Das Monopol des Thomas Kroth

Haruka Gruber
22. Februar 201111:15
Thomas Kroth (r.) mit seinen zwei Klienten Kagawa und Okazaki, Nagatomo (v.l.) spielt jetzt bei Interspox
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Inter Mailand hat einen, die Bayern wollen einen, Borussia Dortmund vermisst einen: Was steckt hinter dem Boom der japanischen Fußballer? Es geht um Millionen und einen cleveren Deutschen, der die J-League zum Umdenken zwingt.

Es wirkte etwas übereifrig, aber wer mag es Michihiro Yasuda verdenken, immerhin wollte er nichts dem Zufall überlassen. Er wusste: Dieses kurze Treffen im Herbst 2010 könnte seiner Karriere die entscheidende Wendung geben.

Endlich ist es soweit, dachte sich der 23-Jährige, als er nach dem Spiel seines Klubs Gamba Osaka bei Kawasaki Frontale von Gegenspieler Junichi Inamoto zu sich gewunken wurde. Neben Ex-Bundesliga-Profi Inamoto stand Thomas Kroth. Unter allen wechselwilligen japanischen Profis ist seit langem bekannt, dass eine Unterhaltung mit dem Spielerberater aus Deutschland gleichbedeutend ist mit einem Bewerbungsgespräch bei einem europäischen Verein.

Um einen entsprechend guten Eindruck zu hinterlassen und beim einflussreichen Agenten ja in Erinnerung zu bleiben, buchstabierte Yasuda übertrieben lautmalerisch seinen Namen, statt sich dezent vorzustellen. "Guten Tag, ich heiße MI-CHI-HI-RO YA-SU-DA! MI! CHI! HI! RO! YA! SU! DA!" Die Anwesenden schauten verwundert ob des etwas ungewöhnlichen Verhaltens - doch schlussendlich machte Yasuda alles richtig. Im Januar, nur wenige Wochen nach dem ersten Treffen, fädelte Kroth seinen Wechsel zu Vitesse Arnheim ein.

Kroth schafft sich ein Monopol

Ohne Kroth, das zeigt nicht nur Yasudas Transfer, wäre der Zustrom von Fernost nach Europa und besonders in die Bundesliga nicht denkbar. Mit erstaunlicher Weitsicht und Hartnäckigkeit baute sich Kroth schrittweise eine Marktposition auf, die in Japan wie auch in Deutschland einem Monopol gleichkommt.

Kein deutscher Agent ist in Japan nur ansatzweise so gut vernetzt wie Kroth. Und kein Berater hat ein derart gewichtiges Wort bei Bundesliga-Klubs, wenn es um japanische Fußballer geht. Er scoutet für die Klubs, er berät die Spieler, er vermittelt den ersten Kontakt und führt die Verhandlungen. Und sollte es zu einer Einigung kommen, kümmert er sich mit seinem Stab um die Betreuung der Spieler.

Takahara macht den Anfang

Eine beispiellose Rundum-Lösung, weswegen die Bundesligisten auch nur mit Kroth zusammenarbeiten. Für alle größeren Wechsel eines japanischen Fußballers nach Deutschland in den letzten Jahren zeichnet er verantwortlich.

Angefangen hatte es 2003 mit Naohiro Takahara (2003), Junichi Inamoto (2007), Shinji Ono (2008), Makoto Hasebe (2008) und Yoshito Okubo (2009) setzten die Reihe fort. Die Frequenz steigerte sich seit Japans ordentlichem WM-Auftritt und der bis zur Verletzung phänomenalen Saison des Kroth-Schützlings Shinji Kagawa in Dortmund enorm.

Im Sommer kamen neben Kagawa auch Atsuto Uchida (Schalke), Kisho Yano (Freiburg), Takahito Soma (Cottbus) sowie der in Japan aufgewachsene Nordkoreaner Chong Tese (Bochum).

Im Winter folgten Shinji Okazaki (Stuttgart), Tomoaki Makino (Köln) und Hajime Hosogai (Leverkusen, ausgeliehen an Augsburg).

Nakata: Sündhaft teuer

Dabei galt seit Mitte der 90er Jahre Italien als die wichtigste ausländische Liga für japanische Fußballer, als ein gewisser Kazuyoshi Miura ein sportlich ereignisloses Jahr beim FC Genua verlebte, in der Heimat jedoch in einer skurrilen Weise zum Superstar hochgejubelt wurde und dem Serie-A-Klub einige Hundertmillionen Yen einbrachte.

Nach Miura wechselten mehrere Japaner nach Italien, sie wurden aber weniger für ihr Talent geschätzt, vielmehr sollten sie neue Absatzmöglichkeiten eröffnen, was insbesondere mit Hidetoshi Nakata vorzüglich gelang. Er war ähnlich begabt wie Keisuke Honda oder Kagawa, das alleine erklärt jedoch nicht, warum Rom und später Parma jeweils 30 Millionen Ablöse für ihn zahlten.

Selbst beim Transfer des fußballerisch wertvollen Yuto Nagatomo von Cesana zu Inter Mailand in diesem Winter hatte neben der sportlichen Führung offensichtlich auch die Marketing-Abteilung der Nerrazzuri ein gewichtiges Wort mitzureden, wie der Aufmacherbereich auf der offiziellen Inter-Homepage andeutete. Dass Nagatomo sogar für einen Champions-League-Sieger eine sinnvolle Verstärkung ist und gegen den FC Bayern im Achtelfinal-Hinspiel der Königsklasse im Kader steht (Mi., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER), gerät bei aller Geschäftstüchtigkeit schnell in den Hintergrund.

Go East: Inter Mailands Homepage, als Nagatomos Wechsel bekannt gegeben wurde

Kagawa als Türöffner

Anders als in Italien bewerten die deutschen Mannschaften die Japaner vorwiegend unter sportlichen Aspekten - weswegen lange Zeit auch kein größerer Wert auf deren Dienste gelegt wurde. Früher wurden japanische Fußballer auf wenige Begriffspaare reduziert: fleißig und introvertiert, taktisch diszipliniert und unterwürfig, technisch gut geschult und ineffektiv.

Doch insbesondere Kagawas herausragende Hinrunde sorgte für ein grundsätzliches Umdenken. "Dieser Japan-Boom wäre nicht möglich gewesen, wenn er nicht so eingeschlagen hätte. Sein größter Verdient ist es, dass er mit seinen Leistungen viele Vorurteile abgebaut hat", sagt Gert Engels, seit 20 Jahren als Trainer in Japan tätig.

Kagawa vereint all die positiven Attribute, ohne introvertiert, unterwürfig oder ineffektiv zu sein. Nicht unbedingt seine Ausbeute von acht Toren, sondern vielmehr seine Spitzbübigkeit und sein selbstbewusster Spielstil veranlassten die Bundesliga-Teams dazu, verstärkt in Japan zu scouten. Oder sich eben von Kroth beraten zu lassen.

Unbeliebt bei den J-League-Managern

Dessen Szenekenntnisse werden selbst von japanischen Journalisten gerühmt. "Ich sehe Thomas Kroth im Stadion häufiger als meine Kollegen", ist eine häufige Antwort, wenn man sich umhört. Während andere deutsche Agenten die J-League fast gänzlich vernachlässigten, hielt Kroth über die Jahre engen Kontakt und verfolgt die Entwicklung eines Spielers über einen langen Zeitraum.

Statt sich wie üblich zwei, drei Spiele anzuschauen und einen Profi unter Vertrag zu nehmen, beobachtet Kroth einen Profi bis zu einem Jahr, um dessen Befähigung für einen Wechsel nach Europa besser einschätzen zu können. Dass Kagawa derart einschlägt, überrascht selbst Kroth. Aber Zufall ist es nicht.

Antiquierte Denke

Für japanische Fußballer verkörpert Kroth die Verheißung auf eine glanzvolle Karriere in Europa. Bei vielen J-League-Klubs hingegen ist er mittlerweile eine unerwünschte Person. Weil er derjenige sei, der die Hauptverantwortung dafür trägt, dass der japanische Fußball ausbluten würde. "Mit Kroth werden wir keine Geschäfte mehr machen", drohten bereits mehrere Manager, die jedoch nicht namentlich erwähnt werden wollen. Sie werfen Kroth vor, sich unlauterer Mittel bedient zu haben, um seine Klienten so günstig wie möglich in Europa anzubieten.

Dabei profitiert Kroth lediglich von einer Schwäche im japanischen System, die so offensichtlich ist, dass es für einen Spielerberater fahrlässig wäre, diese nicht auszunutzen: die fehlende Kompetenz der J-League-Manager bei Vertragsabschlüssen.

Im japanischen Fußball herrscht eine zu Europa gegensätzliche Denke. Vereinfacht formuliert: Wenn in Japan ein Spieler gute Leistungen zeigt und dessen Vertrag ausläuft, wird ihm dennoch nur eine Verlängerung um ein, vielleicht zwei Jahre offeriert. Aus Angst des Managers, dass der Spieler im Falle einer längeren Laufzeit selbstzufrieden wird, den Vertrag aussitzt, die Leistungen nachlassen und in letzter Konsequenz dem Manager die Schuld dafür gegeben wird.

Dieses Vorgehen mag in einem geschlossenen Ligabetrieb funktionieren, im heutigen Fußball führt es jedoch nur zu einem: Spieler, die eine starke Saison spielen, erregen die Aufmerksamkeit eines europäischen Klubs und wechseln in der Regel ablösefrei oder gegen die Zahlung einer Ausbildungsentschädigung - was die japanischen Klubs zunehmend erzürnt.

Bayern bekommen Usami nicht

Shimizu S-Pulse war beispielsweise dermaßen empört über Stuttgart und Kroth, dass der Klub alles unternahm, um die Freigabe für Okazaki hinauszuzögern. In dieser Saison musste lediglich Schalke für Uchida eine nennenswerte Ablöse überweisen (1,3 Millionen Euro an Kashima).

Doch so sehr Kroths Verhalten einigen Entscheidungsträgern missfällt: Mittlerweile holen die japanischen Klubs wohl wegen ihm lang Versäumtes nach und passen sich den Gegebenheiten im internationalen Transfermarkt an. Gamba Osaka etwa bot Takashi Usami eine Vertragsverlängerung über fünf Jahre, die der 18-Jährige annahm.

Kurz darauf zeigte der FC Bayern Interesse an einer Verpflichtung, immerhin gilt Usami als ähnlich begabt wie ein gewisser Shinji Kagawa. Doch Usami bleibt in Osaka. Indirekt auch dank Kroth.