Am Mittwoch spielt Deutschland gegen Südkorea und kann dabei den Platz im Achtelfinale perfekt machen (16 Uhr im LIVETICKER). Dabei stellt sich erneut die Frage, wer neben Toni Kroos den Platz im defensiven Mittelfeld besetzen wird: Kann Sebastian Rudy nach seiner Nasen-OP spielen? Kehrt Sami Khedira zurück? Bekommt Ilkay Gündogan seine Chance?
Sebastian Rudy - die Sicherheitsvariante
Mit Sebastian Rudy in der Startelf hatte vor dem Spiel gegen Schweden wohl niemand gerechnet - Fans, Experten und vor allem er selbst. Rudy schien einer der Spieler zu sein, die den Kader in der Breite komplettieren, sich aber kaum Hoffnungen auf einen Einsatz machen dürfen als nominelle Nummer vier im defensiven Mittelfeld hinter Kroos, Khedira und Gündogan. Nummer fünf, wenn man Leon Goretzka dazuzählt. Schließlich war Rudy beim FC Bayern München über den Großteil der Saison ebenfalls bloß Ergänzungsspieler, nicht wenige hätten ihn gern für eine weitere Offensiv-Option wie Leroy Sane geopfert.
Doch am Freitag gab es plötzlich die Ansage vom Bundestrainer, dass der 28-Jährige in der Startelf stehen würde. Er solle versuchen, "die Sachen, die mich stark machen, umzusetzen: Schauen, dass ich immer auf die zweiten Bälle gehe, dass ich eine gute Konter-Sicherung habe und meine Position halte", erzählte Rudy. Und das, so konstatierte er, "ist mir am Anfang ganz gut gelungen".
In der Tat passte Rudy in den ersten 25 Minuten gegen Schweden sehr gut ins Team. Gerade in der Anfangsviertelstunde, die Deutschland bis auf zwei Szenen nach Belieben dominierte, setzte er das von ihm Verlangte makellos um: unauffällig, aber wichtig fürs Team, als Bindeglied zwischen Abwehr und Offensive, am Ball unaufgeregt und sorgsam. Immerhin einen Torschuss verzeichnete er, kein einziger seiner Pässe landete beim Gegner.
Länger konnte er sich leider nicht empfehlen: Nach Fehlpass von Kroos musste Rudy ins Duell mit Ola Toivonen - und trug nach einer schmerzhaften Begegnung mit dessen Arbeitswerkzeug einen Trümmerbruch in der Nase davon. Minutenlang schoss ihm das Blut aus der Nase, trotz Behandlung ging es nicht mehr weiter: In der 31. Minute kam Gündogan für ihn ins Spiel. Am Tag nach dem Spiel wurde Rudy operiert, ob er mit Maske auflaufen kann, ist noch unklar: "Man sollte darauf vorbereitet sein, dass er nicht spielen kann", erklärte Assistent Marcus Sorg am Montag.
Sebastian Rudy neben Toni Kroos: mehr Stabilität auf Kosten der Offensive
Hätte sich Sebastian Rudy mit einem verletzungsfreien Auftritt gegen Schweden in der Startelf festgesetzt? Darüber kann nur spekuliert werden. Zumindest hat er bei Joachim Löw und Fußballdeutschland ein kleines Bewerbungsschreiben abgegeben.
Gegenüber den Alternativen wäre Rudy die defensivste Variante auf der Position neben Kroos: Er hat nicht den Vorwärtsdrang wie Khedira oder Gündogan, was auch die potenziellen Ballverluste im Mittelfeld minimieren würde - die große Schwachstelle des Teams im bisherigen Turnierverlauf.
Stattdessen ist er wie gemacht dafür, für den Superstar von Real Madrid oder die Offensive auf der rechten Flanke abzusichern. Weniger über die Dynamik und Zweikampfhärte, sondern vor allem über sein Positionsspiel. Seine Funktion wäre auf verbesserte Stabilität in der Mannschaft beschränkt. Sollte Löw auf Rudy bauen, würde er damit Offensivpotenzial zugunsten der Verteidigung opfern.
Pflichtspiele 2017/18 | Rudy | Khedira | Gündogan | Goretzka |
Spiele | 35 | 39 | 48 | 29 |
Startelf | 21 | 35 | 29 | 23 |
Minuten | 2.103 | 2.876 | 2.756 | 2.198 |
Tore | 1 | 9 | 6 | 4 |
Assists | 5 | 5 | 7 | 3 |
Torschussbeteiligungen/90 min | 2 | 2 | 4 | 3 |
Zweikampfquote | 54 Prozent | 46 Prozent | 51 Prozent | 51 Prozent |
Passquote | 90 Prozent | 87 Prozent | 92 Prozent | 80 Prozent |
Ballaktionen/90 min | 78 | 53 | 97 | 56 |
Allerdings würde er den permanenten Umbau der Startelf von einer knappen halben Stunde gegen einen extrem tief stehenden und spielerisch beschränkten abhängig machen. Im weiteren Turnierverlauf würden Kaliber warten, die von Rudy weitaus mehr abverlangen. Ihn zeichnen weder die Kreativität und spielerische Klasse eines Gündogan aus, noch die Dynamik und Körperlichkeit eines Khedira. Zudem sind beide weitaus torgefährlicher, Khedira gerade bei den im Turnier so wichtigen Standards.
Ein Sebastian Rudy im Team wäre die Sicherheitsvariante, er ist der "eindimensionalste" aller Mittelfeldspieler im Arsenal des Bundestrainers. Sollte dieser von der Offensivabteilung - die sich ja ebenfalls derzeit im Umbruch befindet - vollends überzeugt sein, wäre ein Rudy mit überschaubarer Rolle eine Option, auch gegen stärkere Gegner.
Sami Khedira - der altbekannte Allrounder
Die Verbannung Sami Khediras auf die Bank war keine so große Überraschung wie eine Startelf ohne Mesut Özil. Dennoch war mit einer weiteren Änderung in der Startelf nicht unbedingt zu rechnen: Seit Jahren ist der 31-Jährige vom Platz neben Kroos eigentlich nicht wegzudenken. Seit der WM 2010 ist er als Sechser bei großen Turnieren eigentlich gesetzt, in den letzten Jahren bewies er sich auf höchstem Niveau zuerst bei Real Madrid, dann bei Juventus.
Der Khedira in Bestform war gegen die Mexikaner jedoch nicht zu sehen. Stattdessen sahen die Zuschauer einen stotternden Mittelfeldmotor, der die Ordnung der Formation auflöste und mit überbordendem Offensivdrang und anschließenden Ballverlusten für Gefahr vor dem eigenen Tor sorgte. Und der im Zweikampf, eigentlich seiner Spezialität, mit gerade einmal 20 Prozent Erfolgsquote ein Totalausfall war.
Löw nahm Khedira folgerichtig nach 60 Minuten vom Platz und brachte Marco Reus, um den Rückstand zu drehen. Gegen Schweden musste Khedira zuschauen, nach Rudys Verletzung war Gündogan zweite Wahl. Was allerdings noch lange nicht heißen muss, dass Khediras Turnier bereits vorbei ist. "Beispielhaft" sei er mit seinem Bankplatz umgegangen", berichtete Sorg. Löw sprach davon, ihn "definitiv weiter zu brauchen".
Sami Khedira neben Toni Kroos: Luxusvariante im Vergleich zu Rudy
Das könnte schon gegen Südkorea der Fall sein. In Bestform ist Khedira mit seiner Pferdelunge und seiner Zweikampfhärte immer noch die Idealbesetzung neben Kroos: Er übernimmt die "Drecksarbeit" vor der Abwehr, kann sich aber auch ins Offensivspiel einschalten und ist in der Spieleröffnung profilierter als Rudy. Als Führungsspieler ist er unumstritten, in Interviews zeigte er sich zuletzt selbstkritisch und mit guten Analysen.
Und er ist zumindest nahe an dieser Bestform ins Trainingslager in Südtirol und anschließend nach Moskau gereist: Khedira hat mit Juve eine starke Saison gespielt, war dort Stammspieler und für seine Verhältnisse mit neun Treffern auch extrem torgefährlich. Anders ausgedrückt: Er hat in der abgelaufenen Saison mehr Tore erzielt als Gündogan, Draxler, Özil oder Reus.
Gegen Mexiko konnte er diese Energie nach vorn nicht in die richtigen Bahnen lenken. Es passte nicht in der Abstimmung zwischen ihm und Kroos, als Folge davon klafften in der Zentrale große Löcher.
Löw hatte eine gute Woche Zeit, um an der Feinabstimmung im Mittelfeld zu feilen, gegen Schweden war eine Verbesserung bereits sichtbar. Könnte das auch mit Khedira funktionieren? Natürlich. Wenn er sich noch mehr auf seine Aufgabe im Team konzentriert. Dann ist er im Gegensatz zur "Basisvariante" Rudy gewissermaßen die Luxusversion mit vielen Extras, die bei Standards auch eine enorme Torgefährlichkeit mitbringt.
Ilkay Gündogan - der zweite Spielmacher
Nach einer bärenstarken Saison bei Premier-League-Champion Manchester City schien Ilkay Gündogan eigentlich dafür prädestiniert, sich früher oder später auch einen Stammplatz unter Joachim Löw zu erspielen. Schließlich bringt er für die Mittelfeldzentrale alles mit, was man braucht: Ballsicherheit, Technik, Übersicht, Zug nach vorn und eine unterschätzte Qualität als Wadenbeißer in der Balleroberung. Wer bei Pep Guardiola unverzichtbar ist, müsste es eigentlich auch bei Löw schaffen, oder?
Doch im DFB-Dress läuft es noch nicht rund für den 27-Jährigen. Als er sich im März gegen Brasilien von Beginn an zeigen konnte, raubten ihm nach gutem Beginn einige Fehler das Selbstvertrauen. Plötzlich war Khedira wieder vorn. Dann kam die Erdogan-Affäre, mit ihr die Pfiffe, und mit ihnen eine durchaus angekratzte Psyche bei Gündogan, wie alle Beteiligten freimütig zugaben.
Gegen Mexiko saß er nur auf der Bank, gegen die Schweden kam er nach einer halben Stunde für den verletzten Rudy ins Spiel. Aber auch hier sollte ihm keine überzeugende Leistung gelingen: Zwar blitzte immer wieder auf, was Gündogan so stark macht - Passspiel, schnelle Kombinationen -, doch gleichzeitig wirkte er gehemmt, spielte nicht frei auf.
Ilkay Gündogan neben Toni Kroos - warum passt es (noch) nicht?
Zudem passte es wieder nicht mit Partner Kroos, es fehlt die Abstimmung: Gündogan positionierte sich oft zu weit vorn, gefährdete damit die defensive Ordnung und ließ das deutsche Spiel so schief wirken. Bei City hat er mit Fernandinho einen Abräumer neben sich, Kroos ist jedoch ein ganz anderer Spielertyp. Umgekehrt schienen sie sich mit Ballbesitz unschlüssig, wer denn jetzt die Spieleröffnung übernehmen sollte.
Man sollte dennoch vorsichtig sein, Gündogan als Sündenbock dafür heranzuziehen, dass es vor seiner Einwechslung gut klappte, danach aber erst einmal nicht mehr. Schweden hatte sich durch die minutenlange Unterzahl Deutschlands bereits Sicherheit in den eigenen Aktionen geholt, als Gündogan kam, und das Gegentor hätte auch ein Sebastian Rudy nicht verhindern können.
Trotzdem ist die Rolle Gündogans im deutschen Spielgefüge noch nicht so richtig greifbar. Das macht es schwer, ihn in der Startformation zu sehen. Dabei könnte es auf dem Papier funktionieren. Nur: Dafür müsste Gündogan sein Spiel umstellen. Er müsste sich an Kroos anpassen, nicht umgekehrt, den lauffreudigen Terrier im Mittelfeld geben, für seinen Partner absichern. Reißt er das Spiel mit Ball an sich, kann Kroos diese Rolle nämlich nicht ausfüllen.
Mit der richtigen Balance könnte Gündogan das Offensivspiel Deutschlands nämlich durchaus bereichern. Stellen zukünftige Gegner Kroos so konsequent zu, wie Mexiko es tat, wäre es ganz schwer für den offensiv limitierten Rudy; auch Khedira hatte seine Schwierigkeiten. Gündogan könnte aus dem resultierenden Platz den größten Nutzen ziehen, seine Stärken kämen voll zum Tragen.
Aber wie gesagt: Das klappt nur mit der richtigen Arbeitsteilung in der Zentrale. Und mit einem Gündogan, der befreit aufspielt. Ob es an Erdogan lag, am Gegner oder an der Tagesform: Gegen Schweden gelang ihm das nur selten. Deshalb scheint er derzeit eher für die Rolle des Jokers prädestiniert, sollte Deutschland im Mittelfeld ein weiteres spielerisches Element benötigen.
Fazit: Löw hat die Qual der Wahl
Löw hat also die Qual der Wahl: Rudy, so er denn fit ist, als Sicherheitsvariante. Gündogan als zweiter Spielmacher in einem offensiveren System. Khedira als altbekannter Allrounder im Weltmeister-System.
Was ist mit Leon Goretzka? Der Bayer in spe kommt noch auf keine einzige Einsatzminute, als Spielertyp käme er aus dem genannten Trio Khedira wohl am nächsten. Alle Spieler würden im Turnierverlauf noch wichtig, versicherte Sorg, vielleicht zaubert Löw ihn also schon gegen Südkorea aus der Taktikkiste. Noch ist man sich von außen nicht ganz sicher, in welcher Rolle der Bundestrainer ihn sieht: In Testspielen musste Goretzka auch schon auf der rechten Außenbahn ran.
Eine weitere, mutige Variante wäre Ilkay Gündogan auf der Zehn, sollte Özil nach dem schwachen Auftritt Julian Draxlers nicht wieder in die Startelf zurückkehren. Die offensiven Fähigkeiten brächte er mit, kann den entscheidenden Pass spielen, aber auch selbst abschließen. So wäre neben Kroos Platz für einen weiteren Defensivspieler.
Löw wird weiter an einer möglichen Weltmeister-Elf basteln, auch die Startformation gegen Südkorea wird nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Schon jetzt wurden mit 18 Spielern so viele eingesetzt wie im gesamten Turnier 2014. Am Mittwoch könnten mit Niklas Süle oder auch Goretzka weitere hinzukommen.
Der so oft beschworene breiteste Kader aller Zeiten muss sich schließlich auch lohnen.