In den Tagen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs in einer Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: 1899 Hoffenheim.
Die vergangene Saison lief für 1899 Hoffenheim turbulent, wenn man es vorsichtig ausdrückt. Angefangen mit dem desolaten Ausscheiden im DFB-Pokal zeigte sich schon früh in der Saison, dass das Ziel Europapokal, das der damalige Trainer Markus Babbel ausgegeben hatte, bald zur Retourkutsche werden würde.
Als nach Babbel, Frank Kramer und Marco Kurz Markus Gisdol das Traineramt übernahm, konnte die TSG den ewigen Abwärtstrend stoppen und schaffte es auf dramatischste Art und Weise noch in die Relegation, in der sie sich gegen Kaiserslautern behauptete.
Vor dieser Saison wünscht man sich in Hoffenheim deswegen hauptsächlich Ruhe. "Mit dem Ziele setzen sind wir letztes Jahr nicht gut gefahren. Wenn wir in der neuen Saison nicht mehr den Stress haben, dass wir ständig am Abgrund stehen und nicht im Freiflug sind, dann bin ich zufrieden", sagte Dietmar Hopp stellvertretend für den ganzen Verein.
Altlasten wurden ausgemustert. Der Vertrag mit dem aufstrebenden Kevin Volland wurde vorzeitig verlängert, ein hohes Angebot für Roberto Firmino abgelehnt. Der Kern der Mannschaft steht also und wurde im Sommer nur punktuell ergänzt - und nicht mit zehn neuen Spielern wie im Vorjahr.
Das ist neu
"Hoffenheim muss familiär sein, freundlich, bescheiden. Hoffenheim muss demütig sein und jedes Spiel in der Bundesliga muss für diesen Klub als Geschenk erachtet werden." Diese Worte von Markus Gisdol verdeutlichen, was bei der TSG neu ist: die Demut. Der gesamte Verein ist darum bemüht, keine großspurigen Aussagen mehr zu treffen und sich insgesamt ein bodenständigeres Image aufzubauen.
Zudem scheint es Gisdol ernst zu meinen mit dem Vorhaben, in erster Linie auf die Entwicklung junger Spieler zu setzen. Die TSG hat nach den vielen Abgängen und Degradierungen von zum Beispiel Tim Wiese und Eren Derdiyok einen der jüngsten Kader der Liga: Das Durchschnittsalter beträgt gut 22 Jahre.
Dazu passt auch das Verhalten auf dem Transfermarkt. Der wilden Einkaufstour des letzten Jahres stand 2013 ein nüchternes Transferverhalten gegenüber. Nur drei Einkäufe wurden getätigt, wobei der 18-jährige Abwehrspieler Kevin Akpoguma vermutlich hauptsächlich reifen soll und nicht sofort viel Einsatzzeit sehen wird.
Anders verhält es sich bei Anthony Modeste. Der Stürmer kam von Girondins Bordeaux und wird vermutlich direkt die Position des Mittelstürmers innehaben, nachdem Joselu nicht mehr da ist und Derdiyok ausgemustert wurde. Sein einziger echter Konkurrent ist demnach Sven Schipplock, der bisher als Joker am besten funktionierte.
Auch Tarik Elyounoussi von Rosenborg Trondheim soll die Kraichgauer direkt verstärken. Der Außenstürmer ist zwar auch erst 25 Jahre alt, gehört mit acht Jahren Erfahrung im Profidasein allerdings direkt zu den erfahreneren Spielern im Kader. In der Vorbereitung harmonierte er schon recht ordentlich mit Roberto Firmino und Kevin Volland.
Die Taktik
Die TSG wird in der nächsten Saison aller Wahrscheinlichkeit nach auch im 4-2-3-1-System auflaufen, das mittlerweile ohnehin vom Großteil aller Bundesligisten gespielt wird. Gisdol selbst sagte, seine Mannschaft fühle sich in diesem System am wohlsten.
In der Viererkette soll Jannik Vestergaard den Abwehrchef geben, ihm stehen voraussichtlich David Abraham, Stefan Thesker sowie der kürzlich im Amt bestätigte Kapitän Andreas Beck zur Seite.
Die Sechser-Position ist die wohl am tiefsten besetzte Position der Mannschaft. Mit Sebastian Rudy, Sejad Salihovic, Eugen Polanski sowie dem von einer Leihe zurückgekehrten Tobias Strobl streiten sich gleich vier qualifizierte Akteure um die beiden Plätze. Vermutlich werden Rudy und Salihovic vorerst die Nase vorn haben, der Bosnier kann und wird allerdings auch mal weiter vorne eingesetzt werden.
Die offensive Dreierkette hinter der Spitze stellt das Prunkstück der Mannschaft dar. Neben Neuzugang Elyounoussi finden sich hier mit Firmino und Volland die talentiertesten Akteure im Kader, die den Angriff hinter Modeste ins Laufen bringen sollen.
Unabhängig von der taktischen Ausrichtung steht jedoch das übergeordnete Ziel, mit dem Fußball wieder an die Hinrunde des ersten Bundesligajahrs zu erinnern. Das Spiel soll schnell und riskant werden, bei Ballbesitz geht es direkt nach vorne. Fixes Umschalten gehört zu den wichtigsten Punkten auf der Agenda von Gisdol, die ganze Mannschaft soll sich an der Verteidigung beteiligen.n Da diese Art von Fußball extrem laufintensiv ist, finden sich viele junge und sprintstarke Spieler im Kader.
Der Spieler im Fokus
Roberto Firmino. Der Brasilianer rückte im Sommer in den Blickpunkt, als ein Angebot von angeblich zwölf Millionen Euro aus Moskau für ihn abgegeben wurde - Hoffenheim lehnte ab.
"Ja, es gibt dieses Angebot in dieser Größenordnung für Roberto", bestätigte Manager Alex Rosen. "Aber wir haben kein Interesse, ihn abzugeben. Er spielt in unseren Planungen eine wichtige Rolle." Die TSG setzte damit ein Zeichen, hatten sie doch in den Jahren zuvor Spieler wie Carlos Eduardo oder Luiz Gustavo für vergleichbare Summen ziehen lassen.
Es liegt jetzt an Firmino, dieses Vertrauen zu rechtfertigen. In seinen zweieinhalb Bundesligajahren ließ er immer mal wieder sein großes Talent aufblitzen, schwankte jedoch - genau wie seine Mannschaft - extrem in seinen Leistungen.
Zum Ende der vergangenen Saison hin war er einer der Schlüsselspieler, nicht zuletzt mit seinen beiden Toren in der Relegation gegen Kaiserslautern. In der Vorbereitung schien er diese ansteigende Formkurve zu bestätigen, das Zusammenspiel mit seinen Teamkollegen gelingt immer besser.
Für Firmino selbst ist es ein Schlüsseljahr: Der 21-Jährige hat die Hoffnung auf die WM 2014 noch nicht aufgegeben, außerdem würde er in der Zukunft gerne für einen europäischen Top-Klub auflaufen. Die Formschwankungen der letzten Jahre muss er dafür jedoch abstellen.
Prognose
"Entwicklung braucht Zeit" ist das Mantra nach dem Markus Gisdol in Hoffenheim arbeitet. Im Kraichgau scheint man sich damit abgefunden zu haben, nicht mehr direkt nach den Sternen zu greifen, nachdem in den dreieinhalb Jahren zuvor insgesamt fünf Trainer verschlissen wurden.
Unter Trainer Nummer sechs scheint 1899 nun den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Der Kader ist talentiert genug, um in der Liga für ein wenig Aufsehen zu sorgen. Nicht wie bei der Herbstmeisterschaft 2008, aber eben auch nicht wie im letzten Jahr als vermeintliche Lachnummer der Liga.
Für ganz große Sprünge ist der Kader noch zu dünn, insbesondere im Falle der Viererkette sowie dem offensiven Mittelfeld. Mit den Abstiegsplätzen sollte Hoffenheim in dieser Saison trotzdem wenig zu tun haben. Platz 9-13 ist realistisch. Und wenn man Markus Gisdols Aussagen glauben darf, wäre zumindest er damit absolut zufrieden.
Der Kader von 1899 Hoffenheim