31/35)
Spanien: Simon/Athletic Bilbao (24/12) - Azpilicueta/FC Chelsea (32/28), Laporte/Manchester City (27/6), Pau Torres/FC Villareal (24/13) ab 113. Thiago/FC Liverpool (30/45), Alba/FC Barcelona (32/77) - Busquets/FC Barcelona (32/125) - Koke/Atletico Madrid (29/54) ab 90.+1 Llorente/Atletico Madrid (26/8), Pedri/FC Barcelona (18/9) ab 119. Rodri/Manchester City (25/24) - Ferran Torres/Manchester City (21/16) ab 91. Oyarzabal/Real Sociedad (18/9), Morata/Atletico Madrid (28/45) ab 54. Moreno/FC Villareal (29/15), Sarabia/Paris St. Germain (29/9) ab 46. Olmo/RB Leipzig (23/15)
Elfmeterschießen: Busquets (Spanien) schießt Elfmeter gegen den Pfosten, 1:0 Gavranovic, 1:1 Olmo, Simon (Spanien) hält gegen Schär, Sommer (Schweiz) hält gegen Rodri, Simon (Spanien) hält gegen Akanji, 1:2 Gerard, Vargas (Schweiz) schießt über das Tor, 1:3 Oyarzabal