Hans Jörg Butt raus, Thomas Kraft rein - Louis van Gaal geht erneut ein Risiko mit einem jungen Torhüter ein. Die Beispiele Edwin van der Sar, Victor Valdes und Sergio Romero zeigen, dass er damit bislang stets richtig lag. Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge könnten mit der Entscheidung pro Kraft aber in Verlegenheit geraten.
ExklusivOffiziell verkünden wollte Louis van Gaal seine Entscheidung noch nicht, wer beim FC Bayern zum Rückrundenauftakt in Wolfsburg im Tor stehen wird. "Ich will das jetzt noch nicht sagen", antwortete der Trainer am Freitag in Doha auf die Frage, ob Thomas Kraft Stammkeeper Jörg Butt verdrängt habe.
Er müsse die Trainingstage bis zum Wolfsburg-Spiel noch abwarten, versicherte van Gaal. Dass Kraft das Bayern-Tor in der Rückrunde hüten wird, ist aber beschlossene Sache. Nach SPOX-Informationen hat der Trainer bereits letzten Sonntag, unmittelbar nach der Ankunft im Trainingslager in Doha, beide Torhüter von seinem Vorhaben unterrichtet.
Am Freitag ließ van Gaal durchblicken, warum er Kraft eine Chance geben will. "Er hat großes Talent und spielt super gut. Ich habe auch eine Verantwortung als Trainer von Bayern München und muss Spieler ausbilden, damit sie unter Druck spielen können. Normalerweise haben wir vor einem Spiel nur zwei Tage Zeit, jetzt haben wir 14 Tage Zeit."
Kahn zu SPOX: "Das ist keine Leistungsentscheidung"
Das Trainingslager in Katar war Krafts Bewährungsprobe und er hat bestanden. Für Oliver Kahn ist es keine Entscheidung gegen den erfahrenen Butt, sondern für den 22-jährigen Kraft.
"Das ist keine Leistungsentscheidung", sagte der langjährige Bayern-Kapitän Kahn zu SPOX. "Man kann Butt nichts vorwerfen. Er hat sowohl in der vorigen als auch in dieser Saison hervorragend gespielt. Es geht um eine Philosophie, und van Gaal hat eben die Philosophie, einem Diamanten, den er entdeckt, sehr schnell die Chance zu geben zu spielen. Er hat den Mut, so etwas auch entgegen sämtlicher Warnungen durchzuziehen."
Vorstand wegen van Gaal geschockt
Die Warnungen und Widerstände kamen bereits von oberster Stelle. Wie "SZ" und Münchner "AZ" berichten, hat sich van Gaal intern mächtig Ärger eingehandelt. Sportdirektor Christian Nerlinger soll geschockt auf van Gaals Torhüter-Entscheidung reagiert und in mehreren emotionalen Gesprächen versucht haben, den Trainer von dessen Plan abzubringen.
Seelischen Beistand holte sich Nerlinger vorab bei Präsident Uli Hoeneß und Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge, die von van Gaals Entscheidung ebenfalls nichts wussten.
Van Gaal steht auf junge Torhüter
Van Gaal führt in München eine Tradition fort. Er setzte bei seinen früheren Trainerstationen stets auf einen jungen, unverbrauchten, aber auch unerfahrenen Torhüter. Bei Ajax machte er 1993 den damals 22-jährigen Edwin van der Sar zur Nummer eins. Van der Sar ist auch mit 39 immer noch gut genug, das Tor von Manchester United zu hüten.
In Barcelona bekam Victor Valdes in der Saison 2002/03 mit 20 Jahren die Chance, sich zu beweisen. 14 Spiele machte Valdes damals für Barca, ehe van Gaal ihn wieder aus dem Tor nahm. Mittlerweile hat Valdes zwei Mal die Champions League mit den Katalanen gewonnen und ist auch in dieser Saison die unangefochtene Nummer eins bei Pep Guardiola.
Auch in Alkmaar stellte van Gaal einen jungen Keeper ins Tor. Sergio Romero wurde 2007 mit 21 die Nummer eins bei AZ und wenig später auch der argentinischen Nationalmannschaft.
Kahn: Kraft besser als Rensing
Kahn traut Kraft zu, eine ähnliche Karriere hinzulegen. "Van Gaal hat immer wieder bewiesen, dass man auch Spieler aus dem eigenen Nachwuchs zu Weltstars formen kann. Das scheint sich nun wieder anzubahnen. Ich habe Kraft immer mit dem jungen Sepp Maier verglichen, vor allem wegen seiner Schnelligkeit und seiner katzenhaften Bewegungen. Schon damals, als ich mit ihm trainiert habe, war er vom Talent her Michael Rensing ein Stückchen voraus."
Rensing bekam seiner Zeit die Zusage von Uli Hoeneß, Kahns Nachfolger zu werden. Jürgen Klinsmann musste dieses Versprechen 2008 einlösen, obwohl er von Rensings Fähigkeiten nicht überzeugt war. Rensing scheiterte kläglich und fand erst nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit Ende Dezember mit dem 1. FC Köln einen neuen Arbeitgeber.
Was wird jetzt aus dem geplanten Neuer-Transfer?
Die Bayern-Bosse wollen sich auf ein zweites Experiment auf der Torhüter-Position nicht einlassen und haben daher die Personalie Manuel Neuer zum wichtigsten Punkt auf der Agenda erklärt - zum Ärger der eigenen Fans. Viele lehnen einen Neuer-Transfer kategorisch ab.
Die Entscheidung pro Kraft spült van Gaal in der Gunst der Anhänger noch weiter nach oben und bringt den Vorstand in Verlegenheit. Sollte Kraft, der noch kein Bundesligaspiel bestritten hat, in der Rückrunde gut halten, wäre den Fans ein Neuer-Einkauf erst recht nicht zu vermitteln.
Vorstand droht mit "weitreichenden Konsequenzen"
Van Gaal mag mit seiner Entscheidung pro Kraft einen Punktsieg im nicht enden wollenden Kleinkrieg mit dem Vorstand gelandet haben. Doch er setzt damit seinen Job aufs Spiel. Nerlinger, so heißt es, habe klargemacht, dass der FC Bayern seine sportlichen Ziele nicht durch einen unnötigen Torhüterwechsel gefährden dürfe. Sollte das Experiment mit Kraft scheitern, könne das für den Trainer "weitreichende Konsequenzen" haben. Van Gaal handele schon jetzt "gegen vereinspolitische Interessen".
Doch der Trainer lässt die Muskeln spielen und ist dem Anschein nach nicht gewillt, den Schwanz einzuziehen.
Es sind spannende Tage beim FC Bayern und ein Ende der unvorhersehbaren Ereignisse ist nicht in Sicht.