Werder Bremen: Kontinuität als leere Worthülse - Die Gründe für den Absturz

Stefan Rommel
18. Mai 202108:01
Bei Werder Bremen sind viele Dinge falsch gelaufen.imago images
Werbung
Werbung

Werder steht mal wieder vor dem Fall in die Zweitklassigkeit. Ein Abstieg käme nicht nur sportlich, sondern auch finanziell einer Katastrophe gleich. Wie konnte es so weit kommen?

"Die Macht der Ergebnisse ist zu groß geworden", hat Marco Bode am Sonntagabend im Interview mit dem NDR Sportclub gesagt. Bode blieb damit das Schlusswort an einem Tag, der für Werder Bremen eine Zäsur bedeutet - eine Woche, bevor der sportliche Absturz erst noch erfolgen könnte. Die Demission von Florian Kohfeldt ist für Werder mehr als nur ein Trainerwechsel, es ist die Abkehr von dieser einen ganz großen Idee.

Nun steht Werder mit einem Trainer da, den sie in Bremen vor acht Jahren entlassen haben. Und direkt am Abgrund, weil auf dem Relegationsrang und mit der großen Gefahr im Nacken, am letzten Spieltag noch eine Stufe nach unten durchgereicht zu werden. Wie konnte das alles so weit kommen?

Der Werder-Weg ins Nichts

Das muss man sich erstmal trauen: Nach Viktor Skripnik und Alexander Nouri einen dritten Trainer von der U23 holen, um ihm die Bundesligamannschaft anzuvertrauen. Ohne große Reputation, weder als Trainer noch als Spieler. Aber Florian Kohfeldt schien die beste Lösung, auch wenn Sportchef Frank Baumann schon damals eigenartig lavierte und die Entscheidung für den jungen Trainer ungeschickt verkaufte. Inhaltlich schien Baumann im dritten Anlauf Recht zu behalten.

Kohfeldt löste das Versprechen anderthalb Spielzeiten lang ein, führte die Mannschaft und damit den gesamten Klub wieder in Richtung dessen, wofür Werder stehen sollte: Mut, Entschlossenheit, Offensivgeist und auch eine Portion Cleverness auf allen Ebenen.

Eine Weile schien es so, als müssten sie bei Werder Angst haben, dass ihnen dieser Trainer weggekauft wird. Dann kamen die Misserfolge und der alte Bremer Reflex: Dieser Klub unterwirft sich nicht wie andere den Mechanismen des Geschäfts.

In der Bremer Tradition stehen zwar etliche Trainerrauswürfe in den frühen Jahren der Bundesliga, verfangen haben sich aber die Epochen unter Otto Rehhagel und Thomas Schaaf. Das ist das Bild, das Werder auch heute noch nach außen darstellen will: Die viel zitierte Kontinuität steht über allem.

Thomas Schaaf (li.) übernimmt das Trainerammt von Florian Kohfeldt (re.) für das Saisonfinale.imago images

"Kontinuität" als leere Worthülse

Rehhagel wurde damals weggekauft, Schaaf erst freigestellt, als es gar nicht mehr anders ging. Aber schon damals begann der Niedergang, die letzten Schaaf-Jahre waren überflüssig und behinderten die längst nötige Überholung des Modells.

Kohfeldt ist jetzt der vorerst letzte, der diesen Fehler von vor zehn Jahren ausbaden muss. Baumann hat als Spieler die goldene Schaaf-Ära selbst erlebt und wollte offenbar zusammen mit Kohfeldt ähnliches aufbauen. Überdies verrannte sich Werder aber in einen ungesunden Personenkult, wie das bereits bei Schaaf der Fall gewesen ist. Am Ende stand nur noch "Kontinuität" als leere Worthülse, die sportliche Entwicklung stagniert seit zwei Spielzeiten. Werder ist einem Phantom hinterhergejagt.

"Es gehört zu unserer DNA, wenn möglich an einem Trainer festzuhalten." Das hat Bode auch noch gesagt am Sonntagabend. Das ist ein lohnenswertes Ziel, wenn man zu einhundert Prozent überzeugt ist. Nur war das in Bremen schon lange nicht mehr der Fall. Die Hoffnung, dass das irgendwie schon noch einmal gutgehen wird, musste immer größer werden. In der Zwischenzeit wurde geschlampt und wichtige Entscheidungen wurden verschleppt. Und jetzt droht der Werder-Weg geradeaus ins Nichts zu führen: in die zweite Liga.

Trainer Florian Kohfeldt hat sich übernommen

Florian Kohfeldt ist angetreten, um einen gesamten Klub auf links zu ziehen. Kohfeldt war in seinen ersten Jahren mehr als "nur" der Trainer einer Bundesligamannschaft: Er hat als ehemaliger und langjähriger Jugendtrainer wichtige Verknüpfungen hergestellt zum NLZ, hat dafür neue Ideen eingebracht. Er hat sich um infrastrukturelle Dinge gekümmert, die Mannschaftskabine endlich umbauen lassen. Er war das Gesicht des Klubs, ein Medienprofi, eloquent und beredt, die Symbolfigur für den Aufbruch.

Das war alles ein bisschen zu viel. Zu viel Elan, zu viele Aufgaben. Nach und nach musste das Kohfeldt erkennen und gab einige dieser Dinge wieder ab. Spätestens im Verlauf der vergangenen Saison stieß Kohfeldt an Grenzen, die einige gar nicht mehr erkennen wollten.

Das Diktat der Ergebnisse hat Werders, hat seine, Spielidee komplett aufgeweicht. Zuletzt stand eine bis zur Unkenntlichkeit verformte Spielidee. Reagieren statt agieren, Defensivfußball statt offensiver Impulse, kämpfen statt spielen, Angst statt Mut.

"Die Mannschaft hat ein Stück weit den Glauben an diese Konstellation verloren", sagte Baumann am Sonntag im Sport1Doppelpass. Gemeint war die Konstellation mit Kohfeldt. Das ist eine richtige Einschätzung - aber sie kommt mindestens ein paar Wochen zu spät.

Aus der Verantwortung kann man Kohfeldt nicht entlassen

Das Spiel in Augsburg hat noch einmal schonungslos aufgezeigt, wie verfahren die Situation am Ende war: Werder durfte in Überzahl spielen, im wichtigsten Spiel der Saison bekam die Mannschaft eine Ausgangslage wie gemalt quasi geschenkt.

Aber Werder war nicht in der Lage, den Gegner auseinanderzuspielen. Das größte Problem der Saison, das fehlende Offensivkonzept, wurde Werder gegen den FCA zum Verhängnis. Und damit auch Kohfeldt. Der so genannte Markenkern des Bremer Fußballs ist nicht mehr existent. Das muss man zu großen Teilen auch dem Trainer ankreiden, aus der Verantwortung kann man Kohfeldt nicht entlassen.

Dass der dabei auch mit einem kaum wettbewerbsfähigen Kader hantieren musste, steht auf einem anderen Blatt.

Die Werder-Trainer seit 2000:

ZeitraumTrainerSpielePunkte pro Spiel
1999 - 2013Thomas Schaaf6441,65
2013Wolfang Rolff10,00
2013 - 2014Robin Dutt451,02
2014 - 2016Viktor Skripnik701,31
2016 - 2017Alexander Nouri431,30
2017 - 2021Florian Kohfeldt1431,34

Werder Bremen: Die Fehler der Verantwortlichen

Bode und Baumann bilden eine Art Schicksalsgemeinschaft. Der eine segnet als Aufsichtsratschef die sportlichen Entscheidungen des anderen ab, Bode holte Baumann erst nach dem Rauswurf von Thomas Eichin ins Amt des sportlichen Leiters.

Baumann verlängerte mit der ersten Amtshandlung den Kontrakt von Skripnik, das war vor fünf Jahren. Ein paar Wochen und drei Bundesligaspiele später musste Baumann seinen Trainer schon wieder entlassen.

Der Start war also vorsichtig formuliert eher ungünstig, wobei sich Baumann aber auch durch den einen oder anderen gelungenen Spielertransfer Reputation und Vertrauen erkaufte. Ähnlich wie bei Kohfeldt ging das alles gut bis zum Sommer 2019. Die Einschätzung, wie mit dem Verlust von Max Kruse umzugehen sei, war fundamental falsch. Der Trainer und auch Baumann setzten auf das "Mehr-Spieler-Modell", das krachend scheiterte.

In den Transferperioden seitdem griff Baumann immer wieder beherzt daneben, füllte den Kader mit Spielern auf, die anderweitig auf den Ersatzbänken der Konkurrenz saßen. Auch das ist eine Anleihe aus früheren Tagen, als es Klaus Allofs immer wieder gelang, prägende Figuren auf diese Weise nach Bremen zu holen, etwa Johan Micoud oder Diego.

Auch für Frank Baumann wird es eng

Baumanns Plan ging aber kaum einmal auf. Mittlerweile hat er mehr Geld für Spieler ausgegeben als eingenommen, dabei sollte doch das einer der Pfeiler der Bremer Zukunft sein: Sich über Spielerverkäufe Luft zu verschaffen.

Herausgekommen ist ein krummer Kader, dem seit Jahren ein Sechser fehlt und stattdessen vollgepumpt ist mit Spielern, die nur wenig Verkaufswert haben. Baumann hat es verpasst, Werte zu schaffen mit seinen Transfers. Er hat seinem Trainer einen Kader auf den Hof gestellt, der zu den drei, vier schlechtesten der Liga gehört. Er hat es trotz einiger Reformen und dem Technischen Direktor Schaaf als Bindeglied zwischen NLZ und Lizenzspielerabteilung nicht geschafft, eigene Talente dauerhaft nach oben zu holen und auch im Klub zu halten.

Baumann hat die Alarmzeichen übersehen, die die Mannschaft schon vor einigen Wochen ausgesandt hat. Er hat ein Pokalspiel gegen einen überlegenen Gegner als Referenzgröße ausgerufen, Kohfeldt ein Endspiel verschafft in einer Partie, die dafür überhaupt nicht geeignet war.

Kohfeldts Freistellung ist nun auch Baumanns ganz persönliche Niederlage und sie erhöht den Druck in den Wochen nach der Saison. Ein "Weiter so" wurde in der Analyse der letzten Saison kategorisch ausgeschlossen. Herausgekommen ist knapp ein Jahr später ein "Weiter so". Es wird auch für Baumann eng.

Baumann steht mit Werder vor dem nächsten großen Umbruch.imago images

Die prekäre finanzielle Notlage von Werder Bremen

Wie eigentlich auch für alle anderen. Bode ist schon lange umstritten, Finanzchef Klaus Filbry macht, was eben möglich ist. Aber die Bilanzen des Klubs sind mindestens so verheerend wie der sportliche Zustand der Mannschaft.

Vergangene Woche veröffentlichte Werder die Parameter für die geplante Fan-Anleihe, auf über 200 Seiten musste der Klub schonungslos seine Zahlen offenlegen und dabei alle Szenarien aufzeigen - auch das einer Insolvenz. Werder benötigt dringend frisches Geld, die ohnehin schon schlechten Rahmenbedingungen sind für den Fall des Klassenerhalts formuliert. Steigt die Mannschaft ab, oder kommen nicht die gewünschten rund 20 Millionen Kapital durch den Börsengang zustande, müssen die Kennzahlen noch einmal ganz neu berechnet werden.

Unter anderem muss schnelles Geld durch Spielerverkäufe generiert werden. In einem Markt, der durch Corona brachliegt und von dem niemand weiß, wann er Fahrt aufnehmen wird.

Im Handel mit Klubs, die nun sehr genau wissen, wie es um Werder bestellt ist und einfach abwarten können, bis die Bremer zum Handeln gezwungen sind. Die Ausgangslage könnte auch hier schlechter nicht sein.