"Studentenleben ist andere Welt"

Micha Schneider
08. Januar 201617:06
Timo Heinze stand auf dem Sprung zu den Profis beim FC Bayern Münchengetty
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Bei den Bayern war er einst auf dem Sprung zum Profi. Doch Timo Heinze hörte früh auf mit Fußball und schrieb stattdessen einen Bestseller über die "unvollendete Karriere", zu dem Thomas Müller das Vorwort schrieb. Im Interview erzählt der 29-Jährige über verheißungsvolle Gespräche mit Hermann Gerland, Badminton-Sessions mit den Gebrüdern Hummels und die Notwendigkeit von Sportpsychologen.

SPOX: Herr Heinze, Sie haben vor über zehn Jahren mit dem FC Bayern die Deutsche A-Juniorenmeisterschaft gewonnen. Ist das eigentlich heute noch sehr präsent für Sie?

Heinze: Das war 2004 und die Details verschwimmen natürlich immer mehr. Sportlich gesehen war das auf jeden Fall mein größter Erfolg, zusammen mit den Jugendländerspielen. Und das Ende war Genuss pur, wenn du 3:0 führst und weißt, du hast es geschafft. Das größte Erlebnis für mich war aber 2008 das Abschiedsspiel für Oliver Kahn bei den Profis. Es kribbelt immer noch, wenn ich ab und zu daran zurückdenke. Mein erster Ballkontakt in der Allianz Arena, der Stolz und die Erleichterung danach: Einfach unvergesslich.

SPOX: Sie kamen mit zwölf Jahren zum FC Bayern, durchliefen alle Jugendmannschaften und waren Kapitän von Bayern II. Wann hatten Sie denn zum ersten Mal das Gefühl, einer derjenigen sein zu können, die es beim großen FC Bayern nach oben schaffen können?

Heinze: Den Traum hatte ich schon mit 12 oder 13, wie jeder in meiner Mannschaft. Greifbar wurde es aber erst viel später, als ich als A-Jugendlicher meinen ersten Vertrag im Herrenbereich bei der Zweiten unterschrieben habe. Ich hatte damals ein Gespräch mit Hermann Gerland, der mir sagte, dass er mich schon oft gesehen habe und wenn ich mich weiter so entwickeln und Gas geben würde, er mich nach einem halben Jahr hoch zu Felix Magath schicken würde. Das war schon der Moment, in dem ich endgültig dachte: "Oha, das könnte echt klappen." Wenige Wochen später zog ich mir dann aber eine Leistenverletzung zu, die mich ein ganzes Jahr außer Gefecht setzte. Da hatte sich das Thema dann schnell wieder erledigt.

SPOX: Sie kämpften sich nochmal ran, wurden von Hermann Gerland dann in der zweiten Mannschaft auch zum Kapitän ernannt. Kurze Zeit später setzte er Sie aber plötzlich dauerhaft auf die Bank, was Sie ziemlich aus der Bahn warf.

Heinze: Natürlich war das eine sehr harte Entscheidung damals, die ich ehrlich gesagt auch bis heute nicht nachvollziehen kann. Aber ich selbst muss auch zugeben, dass ich nicht adäquat mit der Situation umgegangen bin und meine Lockerheit verloren habe. Ich wollte es damals dann einfach auf Teufel komm raus erzwingen. Ich habe einfach zu sehr mit mir und der Situation gehadert.

SPOX: Es folgte noch ein kurzes, durchwachsenes Gastspiel in Unterhaching, aber Ihr Traum vom Bundesligaprofi zerplatzte. Als Ihr früherer Teamkollege Thomas Müller WM-Torschützenkönig wurde, beendeten Sie bereits Ihre Karriere. War Ihnen die Dritte Liga auf Dauer zu wenig?

Heinze: Auf gewisse Weise schon, es war einfach nicht das, was ich mir vorgestellt hatte - auch wenn das jetzt ein wenig arrogant klingen mag. Vor allem aber hatte ich damals den Spaß am Fußball verloren, das war das Schlimmste. Außerdem wollte ich einfach nicht bis Mitte 30 auf diesem Niveau weiterspielen und am Ende ohne Ausbildung oder Studium dastehen. Trotz allem kann man vielleicht erahnen, wie furchtbar schwer mir damals diese Entscheidung fiel, auch wenn sie im Nachhinein richtig war.

SPOX: Sie mussten Abstand gewinnen, reisten nach Bali und schrieben Ihre Gedanken nieder. Entstanden ist vor drei Jahren Ihr erfolgreiches Buch "Nachspielzeit - eine unvollendete Fußballerkarriere", das sogar zum Bestseller wurde. Was sagt es über unsere Gesellschaft, in der es oft nur um die Sieger geht, aus, dass das Buch trotzdem so erfolgreich war?

Heinze: Das fand ich selbst auch wirklich erstaunlich. Überall, und besonders im Sport, geht es logischerweise immer darum, Leistung zu zeigen und zu gewinnen. Die Leute wollen aber scheinbar auch die andere Seite der Medaille kennenlernen. Und die meisten Jugendspieler kennen eben genau diese Kehrseite. Es sind ja nur ein paar wenige, die letztlich den Durchbruch schaffen. Ich habe damals alles möglichst persönlich erzählt, aber mein Ansinnen war nie, das dann auch zu veröffentlichen. Ich habe es erst nur für mich geschrieben, um alles zu verarbeiten. Erst Freunde haben mich dann später ermutigt, diesen Schritt zu gehen.

SPOX: Sie sind tatsächlich kein Einzelfall. Aus Ihrem Jahrgang 1986 schaffte es nur Georg Niedermeier in die Bundesliga. Sie sagten einmal, nach der Veröffentlichung hätten sich viele Spieler bei Ihnen gemeldet, denen es ähnlich erging und denen Ihr Buch geholfen hätte. Was für Storys bekommt man denn da zu hören?

Heinze: Das war wirklich das Beste an der ganzen Geschichte. Mir haben wildfremde Leute geschrieben. Spieler, die auch nah dran waren und sich in meiner Geschichte und einzelnen Passagen wieder gefunden haben, aber auch Eltern von Fußballern aus Nachwuchsleistungszentren. Manche machten sich Sorgen, manche wollten einfach nur Tipps. Sogar Leute, die mit Fußball oder Sport überhaupt nichts am Hut hatten. Einer war beispielsweise Schauspieler, der vieles auf seinen Bereich übertragen konnte. Manchmal habe ich bei ganz einfachen Facebook-Nachrichten richtig Gänsehaut bekommen. Das war teilweise schon bewegend, was die Leute einfach mal loswerden wollten. SPOX

SPOX: Einer Ihrer Mitspieler bei den Bayern war Sandro Wagner, der dort in 44 Spielen gerade zweimal traf, aber heute Bundesliga spielt. Hermann Gerland sagte in einem Interview über ihn, er sei ein Spieler gewesen, dem er den Sprung nicht zugetraut habe. Sind die Bundesligaspieler zwangsläufig die besseren Spieler oder waren viele einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort?

Heinze: Beides. Bei den aktuellen Bundesligaspielern ist keiner dabei, der nicht ein riesiges Ausgangspotenzial hat. Diese Grundbasis ist sehr, sehr hoch und die muss man erst einmal haben. Aber natürlich haben dieses Grundlevel noch deutlich mehr Spieler, die aber nicht in der Bundesliga spielen. Es gibt also viele, die nicht schlechter sind, aber trotzdem nicht dort stehen. Ganz unabhängig von mir. Da sind wir eben bei anderen Faktoren.

SPOX: Welchen zum Beispiel?

Heinze: Bei vielen ist es die Einstellung, aber auch ganz klar das Glück. Dass du gerade an dem Tag ein gutes Spiel machst, an dem du von einem Scout beobachtet wirst, oder genau den Trainer erwischst, der voll auf dich steht - oder natürlich, dass du gesund bleibst. Nur wenn das alles passt, wirst du einer von diesen paar hundert Bundesligaspielern.

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SPOX: Sie sprachen in Ihrem Buch auch von einem "Kopfproblem", das Sie hatten und dass Sie sich selbst zu viel Druck gemacht hätten, nach der Verbannung auf die Bank die Wende zu schaffen. Waren Sie schon immer ein Grübler?

Heinze: Schon. Aber in Erfolgszeiten hat mir das Reflektieren auch sehr gut getan, da gibt es bei anderen die Gefahr, abzuheben. Ich konnte das ganz gut einordnen. Im Misserfolg war es aber hinderlich, dass dieses Grübeln kam. Ich habe Sachen zu sehr gegeneinander abgewogen und mich an vielen Dingen zu sehr festgehalten. Die Kunst ist es, das, was einem nichts bringt, aus dem eigenen Fokus zu rücken. Das habe ich in jungen Jahren nicht geschafft und würde ich heute wohl anders angehen. Ich bewundere aber auch heute noch die Wenigen, denen auch groß Nackenschläge kaum etwas auszumachen scheinen.

SPOX: Bereits in den Jugendteams wird gnadenlos ausgesiebt. Viele fallen kurz vor Schluss noch durchs Raster, nachdem sie die komplette Jugend Ihrem Traum geopfert haben. Inwieweit würde ein Sportpsychologe auch schon in den Jugendmannschaften helfen?

Heinze: Er würde sehr helfen. Das Angebot sollte einfach da sein, im Erwachsenenbereich auf Leistungsniveau sowieso. Natürlich sollte das niemandem aufgezwungen werden, aber in der Jugend kann man schon präventiv arbeiten. Die Jungs haben mit Schule und den Anforderungen im Verein einiges um die Ohren und oft sehen sie in dem Alter auch noch nicht, dass es auch ein Leben ohne Fußball gibt. Es wäre aber auch wichtig für diejenigen, die es schaffen. Heute ist es ja nicht unüblich, schon als 18-Jähriger in der Bundesliga zu spielen. Darauf muss man auch erst mal mental vorbereitet sein.

SPOX: Sie selbst haben nach Ihrer Karriere Sportmanagement und Kommunikation an der Deutschen Sporthochschule Köln studiert und studieren jetzt noch Psychologie. Wollen Sie Ihre Erfahrungen weitergeben?

Heinze: Ich bin erst so wirklich drauf gekommen, als ich mir mein Buch nochmal vor Augen geführt habe, in dem es ständig um irgendwelche psychologischen und mentalen Themen ging. (lacht) Da habe ich gemerkt, dass mich das wohl einfach interessiert und fasziniert. Inzwischen bin ich mir sicher, dass ich Sportpsychologe werden möchte, weil das ein sehr spannendes und wichtiges Feld mit enormem Potenzial darstellt. Mir geht es nicht darum, meine eigenen Fehler von früher damit rückgängig zu machen aber sicher kann ich einiges weitergeben, da ich selbst Ähnliches erlebt habe.

SPOX: Sehen Sie das Fußballbusiness seit Ihrem Studium denn mit anderen Augen?

Heinze: Das auf jeden Fall. Ich selbst war zwar kein extrem bekannter Fußballprofi, aber in dieser Welt haben bekanntlich einige Dinge nicht viel mit der Realität zu tun. Der Verdienst, der Status als Promi oder die öffentlichen Aufmerksamkeit: Da ist ein normales Leben als Student, bei dem man schauen muss, wo das Geld herkommt, schon eine andere Welt. Es kommt auch sicher nicht von ungefähr, dass sich viele Ex-Profis so schwer damit tun, wieder ein geregeltes, "normales" Leben zu führen.

SPOX: Ihr ehemaliger Teamkamerad Mats Hummels genießt so ein "Promileben", musste zuletzt allerdings auch viel öffentliche Kritik einstecken. Kümmern Sie sich als angehender Sportpsychologe dann auch um solche Fälle?

Heinze: Die Medien werden natürlich immer wichtiger. Und solch eine herbe Kritik ist natürlich eine der Schattenseiten, mit denen Profis umgehen müssen. Zu Mats: Er ist clever genug, das einzuordnen. Ich treffe ihn noch ein, zweimal im Jahr und gehe dann mit ihm und seinem Bruder Jonas einen Kaffee trinken oder die obligatorische Runde Badminton spielen. Da reden wir dann aber natürlich über andere Dinge, als darüber, wie er sich in den Medien zu verhalten hat. (lacht)

SPOX: Sie selbst lässt der Fußball aber scheinbar auch noch nicht ganz los. Sie bestritten in der Saison 2011 nochmal elf Spiele in Ihrer studentischen Heimat Köln für Fortuna in der Regionalliga. Hat es einfach wieder gejuckt in den Füßen?

Heinze: Ich wollte einfach nochmal den Spaß am Fußball wiederfinden und das war auch definitiv der Fall. Ich bin zwar nicht mal ansatzweise an meine alte Leistungsstärke herangekommen, aber allein deswegen hat sich das Jahr gelohnt. Länger hätte es aber keinen Sinn gemacht. Mein Studium hatte Priorität, wir haben sechs, sieben Mal pro Woche trainiert und ich bin nur zwischen Hörsaal und Fußballplatz gependelt. Das war dann doch nicht ganz das Studentenleben, das ich wollte (lacht).

SPOX: Ein bisschen weniger zeitaufwändig ist Ihre neue Leidenschaft Futsal. Sie spielen mittlerweile Ihre fünfte Saison. Aktuell laufen Sie als Kapitän der Futsal Panthers Köln in der WFLV-Liga auf und kämpfen als Tabellenführer um die westdeutsche Meisterschaft. Wie stehen denn die Chancen?

Heinze: Ich hoffe nicht schlecht. Aktuell läuft es richtig gut, aber das wird noch eine enge Kiste und vor der Saison galten wir nicht unbedingt als Topfavorit. Futsal ist einfach geil. Ich bin richtig verliebt in diesen Sport und könnte das halbe Interview lang die Vorzüge aufzählen. Als Jugendspieler habe ich im Winter oft in der Halle gespielt, aber mit Futsalregeln macht es einfach viel mehr Spaß. Ich würde mir sehr wünschen, dass der Sport auch in Deutschland immer mehr an Popularität gewinnt.

SPOX: Es sieht aktuell danach aus. In diesem Jahr wird es erstmals auch eine offizielle deutsche Futsal-Nationalmannschaft geben und das erste Länderspiel stattfinden. Heißt es dann doch bald wieder "Heinze für Deutschland"?

Heinze: Da würde sich auf jeden Fall ein Kreis schließen und es wäre für mich persönlich eine riesen Geschichte, nochmal das Nationaltrikot zu tragen, auch wenn man das mit den Jugendländerspielen im Fußball natürlich nicht vergleichen kann, das sind zwei Paar Stiefel. Beim allerersten Länderspiel überhaupt dabei zu sein, wäre wirklich ein Traum. Ich mache mir auch durchaus Hoffnungen, aber die Konkurrenz ist wirklich stark und ein Futsal-Kader recht klein. Letzten Endes entscheidet das natürlich der zukünftige Bundestrainer, um jetzt auch mal eine Fußballer-Floskel bemühen zu dürfen (lacht).

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