"Nennt mich ruhig Verlierer"

Oliver Wittenburg
16. Oktober 200820:49
SPOXGetty
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Als Spieler blieb er der Unvollendete. Auch wenn Arthur Antunes Coimbra, kurz: Zico, unbestritten zu den besten Fußballern aller Zeiten zählt, scheiterte er mit der brasilianischen Nationalmannschaft bei drei WM-Teilnahmen jeweils vorzeitig.

Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn 1994, die er in Japan ausklingen ließ, stieg der heute 55-Jährige ins Trainergeschäft ein. Über Japan, ein Kurzengagement als Assistent und sportlicher Direktor der Selecao, wiederum Japan und die Türkei ist Zico nun ausgerechnet in Usbekistan gelandet, wo er den Posten des Cheftrainers bei Bunyodkor Taschkent bekleidet.

Im Interview mit SPOX spricht der "weiße Pele" über seine neue Herausforderung als Entwicklungshelfer, sein WM-Trauma und die Gründe, warum er nie Nationaltrainer Brasiliens werden will.

SPOX: Wenn Ihnen vor einem Jahr jemand gesagt hätte, Sie würden mal in Usbekistan arbeiten: Was hätten Sie ihm geantwortet?

Zico: Ich hätte gesagt, dass es für mich gar keine Alternative ist, weil ich auch nicht von ihrem Interesse an mir wusste. Aber seitdem ich das Projekt kenne, bedeutet es eine große Herausforderung für mich, die ich meistern will. Etwas Ähnliches habe ich ja schon in Japan gemacht.

SPOX: Sie waren Co-Trainer von Brasilien, Nationaltrainer von Japan und coachten Fenerbahce - große Fußballnationen oder Klubs. Denken Sie nicht, dass der Job in Taschkent einen Rückschritt für Sie bedeutet?

Zico: Nachdem ich Fenerbahce verließ, hatte ich zunächst auch keinen Klub. Aber so ist das Leben. Ich will an dem wachsen, was ich mache, mich weiterentwickeln. Außerdem muss man bereit sein, zu arbeiten und Herausforderungen anzunehmen.

SPOX: ...so wie die in Usbekistan.

Zico: Exakt. Ich bin 55 Jahre alt und ich mag ein wenig von dem weitergeben, was ich über den Fußball gelernt habe. Aber auch ich will weiter dazu lernen. Der Abstecher nach Usbekistan ist eine neue Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln. Wenn ich zu Hause herumsitze, werde ich nur schwerlich neue Erfahrungen sammeln können.

SPOX: Ganz ehrlich: Wie viel wussten Sie über den usbekischen Fußball, bevor sie den Vertrag unterzeichneten?

Zico: Während meiner Zeit als Nationalcoach in Japan ist mir bewusst geworden, dass es kleine Fußballnationen gibt, die den Sport lieben. Sie haben das Verlangen, sich zu entwickeln, stärker zu werden. Und das zeigt sich nun in ihren jüngsten Ergebnissen.

SPOX: Wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus? Lernen Sie die Sprache oder sind Sie auf Ihre Assistenten angewiesen?

Zico: Ich verlasse mich auf meine Mitarbeiter, die für mich übersetzen.

SPOX: Hatten Sie eigentlich Angebote von anderen Klubs, größeren Klubs aus einer europäischen Topliga?

Zico: Nein.

SPOX: Hätten Sie sich auch auf das Abenteuer Bunyodkor eingelassen, wenn Rivaldo dort nicht unterschrieben hätte?

Zico: Rivaldo hat sicher den Ausschlag für mich gegeben, die Herausforderung anzunehmen. Er wusste, dass ich vom Klubpräsidenten angefragt worden war und Interesse hatte und hat den Kontakt zu mir gepflegt. Der usbekische Fußball befindet sich auf dem Vormarsch und wir teilen den Wunsch, die Entwicklung voranzutreiben. Demnächst steht das Halbfinale der asiatischen Champions League auf dem Programm. Wir wollen über diesen Weg zum Weltpokal im Dezember.

SPOX: Welche Rolle hat das Geld gespielt?

Zico: Keine sehr große. Das Entscheidende für mich ist die Herausforderung, in einer aufstrebenden Nation etwas zu bewirken.

SPOX: Wie lautet Ihr Auftrag: Titel zu gewinnen oder den usbekischen Fußball nach vorne zu bringen?

Zico: Wie gesagt, das Ganze ist eine große Herausforderung. Ich fühle mich ein wenig so, wie zu Beginn der 90er Jahre, als ich meine aktive Karriere beendet hatte und die Chance erhielt, in Japan an der Professionalisierung des Fußballs mitzuwirken. Das ist ein Teil meiner Mission auch hier in Usbekistan, Entwicklungshilfe zu leisten mit all der Erfahrung, die ich mir erworben habe.

Das waren noch Zeiten: Zico im Infight mit dem Italiener Claudio Gentile (1982)Getty

SPOX: Kommen wir zu einem ganz anderen Thema: Rivaldo und Sie waren absolute Weltklassespieler. Wer ist für Sie im Moment der beste?

Zico: Nach seiner grandiosen Saison bei Manchester United gebührt Cristiano Ronaldo diese Ehre.

SPOX: Anders als Pele oder Maradona waren Sie nie Weltmeister. Wie sehr leiden Sie darunter?

Zico: Auf gewisse Weise haben mir WM-Turniere übel mitgespielt, davon kann ich ein Liedchen singen. Dass es nie geklappt hat, ist nun mal mein Schicksal. Das gehört zu meiner Biografie. Ich habe mich damit arrangiert. Was bleibt mir auch übrig? Sollen die Leute mich ruhig einen Verlierer nennen.

SPOX: Was sagen Sie zur aktuellen brasilianischen Nationalmannschaft? Es hat den Anschein, als wäre der Rückhalt in der Bevölkerung rapide geschwunden.

Zico: In der Tat war die Identifikation mit der Nationalmannschaft schon mal größer. Es spielen einfach zu wenig Spieler in ihrer Heimat. Den Leuten fehlt es, sich die Köpfe darüber heiß zu reden, ob nun dieser Spieler von Vasco da Gama oder jener von Flamengo besser ist.

SPOX: Nationaltrainer Carlos Dunga ist umstritten. Würden Sie die Selecao übernehmen, wenn man Sie fragen würde?

Zico: Nein, das käme nicht in Frage.

SPOX: Warum nicht?

Zico: Meine Erfahrungen mit der brasilianischen Nationalmannschaft sind nicht die besten. Ich könnte mich keiner Aufgabe verschreiben, von der ich nicht überzeugt bin, dass sie funktionieren würde.

SPOX: Man erzählt sich, dass Sie als Jugendlicher wegen eines Mittagessens beinahe bei Vasco da Gama und nicht bei Flamengo Rio de Janeiro gelandet wären. Was ist das denn für eine Geschichte?

Zico: Das ist wirklich passiert. So etwa 1969 war das. Ich habe vormittags bei Flamengo trainiert und mich dann ein wenig in der Stadt rumgetrieben. Gegen Mittag bat ich dann meinen Vater, bei Flamengo nachzufragen, ob wir was zu Essen bekommen könnten. Die Antwort lautete 'Nein' und da wäre ich am liebsten weggegangen. Der damalige Sportdirektor Jorge Elao hat sich dann aber persönlich darum gekümmert, dass ich bleibe.

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