10. Todestag von Robert Enke - Teresa Enke im Interview: "Es schmerzt nicht mehr, an ihn zu denken"

Jannik Schneider
10. November 201911:33
Teresa Enke lebt heute mit ihrer Adoptivtocher in Köln. Mit ihrer Robert-Enke-Stiftung besucht sie regelmäßig die Bundesliga-Stadien, Schulen und Veranstaltungen und arbeitet präventivgetty
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Am 10. November jährt sich der Todestag von Robert Enke zum zehnten Mal. Vor zwei Jahren hatte Jannik Schneider Teresa Enke für die SPOX-Themenwoche "Tabus im Fußball" getroffen. Im Interview sprach die Witwe des ehemaligen Nationaltorhüters Robert Enke damals ausführlich und offen über die Erinnerung an Robert, das ständige Versteckspiel in der Öffentlichkeit, eigene Tiefpunkte, die Enttabuisierung der Krankheit Depression und darüber, wie die Robert-Enke-Stiftung erkrankten Sportlern helfen kann.

Das Interview wurde im Juli 2017 zum ersten Mal veröffentlicht.

Anlässlich des zehnten Todestages von Robert Enke gibt es hier noch einmal das bemerkenswerte Interview mit Teresa Enke.

SPOX: Frau Enke, mit dem Abstand, den sie nun haben: Wie präsent ist Robert noch?

Teresa Enke: Robby ist bei mir täglich präsent, sei das durch Bilder in der Wohnung oder gemeinsame Erinnerungen. Er ist immer da und wird immer dabei sein genau wie unsere erste Tochter. Es schmerzt mich nicht mehr, an ihn zu denken.

SPOX: Das ist schön zu hören.

Enke: Es gehört einfach zu meinem Leben dazu. Natürlich werde ich auch manchmal traurig, weil er so viele Dinge einfach nicht mehr erleben konnte und die Krankheit so übermächtig war, dass er dieses trotz unserer Schicksalsschläge so schöne Leben als nicht mehr lebenswert empfunden hat. Das ist sehr schade.

SPOX: Und wie steht es um den Rest der Familie, Freunde und Bekannte von früher?

Enke: Die Erinnerung wird selbstredend nicht so stark sein wie die letzten gemeinsamen 15 Jahre von uns beiden. Die tollen Zeiten in Lissabon oder die schwierige Phase in Barcelona haben uns geprägt und zusammengeschweißt. Wenn ich mich mit Familie und Freunden treffe, sprechen wir oft über Robby, kramen sowohl lustige Geschichten aus, aber reden auch darüber, wie es so weit kommen konnte. Ich versuche immer zu vermitteln, auch wenn es vielleicht etwas platt klingt, dass jemand weiterlebt, wenn er nicht vergessen wird. Und das ist durch unsere Gespräche und alleine schon wegen der Robert-Enke-Stiftung zum Glück der Fall.

SPOX: Stichwort: "nicht vergessen". Mit der Zeit werden immer weniger Menschen etwas mit dem Namen Robert Enke anfangen können. Das ist ganz natürlich. Haben Robert und sein Fall genug Präsenz und einen ausreichenden Stellenwert in der Gesellschaft und den Medien?

Enke: Langfristig ist es ganz wichtig, dass der Bekanntheitsgrad der Stiftung über den von Robert selbst hinauswächst. Direkt im Anschluss an den Suizid waren die Präsenz des Falls und der Krankheit Depression enorm. Robert hat mit seinem Suizid ganz viele Menschen wachgerüttelt und die Krankheit enttabuisiert und entstigmatisiert. Dass das langfristig so blieb, war auch ein Verdienst der Stiftung. Dass wir ständig präsent waren und aufgeklärt haben und das weiter tun, ist wichtig. Denn die Generation um Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski, mit denen er ja noch zusammengespielt hat, tritt langsam in den Hintergrund. Mittlerweile wird die Krankheit nicht mehr ausschließlich mit Robert, sondern mit anderen Leistungssportlern in Verbindung gebracht, die es erfolgreich geschafft haben, einen Ausweg zu finden.

SPOX: Wie reagieren denn junge Menschen, wenn Sie sie in der Stiftungsarbeit auf Robert ansprechen?

Enke: Die meisten mit 17 oder 18 Jahren kennen ihn schon noch, spätestens wenn ich dann frage. Letztens aber war ich in einer Schule, die sich mit dem Thema Depression auseinandersetzt und dort in der Mittelstufe wussten einige Jungs schon noch, wer Robert war, die Mädchen aber nicht. Es ist also noch nicht problematisch, aber wir müssen daran im Sinne der Stiftung natürlich arbeiten.

SPOX: Bei Ihrem ganzen Engagement zu sensibilisieren: Wie denken sie inzwischen über den Selbstmord von Robert?

Enke: Ich bin traurig darüber, dass es damals einfach noch nicht diese Möglichkeiten gab und kein Netzwerk, das uns helfen konnte. Damals war in den Köpfen noch nicht so verankert, was psychische Erkrankungen überhaupt sind. Klar gab es vereinzelt Mentaltrainer, aber nicht beim FC Barcelona, bei Benfica oder in Hannover. Das fing erst so allmählich unter Jürgen Klinsmann in der Nationalmannschaft an, da aber mit einem leistungssportlichen Ansatz und nicht mit der Intention, Depressionen zu behandeln. Es war einfach schwierig. Wir waren komplett allein auf weiter Flur und mussten autodidaktisch vorgehen und überlegen, wie wir Hilfe bekommen können.

Vor zehn Jahren begeht Robert Enke Suizid. Nur wenige Tage später gibt es im Stadion von Hannover eine bewegende Trauerfeier mit Familie, Spielern und Fans.getty

SPOX: Wie sind Sie da vorgegangen?

Enke: Robert wollte unter keinen Umständen, dass es rauskommt. Also haben wir Krankheiten vorgeschoben. Das Versteckspiel, das er spielen musste, das auch ich spielen musste, ging natürlich an die Nerven, denn bis auf ganz enge Freunde wusste niemand von seiner Depression. Er war oft niedergeschlagen. Ich habe dann versucht, banal ausgedrückt, 'Quatsch' zu machen, damit es nicht so auffällt. Viele, auch meine Freunde, haben gedacht, er könne sie nicht leiden.

SPOX: Das klingt sehr schwierig.

Enke: Es war einfach ein unglaublicher Kampf, diese Krankheit geheim zu halten. Es ist immer noch schwierig, mit dieser Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen. Menschen bekommen an ihrem Arbeitsplatz gesagt: 'Komm, reiß dich zusammen', einfach weil Depressionen nicht so greifbar sind. Krebs zum Beispiel, der wird diagnostiziert, da hat man Blutwerte, sieht die Metastasen auf einem MRT. Bei einer Depression geht das nicht. Mich hat sehr erschüttert, was ich in einer Studie gelesen habe. Patienten, die Krebs und Depressionen hatten, haben darin angegeben, dass die Depression für sie schmerzhafter gewesen sei. Das erschüttert mich sehr, gerade weil ich erlebt habe, wie Robert gekämpft hat.

SPOX: Machen Sie sich trotzdem Vorwürfe, den Suizid nicht verhindert haben zu können oder machen Sie Robert Vorwürfe, sich das Leben genommen zu haben?

Enke: Nein, Vorwürfe gar nicht. Einen Punkt gibt es: Dass wir gemeinsam vielleicht seine Therapie auch in den guten Phasen hätten fortführen sollen. Dass ich da nicht gesagt habe: 'Komm, mach doch weiter'. Aber diese Zeiten genießt man dann umso mehr, denn während einer depressiven Phase war ich selbst auch manchmal wütend oder konnte einfach nicht mehr.

SPOX: Das ist mehr als nachvollziehbar.

Enke: Stell Dir vor, du hast Kinder und musst Angst haben, dass der andere sich etwas antut. Ich habe damit gelebt. Wir haben auch über Suizid gesprochen. Rückblickend bin ich erstaunt, ich hatte damals ja auch keine Ahnung von der Krankheit. Die erste Depression habe ich gar nicht als solche wahrgenommen. Aber: Alles was ich jetzt weiß, was andere Betroffene berichten, entspricht eins zu eins unserer Situation damals. Ich weiß, dass er gekämpft hat und sich nicht hängen ließ. Aber diese Krankheit kann tödlich enden, selbst wenn sie behandelt wird. Darüber muss man sich im Klaren sein und deshalb ist es wichtig, früh zu behandeln. Mir tut es einfach weh, dass er damals so leiden musste.

SPOX: Roberts Biograf, der Autor Ronald Reng, hat in einem Zeitungskommentar einst angeprangert, dass Robert Enkes Name immer dann missbraucht wird, wenn sich jemand im Fußballzirkus danebenbenimmt. Stimmen Sie zu?

Enke: Ja. Man sollte Robby und seinen Fall nicht für jede Art von Unsportlichkeit und Unmenschlichkeit hernehmen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Er wurde auch im Fußball nicht schlecht behandelt. Es kann keiner etwas dafür. Viele behaupteten ja, der Fußball sei schuld gewesen, der ganze Druck. Natürlich kann das eine Rolle spielen, aber jeder Mensch hat einen gewissen Druck im Leben. Sie bei Ihrer Arbeit, ich, jeder. Klar ist: So eine öffentliche Stellung in der Gesellschaft macht es nicht einfacher, aber trotzdem ist es nicht in Ordnung, wenn permanent behauptet wird: 'Wo bleibt die Menschlichkeit, haben wir aus dem Fall von Robert Enke nichts gelernt?' Er wurde nicht von Fans niedergemacht. Einmal wurde es mit der Presse etwas unschön, als es um die Nummer eins im DFB-Team ging und sie den Zweikampf mit Rene Adler anheizten. Aber das gehört dazu.

SPOX: Finden Sie?

Enke: Wir wollen als Stiftung den Fußball nicht verändern. Wir wollen erreichen, dass man sich für Schwäche nicht mehr schämen muss oder für verrückt erklärt wird. Aber Robert hat nichts mit Rassismus, mit Unsportlichkeit zu tun. Dafür sollte man ihn nicht hernehmen. Er sollte für die Krankheit Depression stehen und in anderem Zusammenhang für Menschlichkeit, für die Liebe zu seiner Tochter.

SPOX: Würden Sie eigentlich sagen, dass Leistungssportler besonders gefährdet sind für eine Depression?

Enke: Nein, nicht mehr als andere Gruppen, ob das jetzt hochrangige Manager sind oder andere Berufsgruppen. Die haben auch Druck. Das einzige, was Leistungssportler abgrenzt, ist der öffentliche Druck. Profifußballer sind ja so etwas wie die modernen Gladiatoren und wenn jemand Schwäche zeigt, dann hatte man zu Roberts Zeit Bedenken, nicht mehr ernst genommen zu werden. Was Sportler befürchten müssen, ist, dass Leute denken: Wenn der im Tor steht und einen Fehler macht, dann hat das mit seiner Depression zu tun. Aus dem Grund haben Leistungssportler mehr Druck. Aber wenn sie behandelt wurden und genesen sind, dann ist es ähnlich wie etwa nach einem Meniskusriss.

SPOX: Können Sie skizzieren, wie dieses Versteckspiel eines Leistungssportlers mit Depression aussieht? Robert hat ja noch wenige Tage vor seinem Suizid in der Bundesliga gespielt.

Enke: Mit meinem heutigen Wissen ist klar, dass man sich als Angehöriger die größten Sorgen machen muss, wenn der Betroffene wieder Selbstständigkeit erlangt, morgens eigenständig aufsteht, Frauen sich wieder schminken, einen Alltag wieder herstellen.

SPOX: Dann ist die Gefahr eines Suizids am größten?

Enke: Dann sollten zumindest die Alarmglocken angehen. Bei Robert war es damals genauso, nur wusste ich es nicht einzuordnen. Er ist die zwei Tage vor seinem Suizid selbstständig aufgestanden und hat gesagt, er fahre jetzt zum Training. Ich hatte mich einfach gefreut, dass es wieder bergauf zu gehen scheint.

SPOX: Und wie war es davor im Alltag?

Enke: Es gab verschiedene Phasen. In den Phasen, die ganz schlimm waren, da war er im Bett und offiziell krank. Er konnte nicht aufstehen, nicht sprechen. Zunächst kann jemand noch Emotionen zeigen: wütend sein, weinen. Am Schluss sind gar keine Emotionen mehr da. Ich habe ihn morgens geweckt, er hat dann ganz wenig gegessen und ich habe ihn immer zum Training begleitet, weil ich Angst hatte. Dort hat er sich stets zusammengerissen und normal trainiert.

Heute ist Teresa Enke das Gesicht der Robert-Enke-Stiftung und vertritt deren Projekte regelmäßig selbst auf Veranstaltungengetty

SPOX: Die Mitspieler haben also von all dem nichts mitbekommen?

Enke: Sensiblere Spieler, die mehr Kontakt zu Robert hatten, wie Hanno Balitsch etwa, haben schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Aber die dachten, er wolle vielleicht den Verein wechseln oder habe private Probleme. Nach dem Training habe ich ihn abgeholt und er hat sich ins Bett gelegt. Gegen Abend wird es mit Depressiven immer etwas besser, weil sie wissen, der Tag neigt sich dem Ende entgegen und es geht in Richtung Bett und der Tag ist geschafft. Das ist natürlich ganz schrecklich.

SPOX: Mit dem Wissen von heute hätten Sie also besser auf seine plötzliche Selbständigkeit reagieren können?

Enke: Ich hätte es trotzdem nicht verhindern können, aber ich wäre noch sensibler gewesen und hätte viele Situationen besser verstanden. Wenn man als Betroffener mehr über die Krankheit weiß, kann man mitunter auch positive Dinge negativer beurteilen. So ist es Robby damals gelungen, mir zu verstehen zu geben, es ist alles in Ordnung. Das stimmte halt nicht.

SPOX: Umso wichtiger ist es, dass Symptome frühzeitig erkannt werden. Was sind denn typische Anzeichen einer Depression?

Enke: Im besten Fall hat ein Mensch eine gute Selbsteinschätzung und ist mit sich im Reinen. Dann wird die Person zunächst dauerhafte Müdigkeit und Appetitlosigkeit erkennen. Das wichtigste Symptom ist aber: Wenn man keine Freude mehr an Dingen hat, die einem früher Spaß bereitet haben. Bei mir wäre es beispielsweise das Joggen, das ich sehr mag. Wenn mir das plötzlich keine Freude mehr bereiten würde und ich auch keine Freunde mehr sehen will, müsste ich mir Gedanken machen. Aber man darf natürlich auch nicht übersensibel sein, wenn es einem mal drei, vier Tage nicht gutgeht. Aber aufpassen sollte man immer, wenn diese Phasen länger andauern und gepaart sind mit körperlichen Beschwerden wie etwa Kopfschmerzen. Wir haben einen medizinisch anerkannten Test entwickelt, der zumindest eine Tendenz erkennen lassen kann, wenn man ihn regelmäßig macht.

SPOX: Und im besten Fall kann ein Mensch nach erfolgreicher Behandlung wieder in den Alltag zurück. Ich stelle es mir allerdings sehr schwer vor, nach einer behandelten Depression wieder in den Leistungssport, in das 'Konstrukt Profifußball' zurückzukehren.

Bereits zu Beginn des Jahres 2010 legte Teresa Enke gemeinsam mit den Spitzen des DFB, der DFL und von Roberts letztem Verein, Hannover 96 den Grundstein für die heutige Arbeit der Robert-Enke-Stiftunggetty

Enke: Am Beispiel von Robby ist das ganz gut nachzuvollziehen. Er hat damals während seiner Barcelona-Zeit die schlimmste klinische Depression gehabt und war in Köln zur Therapie. Damals habe ich gedacht, dass er nie wieder Fußball spielt, keine Chance. Ich habe ihm auch angeboten und ermutigt aufzuhören, wenn der Druck zu groß wird.

SPOX: Hat die sportliche Situation in Barcelona eine Rolle gespielt? Dort war er nur Ersatzkeeper.

Enke: Genau, das wirkt dann alles mit. Aber als ich gemerkt habe, es geht während und nach der Therapie langsam bergauf, da ging es dann auch sportlich bergauf. Er hat sich ja bis in die Nationalmannschaft gespielt mit tollen Leistungen. Ich dachte immer, Robby ist anfällig, wenn es schlecht läuft, aber das stimmte nicht. Er hat sich zwar mehr geärgert über Dinge als andere, aber nach dem Tod unserer ersten Tochter stand er eine Woche später zwischen den Pfosten. Das haben wir zusammen entschieden, um im Alltag zu bleiben. Ich hätte ihn natürlich auch unterstützt, wenn er nicht gewollt hätte. Aber letztlich darf eine Person alles tun, was ihr guttut.

SPOX: Robert Enkes letzte Depression kam gegenteilig aus einer Hochphase, würden Sie das so sagen?

Enke: Ja. Joachim Löw hatte ihm die Nummer eins in der Nationalmannschaft zugesichert, wir hatten unsere zweite Tochter adoptiert. Es war alles irgendwie ganz oben. Das ist auch die Erkenntnis von Roberts Fall, das habe ich aus Gesprächen mit Psychologen gelernt: Kranke und Nichterkrankte müssen sich bewusst machen, dass sie manchmal oben sind und es dann auch wieder nach unten geht. Aber jeder sollte wissen: Wenn man oben ist, kann es wieder runter gehen, aber wenn man unten ist, kann es auch schnell wieder bergauf gehen. Ich glaube, dass Robert Angst hatte und sich fragte: 'Was soll da noch kommen?' Ich glaube, dass das seine Depression mit ausgelöst hat. Es gibt Depressionen, die nur durch Negatives und Verluste ausgelöst werden. Bei Roberts letzter Depression war es nicht so. Das hat er nicht verstanden und das hat ihm enorm Angst gemacht. Aber wenn eine Depression geheilt ist, ist eine langfristige Rückkehr möglich.

SPOX: Aus den Tagen nach seinem Suizid sind vielen ihre erklärende Pressekonferenz und die Worte des ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger während der Trauerfeier, die Gesellschaft müsse lernen, behutsamer miteinander umzugehen, in Erinnerung geblieben. Haben wir das im Fußball denn beherzigt?

Enke: Ich glaube nicht, dass der Fußball wieder rauer geworden ist. Fast jeder interessiert sich aber nun mal für Fußball. Es ist fast ein Politikum und die Berichterstattung hat weiter zugenommen, alles wird kommentiert. Als normal empathischer Betrachter ist man jetzt aber sensibler geworden für diese kritischen Themen. Diese Sensibilität gefällt mir. Es gibt jetzt Psychologen in den Vereinen, die Trainer werden besser geschult. Und die Fußballer wissen jetzt, dass Verantwortliche aufgeschlossener sind gegenüber Depressionen und anderen Problemen im Leistungssport. Die Spieler, so hoffe ich doch, haben keine große Angst mehr, sich zu outen mit ihrer Krankheit.

SPOX: Und wie steht es um die Resonanz in der Öffentlichkeit?

Enke: Die ist für uns nicht das Wichtigste. Es ist zwar schön für unsere Stiftung, wenn sich ein Spieler öffentlich äußert. Für die Stiftung ist aber von größerer Bedeutung, dass ein Spieler intern an den richtigen Stellen Hilfe erhält.

SPOX: Dennoch haben sie öffentlich den Begriff der "Enttabuisierung" geprägt und eine Diskussion angeregt. Sind sie denn mit dem Klima und dem Diskurs im Leistungssport zufrieden?

Enke: Ja, definitiv. Natürlich hoffe ich, dass irgendwann noch offener darüber gesprochen werden kann. Zuletzt hat sich Oliver Kahn geäußert, und zugegeben, zu seiner aktiven Zeit psychische Probleme gehabt zu haben. Damals konnte noch nicht so darüber sprechen, wie es heute der Fall ist. Es wird diese Krankheit immer geben, solange es Menschen und Leistungsdruck gibt und ich bin total stolz auf die Arbeit der Stiftung.

SPOX: Kommen wir auf die Robert-Enke-Stiftung genauer zu sprechen. Stimmt es, dass Profisportler innerhalb einer Woche von der Stiftung einen Therapieplatz vermittelt bekommen?

Enke: Nicht nur Sportler. Das Verfahren und die Kontaktnummer und die App wurden natürlich primär erstmal für diesen Sektor geschaffen, aber wir vermitteln jeden weiter, um ihm zu helfen.

SPOX: Wie wird diese Kontaktnummer genutzt?

Enke: Es melden sich Menschen aus den unterschiedlichsten Sportarten und auch Angehörige, die froh sind, jemanden zu haben. Wir haben mittlerweile ein Netzwerk mit mehr als 70 Psychiatern und Anlaufstellen und dann wird das unkompliziert und anonym und ohne großes Aufsehen arrangiert. Menschen öffnen sich der Stiftung und mir gegenüber viel schneller und offener als vielleicht ihrem Nachbarn, weil wir mit unserem Hintergrund Vertrauen geschaffen haben und wissen, wovon die Betroffenen reden. Unsere Erfahrungswerte sind, dass Sportler sich uns mehr öffnen, als es bei anderen Anlaufstellen der Fall wäre.

Alle Informationen zur Enke-App gibt es hier.

SPOX: Also gehen Profifußballer eher den Weg über Ihre Stiftung als über den jeweiligen Verein?

Enke: Sowohl als auch. Es wird angenommen und wir sind bemüht, präventiv zu arbeiten und nicht erst aktiv zu werden, wenn die Krankheit ausgebrochen ist. Ehemalige Spieler wie Martin Amedick, die selbst von der Krankheit betroffen waren, gehen mit Ronald Reng in Profivereine und reden über die Krankheit und Robert. Dann hören die Sportler zu, weil es authentisch ist. Ronald kannte Robert. Martin Amedick ist den Weg selbst gegangen.

SPOX: Wie wollen Sie die Stiftung fortführen und weiter verbessern?

Enke: Wir wollen das Netzwerk weiter ausbauen und vergrößern, die Ansprechpartner erweitern. Das ist das Ziel. Die Hotline ist bald fünf Tage die Woche erreichbar. Vielleicht ist die Stiftung irgendwann rund um die Uhr erreichbar, wer weiß? Das Ziel ist auch, dass die Behandlung noch schneller starten kann.
Und die Entstigmatisierung will ich weiter vorantreiben. Irgendwann soll eine Depression in der Wahrnehmung behandelt werden wie eine normale Verletzung.

SPOX: Wie sehen Sie in diesem Prozess ihre eigene Rolle?

Enke: Ich stehe fast täglich im Austausch mit der Stiftung, auch wenn meine Hauptaufgabe natürlich meine Tochter ist. Aber ich übernehme regelmäßig repräsentative Aufgaben und bin immer komplett involviert. Das operative Geschäft nimmt ein Stiftungsmitarbeiter wahr, der das hauptberuflich tut. Ich bin das Gesicht und versuche, mit meiner Authentizität so oft wie möglich mit dabei zu sein.

SPOX: Wie groß ist die Stiftung mittlerweile?

Enke: Die Stiftung hat sich in den letzten sieben Jahren stetig weiterentwickelt. So sind wir mittlerweile in einige größere Projekte involviert. Mit 'Robert-Enke-Stiftung auf Tour' zum Beispiel machen wir die Stadionbesucher bei Bundesligaspielen auf unsere Stiftungsarbeit aufmerksam.

SPOX: Wie oft sind Sie denn in Stadien?

Enke: Fast jedes Wochenende sind wir mit einem Infostand präventiv in den Bundesligastadien. Wir haben das mittlerweile auch auf den Eishockey- und Handballsport ausgedehnt.

2016 präsentierte Teresa Enke die von einem Dienstleister und der Stiftung entwickelte Enke-App. Seitdem gibt es Informationen und Anlaufstellen zur Krankheit mobil. Das Prunkstück ist der Notfallbutton mit dem sich Betroffene orten lassen können getty

SPOX: Wie ist denn das Feedback an den Ständen? Und was sagen die Vereine?

Enke: Das ist sehr gut! Natürlich kommt nicht jeder Fan an den Stand, aber es ist immer Interesse da an Robert und seiner Geschichte und es kommt regelmäßig vor, dass Menschen von sich aus eigene Probleme ansprechen und wir auch helfen können mit Flyern oder als Vermittler. Die Präsenz an Spieltagen ist für uns sehr wichtig, um den Fußballfans zu zeigen: Depression gehört dazu. Jeder Fünfte wird in seinem Leben mal eine Depression haben. Jeder muss mal durch harte Phasen und wenn man sich da nicht herausarbeitet, geht das schnell.

SPOX: Jeder Fünfte?

Enke: Ja, das geht schnell. Ich sehe das ja an mir. Hätte ich nicht so tolle Freunde gehabt und womöglich noch Geldsorgen, hätte ich da auch ganz schnell reinrutschen können. Es gibt viele Faktoren. Das geht ganz schnell und man sollte immer ein offenes Ohr haben für seine Mitmenschen und ein bisschen hellhöriger durchs Leben gehen.

SPOX: Frau Enke, Sie haben gesagt, Sie möchten den Profifußball nicht verändern. Ist das nicht aber eine Notwendigkeit für den größtmöglichen Erfolg der Stiftung?

Enke: Nein. Wenn jemand krank war und sich hat therapieren oder behandeln lassen, sei es aufgrund einer Verletzung oder einer psychischen Erkrankung und dann zurückkehrt, kann er im Team womöglich sogar noch mehr leisten, weil er sich intensiv mit sich selbst auseinandergesetzt hat und ihn diese Auseinandersetzung stärker gemacht hat. Dafür muss sich der Fußball nicht ändern. Es kommt auf die Einstellung der Menschen an. Eine Depression hat nichts mit dem Fußball zu tun.

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