Kretzschmar veröffentlicht Biografie

SPOX
13. Oktober 200815:00
SPOXGetty
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Stefan Kretzschmar lässt tief blicken. Provokant, extravagant, narzistisch: Für Viele verkörpert der Sportstar - rund ein Jahrzehnt das Handball-Gesicht im Weltmeisterland - das Klischee des tätowierten Sprücheklopfers.

In seiner Biografie "Anders als erwartet" gewährt der 35-Jährige nun Einblicke in sein Leben, spricht über Erfolge und Niederlagen, Beziehungen, Erfahrungen mit Drogen und Tod.

Fast schon schockierend offen thematisiert er das schwierige Verhältnis zu seiner Mutter Waltraud, Handball-Koryphäe der DDR.

"Buch rückt Image gerade"

"Dieses Buch offenbart viele persönliche Sachen, was vieles relativiert und mein Image gerade rückt. Deshalb wird es für einige anders als erwartet sein", sagt Stefan Kretzschmar.

Auf 256 Seiten kommt nicht nur er selbst zu Wort, sondern neben seinem Vater Peter ("Er ist so, wie ich sein will") auch Basketball-Star Dirk Nowitzki, Bundestrainer Heiner Brand, "Hexer" Andreas Thiel, Rocksänger Campino, sein früherer Nationalmannschaftskollege Christian Schwarzer oder Links-Politiker Gregor Gysi.

Für sein Image tat der Linksaußen a.D. mit seinen 19 Tattoos, Piercings und wechselnden Haarfarben viel, nur wenig dagegen. "Ich habe das Spiel bewusst mitgespielt und selbst kreiert", sagt der Olympia-, WM- und EM-Zweite. Doch das Leben des früheren "Ball- Zauberers", der in seiner Sturm- und Drangzeit kaum eine Party ausließ, ist ruhiger geworden. Garten statt Disco - Spießer mit ganz schön vielen Tattoos, das träfe es wohl jetzt eher, meint Kretzschmar.

Rückschau mit Trauer und Freude

Bei seiner Lebensrückschau ist Schmunzeln angesagt, wenn der 218-malige Nationalspieler zum Beispiel von seinem ersten Mal Sex oder dem Aufnahmeritual beim VfL Gummersbach erzählt.

Weniger lustig ist die Konfrontation mit dem Tod: Bei einem Überfall von Skinheads kommt der zweimalige "Handballer des Jahres", der seit dem Karriereende 2007 bei "seinem" SC Magdeburg Sportdirektor ist, leicht verletzt davon, sein Kumpel stirbt. "An dem Tatort vorbeizufahren, ist für mich immer noch eine harte Probe", schreibt er.

Sportlich "unvollendet"

Trotz zahlreicher Titel und Ehrungen sieht sich Kretzschmar sportlich als "Unvollendeter". Denn anders als mit dem SC Magdeburg, mit dem er die Champions League, den EHF-Cup und die deutsche Meisterschaft gewann, reichte es mit dem Nationalteam immer nur zu Silber.

"Ich bin darüber hinweg, würde aber alle meine Silbernen für eine Goldene eintauschen", sagt der NBA-Fan. Auch auf seine zwiespältige Beziehung zu Bundestrainer Brand blickt er zurück. "Wir haben heute ein sehr respektvolles Verhältnis."

Spitzensport ist verseucht

Kretzschmar glaubt an Respekt und Gerechtigkeit, wollte weder geschenkte noch unsaubere Siege. Der Spitzensport von heute ist aus seiner Sicht jedoch verseucht.

"Die Welt verlangt nach Rekorden, also bekommt sie diese dank chemischer Unterstützung", schreibt er und ergänzt "ketzerisch: Im Sinne der Chancengleichheit müsste man Doping freigeben. Es ist aber nicht das, was ich mir wünsche."

"Ich bin ein glücklicher Mensch"

Der Sinn des Lebens? Für den "Bauchtypen" Kretzschmar ist es die Suche nach der wahren Liebe. In Schwimm-Star Franziska van Almsick glaubte er, seine Seelenverwandte gefunden zu haben. Doch nach vier Jahren scheiterte die Beziehung.

"Ich musste all die Erfahrungen machen, auch die bitteren, um da zu sein, wo ich heute bin: Ein glücklicher Mensch." Er kehrte zu seiner geschiedenen Frau Maria zurück. "Sie kommt dem Ideal am nächsten. Ich liebe sie aus tiefstem Herzen." Nach Tochter Lucie Marie wurde Sohn Elvis Ernesto geboren.

Offenheit als Therapie

Viele Auseinandersetzungen hat Kretzschmar gewonnen. Doch seinen größten Kampf sieht er als verloren an. "Ich betrachte es als Niederlage meines Lebens, dass ich es nie geschafft habe, deinen Ansprüchen gerecht zu werden", schreibt Kretzschmar an seine Mutter.

"Wenn man mich verstehen will, wie ich geworden bin, mit all meinen Mankos und negativen Eigenschaften, muss man das auch erwähnen", erklärt Kretzschmar die Offenlegung seiner Gefühle, die auch eine Art Therapie war. Anders als viele erwarten würden.