Thomas Broich im Interview: "Mit meinen Eskapaden wäre das früher explodiert"

Jochen Rabe
18. September 201815:04
Thomas Broich spielte sieben Jahre bei Brisbane Roar.getty
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Thomas Broich arbeitet seit seinem Karriereende als Experte und hat bei DAZN ein neues Taktikformat zur Champions League am Start, in dem er sich in der ersten Folge mit Cristiano Ronaldo (Valencia vs. Juve, Mi. 21 Uhr auf DAZN ) beschäftigt.

Im Interview spricht der australische Fußballer des Jahrzehnts über seine Entwicklung weg vom alten Mozart-Image, die Wertschätzung für Ballbesitzfußball a la Guardiola sowie darüber, welche Kritik an Mesut Özil ihn an seine aktive Zeit erinnert.

SPOX: Herr Broich, gibt es eine Frage, die Sie nicht mehr hören können?

Thomas Broich: Manchmal ist es schade, immer noch auf das damalige Image des Rebellen und Intellektuellen reduziert zu werden. Ich war jung und naiv. Das Image war damals schon nicht glücklich. Mittlerweile könnte das der Realität nicht mehr ferner sein. Ich bin nicht mehr der Mozart. Ich war in Australien und habe mich in eine komplett andere Richtung entwickelt. Das geschah aber logischerweise nicht vor den Augen der Menschen.

SPOX: Wären Sie als 22-Jähriger im aufgeregten 2018 überhaupt noch denkbar?

Broich: Auf keinen Fall. Ich hatte mehr Glück als Verstand, dass ich früher da war. Mit meinen Eskapaden und meinen Haltungen wäre das wesentlich früher explodiert. Nach drei Jahren wäre die Karriere vorbei gewesen. Auf der anderen Seite hätte ich davon profitiert, den Fußball besser zu verstehen. Wenn man einen Trainer wie Nagelsmann, Tedesco oder Guardiola hat, wird einem vieles klarer. Rückblickend habe ich das Gefühl, dass ich lange keinen Plan vom Fußball hatte. In den letzten Jahren in Australien war ich da viel weiter. Wir hatten einen sehr guten Trainer in Brisbane.

SPOX: Ange Postecoglou.

Broich: Erst unter ihm habe ich angefangen, den Fußball zu verstehen. Das war ein sehr theoretischer Ansatz, der in der Praxis hervorragend funktioniert hat. Das hätte ich mir früher gewünscht. Aber vielleicht hatte ich ja immer schon fähige Trainer und habe einfach nicht richtig hingehört.

Thomas Broich über Guardiola-Fußball in Australien

SPOX: Postecoglou hat sich den Fußball von Guardiola beim FC Barcelona zum Vorbild genommen. Was bedeutete das konkret?

Broich: Er hat Barca-Spiele beobachtet und das Eins zu eins kopiert. Am Ende hatten wir ähnliche Rotationen im Spiel. Eine Zeitlang war es ja gang und gäbe, dass der Sechser oder Achter abkippt und der Außenverteidiger hochschiebt. Oder dass der Außenstürmer den Halbraum besetzt. Das haben wir 2010 schon in Brisbane gespielt, bevor es zum fußballerischen Allgemeingut wurde. Australien ist ein Fußball-Entwicklungsland. Aber ich hatte unfassbares Glück mit diesem Typen. Er war sehr modern.

SPOX: Wie hat sich das im Training ausgewirkt?

Broich: Bei uns gab es zum Beispiel keine Bälle über Hüfthöhe. Es ist schwer genug, einen Ball über 15 Meter an den Mann zu bringen. Also warum sollten wir sie über 30 Meter spielen? Der Ansatz war: Wenn wir es hinbekommen, viele Pässe über kurze Distanzen zu spielen, permanent in Bewegung zu sein und den Ball zu 75 Prozent zu haben, gewinnen wir jedes Spiel. Wir waren eine durchschnittliche Mannschaft und am Anfang war es echt zäh. Wir haben in der Vorbereitung richtig auf die Mütze bekommen. Aber als die Mechanismen griffen, waren die Gegner nur noch am Hinterherhecheln. Wir haben 36 Mal in Folge nicht verloren, zwei Meistertitel gewonnen. Wir waren ja nicht der FC Bayern Australiens. Wegen des Salary Caps sind mehr oder weniger alle Teams gleichstark. Da so lange ungeschlagen zu bleiben, ist eine unfassbare Leistung.

SPOX: War es das, was Sie sich von Ihrem Wechsel nach Australien erhofft hatten?

Broich: Ich hatte keine hehren Motive. Ich musste einfach weg. Es ging gar nicht darum, die Lust am Fußball wieder zu entdecken, sondern halbwegs wieder mit dem Leben klarzukommen. Australien war super, weil es so verdammt weit weg war. Ich bin dort nicht angetreten, um etwas zu reißen. Ich habe einen Dreijahresvertrag unterschrieben und dachte, maximal ein Jahr zu bleiben. Es ging auch erst mal so weiter. Man nimmt sich selbst überall hin mit. Das Problem ist in den seltensten Fällen die Stadt, der Verein oder die Mitspieler. Ich hatte schnell wieder die gleichen Gedanken.

Thomas Broich über seine persönliche Entwicklung in Australien

SPOX: Welche?

Broich: Ich dachte, dass das Leben für mich entscheidet, ob es gut oder schlecht läuft. Auch mein Verhalten hat sich nicht über Nacht verändert. Ich bin angekommen und habe in der Kabine Zeitung gelesen. Im Endeffekt lief ich Gefahr, den gleichen Quatsch zu wiederholen. Aber es konnte ja nicht sein, dass ich am anderen Ende der Welt bin und alles genauso läuft. Außerdem habe ich wahrgenommen, dass das Umfeld nicht so vorbelastet war. Deswegen waren viele meiner Haltungen der Situation nicht angemessen.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Broich: Ich hatte kein Problem mit dem Fußball, sondern nur mit meinen Nebenkriegsschauplätzen. Als ich diese abgestellt hatte, hatte ich wieder unglaublich Lust auf Fußball. Wenn du begreifst, dass das große Ganze wichtiger ist als das Ego, wird vieles einfacher. Das ist ein Prozess, den man durchmacht, wenn man älter wird.

SPOX: Welchen Anteil hatte Postecoglou?

Broich: Er hat mich gelehrt, was es heißt, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Ich habe immer schnell mit dem Finger auf andere gezeigt, lamentiert und mich beschwert. Aber Rückschläge gehören zum Leben dazu. Er hat den Prozess auch immer über das Ziel gestellt. Das hat mich geprägt.

SPOX-Redakteur Jochen Rabe traf Thomas Broich in Köln zum Interview.getty

SPOX: Hat er viele Einzelgespräche geführt?

Broich: Er war sehr distanziert. Einzelgespräche waren selten. Wenn es sie aber gab, waren sie bedeutungsvoll. Wenn ich mich ihm gegenüber respektlos verhalten habe, war er knallhart.

SPOX: Nennen Sie ein Beispiel.

Broich: Es gab eine Situation, bei der ich mir das Schlüsselbein gebrochen, aber trotzdem weitergespielt hatte. Ich habe zwei Tore vorbereitet und dann auch eins verschuldet. Kurz danach hat er mich ausgewechselt. Ich konnte es nicht fassen, habe die Augen verdreht und eine abfällige Geste gemacht. Da hat er gesagt: "Bist du bescheuert? Meinst du, ich habe dich rausgenommen, weil du einen Fehler gemacht hast?" Ich war sein bester Spieler, trotzdem sagte er: "Wenn du das noch einmal machst, spielst du keine Minute mehr. Mir ist auch scheißegal, ob wir dann Spiele verlieren, das toleriere ich nicht."

SPOX: Haben Sie sich selbst überhöht?

Broich: Im Erfolg macht der Mensch die größten Fehler. Als ich auf dem Weg zum Profi war, habe ich unfassbar hart gearbeitet und war diszipliniert. Als ich es dann geschafft hatte, begann ich, mich fehlzuentwickeln und mich selbst zu wichtig zu nehmen. Davon gab es in dieser Phase wieder Anwandlungen. Ich war der beste Spieler in der Liga und der Trainer konnte nicht auf mich verzichten. Diese Art von Verhalten würde ich ja nie an den Tag legen, wenn ich etwas zu beweisen hätte.

SPOX: Haben Sie jemals überlegt, noch einmal in Europa anzugreifen?

Broich: Nie. Ich habe nicht mal dran gedacht, innerhalb Australiens zu wechseln oder nach Asien, wo ich ganz anders hätte verdienen können. Ich war so happy, dass ich einen Verein, ein Umfeld und eine Liga hatte, die perfekt zu mir gepasst haben. Ich wollte nicht reich werden oder noch anderswo Trophäen gewinnen. Ich wollte nur glücklich sein. Die Entscheidung habe ich nie bereut.

SPOX: Ihnen waren Statussymbole nie wichtig?

Broich: Es ist ja alles irgendwie Status. Ob ich mir jetzt ein teures Auto gönne oder mir so ein Image aufbaue. Das ist zwar immateriell, aber das war meine Form von Status. Das ist mittlerweile weg. Früher war ich vielem gegenüber so kritisch. Mittlerweile ist mir das egal. Solange Leute im Umgang miteinander nett sind, ist alles gut.

SPOX: Social-Media-Kanäle sind nach dieser Definition ebenso Statussymbole. Wie stehen Sie dazu?

Broich: Ich bin da sehr offen. Ich halte nichts davon, sich gegen den Zeitgeist zu stemmen. Schlussendlich kommt es darauf an, wie man darauf reagiert. Es wird immer die geben, die einen gut finden und die, die einen nicht leiden können. Jeder, der heute im öffentlichen Raum auftritt, ist automatisch auch Zielscheibe.

Mesut Özil und die Diskussion um Körpersprache

SPOX: Eine Zielscheibe ist auch Mesut Özil, abgesehen von politischen Themen vor allem wegen seiner Körpersprache. Fühlen Sie sich an Ihre eigene Situation erinnert?

Broich: Das hat in mir tatsächlich etwas ausgelöst. Ich hatte Trainer, die wohlwollend zu mir gesagt haben, ich solle an meiner Körpersprache arbeiten. Darauf habe ich bockig reagiert. Plötzlich wollte mir jemand vorschreiben, wie ich zu gucken habe. Aber ich habe gelernt, dass es gut ist, Ratschläge anzunehmen. Ich hatte zeitlebens Leute in wichtigen Positionen, die das Beste für mich wollten. Die Körpersprache war da ein zentrales Thema. Für mich war das ein Angriff auf meine Persönlichkeit.

SPOX: Sie konnten nicht daran wachsen.

Broich: Leider, denn ich konnte mehr Präsenz durchaus vertragen. Es ist ja Fakt, dass wir durch unsere Mimik, Gestik und unsere Haltung wirken.

SPOX: Aber ist die Körpersprache nicht wirklich Teil der Persönlichkeit?

Broich: Nur wenn du dich darüber definierst. Wenn ich heute fettige Haare habe und jemand zu mir sagt: "Du hast heute ein Vorstellungsgespräch. Wasch dir doch die Haare und ziehe vielleicht keinen Hoodie an, sondern ein Hemd. Dann kommst du besser rüber." Dann kann ich auf stur schalten oder denken, ich will den Job, ich will mich gut präsentieren. Es geht darum, was Sinn ergibt. Wenn es viele Leute sagen, ist wahrscheinlich etwas dran.

Thomas Broich: Stationen als aktiver Fußball-Profi

ZeitraumVerein
2000 - 2001SpVgg Unterhaching
2001 - 2003SV Wacker Burghausen
2004 - 2006Borussia Mönchengladbach
2006 - 20091. FC Köln
2009 - 20101. FC Nürnberg
2010 - 2017Brisbane Roar

SPOX: Sie haben nach Ihrer Rückkehr Köln als Lebensmittelpunkt gewählt. Warum?

Broich: Die Stadt ist einfach lässig. Ich mag, dass die Leute hier so gleich sind. Es gibt keine Schickeria, du kommst mit jedem leicht ins Gespräch. Für mich war klar, dass ich hierher zurückkommen würde.

SPOX: Zu Ihrer aktiven Zeit haben Sie in Köln aber nicht richtig Fuß gefasst.

Broich: Es war immer turbulent, das Umfeld, die Medien, die Fans - das ist hier extrem. Es lief beruflich mit Ausnahme des Aufstiegsjahres eher unterdurchschnittlich. Trotz allem hat es die Stadt geschafft, dass ich mich hier unfassbar wohl gefühlt habe. Dann ist es deine Stadt.

1. FC Köln und Brisbane Roar im Aufmerksamkeitsvergleich

SPOX: Werden Sie noch oft auf der Straße angesprochen?

Broich: Es passiert hin und wieder, dass mich jemand erkennt, weil ich für den Effzeh gespielt habe, oder jemand sogar meine Geschichte weiterverfolgt hat. Aber das ist dann immer sehr nett und nicht vergleichbar mit der Zeit als Spieler hier. Ich hatte das die letzten Jahre in Brisbane aber auch schon.

SPOX: Weil Fußball nicht den hohen Stellenwert hat oder weil es dort nicht so einen Starkult gibt?

Broich: Beides. Die Rugby-, AFL- oder Cricketspieler waren große Stars, das ist mit Fußball nicht zu vergleichen. Aber selbst die hatten ein chilliges Leben. Die Australier nehmen Niederlagen nicht so krumm. Es gibt nicht diese Fankultur. Sprüche wie "Du bist unwürdig, unser Trikot zu tragen" oder "Scheiß Millionäre" gibt es dort nicht.

SPOX: Spielt die Wertschätzung dieser Freiheit beim Gedanken an eine Trainerkarriere eine Rolle?

Broich: Ich denke darüber nach, aber es wäre nicht gut, sich davon abhalten zu lassen. Die Leidenschaft ist da größer als die Bedenken.

Trainer sind Pädagogen, Psychologen, Diplomaten, Schauspieler...

SPOX: Trotzdem beobachten Sie das Verhalten von Trainern in der Öffentlichkeit.

Broich: Natürlich nehme ich das wahr und versuche, meine Schlüsse daraus zu ziehen. Ich habe riesigen Respekt vor den Leuten. Sie müssen unfassbar viel können. Du musst in der Öffentlichkeit souverän auftreten. Nach innen zur Mannschaft musst du glaubwürdig, kompetent und mitreißend sein. Die Kommunikation mit dem Vorstand ist noch einmal besonders. Und dann haben wir noch nicht über das Fachliche gesprochen. Ein Trainer ist Pädagoge, Psychologe, Diplomat, Schauspieler und Taktikexperte zugleich.

SPOX: Wie sieht derzeit Ihr Alltag aus?

Broich: Mein Kumpel Jerome Polenz und ich bringen jetzt eine kleine Taktikshow bei DAZN an den Start. Momentan schaue ich für unser Projekt Tag und Nacht Fußballspiele, ich studiere, analysiere und konzipiere. Dazu kommentiere ich für die DFL Spiele auf Englisch für den weltweiten Markt. Wenn ich mich dafür auf ein Spiel vorbereite, muss ich auch Spiele schauen, Statistiken wälzen, Artikel lesen. Das befruchtet sich alles gegenseitig und ich bilde mich konstant weiter. Wenn ich einmal Trainer werde, schadet das sicher nicht.

Thomas Broich: Persönliche Erfolge

AuszeichnungJahr
Fußballer des Jahrzehnts in der A-League2014
Johnny Warren Medal2012, 2014
Joe Marston Medal2014
PFA Team of the Year2011, 2012, 2014


SPOX:
Über viele Trainer heißt es, sie hätten als Spieler schon diese Denke gehabt. War das bei Ihnen auch so?

Broich: Das kam mit dem Abgang von Postecoglou. Unser Mastermind war weg und wir wollten die Spielidee konservieren. Das erste Jahr war ein Reinfall, aber wir haben es geschafft, im Jahr darauf die alten Stärken zusammen im Kollektiv herauszukramen. Wir hatten einige clevere Spieler, die Bock hatten, Verantwortung zu übernehmen und einen coolen Trainer, der das sehr gut moderiert hat. Das war schon ein Vorgeschmack aufs Trainerdasein.

SPOX: Wie ist Ihr Plan für die nächsten Jahre?

Broich: Es gibt keinen konkreten Plan, eher eine Richtung. Wir haben jetzt die große Chance, diese Show machen zu dürfen. Ich habe da richtig Bock drauf, für anderes bleibt keine Luft. Wir arbeiten jeden Tag in Zehn-Stunden-Schichten. Natürlich steht der Wunsch, Trainer zu werden, über allem. Aber das eilt nicht. Wenn ich zehn Jahre brauche, um alle Scheine zu machen, ist es in Ordnung.

SPOX: Haben Sie Angst, den Einstieg ins Trainergeschäft zu verpassen?

Broich: Es ist doch umso besser, je mehr ich mir drauf schaffe. Ich treffe mich gerade mit vielen Leuten und lasse mir ihre Idee vom Fußball erklären. Jeder hatte andere Trainer, andere Erfahrungen. Robert Huth lacht über Ballbesitzfußball. Leicester ist komplett ohne Ball Meister geworden. Ich dagegen bin näher am Ballbesitzfußball a la Guardiola. Beides führt zu Erfolg. Dazwischen gibt es 50 andere Ideen. Daraus muss ich mir eine funktionierende Philosophie zusammenpuzzlen. Wenn ich inhaltlich gut aufgestellt bin, werde ich am Ende schon etwas Spannendes machen.