"Das Ende in Frankfurt war schade"

Jochen Tittmar
23. Mai 201708:49
Thomas Schaaf war Trainer bei Eintracht Frankfurt in der Saison 2014/2015getty
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Thomas Schaaf arbeitete 14 Jahre als Trainer beim SV Werder Bremen, doch anschließend hielt es den 56-Jährigen bei Eintracht Frankfurt und Hannover 96 nicht lange. Im Interview spricht Schaaf über den aktuellen Job bei der UEFA, seine Zukunftsplanungen, den Wandel des Trainerberufs und seine letzten beiden Stationen.

SPOX: Herr Schaaf, seit April 2016 sind Sie ohne Job, seit 2011 arbeiten Sie aber gelegentlich für die UEFA - wie im Sommer während der EM 2016, wo Sie als einer von 13 sogenannten Technical Observer fungierten und in einem Team mit Trainerkollege David Moyes die Teams beobachteten. Wie kam das zustande?

ThomasSchaaf: Durch unsere Teilnahmen an der Champions League mit Werder hatte ich die Möglichkeit, an Elite-Trainerforen der UEFA teilzunehmen. Durch den Austausch bei diesen Tagungen erreichte mich dann auch die Anfrage für Spielbeobachtungen als Technical Observer in der Champions und Europa League oder bei der EM in Frankreich - und vielleicht im Juni der U21-EM in Polen. Desweiteren war ich öfters Gast als Diskussionspartner bei Trainerfortbildungen für Nationalverbände der UEFA.

SPOX: Geleitet wurde die Beobachter-Gruppe in Frankreich vom ehemaligen Bundesligaspieler Ion Lupescu, Sir Alex Ferguson war auch dabei.

Schaaf: Genau, Ion Lupescu ist verantwortlich für diesen Bereich. Die Gruppe der Technical Observer war mit Kollegen aus ganz Europa bestens besetzt. Allen voran natürlich Sir Alex Ferguson oder auch meinem Kollegen David Moyes, der mit mir für den Standort Paris zuständig war. Jeweils zwei Technical Observer waren für Spiele in zwei Stadien verantwortlich. Bei unserer Arbeit ging es darum zu analysieren, welche fußballerischen Leistungen von den Mannschaften gezeigt werden. Die sportliche Qualität wird praktisch fixiert und am Ende eines Turniers in einem umfassenden Bericht dokumentiert.

SPOX: Was war während der Partien zu tun?

Schaaf: Zunächst einmal hat jeder eine Mannschaft beobachtet. Zum Abpfiff des Spiels durften wir den Man of the Match wählen. Anschließend wurde ein Bericht geschrieben, in dem es um taktische Auffälligkeiten ging: Welche Art des Spielaufbaus oder welches System wählten die meisten Mannschaften, wie offensiv oder defensiv war es ausgerichtet, welche Rolle spielten Standardsituationen oder ein schnelles Umschaltspiel? Diese handschriftlichen Notizen haben wir während des Spiels gepflegt, am nächsten morgen wurden sie von uns am PC in ein UEFA-Portal eingegeben.

SPOX: In den USA nahmen Sie zwischenzeitlich als Gast-Dozent bei der Trainerausbildung des amerikanischen Fußballverbandes teil. Worum ging es da?

Schaaf: Nico Romeijn, der diese Ausbildung in den USA leitet, fragte mich, ob ich an einem einwöchigen Lehrgang in Torrance bei Los Angeles als Gast-Dozent teilnehmen könnte. Er versucht die Trainerausbildung in den USA zu verbessern und dem Niveau der UEFA Pro Licence anzugleichen. Es kamen mehrere Dozenten aus verschiedenen Fachbereichen zusammen, um über das Thema Leadership zu referieren und sich mit den Lehrgangsteilnehmern - MLS-Coaches, die noch nicht die Lizenz besitzen - auszutauschen.

SPOX: Was Ihre Zukunft als Trainer angeht haben Sie gesagt, dass es auch möglich sei, nie mehr an der Seitenlinie zu stehen. Wie viele Anfragen erreichen Sie aktuell pro Monat?

Schaaf: Das wechselt sich ab. Manchmal ist es ruhiger, wenn Verträge auslaufen und der Markt in Bewegung ist, passiert auch mal mehr. Ich mache mir aber nicht jeden Tag Gedanken über meine Zukunft. Ich bleibe dabei: Ich schließe nichts aus und lege mich nicht darauf fest, dieses oder jenes nicht mehr tun zu wollen. Ob das am Ende auf einen weiteren Job als Trainer hinausläuft oder man an einem Standort neue Strukturen aufbaut, Erfahrungen als Ratgeber und Beobachter weitergibt - das kann ich genauso wenig sagen wie ob ich nie mehr an der Seitenlinie stehen werde.

SPOX: Man sagt dann ja immer, das Passende müsse unter den Anfragen dabei sein. Wie sähe denn etwas Passendes für Sie aus, lässt sich das konkretisieren?

Schaaf: Das Passende hört sich immer komisch an, ich weiß. Es lässt sich eben kaum greifen und ist daher die große Schwierigkeit. Es muss halt einen in dem bestimmten Moment einfach so sehr interessieren und die jeweiligen Gedanken übereinstimmen, dass man letztlich richtig davon überzeugt ist. Ob das im Ausland ist oder außerhalb Europas, das ist für mich alles denkbar. Der Fußball spricht eine weltweite Sprache, so dass ich mich nicht auf ein bestimmtes Gebiet festlegen möchte. Was sicher ist: Ich werde keine Position einnehmen, bei der es nur um Zahlen und Wirtschaftlichkeit geht.

SPOX: Während der EM gab es Gerüchte um einen Vorvertrag bei Galatasaray. War da etwas dran?

Schaaf: Nein, absolut gar nichts. Ich hatte keinen Kontakt zu Galatasaray, keinen Vorvertrag, kein gar nix. Das waren und sind die üblichen Spekulationen des Geschäfts.

SPOX: Inwiefern ist es Ihnen denn auch gerade recht, das immer schneller werdende Tempo, mit dem sich das Rad im Profifußball dreht, nicht mehr mitgehen zu müssen?

Schaaf: Wenn man nicht direkt in einen laufenden Prozess involviert ist und damit etwas mehr Abstand für direkte Handlungen hat, fällt einem dieses rasante Tempo glaube ich noch mehr auf. Als Außenstehender blickt man neutraler und beobachtender auf das Geschäft und hat mehr Zeit für Einschätzungen und Entscheidungen. Es ist schlichtweg der Hammer, wie viele Trainerentlassungen wir allein in diesem Jahr in der Bundesliga gesehen haben.

SPOX: Was heißt das für Sie?

Schaaf: Zeit für Entwicklung scheint es beispielsweise nicht mehr zu geben, obwohl jeder nach Kontinuität schreit. Das ist kein guter Zustand und darüber sollten wir alle nachdenken. Wenn man alle paar Monate hin und her schwankt und massive Veränderungen billigt, braucht man sich nicht darüber beschweren, wenn Entwicklung verhindert wird.

SPOX: Ist der Trainermarkt zu groß geworden, so dass es auch deshalb ein Hauen und Stechen um die wenigen Plätze im Profibereich und entsprechend schnellere Entlassungen gibt?

Schaaf: Der Markt ist jedenfalls nicht kleiner geworden. Da mag schon etwas dran sein. Doch nur weil eine Verfügbarkeit vieler Trainer da ist sind, heißt das ja nicht, dass ich beim ersten sportlichen Gegenwind den Trainer austauschen muss. Es hängt sehr viel von den Planungen, Strukturen, Strategien und der Überzeugung der Personen ab, die über die Trainerposition entscheiden. Ob die aber an jedem Standort immer im Sinne der Vereinsphilosophie entscheiden, sei dahingestellt. Natürlich muss ein Trainer auch wissen, auf was er sich in diesem Beruf einlässt und was alles auf ihn zukommen könnte.

SPOX: Was entgegnen Sie Leuten, die die These aufstellen, dass sogenannten Laptop-Trainern ohne eigene Profierfahrung die Zukunft gehört und die Zeit von erfahrenen Trainern wie Ihnen abgelaufen sei?

Schaaf: Woran macht man das genau fest: Am aktuellen Arbeitsverhältnis? An den aktuell besetzten Trainerpositionen? An der Zeitspanne der Beschäftigung? Am Erfolg? Was wird als erfolgreich definiert?

SPOX: Das scheint nicht stringent festgelegt. Wie blicken Sie daher auf diese angebliche Unterscheidung zwischen den jungen, unverbrauchten Trainern der vermeintlichen Moderne und älteren Kollegen, die seit mehreren Jahren im Geschäft sind?

Schaaf: Ich wehre mich gegen eine Klassifizierung und Wertung. Es gibt Trainer wie beispielsweise mich, die auf eine eigene Spielerkarriere zurückblicken können und Erfahrungen im Junioren-, Amateur- oder Profibereich am eigenen Leib gemacht haben. Es gibt aber auch Trainer, die diese Erfahrungen nicht haben und vielleicht über ein Studium oder einen eigenen Weg zu diesem Beruf gekommen sind. Die Aussage zu treffen, man könne nur über diesen oder jenen Weg zum Erfolg kommen, ist meiner Meinung nach falsch. Es stellt sich immer die Frage: Wie kann ich mit meinem Team erfolgreichen Fußball anbieten, welchen Weg finde ich dafür? Da ist es egal, ob man jung oder alt ist, ob man selbst gespielt hat oder nicht, ob man studiert hat oder nicht. Oder sagen Sie bei einem Trainer, der als modern zählt, weil er mit dem Laptop arbeitet, der Absturz seines Computers sei dafür verantwortlich, frühzeitig entlassen worden zu sein?

SPOX: Sie haben Anfang des Jahres den Umgang mit der Trainergilde kritisiert.

Schaaf: Der Trainerberuf befindet sich generell seit einigen Jahren in einem großen Wandel. Mittlerweile ist die große Preisfrage: Wofür soll der Trainer alles verantwortlich sein? Ist er der totale Allrounder oder soll er nur ganz bestimmte Dinge erfüllen? Das gilt auch für die Sicht des Trainers selbst: Will ich mich mit allen Ausprägungen des Alltags beschäftigen oder möchte ich nur für den sportlichen Kernbereich verantwortlich sein? Wenn man mit einem Verein das internationale Geschäft als Ziel hat und die ersten fünf Saisonspiele verliert, heißt es in der Öffentlichkeit bereits: Ziel verfehlt. Man wird sofort in Frage gestellt - mindestens. Daher geht es auch um Fragen wie: Wie nah lasse ich Druck an mich heran, wie tief tauche ich da ein?

SPOX: Pep Guardiola ist beispielsweise überzeugt davon, dass ein Trainer nur dann erfolgreich sein kann, wenn er nicht zu lange bei einem Klub arbeitet. Ewald Lienen sagte, man wisse als Trainer, dass man immer in Gefahr sei. Ihre Meinung?

Schaaf: Wenn man einen Vertrag unterschreibt, unterschreibt man zugleich seine Kündigung - man weiß nur nicht, wann sie eintreten wird. Der Fußball ist ein sehr auffälliger Bereich in unserer Gesellschaft, aber er ist nur ein Teil unserer Gesellschaft. All das, was in unserer Gesellschaft stattfindet, findet mehr oder weniger auch immer im Fußball statt. Wo gibt es denn noch den Arbeitnehmer, der 15 oder 20 Jahre in einem Unternehmen arbeitet? Dass jemand wie Alex Ferguson, Arsene Wenger, Otto Rehhagel oder auch ich in Bremen so lange bei einem Klub angestellt sind, das wird es in Zukunft nicht mehr geben. Es wird die Ausnahme sein, wenn ein Trainer sieben oder acht Jahre bei einem Verein arbeitet.

SPOX: Welchen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang sehen Sie noch?

Schaaf: Wir leben in einer Zeit mit vielen Extremen. Das betrifft nicht nur den Arbeitsplatz. Ein Beispiel: Früher ist man an die Nordsee in den Urlaub gefahren, heute müssen es die Seychellen oder Australien sein - weiter denn je. Wer ist heute noch bereit Konflikte einzugehen, sie zu bearbeiten und zu beheben? Das ist ein grundsätzliches Verhalten: Wenn etwas nicht mehr passt, muss etwas Neues her. Übertragen auf den Fußballtrainer: Funktioniert ein Trainer nicht mehr, muss eben ein neuer her. An den Umständen zu arbeiten und sie so zu verändern, damit es funktionieren kann - ist man dazu überhaupt bereit? Wenn ja, braucht man zwingend Geduld und Zeit. Doch das hat man kaum noch. Und genau das meint Pep. Nach drei, vier Jahren wollen die Leute etwas anderes sehen.

SPOX: Sie waren 5119 Tage Trainer bei Werder, anschließend lediglich eine Saison lang bei Eintracht Frankfurt und nur 98 Tage bei Hannover 96. Diese kurze Verweildauer muss für Sie doch total albern gewesen sein.

Schaaf: Die 5119 Tage in Bremen waren ja nicht geplant. Diese Maßgabe galt bei der Eintracht und in Hannover auch. Es ist eine völlig unterschiedliche Nummer, wenn man zuvor sehr lange bei einem Verein gearbeitet hat. Doch das dokumentiert im Grunde genau meine Einstellung und die Richtung, die ich skizziert habe. Für mich ist weniger die Attraktivität eines Vereins, sondern vielmehr die Aufgabe an sich entscheidend. Ich hatte in Hannover das Gefühl, dass es passen würde. Das hat es aber nicht. Und wenn man das erkennt, muss man sich trennen. Ich eiere dann ungern lange herum.

SPOX: Wie blicken Sie auf die Zeit bei der Eintracht zurück?

Schaaf: Sportlich war Frankfurt eine absolute Erfolgsgeschichte. Wir haben dort alle messbaren Werte verbessert, bis auf die Anzahl der Gegentore - doch in der Differenz zu den geschossenen Treffern waren wir wieder besser. Wir haben mehr Geld eingenommen, standen nie auf einem Abstiegsplatz, haben den Torschützenkönig gestellt, U19-Spieler zu Bundesligaakteuren gemacht, Bundesligaspieler zu Nationalspielern gemacht, höhere Zuschauereinnahmen erzielt. Es war für mich sehr konsequent, klar und deutlich, unter den dort vorherrschenden Bedingungen, die nichts mit den sportlichen Aufgaben zu tun hatten, nicht mehr weiterarbeiten zu wollen. Das Ende in Frankfurt war schade, wir hätten dort gerne weitergemacht.

SPOX: Wie stellte sich die Gemengelage in Hannover dar?

Schaaf: Ich sollte den Abstieg vermeiden, doch mit der Zeit hatte man das Gefühl, dass man das nicht schaffen wird. Wir haben es versucht, aber es hat nicht funktioniert und nicht gepasst. Es gibt Situationen für Trainer, da kann man die besten Ideen oder Voraussetzungen haben, aber irgendetwas stimmt nicht. Das kriegt man manchmal vielleicht erst heraus, wenn es schon zu spät ist. Man arbeitet ja mit Menschen und da kann es vorkommen, dass es in dem Moment einfach nicht harmoniert.

SPOX: Bei 96 haben Sie elf Spiele geleitet und zehn davon verloren. Wie machtlos fühlte es sich für Sie an, wenn der eigene Einfluss keine Punkte bringt?

Schaaf: Ich war darüber sehr enttäuscht. Ich habe bei 96 angefangen, weil ich das Gefühl hatte, dass man mich haben wollte und man mir zutraute, die dortige Situation zum Positiven zu verändern. Ich hätte rein wirtschaftlich gesehen nicht eine Sekunde arbeiten müssen. Wir haben alle Register gezogen und versucht, sie an die Mannschaft heran zu tragen. Das hat nicht geholfen und dann muss man sagen: Es hat auf diese Weise wohl einfach nicht gereicht.

SPOX: Hatten Sie nach der langen Zeit in Bremen schon gewissermaßen befürchtet, dass es Sie künftig deutlich schneller erwischen könnte?

Schaaf: Nein, überhaupt nicht. Ich konnte in Frankfurt niemandem sagen, wie lange ich dort arbeiten werde. Von der Planung und meinen Gedanken her wäre ich in Frankfurt und Hannover genauso bereit gewesen, noch deutlich länger dort zu bleiben. Was man aber festhalten kann: Unsere Gesellschaft hat sich insofern verändert, dass es unwahrscheinlicher geworden ist, so etwas wie zwischen Bremen und mir noch einmal zu erleben.